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Ketchup al Ejido

Migration, Rassismus und gewerkschaftliche (Selbst-)Organisierung in Spanien

Von Gaston Kirsche*

In Madrid begann für die konservativen Wahlsieger vom 12. März jetzt die zweite Amtszeit. José María Aznar von der Volkspartei PP sieht zwei große Herausforderungen für seine neue Regierung: zum einen die unruhige Lage im Baskenland nach dem Ende des Waffenstillstandes der ETA, zum anderen die Einwanderung. So gibt es im neuen Kabinett das erste Mal einen Staatssekretär für die Immigration. Anlass für die Aufwertung der Einwanderungskontrollpolitik waren die schwersten rassistischen Überfälle seit dem Ende der Franco-Diktatur 1975.

Vom 5. bis 8. Februar fielen tausende EinwohnerInnen der südspanischen Kleinstadt El Ejido über LandarbeiterInnen her, die mit marokkanischen Papieren nach Andalusien gekommen waren. Ihre Unterkünfte wurden abgebrannt, ihre Läden zerstört, ihre Autos zu Klump gehauen – auch wenn jemand drin saß. Drei Tage dauerten die pogromartigen Überfälle, bevor die zuschauende Gemeindepolizei zusammen mit der Guardia Civil einschritt. 55 Verhaftungen gab es – 39 MigrantInnen und 16 spanische Staatsangehörige, die festgenommen wurden, weil sie mit Eisenstangen und Baseballschlägern auch Funktionäre angegriffen hatten, die mit der Einwanderung zu tun haben. Der Staatssekretär für die Sicherheit, Ricardo Martí Fluxa, erklärte am 1. März, die verstärkte Polizeipräsenz werde "wegen der starken Präsenz der Immigranten", welche die Sicherheit gefährdeten, aufrecht erhalten.

Dass die Regierungspartei PP selbst an ihrem rechten Rand offen einen brutalen Rassismus unterstützt, wird an der Person des Bürgermeisters von El Ejido, Juan Enciso von der PP, deutlich: Mit Handys und Megafon ausgestattet, waren zwei Brüder von ihm aktiv an den Überfällen im Februar beteiligt. Das prangerte der Schriftsteller Juan Goytisolo im März in der Zeitung El Pais an. In El Ejido ist er bereits 1998 wegen eines früheren Artikels, in dem er die Marginalisierung von ArbeitsmigrantInnen in El Ejido kritisiert hatte, zur unerwünschten Person erklärt worden. Die linken Oppositionsparteien – PSOE und IU – ließen hingegen solch deutliche Worte, wie sie Goytisolo fand, vermissen. Doch El Ejido ist nur die Spitze des Eisberges. Am 12. September 1999 demonstrierten in dem nahegelegenen Ort Níjar 200 MigrantInnen. Sie protestierten damit spontan gegen eine Reihe von rassistischen Überfällen in den Nächten zuvor. Neun im Stile des Ku-Klux-Klans mit weißen Kapuzen Vermummte hatten mit Autos MigrantInnen verfolgt. Dabei verprügelten sie zwölf MigrantInnen mit Baseballschlägern.

