letzte Änderung am 29. April 2003

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27.4.2003: Präsidentschaftswahl in Argentinien

"Bei den Wahlen gab es keine Überraschung"

Mit dieser Aussage wird der amtierende (ungewählte) Präsident Duhalde in der Zeitung "Clarin" vom 28.April zitiert. Wobei vorweg zu erinnern ist - was die argentinischen Medien konsequent überspielten - dass dies eine Wahl war, wie sie in der Verfassung nicht vorgesehen ist, eine reine Präsidentenwwahl...Die einzig grosse spanischsprachioge Zeitung, die immer wieder daruf hinwies, war die mexikanische "La Jornada".
Expräsident Menem mit 24,1 Prozent der Stimmen vor dem Gouverneur von Patagonien, Nestor Kirchner mit 22% (laut allen Analysten Duhaldes Mann im Rennen, da ersterer versprochen hatte, nicht zu kandidieren) - so lautet das Ergebnis für die nun fällige Stichwahl am 18.Mai. Diese Stichwahl zwischen zwei Kandidaten der peronistischen Partei PJ wird nötig, da im ersten Wahlgang kein Kandidat 45% der Stimmen erreichte oder 10% Vorsprung. Der drittplazierte Lopez Murhpy (UCR) erreichte etwas über 16% - er galt als der "Mann der Amerikaner", noch extremer neoliberal als Menem. Dass alle grossen Parteien mit mehreren Kandidaten ins Rennen gingen ist einerseits Ergebnis der Krise, wie sie seit einigen Jahren das Leben im Land prägt, und zu verschiedensten politischen ausdifferenzierungen geführt hat. Andrerseits aber auch fast schon Tradition in Argentinien, wo zumindest die stets dominierende PJ weit mehr ist als eine politische Partei etwa im westeuropäischen Stil: Ein politischer Block unterschiedlicher Strömungen, wie schon ihr "Ziehvater", der Diktator Peron, stets versuchte, verschiedene politische Strömungen einzubinden. Hat Menem mit seiner extrem neoliberalen Politik in den 90er Jahren die IMF-Orientierung die bereits die Militärdiktatur praktizierte noch radikalisiert, so stehen Duhalde/Kirchner für ein eher neo-sozialdemokratisches Projekt: Daselbe mit Tünche - und einem etwas anderen Diskurs.

Alle sind sie geblieben

"Que se vayan todos" war zu Beginn 2002, nach den Ereignissen vom Dezember 2001 eine weit verbreitete Losung - die jetzt völlig gescheitert ist. Die Aufrufe zum Wahlboykott waren im Prinzip ebenso erfolglos wie die Wahlbeteiligung von "Izquierda Unida" und "Partido Obrero". Die Boykottaufrufe, wie sie "Barrios de Pie" oder bestimmte Strömungen der Piqueteros (organisierte Erwerbslose) veröffentlichten, haben dazu geführt, dass rund 26% der WählerInnen nicht zur Wahl gingen bzw ungültig stimmten - keine Zahl, die wesentlich von anderen Wahlen abweicht. Die kandidierenden linken Parteien mögen sich über Stimmgewinne freuen, diese spielen sich aber in der Grösse von 2-3 Prozent der gesamten Stimmen ab - in der Situation, mit dieser Vorgeschichte wahrlich nicht viel.
Wenn auf der einen Seite kurz vor der Wahl zehntausende Erwerbslose ihre Stärke demonstrieren, wenn die Zahl der "wiedereröffneten" (besetzten, selbst verwalteten) Betriebe auf fast 150 angestiegen ist, wenn es viele Nachbarschaftsorganisationen gibt, die weiter wachsen und versuchen, gesellschaftliche Alternativen zu organisieren, wenn es eine unüberschaubare Zahl durchaus erfolgreicher Basisprojekte verschiedenster Art gibt: Warum dann 40% der Stimmen für die beiden dezidiert neoliberalen Kandidaten?
Zum einen sicher, weil diese Bewegung in sich gespalten ist - so gibt es beispielsweise bei den organisierten Erwerbslosen gleich drei unterschiedliche politische Strömungen. Ähnliches auch in anderen Bewegungen. Zum zweiten hat dies dazu geführt, dass linke, alternative, grundsatzoppositionelle politische Projekte nicht entstehen konnten - inklusive aller hinderlichen Erscheinungen wie "Sektenkrieg" etc. Zum dritten haben jene gemässigten linken, die sich für eine Wahlbeteiligung entschieden es nicht geschafft - oder auch nicht versucht - eine radikalere Variante der zerfallenen "Frepaso" zu verwirklichen, die zeitweise das traditionelle Zwei Parteien System in Frage stellen konnte. Zum vierten gab es direkten internationalen Druck - der berüchtigte Währungsfonds stellt auch politische Bedingungen für neue Kredite oder Moratorien für alte Schulden. (Argentiniens Auslandsschulden haben sich in den Menem Jahren auf 120 Milliarden US Dollar verdoppelt). Und schliesslich gibt es nicht nur in den konservativeren Kreisen der Bevölkerung bereits seit Monaten ein, auch in den Medien wiedergespiegeltes, Bedürfnis nach "mehr Stabilität". Das alles hat dazu beigetragen, dass das Hauptziel einigermassen erreicht wurde: Eine Demonstration, dass der argentinische Staat noch funktioniere.

