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Aldous Huxley Revival Serie Brave new world (23)

DIE SPRACHE DER MOBILISIERUNG

 

0. Fuenf Anmerkungen - geschrieben mit einigem zeitlichen Abstand zum 11.September und nach Lektuere diverser Erklaerungen aus Gewerkschaften

1. Es erhoben sich zahlreiche Stimmen die vor unueberlegten Schritten warnten. Was sich, einmal mehr, als ueberfluessig erweisen wird. Auch Clintons Raketenschlag auf Khartoum war wohl ueberlegt - der Anschlag auf das WTC auch.

Diese Kritik an hektischem Handeln ist in der Regel verbunden mit Aeusserungen menschlichen Verstaendnisses fuer Hass und Rachgefuehle, denen mensch aber trotzdem nicht nachgeben duerfe.

Aber in dieser Rede sind Gefuehle Privilegien: Waeren die Moerder von New York Irakis gewesen, die Rache fuer ihre im Golfkrieg getoeteten Angehoerigen geuebt haetten - niemals waere diese Rache fuer Bundesbuerger verstaendlich. (Noch weniger, wenn Kurden in Deutschland Attentate organisiert haetten wg Halabja).

Diese Worte lassen keinen Spielraum mehr zu: Mit ihrer Aeusserung ist auch die Entscheidung gefallen. In diesem Falle: Wer die Gefuehle haben darf.

Konsequent: Die fast ueberall vertretene Losung lautet "keine Chance dem Terror" und nicht etwa "keine Chance der Gewalt" die ja wenigstens noch, neben den Untaten der privaten Taeter auch jene der staatlich beauftragten Taeter mit umschliessen koennte, nicht nur den turbangeschmueckten oder mit der Lutherbibel ausgestatteten faschistoiden Bombenleger, nicht nur balkanesische Ethnobanden (und ihre Foederer ?), sondern auch den Bombenwerfer in Uniform. Auch wenn das Plaedoyer ein anderes ist, markiert diese Rede gut und boese entsprechend: wir und ihr (wer auch immer, wie weit definiert auch immer). Und erniedrigt dadurch praktische Entscheidungen zu taktischen. Das naechste Mal, vielleicht.

2. Diese Festlegung und Ausgrenzung durch Worte wird vollendet durch die Herstellung von Gemeinsamkeiten in der Selbstbeschreibung.

Wir sind die Zivilisation, wir sind die Demokratie, wir sind tolerant und wir sind weltoffen. Sagen auch jene, die gegen einen Militaerschlag sind. Der Vergleich mit der Realitaet zeigt, dass aus diesen Begriffen Festlegungen geworden sind, die Kausalzusammenhaenge herstellen.
Wer so gut ist, hat Rechte (und Pflichten, durchaus).

Nun ja: Die Toten in Deutschlands Staedten sind gezaehlt worden, noch koennen sie auch einer kleinen Minderheit zugeschrieben werden, auch wenn deren Denken in der Mitte der Gesellschaft durch-schill-ert. Die Toten an Deutschlands Grenzen, an Spaniens Grenzen, an Italiens Grenzen sind nicht gezaehlt worden, noch jene an der Mauer der USA gegen Mexiko: mehr als an Ulbrichts menschlicher und politischer Bankrotterklaerung allemal. Und was waere der Wahlsieg des furchtbaren Richters Schill anderes als ein wahrhafter "Aufstand der Anstaendigen" die endlich Ruhe, Recht und Ordnung sehen wollen, und wenn eben Gewalt, dann uniformiert. Weltoffen ist diese Gesellschaft nur gegenueber den Waren und Finanzstroemen - und den Menschen mit genuegend Geld. Der Inbegriff dieser Art Offenheit ist der Tourist, der noch von jeder Reise mit der Ueberzeugung zurueckkehrt, hier sei es doch am besten geregelt. Der sich seines Geldwerts bewusst ist und - wenn irgendwelche wilde Piloten streiken - nach Vater Staat heult, der ihn heim soll holen ins Reich der Sicherheit. Die Toleranz gilt denn auch vor allem sich selbst und den eigenen Fehlern, vom korrupten Politiker ueber Medienhetze bis zum Volkssport Steuerbetrug - es ist alles bekannt, aber alle machen weiter und tun so als ob.

Und wenn Haider, Berlusconi/Fini und Aznar/Opus Dei, der Richter Schill und der Anwalt Schily Demokraten sind, so spricht das entweder gegen die Form der praktizierten Demokratie, gegen den je angeblichen Souveraen oder gegen das demokratische System als Quelle der Reaktion

3. Wenn die Sprache, ohne es zu sagen "wir und ihr" als Gegensatz konstruiert, dann gehoert die Mobilisierung qua Gefuehl als Unterfutter dazu. Ausser jenen, die Angehoerige oder Freunde unter den New Yorker Opfern hatten, kann niemand trauern.

Weil Trauer ein konkretes Objekt voraussetzt - und weitere Bedingungen hat, wie Ruhe und Zeit. Nein, Trauer - sofern jemand dazu bereit war, wurde nicht zugelassen: Weil sie verordnet wurde.