Bei den Parlamentswahlen am 12. März konnte sich die PP in El Ejido von 46 auf über 64 Prozent verbessern. Im gleichzeitig gewählten andalusischen Regionalparlament sitzt jetzt Rosalia Espinosa von der PP für den Wahlkreis El Ejido – sie ist zugleich die rechte Hand von Bürgermeister Enciso und Abgeordnete im Kommunalparlament. Enciso, der seinen Posten seit Jahren innehat, nutzte bereits 1995 sein Amt, um von MigrantInnen bewohnte Häuser räumen zu lassen. Die saßen daraufhin auf der Straße und mussten sich notdürftig mit Hütten oder verlassenen Höfen begnügen. Die Gemeinderegierung verhindert bis heute, dass MigrantInnen aus Nordafrika in den gleichen Ortsteilen wie die eingesessene Bevölkerung wohnen. Enciso will die Niederlassung von MigrantInnen nur neben den außerhalb gelegenen Treibhäusern dulden: "So sparen sie sich das Geld für den Transport zum Arbeitsplatz." Der Bürgermeister ist einer der neuen Agrarunternehmer, die mit dem Boom der Plastiktreibhäuser in den siebziger Jahren und den seitdem möglich gewordenen drei Ernten pro Jahr reich geworden sind. Auf seinen Gemüsefeldern wird zwar besonders schlecht bezahlt, doch Enciso ist typisch für viele Landbesitzer. Die 21.000 Hektar Treibhauslandschaft, die in El Ejido insgesamt bewirtschaftet werden, erbrachten 1998 1,7 Milliarden Euro Umsatz, davon ist die Hälfte Gewinn. In vielen der neuen Häuser ist Marmor verlegt, davor parken Mercedes-Karossen. Den Ort El Ejido gibt es als selbständige Gemeinde erst seit 1982. Vorher war hier staubiges Brachland, das der Nachbargemeinde gehörte und für die kommunale Nutzung vorgesehen war. Daher der Name El Ejido – der spanische Begriff für den gemeinsamen Landbesitz eines Dorfes. Bis vor 20 Jahren galt die Region als eine der ärmsten und kargsten Südspaniens. Die ersten KleinbäuerInnen, die sich hier ansiedelten, waren Re-MigrantInnen, die selbst als "GastarbeiterInnen" in der BRD oder der Schweiz gewesen waren. Mit dem Beginn der Treibhauslandwirtschaft setzte in den siebziger Jahren ein Boom ein, der das Sozialgefüge grundlegend änderte. Aus den einzelnen Höfen wurde eine Kleinstadt, in der auch politisch ein Wandel stattfand: Statt der in Andalusien bis heute bei den KleinbäuerInnen traditionell starken sozialdemokratischen PSOE wurde nun mehrheitlich die konservative Volkspartei PP gewählt. Die Treibhäuser sind Bestandteile moderner Wirtschaftsunternehmen geworden, deren Verwaltungen selbstverständlich mit Computern arbeiten. Diese Agrarunternehmen sind abhängig von den Preisschwankungen der europäischen Gemüsemärkte und von den Pestiziden und dem Saatgut der multinationalen Agrarkonzerne. Die früheren KleinbäuerInnen, die heute zu den ‘Neuen Reichen’ gehören, hatten und haben jede Menge Banken für die notwendigen Kredite zur Auswahl: Auf 50.000 offizielle EinwohnerInnen von El Ejido (ohne die 19.000 ArbeitsmigrantInnen) kommen 49 Bankfilialen im Ort.[1] Ein Extraprofit wird mit der Beschäftigung von LandarbeiterInnen mit und ohne Papiere aus dem Mahgreb erwirtschaftet, die allesamt nicht sozialversichert sind und für geringere Löhne arbeiten als die LandarbeiterInnen mit spanischem Pass. Von den etwa 19.000 MigrantInnen in El Ejido haben nur 10 Prozent eine menschenwürdige Unterkunft, heißt es in einer Mitte April veröffentlichten Untersuchung der andalusischen Regionalregierung. Jede Nacht versuchen Menschen, in kleinen Booten über die Meerenge von Gibraltar von Marokko nach Spanien zu gelangen, um in Orten wie El Ejido Arbeit zu suchen. Viele werden erwischt und verhaftet oder ertrinken. Wer es dennoch geschafft hat, den erwarten prekäre Überlebens- und Arbeitsbedingungen. Wie in der BRD auch sehen sich viele der Privilegierten als Opfer der MigrantInnen. "Ich bin kein Rassist, aber ich habe die Nase voll", verkündete etwa der Großbauer Antonio Gutiérrez. Und weiter: "Sie sollen sich anpassen oder verschwinden!" – die "Mauren" hätten seinem Bäcker Brot geklaut und ihm selbst Kaninchen und Melonen. Darüber, dass ein Marokkaner, der ein Bier trinken will, dafür in einer Bar 100 Peseten (60 Cents) mehr bezahlen muss als ein Spanier, redet er nicht.

