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Die Menschenmassen von Mosconi – Salta

 

Die Tatsachen

Um neun Uhr morgens rückte am Sonntag, den 17. Juni 2001 die Polizei auf den Blockadeposten von General Mosconi vor, der bereits 18 Tage die Straße blockiert hatte. Die Blockade wurde organisiert von der Gewerkschaft arbeitsloser Arbeiter (UTD) mit einem Haufen Forderungen, die außer Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch andere Forderungen stellten: die Übergabe von 5000 Nahrungsmittelpaketen, die Wiederanstellung der entlassenen Arbeiter der Landkreisverwaltung, die Aufklärung der vier durch die Repression verursachten Todesfälle in der Zone, den Erhalt von 100% der Gehaltszulagen der Kohlenwasserstoffunternehmen, um die Entwicklung der Zone zu fördern, und die Erhöhung der Stundenlöhne für die an der Erweiterung des Krankenhauses beteiligten Arbeiter von 90 Cent auf 2,5 US-Dollar.

Zu dieser Zeit waren nur wenige Leute am Posten, weil Vatertag war. Außerdem wurde für gewöhnlich nur eine Gruppe von nicht mehr als 100 Leuten dort postiert, aber angesichts des Drucks der Polizei kam die Bevölkerung heraus, um die Blockade zu unterstützen. Die Woche zuvor wurde ein Räumungsversuch, dem etwa 100 Blockierer widerstanden, von mehr als 1000 Bewohnern unterstützt, die dem Ruf der Feuerwehrsirene gefolgt waren. Vielleicht wurde deshalb der Chef der Feuerwehr von Salta, Felix Mercado (63 Jahre alt), auf Anweisung von Richter Cornejo verhaftet, als er bei der Polizei aussagte. Derselbe Richter hatte Tage zuvor Mitglieder der Arbeiterpartei (PO) von Tartagal, Barraza und Reinieri verhaftet und in einem Richterspruch, der uns an die Justiz der vergangenen Diktatur erinnert, Präventivhaft unter Anklage des Aufruhrs angeordnet.

Obwohl der Chef der Feuerwehr verhaftet, die Sirene abgeschaltet und der Glockenschwengel der Kirche von Mosconi entfernt worden war, bemerkte die Bevölkerung trotzdem, dass die Straße geräumt werden sollte und verstärkt den Posten. Dort treffen sie auf einen Polizeiriegel, der es ihnen unmöglich macht, zur Straße vorzudringen. Die Frauen organisieren eine Prozession und mit der Jungfrau Maria vorneweg versuchen sie, den Polizeigürtel zu brechen. Sie werden mit Schüssen auseinandergetrieben und das Bild der Jungfrau wird durch einen Treffer zerstört. Andere Gruppen werden von der Polizei angegriffen und wehren sich mit Schleuderwürfen. Eine von ihnen ging zum Friedhof um – am Vatertag – ihren Lieben eine Opfergabe zu bringen. Dort starb Carlos Santillan (27 Jahre alt), völlig unbeteiligt an der Blockade. Die Kugel, die seinen Kopf durchschlug, kam von der Polizei, versichern seine Angehörigen.

In einem anderen Teil der Stadt stirbt Oscar Barrios (16 Jahre alt), der die Ereignisse beobachtete. Zu seinem Tod gibt es zwei Versionen. Beide stimmen darin überein, dass der Schuss von der Polizei kam. Anfangs sprach man vom Treffer einer Tränengaspatrone, aber seine Angehörigen sprechen von einem Schuss in die Leiste und einer schnellen Infektion. Es wäre gut zu untersuchen, welche Art von Geschoss ihn traf.

Als die Todesfälle bekannt wurden, mobilisiert die Entrüstung das ganze Volk von Mosconi und der Kampf um die Kontrolle um eine der Zufahrten auf Höhe der Straße weitet sich aus. Einige Erzählungen berichten, dass ein paar Nachbarn, als sie von den Toten erfuhren und versuchten, die Polizisten aufzuhalten, zu ihren Waffen griffen, aber darüber wissen wir nichts.