Die Ursachen bestehen weiter

Die Ursachen für die Krise bestehen weiter - keineswegs nur in allgemeiner Form, also der Kapitalismus, sondern Erwerbslosgkeit, Armut und Krankheit (so hat der scheidende Präsident Duhalde mit viel Brimborium und keinem Erfolg ein Sonderprogramm zur Stärkung der Kinderkrankenhäuser ausarbeiten lassen...)
Wobei die gesellschaftliche Krise keineswegs abgemildert ist: Im Gegenteil, auch etwa die private Rentenversicherung steckt längst in einer tiefen Krise. Von den ursprünglich 27 Gesellschaften, die dies anboten, existieren noch 12, von eingezahlten 28 Milliarden Dollar sind gerade noch 13 übrig - so berichtete Earl Gilman in der Aprilausgabe der Zeitschrift "El Nuevo Topo". Nur eines von vielen möglichen Beispielen. Deswegen ist, unabhängig von der Stichwahl, die entscheidende Frage, wieviel diese "normale Wahl" für die nahe Zukunft wert ist.

Wohin geht die CTA?

Die traditionelle argentinische Gewerkschaftsbewegung war stets ungefähr so eng mit der peronistischen Partei verschlungen, wie es Gewerkschaften in der BRD mit der Sozialdemokratie sind. Was generell politische Passivität und Wahlaufrufe für diesen oder jenen peronistischen Kandidaten bedeutete - so auch diesmal, und durchaus für unterschiedliche. Nun war ja die zweite Gewerkschaftszentrale CTA gerade als Alternative zur peronistischen, verstaatlichten Gewerkschaftsbewegung entstanden, nicht zufällig zunächst vor allem im öffentlichen Dienst. Wer aber die Debatten, Auseinandersetzungen und Aktionen der und innerhalb der CTA auch nur einigermassen verfolgt hat, konnte schnell sehen, dass es keine Chance auf eine einheitliche Position gab - generelle interne Auseinandersetzungen (etwa aus Anlass von Gewerkschaftswahlen) standen dem ebenso entgegen, wie die jeweils politischen "Vorlieben" der diversen Strömungen im Gewerkschaftsvorstand, die von der Unterstützung der Kandidatur von Elisa Carrió (14%) bis zur Schaffung einer Kopie der brasilianischen PT gingen.
Aber der Weg der CTA wird sich wohl weniger anhand der Ergebnisse einer Wahl in der "alles ging" entscheiden, sondern an den, durch die Wahlen eher wahrscheinlicheren, weiter verschärften sozialen Auseinandersetzungen und deren politischen Auswirkungen. Menem jedenfalls hat bereits verdeutlicht, dass das Parlament (nicht neu gewählt) eher eine Behinderung für die Rettung Argentiniens wie er sie sieht sei und er gut dessen Abschaffung vertragen könnte...

Helmut Weiss

Verweise zu den erwähnten Seiten:

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