LabourNet Germany Dies ist das LabourNet Archiv!!! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home Über uns Suchen Termine

 

Die Finanzmärkte untergraben unser Rentensystem

Gegen die Abschaffung einer solidarischen Rentenversicherung

 

Zum ersten Mal seit 1957 versucht eine Bundesregierung, die damals eingeführte Umlage-Rente sukzessive abzuschaffen. Trotz gravierender Eingriffe zu Lasten der Renterinnen und Rentner ist doch seit damals das sozialstaatliche Prinzip der Lebensstandard-Sicherung im Wesentlichen erfolgreich verfolgt worden. Jetzt soll es offensichtlich für alle, die nicht mithalten können, abgeschafft werden.

Dabei ist es diesem Rentensystem zu verdanken, dass Armut in Deutschland nicht mehr automatisch und nicht in erster Linie mit dem Alter verbunden ist. Mit einem Systemwechsel in der gesetzlichen Rentenversicherung hin Kapitaldeckung und Privatisierung wird die Alterssicherung in Zukunft wieder unsicher, ganz besonders für sozial schwache Gruppen.

 

Unser Umlagesystem funktioniert, wir brauchen keine Kapitaldeckung

Das deutsche Altersversorgungssystem finanziert sich im Kern mittels des so genannten Umlageverfahrens. Das bedeutet, so der VDR [1], dass die Einnahmen in jedem Jahr vollständig für die Ausgaben desselben Jahres verwendet werden. Vereinfacht ausgedrückt: Die versicherten Arbeitnehmer/innen bezahlen die Rente von heute und erwerben dadurch den Anspruch, dass auch ihre Renten von den zukünftigen Arbeitnehmer/innen bezahlt werden. Das Umlageverfahren wird daher oft auch als ‚Generationenvertrag’ bezeichnet. Abgesehen von einer Schwankungsreserve gleichen sich die Ausgaben und Einnahmen eines Jahres aus."

Ein solches System garantiert soziale Rechte durch die Solidarität der wirtschaftlich Aktiven mit den nicht (mehr) Aktiven und der Leistungsfähigeren mit den weniger Leistungsfähigen. Über die (in Deutschland paritätische) Einbeziehung der Arbeitgeber soll die Umsetzung des grundgesetzlichen Gebots der "sozialen Verantwortung des Eigentums" eingelöst werden.

Auf Grund der demographischen Verschiebung der Altersstruktur der Bevölkerung, der strukturell hohen Arbeitslosigkeit und der wachsenden Anzahl nicht sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse (Beamte, (Schein-)Selbstständige, Geringbeschäftigte) hat sich das Verhältnis Erwerbstätige-Rentner in den letzten 20 Jahren zu Ungunsten der Rentenbeitragszahler verschoben.

Während einer/m Rentenempfänger/in 1965 noch 7,4 Beitragszahler/innen gegenüber standen, sind es heute nur noch 2,4; im Jahre 2030 werden es voraussichtlich 1,7 sein. Diese größere Belastung der Beitragszahler/innen konnte in der Vergangenheit durch die gestiegene Produktivität ausgeglichen werden. Dieser Prozess funktionierte genau deshalb, weil die Produktivitätsgewinne, vor allem mit Hilfe der Gewerkschaften, in die Einkommen der Sozialversicherungspflichtigen eingingen. Für die nächsten Jahrzehnte wird ein mindestens so hoher Produktivitätsgewinn erwartet, somit könnte die Verkleinerung der Beitragszahlerbasis wie in der Vergangenheit kompensiert werden.

Die schon seit Jahren stattfindende Politik der Umverteilung von unten nach oben setzt allerdings darauf, diesen Produktivitätszuwachs ganz in den Händen der Arbeitgeber zu belassen und zur Kapitalbildung zu nutzen. Deshalb werden alle Vorschläge zur Verbesserung des Umlagesystems ignoriert; entgegen aller Tatsachen wird die Unbezahlbarkeit der umlagefinanzierten solidarischen Alterssicherung behauptet und die Einführung einer kapitalgedeckten Säule als unausweichlich propagiert [2].