Auf seinen 3.000 qm Gewächshausfläche dürfen MigrantInnen in stickiger, schwüler Hitze 12 - 16 Stunden arbeiten. Die Löhne sind Ende 1999 massiv von 4.500 auf 3.800 Peseten pro Tag (rund 47 DM) gedrückt worden. Im Dezember 1999 war deswegen ein Streik geplant, der aber von den Gewerkschaften abgeblasen wurde für einen Vertrag, den die Großbauern schließlich doch nicht unterschrieben haben. Angesichts des rapiden ökonomischen Umbruchs – vom Subsistenzdorf zur agrarindustriellen Zone – gab es zwar keine Grundlage dafür, sich auf El Ejido als das ‘eigene Dorf’, als Ort einer gemeinsamen Geschichte oder gemeinsamer Interessen zu beziehen, doch hinderte das die EinwohnerInnen offenbar nicht daran, sich unter Rückgriff auf das tradierte Feindbild "die Mauren" bei jedem kleinen Diebstahl seitens der ArbeitsmigrantInnen mit ‘ihrem El Ejido’ zu identifizieren, das es zu verteidigen galt. Über die rassistische Abgrenzung von den "Anderen", den mahgrebinischen ArbeitsmigrantInnen, wurde eine nationalistische Identität definiert – eine Konstruktion, in der auch die Differenzen in der ökonomischen und sozialen Lage der Groß- und Kleinbauern oder der remigrierten ehemaligen ‘GastarbeiterInnen’ verschwanden.

Diese Stimmung steigerte sich vor den rassistischen Überfälle und Belagerungen im Februar. Unmittelbarer Auslöser war der Mord eines geistig verwirrten Arbeitsmigranten an einer Spanierin. Tagelang wurde der Vorfall im Lokalfernsehen von El Ejido hochgekocht. Die Überfälle begannen unmittelbar nach einer ausführlichen Sendung über die vermeintliche Bedrohung durch "die Mauren". Nur 300 spanische Staatsangehörige des Ortes stellten sich mit einer Demonstration gegen den tagelangen rassistischen Terror. Dabei wurden einige der DemonstrantInnen, mit Arbeitsmigranten verheiratete Frauen, als Huren und Verräterinnen beschimpft und verprügelt.

Bereits 1998 hatten die Gewerkschaften UGT und CCOO sowie die NGO Almería Acoge erklärt: "Die Ausländer werden wie Feinde behandelt, wie eine Gefahr für den Rest der Gesellschaft." Gegen die rassistischen Überfälle wehrten sich schließlich im Februar viele der LandarbeiterInnen mit einem Streik, andere flohen in die Berge. Der Streik war ein starkes Druckmittel, weil Haupterntezeit war: Die Schlacht um die Tomaten hatte begonnen; Kosten für die Großbauern pro Streiktag: 12 Millionen Euro. Es kam schnell zu Verhandlungen. Am 13. Februar berieten Versammlungen der ArbeitsmigrantInnen über eine Neun-Punkte-Vereinbarung mit dem Bauernverband und der Gemeinde: Darin wurden Entschädigungen und der Neubau von Wohnungen zugesagt. Die als NGO etablierte "Organisation der Arbeitsmigranten aus dem Mahgreb in Spanien", ATIME, konnte sich durchsetzen und ein Ende des Streiks erreichen. Sie protestierte zwar gegen die Verhaftung von Streikposten durch die Guardia Civil, hoffte aber auf die Vereinbarung. Die kleinere "Vereinigung der Mahgrebemigranten in Spanien", AEME, lehnte die Vereinbarung als zu unverbindlich ab. Deren Sprecher Mustafa Ait-Korchi wurde deswegen auf Versammlungen der ArbeitsmigrantInnen als Aufrührer isoliert. Er hatte zuvor – trotz seines spanischen Passes – bei den rassistischen Überfällen seine Bar "International" verloren, die verwüstet wurde.

Auf dem Streikplenum wurde beschlossen, den Streik bis zu den Wahlen nur auszusetzen, um ihn bei Nichterfüllung der Forderungen wieder aufzunehmen. Nach dem haushohen Sieg der PP bei den Wahlen im März war bei ATIME jedoch keine Rede mehr davon. Die "Plattform der Immigranten von El Ejido", ein dritter Verband von ArbeitsmigrantInnen aus Marokko, aus Lateinamerika und dem Senegal, stieg dagegen am 14. März aus den Verhandlungen mit der Gemeinde aus. Ihre Begründung: Der Bürgermeister würde Abschiebungen nach Marokko forcieren und dafür die Tickets für die Fähre bezahlen. Für ATIME erklärte deren Sprecher Abdelhamid Beyuki, dass die Vereinbarungen eingehalten würden und es beim Wohnungsbau und bei den Entschädigungen sogar Fortschritte gäbe. Obwohl nur die Hälfte der Schadensansprüche vom Februar vom Staat anerkannt und die bereitgestellten Wohncontainer weit außerhalb des Ortes plaziert wurden, unterstützten die meisten ArbeitsmigrantInnen von nun an ATIME. Während die "Plattform der Migranten" und AEME zu einer Protestdemo in Madrid gegen die Nichteinhaltung der Vereinbarung aufriefen, hielt ATIME dagegen: "Wer jetzt zum Demonstrieren aufruft, hat keinen Respekt vor der Gemeinschaft". So blieben die AktivistInnen von AEME und der Plattform am 26. März unter sich: Hinter dem Transparent "Wir protestieren gegen die Nichteinhaltung des Vertrages vom 12. Februar" liefen 600 von weither angereiste Leute durch Madrid – davon 100 aus El Ejido, der Rest aus den Treibhäusern der Umgebung und aus Almería. Ein Sprecher erklärte: "Der Kampf der Arbeiter von El Ejido, ihre Selbstorganisierung, ihr Streik sind eine würdige Antwort und ein Beispiel dafür, wie gegen Rassismus und Ausbeutung zu kämpfen ist."

