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"No reason to give up the fight"

Ein Kommentar von Buzz Hargrove* zu den Auseinandersetzungen zwischen CAW, CLC und SEIU

Zwischen dem kanadischen Gewerkschaftsdachverband, der CAW und der SEIU kracht es: Gegenstand der Auseinandersetzungen, bei denen mit Ausschlüssen aus dem Dachverband und ähnlich gewichtigen ‘Argumenten’ gedroht wird, sind Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen den beteiligten Gewerkschaften. Solche entwickeln sich, wie auch hierzulande, vor allem dann, wenn es um potentielle Gewerkschaftsmitglieder in bislang gewerkschaftsfreien oder wenig organisierten Branchen geht: im vorliegenden Fall um Beschäftigte des Dienstleistungssektors, die bislang von der SEIU betreut wurden. Über den weiteren Verlauf des Konflikts, bei dem sowohl die SEIU als auch die CAW eine Menge zu verlieren haben, werden wir in der folgenden Ausgabe berichten. Im Folgenden zunächst eine leicht gekürzte Übersetzung des Kommentars von Buzz Hargrove, der in seiner Analyse nach politischen Ursachen und Antworten sucht.

Wir haben in jüngster Zeit viel gehört über die Versuche der kanadischen Konservativen, ihre politische Bewegung neu zu bestimmen und zu formieren. Doch auch die kanadische ArbeiterInnenbewegung durchläuft unterdessen eine Phase der Reflektion, der Debatte, einen Prozess, der ans "Eingemachte" geht, der – wenngleich in der Öffentlichkeit nicht so beachtet – mindestens ebenso bedeutsam ist.

Acht lokale Gewerkschaftsgliederungen ("Locals") in Ontario hatten im Frühjahr dieses Jahres entschieden, sich von ihrer bis dahin für sie zuständigen US-amerikanischen Gewerkschaft zu trennen und sich den "Canadian Auto Workers" (CAW) anzuschließen. Dieser Beschluss, der zunächst 30.000 Beschäftigte im Dienstleistungssektor betraf, könnte jetzt der Funke sein, der den Prozess einer Restrukturierung der gesamten kanadischen ArbeiterInnenbewegung in Gang setzt – mit Konsequenzen für alle Gewerkschaftsmitglieder des Landes.

Die Entscheidung, zur CAW überzutreten, wurde von allen gewählten Vertretern der betroffenen Locals einstimmig unterstützt. Und sie ist mittlerweile von mehr als 95 Prozent der zigtausend betroffenen Beschäftigten, die darüber abstimmen konnten, bestätigt worden. Doch die bis dato zuständige "Service Employees International Union" (SEIU) weigert sich, diese Entscheidung ihrer Mitglieder zu akzeptieren. Sie unterstellte die acht Locals ihrer unmittelbaren Autorität und ist dabei, die ‘abtrünnigen’ Vorstände der Locals persönlich haftbar zu machen und auf mehrere Millionen Dollar zu verklagen.

Der "Canadian Labour Congress" (CLC), der Dachverband der meisten kanadischen Gewerkschaften, brachte seine Verbundenheit mit der SEIU zum Ausdruck, indem er der CAW Sanktionen für den Fall androhte, dass sie die Mitglieder der SEIU aufnehmen würde: Die CAW sollte aus dem Dachverband ausgeschlossen werden, ihre Mitglieder und deren Vertretungen sollten von der Teilnahme an Veranstaltungen ausgenommen werden – unabhängig davon, ob es sich nun um bundesweite Konferenzen oder um das ‘Klein-Klein’ lokaler Gewerkschaftstreffen handelte.

Nach den Statuten des Dachverbandes ist es für Gewerkschaftsmitglieder praktisch unmöglich, ihre Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft zu wechseln; die Entscheidung der acht Locals, der CAW beizutreten, würde demnach nur als ein feindlicher Überfall gedeutet werden können.

Es hat demnach keine Bedeutung, wie gut oder schlecht eine Gewerkschaft ihre Mitglieder vertritt, oder ob und wie sehr sie an Vertrauen bei denjenigen verloren hat, die letztlich ihre Rechnungen bezahlen. Die Mitglieder können sich ihre Zugehörigkeit nicht frei aussuchen – es sei denn, sie riskieren dabei den Verlust sämtlicher Mitgliedschaftsrechte und zum Teil hart erkämpfter Erfolge vergangener Arbeitsauseinandersetzungen. Und solange die Beiträge der Mitglieder, die man ansonsten eher wie Vertrags-Sklaven hält, fließen, wird auch das Bild der fröhlichen Solidargemeinschaft der Gewerkschaften aufrechterhalten – in den Augen der Gewerkschaftsvorstände jedenfalls.