In Zukunft sollen Arbeitnehmer/innen/innen neben dem gesetzlichen Rentenbeitrag einen privaten Kapitalstock ansparen, der ihnen zu Beginn ihrer Rentenzeit eine bestimmte Auszahlung in der Zukunft sichern soll. Darüber hinaus wird die Privatisierung der Altersversorgung als untrennbares Element in die Umstellung auf Kapitaldeckung einbezogen, ein fataler Schritt denn: Das öffentliche Gut Alterssicherung wird in die Hände privater Kapitalsammelstellen – Versicherungen, Banken und Pensionsfonds – gelegt.

 

Die Finanzmärkte...

An dieser Stelle kommen die internationalen Finanzmärkte ins Spiel.
Die Rentenbeitragszahlungen an die privaten Kapitalsammelstellen werden an den internationalen Finanzmärkten angelegt. Zwar existieren auf nationaler Ebene unterschiedliche Richtlinien, inwieweit das Portfolio der Pensionsfonds, Versicherungen und sonstige Kapitalsammelstellen international diversifiziert werden darf, eine Beschränkung auf die nationale Ebene gibt es nicht.

Die Notwendigkeit des internationalen Engagements großer Kapitalien lässt sich auch ganz allgemein begründen: Die spekulative ("virtuelle") Wertsteigerung von Unternehmen an den Börsen führt zur weiteren Emission von Wertpapieren, denn aus Eigenmitteln der Unternehmen und Krediten sind die horrenden Summen bei den folgenden Fusionen nicht mehr zu bezahlen. Ebenso entsteht aus der Nachfrage nach Anleihen, wie seit der Öffnung des internationalen Rentenmarktes eindrucksvoll bewiesen, eine weitere Explosion in der Ausgabe solcher Wertpapiere. Diese Wertpapiere werden gekauft. und vor allem im Zuge des Portfoliomanagement gehandelt. Um diesen Kreislauf überhaupt in Gang zu halten, müssen Unternehmen des Finanzsektors international expandieren.

 

... lassen die Renten schwanken...

Letzteres wäre wenig problematisch, wüchse hier wirklich der gesellschaftliche Reichtum und nicht bloß Zahlen auf dem Papier. Aber alle Geldanlagen, also auch die der Pensionsfonds, sind den Stabilitätsrisiken der internationalen Finanzmärkte ausgesetzt. Deren Schwankungen sind auf die Dauer nicht berechenbar, schon gar nicht auf einen Zeitraum von mindestens zwei Generationen – so langfristig muss die Alterssicherung der heute wirtschaftlich Aktiven schließlich gedacht, geplant und garantiert werden. Bei jeder großen internationalen Finanzkrise besteht erst recht die Gefahr, dass die Fonds ihren Auszahlungsverpflichtungen nicht nachkommen können. Deshalb werden Rentenzahlungen in einem kapitalgedeckten System erratisch gezahlt, d.h. sie werden unvoraussehbar schwankend erfolgen. Eine Einzahlungsgeneration mag Glück haben und die eingezahlten Renten gut verzinst ausgezahlt bekommen. Bei anderen wird es jedoch zu massiven Verlusten oder sogar zu Nichtauszahlung der Rente kommen, z.B. wenn der Rentenfond zahlungsunfähig wird.

Die Pensionsfonds unterliegen stets dem Druck, aus ihrem angelegten Kapital nicht nur eine Verzinsung zu erzielen, mit der die laufenden Rentenzahlungen gedeckt werden, sondern auch darüber hinaus Gewinne zu erwirtschaften und zu expandieren, um im Wettbewerb mit anderen Anbietern bestehen zu können. Darin liegt natürlich ein Anreiz zu riskanten Anlagestrategien. Die Rentenfinanzierung aus dem Kapitaldeckungsverfahren beinhaltet daher besondere Risiken für die Anleger, in diesem Fall die Rentner/innen. Diese Abhängigkeit der Rentenzahlungen vom "reibungslosen Funktionieren" des internationalen Kapitalmarkts ist den Verfechtern des Kapitaldeckungsverfahrens auch klar, wie eine Studie der Unternehmensberatungsfirma McKinsey zeigt (vgl. McKinsey 1994).

