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Chile - Diskussionen um die Arbeitslosenversicherung

CILAS kritisiert den Regierungsentwurf

"Die Analyse des Regierungsentwurfs zur Arbeitslosenversicherung hat uns zu der Schlussfolgerung geführt, dass uns eigentlich keine Versicherung bevorsteht, sondern ein System der Zwangseinsparung. Besorgt stellen wir außerdem fest, dass dieses System radikal gegen fundamentale Prinzipien einer Sozialversicherung verstößt. Nicht nur das: Die Priorität, die der Entwurf dem Ziel einer größeren Arbeitsflexibilität einräumt, führt zur Vernichtung der positiven Erscheinungen einer ‚Wohlfahrt’ der Arbeiter, die theoretisch Versicherungssysteme haben sollen." Diese Ansicht fasst die Analyse einer Gruppe von Wirtschaftlern und Arbeitsrechtlern, die den Regierungsentwurf zur Arbeitslosigkeit diskutierten, zusammen. Die Diskussion wurde von CILAS (Centro de Investigación Laboral y Asesoría Sindical) mit dem Bericht "Was ist verbirgt sich hinter der Arbeitslosenversicherung?", der zur Zeit kursiert, angestoßen.

Der Bericht ist sehr ausführlich und bringt sowohl viele konzeptionelle wie praktische Aspekte zur Sprache. Er weist auf den Unterschied zwischen einer Arbeitslosenunterstützung und einer Arbeitslosenversicherung hin. Eine Arbeitslosenunterstützung– wie in den Wohlfahrtsstaaten – regelt Geldzahlungen auf der Basis von Nachweisen der ökonomischen Bedürftigkeit des Nutznießers, d.h. eine feste Summe, die staatlich finanziert wird und keine eigenen Beiträge des Nutznießers vorsieht. Die Arbeitslosenversicherung dagegen versucht die finanziellen Einbußen durch Arbeitslosigkeit abzuschwächen, indem sie eine Geldsumme auszahlt, die einen Teil der Vergütungen ersetzt, die dem Arbeiter aufgrund von Entlassung und Arbeitsunterbrechung verloren gehen. Die Finanzierung läuft normalerweise über die Arbeitgeber, Arbeiter und eventuell dem Staat. Auf dieser Linie kursiert der aktuelle Entwurf im Kongress: er schlägt ein Versicherungssystem vor, das auf der Zwangseinsparung und individuellen Zahlungen basiert, ergänzt durch einen sogenannten Solidarfonds – finanziert durch Arbeitgeberbeiträge: 0,8% der monatlich versteuerten Vergütung plus der ergänzenden Unterstützung des Staates. Die Rolle des Staates hat nur ergänzenden Charakter. Dies macht deutlich, dass es sich um eine Arbeitslosenunterstützung handelt und nicht um eine Unterstützung für Erwerbslose, denn es richtet sich nicht an diejenigen, die zum ersten Mal Arbeit suchen wie z.B. Jugendliche.

Im weiteren Verlauf zeigt die Studie, dass die Arbeitslosenversicherung nicht ein Instrument der sozialen Sicherheit ist, da sie auf Zwangseinsparung durch individuelle Zahlungen basiert und sich damit von den charakteristischen Prinzipien einer wirklichen Sozialversicherung entfernt.

Die Studie bringt zwei Beispiele: "...ein Arbeiter mit einem Einkommen in Höhe des Mindestlohns, der entlassen worden wäre durch die bestehenden Gesetze laut Artikel 160 oder Artikel 171 der Arbeitsgesetzgebung (und deshalb ohne Anspruch auf den Arbeitslosigkeits-Solidaritätsfonds), hätte nur Recht auf eine monatliche Leistung von 4.488 Pesos (ca. 20 DM), wenn er 12 Monate eingezahlt hat und 22.440 Pesos (ca. 88 DM), wenn er 60 Monate bzw. 5 Jahre eingezahlt hätte. Die Summe der monatlichen Leistung für einen Arbeiter, der zwei Mindestgehälter bekommt- das entspräche dem größten Prozentsatz der Arbeiter – für den gleichen Einzahlungszeitraum, wäre 8.976 und 44.882 Pesos. Und es wird hinzugefügt: "Können 299 Pesos (ca. 1,20 DM)oder 1.496 (ca. 6 DM) täglich als ausreichende Summe gelten, um einer durch Arbeitslosigkeit entstandenen Bedürftigkeit zu begegnen?"

Man setzt auch das Bedürftigkeitsprinzip ins Verhältnis zum gängigen Arbeitgeberzahlungstempo. Im März 2000 stieg die Schuld der Arbeitgeber an die Rentenkasse auf 236 Mio Dollar. Das sind sozusagen fast die Hälfte der Beiträge, die der Arbeitgeberanteil zur Arbeitslosenversicherung im ersten Jahr betragen würde. Außerdem gab es mehr als 140.000 Gerichtsverfahren gegen Arbeitgeber, die auch nach Ablauf einer Frist von 180 Tagen ihre Beiträge nicht gezahlt haben.

Die Studie wendet sich gegen die größere ‚Arbeitsflexibilität’, die der Gesetzesentwurf angeblich herstellen möchte: "Da die reale Welt der Arbeitslosenversicherungen sich auf die formelle Arbeitskraft konzentriert (die regulär und ganztags arbeiten, als lohnabhängige Arbeit), richtet sie sich genau gegen dieses Segment, mit dem Ziel einer größeren Arbeitsflexibilität. Mit dieser Perspektive- setzt die Studie fort – ist es die erste Aufgabe, die beiden aktuell existierenden Schutzmechanismen im Falle von Arbeitslosigkeit, nämlich die Arbeitslosenunterstützung und vor allem die Abfindungen für geleistete Dienstjahre zu eliminieren. Letztere "sind ein wichtiger Hinderungsgrund für Entlassungen und als solche tragen sie dazu bei, die Flexibilität im Funktionieren der Unternehmen zu beeinträchtigen". Der Regierungsentwurf schlägt eine Reihe von ‚Anreizen’ vor, die zur allmählichen Abschaffung der Abfindungen nach Dienstjahren führen würden.

Außerdem ist ein Bündel von Mechanismen vorgesehen, die sowohl die Entlassung als auch Untervertragnahme der Arbeiter erleichtern. In nur kurzer Zeit wird der Regierungsentwurf Entlassungen durch die Unternehmer zur Folge haben. ‚Alte’ Arbeitnehmer, d.h. im Sinne des Abfindungssystems nach Dienstjahren, werden zuhauf entlassen werden mit dem Ziel, sie durch neue Arbeiter, d.h. solche ohne Anspruch auf Abfindung, zu ersetzen. Die Studie hebt folgendes hervor: "mit der Versicherung entstehen so viele Anreize für den Arbeitgeber wie für den Arbeiter zu sporadischen Entlassungen mit der Perspektive, die entlassenen Arbeiter wieder einzustellen. In dem Regierungsentwurf ist nicht nur das erkennbar, sondern außerdem auch die Möglichkeit, ein weitaus geringeres Gehalt zu zahlen. Im Endeffekt führt der Gesetzesentwurf dazu, dass die Versicherungsnehmer daran gehindert sind, ein Arbeitsangebot wegen einer gleich oder mehr als 50%-igen Vergütung der vorangegangenen Beschäftigung abzulehnen, im Gegenteil, sie haben nicht das Recht auf die zu erwartende Leistung oder die ihnen schon zugestandene wird gestrichen (Art.27).


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