Als ich um etwa 12 Uhr in einem Presseauto nach Mosconi komme, sehe ich Bilder wie aus der palästinensischen Intifada. Hunderte von Männern und Frauen kämpften mit Schleudern, Steinen und Stöcken gegen die Polizisten, die an einem Abhang am Rande der Bahngleise lagerten. Heckenschützen dort und auf den Panzerwagen warfen Tränengas und Gummigeschosse, benutzen aber auch Bleikugeln. Das weiß ich nicht nur aus Erzählungen der Anwohner, sondern weil ich zusammen mit dem ortsansässigen Journalisten Marcos Dias Munoz die Heckenschützen aus weniger als 50 m Entfernung filmte. Diese Bilder wurden später auf TV America und anderen Kanälen gesendet. Eine andere Kamera in den Händen des Videoregisseurs Marcelo Robles filmte dieselben Szenen von etwas weiter entfernt. Diese Bilder wurden von Cronica TV gezeigt. Die Heckenschützen der Polizei waren vermummt und schossen mit großen Waffen mit Stativ. Von derselben Seite kamen gedämpfte Schüsse. Die Bevölkerung von Mosconi kämpfte mit einer Vorhut von etwa 100 sehr jungen Schleuderern (zwischen 14 und 25 Jahren) und einer Nachhut von mehr als 1000 Personen (Männern und Frauen), die sie unterstützen. Es ist wahrscheinlich dass die Anwesenheit der ersten Fernsehkameras ein drohendes Massaker aufhielt. Oder dass es schon vorher aufgehalten wurde, als die Polizei ins Dorf gehen wollte und mit allem beworfen wurde, was die Leute zur Hand hatten. Sicher ist, dass sich ab Mittag die Positionen festigten. Aber die Schüsse der Polizei mit Feuerwaffen hörten nicht auf. Bis fünf Uhr nachmittags wurden in dem Sektor, in dem wir arbeiteten, nicht weniger als sechs Personen von Schüssen verletzt, ein älterer Mann weniger als einen Meter von unserem Unterschlupf entfernt. In derselben Weise, aber mit weniger durch Schüsse Verletzten geht der Zusammenstoß den ganzen Tag weiter, und die ganze Nacht hört man Schüsse und wird Tränengas geworfen.

Es gab mehr zivilen Verletzte, als im Krankenhaus behandelt wurden. Die leicht Verletzten wurden aus Angst, dass sie im Krankenhaus die Polizei verhaften würde, vor Ort behandelt. So geschah es im Fall eines Anführers, Chiqui Peralta, der mit einer Schussverletzung an der Schulter am Posten blieb. Am Montag den 18. zieht sich die Polizei, nachdem sie versucht hatte vorzurücken, in die Nähe der Landstraße zurück. Es ist bemerkenswert, wie sich je nach den Bewegungen der Polizei die Größe des Postens verändert. Entgegen dem Erwartbaren schrumpft der Posten in Zeiten relativer Ruhe, wenn aber die Schüsse zunehmen und Vorwärtsbewegungen der Polizei wahrzunehmen sind, kommen die Nachbarn in großer Zahl aus ihren Häusern. Wir gingen durch die entferntesten und ruhigsten Straßen des Landkreises. Dort konnten wir mit sehr vielen Personen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und sozialer Klasse sprechen. Wenn sie unsere Presseausweise sahen hielten sie uns an, und die Forderung war einstimmig: "Sagt die Wahrheit. Lügt nicht: dies ist kein Dorf von Verbrechern. Die einzigen Heckenschützen sind die der Polizei. Alles was wir wollen ist, dass sie das Dorf verlassen: sie haben hier nichts zu suchen."

Alle erzählten uns von den Toten und dass sie auf die Jungfrau geschossen hatten. Wir mussten außerdem klarstellen, dass wir nicht von der Fernsehstation T.N. waren, die zu der Zeit sich darauf beschränkte, die Versionen der Regierung von Salta wiederzugeben. Als Matov sprach, war der Ärger schrecklich. Einige Straßenzüge von der Blockade entfernt hielt uns eine Gruppe weinender Frauen auf:" Warum lügen sie, warum sagen sie nicht, wer uns tötet?"

In einer großen Anstrengung des lokalen UKW-Radios, eine Gegenmeinung zu veröffentlichen, versuchten die Journalisten von TELETAR und Diaz Munoz, die vereinheitlichten Verlautbarungen des lokalen und nationalen Sicherheitssekretariats mit der Version der Leute zu konfrontieren. Verlautbarungen, die aus einem Handbuch für Aufstandsbekämpfung oder den Kursen für Krieg niedriger Intensität entnommen schienen. Die dem Informationskrieg widerstanden mussten teuer dafür bezahlen. Eine Journalistin von Teletar erhielt einen Treffer in ihre Tasche, ihr Kameramann wurde geschlagen. Das UKW-Radio von Mosconi wurde unter Druck gesetzt und bedroht. Diaz Munoz bekam eine Gasgranate auf die Schulter. Als am Sonntag Nacht die Journalisten von Cronica nach einem Fußmarsch von mehreren Kilometer nach Mosconi kamen und auf dem Rückweg die ersten Bilder des Zusammenstoßes mitnahmen, hörte man andere Stimmen in den Medien. Am Montag kamen Tageszeiten und nationale Fernsehkanäle in großer Zahl und die Lügen konnten nicht aufrecht erhalten werden. Die Einigkeit zwischen National- und Provinzregierung und dem Richter zerbrach und sie begannen sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben.

So lagen die Dinge in Mosconi, als wir uns am Montag um 18 Uhr zurückzogen.