Doch Anfang April wurden erneut Hütten und Autos von ArbeitsmigrantInnen in El Ejido angezündet. Es blieb bei Sachschäden an den Plastikfolien und Kartons, aus denen die Hütten bestanden. In der Nacht darauf wurden – wahrscheinlich als Reaktion auf diese Übergriffe – sieben Treibhäuser in Brand gesteckt. Doch wie erklärte der am 12. März wiedergewählte Regionalpräsident Andalusiens Manuel Chaves von der sozialdemokratischen PSOE? "El Ejido ist eine friedliche Kommune. Die fremdenfeindlichen Vorfälle kommen nur von kleinen Grüppchen." Und die Gemeindepolizei übte sich in einfühlsamen Erklärungen: ArbeitsmigrantInnen hätten die Hütten selbst in Brand gesetzt – aus Frust, dass die Haupterntezeit vorbei sei und viele weiter zeitweilig arbeitslos wären.

Vom 24. April bis zum 4. Mai schlossen sich 100 MigrantInnen aus El Ejido zusammen mit AktivistInnen aus der nächstgrößeren Stadt Almería in Büros des Gewerkschaftshauses in Almería ein – mit Unterstützung der anarchosyndikalistischen Gewerkschaften CGT und CNT. Die großen linken Gewerkschaften UGT und CCOO weigerten sich, die symbolische Besetzung zu unterstützen, weil sie statt auf Protest auf Verhandlungen setzten. Die Aktion wurde abgebrochen, nachdem Vertreter der spanischen und der Regionalregierung in einem Gespräch Verbesserungen versprachen. Eine Hauptforderung war die Einhaltung des Vertrages, der in El Ejido am 12. Februar nach dem Streik der LandarbeiterInnen aus Marokko unterzeichnet worden war: "Nachdem wir einmal den Streik ausgesetzt hatten, akzeptierten sie unsere Unterhändler nicht mehr, haben sie uns Informationen vorenthalten und uns delegitimiert".

Auch im Ort selbst blieb die Unterstützung spärlich: Weder die Elternvereine noch die Schulverwaltung unternahmen unterdessen größere Anstrengungen, um MigrantInnenkindern den Zugang zu den Schulen in El Ejido zu ermöglichen. Die NGO Almería Acoge und die antirassistische Frauenvereinigung Mujeres Progresistas konnten bis heute ihre im Februar zerstörten Büros nicht wieder beziehen. Rassistische Angriffe werden nach wie vor geduldet, MigrantInnen weiter kriminalisiert. Dagegen protestierten AEME aus El Ejido, die Koordination von 14 MigrantInnengruppen aus Almería und die Plattform "Leben ohne Rassismus" [2], in der die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften mitarbeiten. Am 1. Mai beteiligten sich an der von Ihnen organisierten Demo mit 2000 Leuten deutlich mehr als an der offiziellen Mai-Demo von CCOO und UGT, den großen Gewerkschaften, an der lediglich 500 Personen teilnahmen. CCOO und UGT warfen der CNT vor, die Situation zu radikalisieren. Die CNT antwortete: "Radikal sind die Bedingungen, unter denen dieses Kollektiv leben muss, nicht unser Protest". Der ist derzeit symbolisch, ein neuer Streik nicht geplant.