 

... die Rentenzahlungen die Finanzmärkte

Die Umstellung vom Umlage- zum Kapitaldeckungsverfahren wirft jedoch auch Probleme auf, die die Stabilität der internationalen Finanzmärkte tangieren, weil sich dadurch die anlagesuchende Geldmenge um ein Vielfaches erhöht . Wenn Industrieländer wie die Bundesrepublik oder Frankreich, wo bisher das staatliche Umlageverfahren dominiert, einen Systemwechsel durchführen, werden gewaltige Summen zusätzlich auf die Finanzmärkte kommen und das Mengenproblem verschärfen.

Die Aktienrenditen in den Industrieländern werden wegen der Kapitalschwemme tendenziell geringer ausfallen. McKinsey empfiehlt zur Sicherung der langfristigen Tragfähigkeit privater Pensionssysteme, d.h. einer hohen Kapitalrendite, dringend, die Gelder verstärkt international anzulegen. Die Fondsmanager weichen also in Entwicklungs- und Schwellenländer aus und wälzen damit die Probleme auf diese Länder ab. "Amerikanische Pensionsfonds sind überall in der Welt tätig, auch weil sie im Wettbewerb hohe Ertragsraten erzielen müssen, um die gemachten Versprechungen einhalten zu können." (Krupp 1997:295) Pensionsfonds haben erheblich zur Dynamik transnationaler Kapitalbewegungen in den neunziger Jahren beigetragen.

Ungeachtet des Trends zu erhöhter Risikobereitschaft müssen Pensionsfonds aber auch dem spezifischen Sicherheitsbedürfnis ihrer Einzahler/innen Rechnung tragen. Aus diesem Grund werden sie beim Auftreten von tatsächlichen oder vermeintlichen Risiken sich als erste aus einem solchen Markt zurückziehen. Und da keiner der konkurrierenden Pensionsfonds Verluste machen möchte, wird der Exodus abrupt in der Herde geschehen. Der schnelle Abfluss von Geldkapital aus den Kapitalmärkten von Schwellen- und Entwicklungsländern bewirkt dort jedoch erhebliche Verwerfungen auf den nationalen Kapitalmärkten. Genau dies war z.B. der Fall bei der Peso-Krise Ende 1994, als US-Pensionsfonds ihre Positionen in Mexiko bei den ersten Anzeichen von Problemen sofort abzogen und damit erst die Lawine so richtig ins Rollen brachten.

Vor diesem Hintergrund erscheint das Rettungspaket Washingtons und des IWF für Mexiko in einem völlig anderen Licht. Es muss so interpretiert werden, " dass es die Rückübertragung stabiler Gewinne zu stabilisieren gilt, nachdem die globalen Anleger gerade an diesen Finanzplätzen zunehmend Staatsanleihen oder Aktienpapiere gekauft haben" (Chesnais 1997a:13). Insbesondere den leicht verwundbaren Volkswirtschaften der Entwicklungsländer droht die Gefahr nicht nur, dass die Altersversorgung in den Industrieländern langfristig zu ihren Lasten gehen könnte, teilweise ist das schon heute der Fall: Gewerkschafter/innen in den USA, die ihre Altersversorgung über den Pensionsfonds ihrer Gewerkschaft AFL-CIO (Einlage 1,3 Billionen $) organisieren, beziehen real Teile ihrer Renten von den ausgeplünderten Kolleg/innen in der 3.Welt.

 

Kapitalgedeckte Rente als neoliberales Projekt

So werden Rentner/innen, die von der Kapitalmarktdeckung abhängen, zu "Gefangenen des Kapitals" (Francois Chesnais), weil sie wie alle Kapitaleigner auf eine hohe Rendite ihres angelegten Geldvermögens hoffen müssen. Die Kapitalmarktfixierung bekommt in den Industrieländern damit eine mehr oder minder erzwungene Massenbasis.