Viele Menschen haben mich gefragt, warum die CAW eine Spaltung der Gewerkschaftsbewegung riskiert, nur um 30.000 Mitglieder in einer für uns neuen Branche zu gewinnen. Unsere Entscheidung ist jedoch nicht von dem Kriterium des Mitgliederzuwachses oder der Erschließung einer neuen Branche geleitet. Unser Verhalten ist vielmehr von einem tief verwurzelten Respekt gegenüber dem Prinzip der innergewerkschaftlichen Demokratie geprägt, nicht zuletzt aufgrund unserer eigenen bitteren Erfahrungen mit unverantwortlichen Gewerkschaftsführungen. Die CAW wurde vor 15 Jahren gegründet, weil die Vorsitzenden unserer damaligen Gewerkschaft – die zu dieser Zeit noch unter US-amerikanischer Ägide stand – ihren eigenen Vorstellungen zur gewerkschaftspolitischen Agenda Priorität gegenüber denjenigen ihrer Mitglieder einräumten. Wir können daher nicht einfach zusehen, wenn mit den Bedürfnissen und Wünschen anderer kanadischer ArbeiterInnen nun ähnlich umgegangen wird.

Teilweise sind die jüngsten dramatischen Ereignisse auch eine Konsequenz der Versäumnisse des CLC, Antworten auf die längerfristigen ökonomischen Umbrüche zu entwickeln. Die offenen Feindseligkeiten der Unternehmer und der Regierung lassen jenen Typus der gemütlichen Betriebsgewerkschaftelei, bei dem die Gewerkschaftvorstände keine Risiken eingehen und engagiert mit dem Management kooperieren, um dafür sicher ihre jährlichen Lohnerhöhungen einzufahren, als nicht länger tragbar erscheinen. In der Zwischenzeit hat zudem auch der Aufstieg von Multi-Branchengewerkschaften wie der CAW dazu geführt, dass tradierte rechtliche Verfahrensformen auf betrieblicher Ebene zunehmend obsolet werden.

Der CLC braucht neue Regeln, um Mitgliedschafts-Streitigkeiten zwischen Gewerkschaften austragen zu können. Ebenso bedarf es der Entwicklung neuer, kreativer und militanterer Taktiken von Seiten der Bewegung als Ganzer. Wenn dies nicht gelingt, wird der schmusige Nicht-Angriffspakt zwischen den CLC-Mitgliedsgewerkschaften schnell zu einer Frage von Sein oder Nicht-Sein – des CLC.

Es gibt noch ein weiteres, tiefergehendes Versäumnis von Seiten einiger Einzelgewerkschaften, das dem aktuellen Konflikt zugrunde liegt. Warum war eine Gruppe von Beschäftigten der Dienstleistungsbranche so bemüht darum, zur CAW zu wechseln? Weil sie, wie so viele andere Gewerkschaftsmitglieder sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor auch, jahrelange Konzessionen, Lohnstopps und andere Rückschläge hinter sich haben. Und das Schlimmste daran ist, miterlebt zu haben, dass ihre Gewerkschaften nicht viel dagegen unternommen haben.

Die Hindernisse, mit denen sich die Gewerkschaften in den letzten Jahren konfrontiert sahen, waren in der Tat entmutigend. Doch viele Gewerkschaften haben die wesentlichen Bestimmungsfaktoren dafür, die Kämpfe weiter zu führen, verloren. Einige der Vorsitzenden schienen mit den weitreichenden Konzessionen und den Rückschlägen zufrieden zu sein – solange die Mitgliedsbeiträge weiter flossen. Wenn jedoch die Gewerkschaftsmitglieder davon abgehalten werden, sich ihre Interessenvertretungen per demokratischem Verfahren selbst auszusuchen, dann wird der schleichende Niedergang und die Bürokratisierung der kanadischen Gewerkschaftsbewegung sich fortsetzen.

Keine Gewerkschaft kann neuen Mitgliedern gute Tarifverträge versprechen. Keine Gewerkschaft kann jede Auseinandersetzung um die Arbeitsbedingungen, die sie beginnt, auch gewinnen. Doch jede Gewerkschaft muss versprechen, dass sie kreativ und kraftvoll kämpfen wird, um die Lebensbedingungen ihrer Mitglieder zu verbessern. Und jede Gewerkschaft muss das demokratische Recht ihrer Mitglieder akzeptieren, sich ihre Interessenvertretungen frei und selbständig auszusuchen.

Es mag ein steiniger Weg sein, der der kanadischen ArbeiterInnenbewegung in den kommenden Jahren bevorsteht. Doch es gab in unserer Geschichte bereits mehrmals Zeiten, in denen wir uns angesichts neuer Herausforderungen neu definieren und restrukturieren mussten, und in denen wir nach neuen Wegen suchen mussten, diesen Herausforderungen auch praktisch begegnen zu können. Es ist wesentlich besser, einige Risiken auf sich zu nehmen, um die Hoffnungen und Träume der Mitglieder wiederzubeleben, als dem stetigen Verfall einer Organisation zuzusehen, die Business as usual betreibt.

Erschienen in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 9/2000
http://www.labournet.de/express/

* Buzz Hargrove ist Präsident der Canadian Auto Workers

Quelle: The Globe and Mail, 30. Juni 2000
Übersetzung: K.H.


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