Nach den Tomaten sind viele aus den Treibhäusern El Ejidos zur Erdbeerernte in die Provinz Huelva im Westen Andalusiens gegangen. Vom Februar bis Juni ist dort Erntezeit. Rund 5.000 ArbeitsmigrantInnen, die vor allem aus Marokko, Osteuropa oder aus Portugal – dort überwiegend Roma – kommen, werden während dieser Zeit in dem Ort notdürftig untergebracht. Im Mai wurden auch in der Erdbeergegend nahe dem Ort Lepe rassistische Überfälle bekannt. Einer der Betroffenen, Hakim Bouroube, erklärte aber: "Es gibt einen großen Unterschied, in El Ejido kannst du mit den Leuten nicht reden und wirst nicht einmal in die Diskos gelassen." In der Tat verschärft die Kommunalverwaltung von Lepe die Situation nicht durch Ausgrenzung, sondern sorgte nach den pogromartigen Überfällen von El Ejido – das erste Mal – für soziale Einrichtungen und richtete Schlafmöglichkeiten für alle LandarbeiterInnen ein. Die rassistischen Angriffe vom Mai spielte der sozialdemokratische Bürgermeister von Lepe, José Oria, als Raufereien runter. Er kritisierte jedoch, dass die Guardia Civil nicht eingeschritten sei. Das ist ein ebenso alltägliches Phänomen wie die Rechtlosigkeit auf den Plantagen: "Dieses Jahr haben wir bereits vier Plantagen wegen Ausbeutung angezeigt", erklärte José del Toro, Sprecher der linken Basisgewerkschaft SOC, in der in Andalusien viele LandarbeiterInnen organisiert sind: "Es gibt überhaupt keine Arbeitsverträge für die MigrantInnen."

Nach den pogromartigen Überfällen von El Ejido ist in Spanien die Aufmerksamkeit für die Probleme der ArbeitsmigrantInnen gestiegen. Sowohl prekäre, illegalisierte Arbeitsverhältnisse als auch rassistische Ausgrenzung sind in Spanien – wie auch in anderen Ländern der EU – ein verbreitetes Problem: "so bei den Hausangestellten und in der Landwirtschaft, wo Arbeitsbedingungen herrschen, die mit dem Arbeitsrecht nichts zu tun haben, wo Rechte und sozialer Schutz fehlen", wie Almudena Fontecha Ende Mai erklärte. Sie ist im Vorstand der UGT zuständig für Fragen der Migration. Lorenzo Cachón stellte in einer Studie des Institutes Provenir für die "Internationale Organisation für Arbeit" (ILO) fest: "El Ejido sind wir alle. Die diskriminierenden Praktiken gegen Migranten sind eine alltägliche Praxis in spanischen Firmen". Im nordspanischen La Rioja etwa schlafen während der Weinernte die TagelöhnerInnen in den Garagen neben den Landmaschinen. Es gibt weder freie Tage noch geregelte Arbeitszeiten, solange geerntet wird. Auf dem Bau hat das Kollektiv IOE ("Initiative von Arbeitsmigranten") in Barcelona und Madrid eine Umfrage durchgeführt: Demnach haben 62 Prozent der Bauarbeiter aus Marokko und 20 Prozent derjenigen aus Polen keinen Arbeitsvertrag. Für das Jahr 1999 wurde die Zahl tödlicher Arbeitsunfälle mit 1.572 angegeben – die meisten davon hätten sich auf dem Bau ereignet. Die spanische Organisation SOS Rassismus erklärte: "Wenn jemand keine Papiere hat, wird das verschleiert. Wir wissen von vielen Arbeitsunfällen, bei denen der Notaufnahme erklärt wurde, die Unfälle seien auf der Straße passiert."

Unter den – meist weiblichen – Hausangestellten haben zwar viele einen Vertrag, doch der Durchschnittslohn liegt gerade auf der Höhe des gesetzlichen Mindestlohnes: 470 Euro pro Monat. Hinzu kommt bei diesen Arbeitsverhältnissen die Schutzlosigkeit im Haus, so Almudena Fontecha von UGT: "Wir erhalten viele Beschwerden über sexuelle Belästigung. Das Problem ist, dass die Arbeitsaufsicht niemals in einem Privathaushalt aktiv wird."