Die spontane Reaktion war denn auch eine andere: Schock. Um das Gefuehl der Trauer zu evozieren, wurde Passanten das Wort im Mund herumgedreht. Wenn jemand sagte "das haette uns auch passieren koennen" galt das als Aeusserung von Trauer - was es nicht ist. Der Schock aber ist Ergebnis der Tatsache, dass die Opfer in der Tat keine Menschen waren, deren Leben nahezu unvorstellbar weit weg ist, sondern Menschen "wie Du und ich". Es waren keine Menschen, die die kapitalistische Weltgesellschaft aussen vor laesst, weil sie sie weder als Produzent noch als Konsument braucht und haben will, sondern welche, die - wie wir - zum Funktionieren der Maschine beitragen.

Nun ist Trauer aber in der - der Sprache inhaerenten - Bewertung ein tieferes, echteres Gefuehl als Schock, das schwerlich seine medizinischen Aspekte verbergen kann. Dementsprechend muss eine Neubestimmung der Definition stattfinden - ganz so, wie der Kanzler es fordert, wenn er ueber jene redet, die gestern in Tschetschenien noch Freiheitskaempfer genannt wurden: Was frueher Schock hiess, heisst jetzt Trauer.

4. Die Begriffe Trauer, Schock und Betroffenheit erweisen sich so als rituelle Begriffe, solche also, denen Funktionen zugeordnet sind. Hier regiert in Wirklichkeit der Zynismus, aber keineswegs nur bei den Buergerlichen, auch bei der Linken.

Wer noch am selben oder am folgenden Tag eine fertige politische Beurteilung der Lage hat und diese verkuendet, ist einfach jemand, der einen Anlass nimmt, um seine Meinung zu verkuenden. Opfer aufrechnen macht es wahrlich nicht besser. Wenn dies noch verbunden ist mit Hasstiraden gegen Amerika, und dies in Deutschland, dann darf es nicht wundern, dass auch in mancher dieser linken Stellungnahmen Auschwitz und Dresden in einem Atemzug genannt werden - die Spitze dieses dubiosen ideologischen Eisbergs. Der groesste militaerische Aufmarsch der USA war im uebrigen in der Normandie und das war gut so.Im weiteren gab es in USA immer groessere Antikriegsbewegungen als hierzulande, zumal wenn mensch sich den letzten deutschen Krieg vor Augen haelt, der nicht 56 sondern anderthalb Jahre zurueck liegt.

Dass gerade die deutsche Rechte der Untat ihrer Geistesbrueder mit mehr oder minder klammheimlicher Freude zujubelt, sollte vielleicht Anlass zum Nachdenken sein.

5. Die Sprache der Mobilisierung laesst natuerlich wiederum Menschen aussen vor: sie ist fuer die Zentren des Kapitalismus konstruiert und kann auch nur da funktionieren. Naheliegend, dass etwa Menschen in Chile gerade am 11.September an etwas anderes denken. Naheliegend auch, dass etwa Kurden viele bittere Erfahrungen damit gemacht haben, wenn der religioese politische Fundamentalismus mit militaerischen Mitteln bekaempft wird. Naheliegend schliesslich, dass viele jener Menschen aus den Slums der sogenannten dritten Welt, die von "ihrer" Gesellschaft nur als Bedrohung oder bestenfalls Objekt wahrgenommen werden, anders denken. Sie alle, so wird gemeint aber nicht gesagt, sie alle haben kein Recht auf Rachegefuehle, denn wer weiss schliesslich, wogegen die sich richten wuerden.

Parataxis: Was schliesslich das ganze soll ? Seinerseits nahe legen, dass es an der Zeit waere, nachzudenken, nachzupruefen. Nicht die Kritik am Kapitalismus, nicht das Eintreten fuer eine andere Welt. Im Gegenteil.

Sondern nachpruefen, ob diese Kritik nicht zugespitzt werden muss in der Hinsicht, dass die Kinder der Globalisierung, die diese auffressen, das reaktionaerste an dieser Ordnung nicht nur mobilisieren, sondern auch darstellen. Ob es also nicht ein Zeichen von Schwaeche ist, wenn die Linke bei jeder kriegerischen Untat ebensosehr rituelle Sprache - und Methoden - benutzt, wie es in der Rede fuer die antidemokratischen Praktiken der staatstragenden Kraefte geschieht: Am Satzanfang steht das Ende fest.

Was fuer die unmittelbare politische Aktualitaet bedeuten mag: Dass trotz Gegnerschaft zum Krieg, in der Sprache nicht derselbe Hass auf Amerika durchscheint wie es bei den Attentaetern klingt. Fuer die Zukunft koennte dies bedeuten, Perspektiven der Kritik zu eroeffnen: an den Bin Laden und Bush und wer auch immer, an den Schill und Schily, deren einer mehr, der andere vielleicht weniger, Feinde selbst des blossen Abziehbildes jener Freiheit sind, die das Buergertum einst versprach...

Helmut Weiss


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