Die medienträchtige Inszenierung eines Börsenbooms über die letzten Monate hat allerdings gezeigt, dass für dieses irrationale Starren auf die Börse auch ideologisch starke Voraussetzungen geschaffen werden konnten. Wie hätte es sonst möglich sein können, ein Programm zur breiten Wiedereinführung der Altersarmut als Alterssicherung zu verkaufen, ohne einen Proteststurm auszulösen?

Es gilt also, den eklatanten Widerspruch zwischen Hoffen auf den Aktienmarkt und realer Bedrohung durch eben diesen zu verdeutlichen. Denn die zukünftigen Rentner/innen bleiben auch weiterhin - und sind hierin den wirklich reichen Geldvermögensbesitzern ungleich - auf die kontinuierliche Entlohnung ihrer Arbeitskraft angewiesen. Diese wird aber ihrerseits nicht zuletzt durch den Zusammenhang von Finanzmärkten und Beschäftigung zunehmend prekärer (s.o.). Eine Falle also, die jederzeit zuschnappen kann.

Ist die Perspektive für die Alten beim anstehenden Systemwechsel vielfach die Armut, so die der Jungen, dass sie doppelt zahlen: die laufenden Renten über die Umlage und den Aufbau eines Kapitalstocks über die Privat-Beiträge. Würde die gesamte gesetzliche Rente auf Kapitaldeckung umgestellt, müsste - je nach Zinssatz - ein Kapitalstock zwischen 10 und 15 Billionen DM aufgebaut werden. Es geht gar nicht anders, als dass die Arbeitnehmer/innen während des Aufbaus dieses Kapitalstocks an 2 Systeme bezahlen. Die Zusatzbelastung aus solch einer Umstellung würde allein - je nach Zins - 4 bis 12 Billionen DM betragen.

Man sieht an diesen Zahlen, dass der eigentliche Grund, warum jetzt nur eine Teil-Privatisierung vorgenommen werden soll, darin liegt, dass bei dem vorhandenen hohen Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung (mehr als 10% des Sozialprodukts sind Renten-Gelder: in 1999 betrugen die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung 404 Mrd. DM bei einem Bruttoinlandsprodukt von 3,87 Billionen DM) eine vollständige Umstellung auf Kapitaldeckung direkt nicht zu machen wäre. Also wird der indirekte Weg gewählt, nach dem Motto: Fangen wir mit dem Systemwechsel erst einmal an, die Dynamik hin zu weiterer Kapitaldeckung kommt von alleine.

Diese Dynamik ergibt sich aus der inneren Struktur des Marktes für bestimmte finanzielle Dienstleistungen: Die Vernetzung und Erschließung neuer Geschäftsfelder durch Banken, "neue" Finanzkonzerne und Fonds führte im Versicherungsbereich, vor allem in der Sparte Lebensversicherungen, zu starker Konkurrenz. Auf diesem Markt herrscht jedoch eine eher stagnierende Nachfrage auf Grund sinkender Löhne. Das Ergebnis ist ein Schrumpfen der Zinsmargen, sprich des Gewinns für die Versicherungen, so dass die Kostensenkung primäres Ziel im Versicherungsgewerbe wird. Dies führt einerseits zur Konzentration aufs Kerngeschäft bei gleichzeitiger Internationalisierung, in deren Zug sich Versicherungskonzerne von einigen strategischen Überkreuzbeteiligungen an traditionellen Industrieunternehmen trennen, um so Kapital für den Kauf wichtiger Bestandteile für das Kerngeschäft frei zu machen.

Andererseits muss zusätzliche Nachfrage nach den Produkten "geschaffen" werden. Hier findet sich ein wesentliches Element, das hinter der Diskussion um die Kapitaldeckung der Alterssicherung steckt: Das betriebswirtschaftliche Interesse der Akteure am Verkauf ihrer Produkte auf sich konzentrierenden Märkten. Die Spargelder müssen in Wertpapiere gelenkt werden und die damit verbundenen Dienstleistungen finanzieren, um so die Gewinne der dort tätigen Unternehmen zu sichern und zu erhöhen. Zu diesem Zweck wird ein gigantischer Werbefeldzug für die Geldanlage in Wertpapieren in Gang gesetzt. Es gelingt dabei, diese Werbung in der Gestalt zu präsentieren, dass sie zuallererst als gemeinschaftsorientiertes Interesse zur Stabilisierung der Alterssicherung in der Zukunft wahrgenommen wird. Dabei ist der Kostenaufwand für die Werbung und die Finanzierung der gesamten logistischen und organisatorischen Infrastruktur für die private Alterssicherung höher als der Kostenaufwand in der öffentlichen Verwaltung zur Organisation der Alterssicherung, was die "Anleger" wiederum mit Abschlägen in der eigenen Rendite bezahlen.

