Heute schon distanziert? Die Geschichtsbereinigungen der letzten Wochen zeigen Wirkung. Nach dem Prinzip von Kröpfchen und Töpfchen wird fleißig sortiert, was als zulässiger Protest gilt und wie weit sich radikale Gesellschaftskritik bewegen darf. Zum Cholorit des Zeitgemäßen gehört auch, dass der Kapitalismus irgendwo auf dem Wege der Emanzipation von Staat und Zivilgesellschaft zur "Glokalität", wie die Fiktion einer BürgerInnengesellschaft auf Weltniveau heute genannt zu werden beliebt, in die Schmuddelecke der unanständigen "Non-Words" gewandert ist. Was nun umgekehrt nicht bedeutet, dass schon radikal wäre, wer sich traut, Begriffe in den Mund (wie andere, so die SPD im Frankfurter Wahlkampf, "Geld in die Hand") zu nehmen. Was man noch anfangen kann mit der historischen Hinterlassenschaft der Sozialisten und mit der Wissenschaft der politischen Ökonomie, auf die als systematisiertes Alltagsbewusstsein auch Marx sich kritisch bezog – und damit ein nicht ganz unwesentlicher theoretischer Strang für das, was ‘Linke’ inspiriert (hat) –, muss eben jeweils neu bestimmt werden. In diesem Sinne: weder wohlfeile Distanzierung von Marx noch dogmatische Replikationen, sondern Versuche, auch theoretisch genau hinzuschauen, und auch dieses ‘Feld der Erfahrungen’ für neue Erfahrungen offenzuhalten. Und in diesem Sinne schließt der Beitrag von Werner Imhof in dieser Ausgabe an den von Wolf Göhring in der letzten Ausgabe an.
Welche Bedeutung haben neue Informations- und Kommunikationstechnologien, die nicht nur in der "New Economy" das Kerngeschäft ausmachen, sondern zunehmend auch die Produktionsabläufe der so genannten "Old Industry" erfassen und umstrukturieren, für die Möglichkeit der Überwindung kapitalistischer Bornierungen? Nach wie vor und ohne dass wir hier in das hohe Lied der Produktivkraftentwickler einstimmen wollen: Unsere Einladung zur Debatte steht.
Besonders ans Herz legen möchten wir den geneigten LeserInnen schließlich den Fall VW Uitenhage (S. 10 Betriebsspiegel), über den wir bereits mehrfach berichtet hatten. Anlässlich einer derzeit stattfindenden Rundreise in der Bundesrepublik Deutschland, in deren Rahmen Vertreter der Belegschaft über den Fall berichten und für Solidarität werben, sah sich auch die Weltbelegschaftsvertretung bei VW genötigt zu reagieren. Klaus Volkert, GBR- und Konzernbetriebsratsvorsitzender bei VW, warnte seine Kollegen aus IGM-Vorstand und Verwaltungsstellen vor "Halb- und Unwahrheiten" – durch die Südafrikaner – und ließ seinen Stellvertreter Klaus-Jürgen Uhl in einer Chronologie wahrheitsgemäß dar- und klarstellen, was die obersten Weltbelegschaftsvertreter unter internationaler Solidarität verstehen. Vorläufiger Schlusspunkt in dieser Hinsicht: "1999/2000: Praktische Solidarität: VW-Südafrika baut Golfs für Exporte nach Europa". Noch Fragen?