Die im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen in El Ejido erwähnte MigrantInnenorganisation ATIME ist auch in anderen Teilen Spaniens aktiv. Mohamed Dardadi, ihr Sprecher für Katalonien, zieht ein Fazit aus den Rahmenbedingungen, die durch das Ausländergesetz und die restriktive Einwanderungskontrolle des spanischen Staates gebildet werden und die es spanischen Betrieben ermöglichen, ebenso profitable wie prekäre Ausbeutungsverhältnisse zu schaffen: "Wir können nicht von einer Region reden oder von einem Sektor, denn jeden Tag erreichen uns Beschwerden aus verschiedenen Orten. Zum Beispiel aus einer Textilfabrik, in der Männer und Frauen aus Marokko zu schlechten Bedingungen ausgenutzt werden. Sie arbeiten täglich zehn Stunden und werden nur für zwei bezahlt."

Der neue spanische Staatssekretär für Migration heißt Enrique Fernandez-Miranda. Er hat andere Interessen als die Legalisierung der Menschen, die ohne Papiere in Spanien leben und arbeiten. Im März trat gegen die Stimmen der Regierung, die damals noch keine absolute Mehrheit hatte, eine Änderung des Ausländergesetzes in Kraft: Danach können sich diejenigen legalisieren lassen, die einen dreijährigen Aufenthalt in Spanien mit irgendwelchen Papieren nachweisen können. Wer nie einen Arbeits- oder Mietvertrag hatte, ist allerdings chancenlos. Doch selbst diese kleine Verbesserung geht der PP zu weit. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit erklärte der neue Staatssekretär: "Eine Politik der offenen Tür ist unmöglich und unverantwortlich".

Die Aufrüstung an der Südgrenze der EU geht unterdessen weiter. Mit Hilfe von Schnellbooten, Hubschraubern und Infrarotkameras erwischt die Guardia Civil viele, die von der marokkanischen Küste in kleinen Booten unerlaubt die Überfahrt über die Straße von Gibraltar versuchen. Während in der Nacht auf den 4. Juli auf diese Art 80 MigrantInnen festgenommen wurden, wurden in Almería zwei Migranten befreit: Die beiden Eingesperrten hatten ihren Fluchthelfern das Geld für die Überfahrt nicht voll bezahlen können. So waren sie wochenlang in Privathäusern eingeschlossen worden, um ihre Familienangehörigen aus Marokko zu zwingen, den geforderten Restbetrag zu bezahlen. Durch die schärfere Abschottung der Grenze wird die Überfahrt immer riskanter und teurer. Und die konservative Regierung geht mit ihrer neuen absoluten Mehrheit jetzt daran, das Einwanderungsgesetz wieder zu verschärfen. Ohne Rücksicht auf Koalitionspartner sollen die gerade geschaffenen gesetzlichen Möglichkeiten für MigrantInnen ohne Papiere, den eigenen Aufenthaltsstatus zu legalisieren, wieder zurückgenommen werden. Am 8. Juli wurden weitere Einzelheiten des geplanten schärferen Ausländergesetzes bekannt: So will die PP ausdrücklich festschreiben, dass MigrantInnen ohne Aufenthaltserlaubnis kein Streikrecht haben. Statt Legalisierung von MigrantInnen soll es um deren Illegalisierung und Abschiebung gehen.

Erschienen in der Doppelausgabe 6-7/2000 von express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit - http://www.labournet.de/express/

* Gaston Kirsche ist gelernter Drucker und derzeit Student. Mitglied der Hamburger "gruppe demontage", von der 1999 im Unrast-Verlag in zweiter Auflage ein Buch erschien: "Postfordistische Guerrilla – Vom Mythos nationaler Befreiung". Themen sind die veränderten internationalen Rahmenbedingungen im derzeitigen Kapitalismus und der politische Spielraum von nationalen Befreiungsbewegungen darin. Im Herbst 1999 wurde in der Roten Flora in Hamburg der von der "gruppe demontage" mitproduzierte Videofilm "Kippt das Schanzenviertel!" über Rassismus im MultiKulti-Stadtteil uraufgeführt.

Anmerkungen

1) Vgl. das umfangreiche Dossier von Manuel Lluisa : "Los sucesos de El Ejido – algo más que un hecho aislado", in: Página abierta Nr. 102, März 2000, Madrid.

2) Die Plattform "Leben ohne Rassismus" aus Almería ist erreichbar per e-mail: cgtalmeria@teleline.es . Oder postalisch: CGT, Apartado de Correos 1166, 04080 Almería, Spanien.


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