 

Der sozioökonomische und politische Rahmen des Konflikts

Mosconi war eine Stadt mit Vollbeschäftigung und relativem Wohlstand bis zu den Privatisierungen. Die Bewohner waren Angestellte der staatlichen Gasgesellschaft YPF (300 Beamte) oder der Eisenbahn. Ein Beamter der YPF verdiente 1.200 Dollar. Und die Posten wurden von Vater an Sohn weitergegeben. Jetzt sind mehr als 70% der Bevölkerung arbeitslos und die Wenigen, die arbeiten, erhalten flexibilisierte Löhne (nach dem Uocra-Vertrag) von 200 und im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Entgelte von 120 Dollar. Die alten Erdölfamilien mit ihren bequemen festen Häusern sehen, wie ihre Kinder in Schuppen ziehen, und sie sehen mit großem Schmerz, dass die Prostitution unter Heranwachsenden zunimmt. In Mosconi kostet eine junge Frau 2 Dollar. Und das tut den Menschen so weh wie die Toten und wie die Kugeln, die auf die Jungfrau geschossen wurden. Aber da ist noch mehr. Das Departamento San Martin liegt auf einem Erdölsee, der 80% der Kohlenwasserstoffe produziert und einer der produktivsten des Landes ist. Und in Mosconi gibt es keine Sickergruben, Trinkwasser ist knapp, mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Gasanschluss – Und es gibt viel Not, nicht wie in der luxuriösen Hauptstadt, wo der Gouverneur Romero prunkvolle Feste feiert, an Guemes erinnert und viel von Vaterland und Familie redet - vielleicht um zu bestätigen, dass Romero einer der Namen war, den der Drogenhändler Yabrán am häufigsten nannte, als man ihm den Prozess machte. Die Hauptstadt von Salta ist stark von Klassengegensätzen geprägt, oligarchisch, von Großgrundbesitzern dominiert und parasitär. Mosconi ist eine Arbeiterstadt, mit gut ausgebildeten Männern und Frauen (eine große Zahl von Erdöltechnikern und qualifizierten Arbeitern). Die Situation hat sich schon lange verschlechtert, aber jetzt ist das Maß voll. Bei der Blockade vom 13. Mai verjagte die aufgebrachte Bevölkerung einen korrupten Bürgermeister, der die Gelder des Landkreises verschwendete. Als Ersatz wurden ein Inspektor aus Salta mit einer Mannschaft aus Salta eingesetzt, die sich nicht um die Leute kümmern.

Deshalb sagen wir, dass die Ereignisse von Mosconi nicht nur eine Blockade von Arbeitslosen, sondern ein großer Volksaufstand war. In dem die Gewerkschaft der Arbeitslosen (UTD) anführte, aber auch die Radiostation, das Krankenhaus, die Feuerwehr, die Händler, die nicht arbeitslosen Arbeiter teilnahmen. Zwei Sanitäter und der Chef der Feuerwehr sind verhaftet worden. Die Lastwagen der Polizei fahren in den Stadtteilen der unteren Schichten spazieren und bedrohen die Nachbarn, das ist kein Zufall.

 

Die Anführer

Wenn die Anführer Verbrecher wären, würde die Bevölkerung sie nicht unterstützen, sagte eine Blockiererin. Und damit sind alle Argumente der neuen Goebbels aus dem Weg geräumt. Die Anführer der UTD sind aus Mosconi. Sie sind eine Handvoll ehemaliger Erdölarbeiter, sehr repräsentativ und mit einer riesigen Erfahrung im gewerkschaftlichen Kampf. Pepino Fernandez, vielleicht der wichtigste Anführer, arbeitete mehr als 18 Jahre bei YPF, er ist Erdöltechniker und spricht kaum, aber er führt an, und zwar gut. Er ist der Mann der ständigen Beratung, und er und andere wie Peralta und Ruiz sind zwar nicht dauernd anwesend, aber sie sind immer da, wenn schwierige Entscheidungen getroffen werden müssen, die nicht in Versammlungen, sondern durch Konsensmechanismen getroffen werden, die nur die Arbeiter haben und die in den großen Montagewerken normal sind.

 

Das von den politischen Aktivisten ist eine große Lüge

Für den 18. Juni war eine nationale Versammlung der Arbeitslosenbewegung zusammengerufen worden. Mit ihrer Solidarität anwesend waren auch der Anführer Alberto Spagnolo von der Süd-Koordination des MTD [eine Erwerbslosenorganisation] und Roberto Martino von der Bewegung Teresa Rodriguez aus Florencio Varela. Es waren auch die Blockierer von Tartagal dort, die nach vielen Stunden, in denen sie versucht hatten über die Straße zu kommen, über die Berge kamen.

 

Guillermo Cieza, Sonderkorrespondent der Zeitschrift Retruco.

Wir danken Nina Frank für die Übersetzung!


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