Die Riester-Rente ist also nicht irgendeine Renten-Reform, die vielleicht in ein paar Jahren von einer tatsächlich sozialen Regierung wieder rückgängig gemacht werden könnte. Mit dem Aufbau der Alterssicherung verbinden sich Anwartschaften für die Einzelnen, die nicht einfach alle paar Jahre verändert werden können. Es geht also hier und heute um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage eines unumkehrbaren Systemwechsels in der Alterssicherung. Sollte dieser Systemwechsel vollzogen werden, so wären alle Überlegungen zu weitergehenden Reformen, die diesen Namen tatsächlich verdienen, nur noch Makulatur

Der Generationenvertrag wird neu definiert und von seinem solidarischen in einen ökonomischen Charakter überführt: Generationenvertrag bedeutet nun, dass die Jungen den Kapitalstock der Alten übernehmen – oder das, was die Finanzmärkte davon übrig gelassen haben.

Da die Rente der Kern des Sozialsystems ist, wird es einen Sog zum Abbau und zur Privatisierung in den anderen Sicherungssystemen geben.

 

Kapitaldeckung war in der Sozialen Marktwirtschaft undenkbar

Die heutige gesetzliche Rentenversicherung geht auf die Reform des Jahres 1957 zurück. Adenauer hat mit der großen Rentenreform von 1957 dreierlei in die Welt gesetzt:

Erstens hat er das Umlageverfahren und - aus ordnungspolitischen Gründen - nicht das Kapitaldeckungsverfahren installiert. Das Argument war, dass man nur das Kapitaldeckungsverfahren fortschreiben müsse, wenn man den Kommunismus einführen wolle. Gemeint war damit die Gefahr, dass die Rententräger kraft der von ihnen verwalteten gigantischen Summen binnen kurzem zu Monopolisten mit nahezu absoluter Macht am Kapitalmarkt würden.

Zweitens hat er das Konzept der lebensstandardsichernden, dynamischen Rente übernommen, so dass die Familie in ihrer Verpflichtung, für die Alten aufzukommen, schrittweise abgelöst werden konnte. Dies war gleichzeitig ein Geschenk an das erwachsene Wahlvolk, instinktsicher zum Machterhalt gegen die "rote Gefahr" eingesetzt. Drittens hat er - ebenso machtorientiert - das Konzept der Jugendrente, das die Architekten der Rentenreform ebenfalls vorgeschlagen hatten, nicht realisiert, schließlich sind Kinder keine Wähler.

Das daraus resultierende Problem, dass zwar auf der einen Seite die Familie entlastet und die Sorge um die Alten in einem System der kollektiven Umverteilung vergesellschaftet wurde, aber auf der anderen Seite die Kinderaufzucht Privatsache blieb, ist bis heute nicht gelöst und darf als der grundlegende System-Fehler der 57er Rentenreform angesehen werden. Seit den 70ern sind immer wieder Reformbemühungen zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten bzw. zur Aufwertung insbesondere der Frauen-Biographien versucht worden, ohne an dem Trend etwas zu ändern. Kinder sind out, die Rente ist u.a. dafür mitverantwortlich.

In Ablehnung der damals vorherrschenden Meinung, die Rentenversicherung der Arbeitnehmer/innen bedürfe der Ansammlung eines Deckungskapitals, machte die Reform Ernst mit dem, was aus der sozialpolitischen Diskussion der frühen 50er Jahre gefolgt war.

Am 19.4.1952 hielt der Kieler Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe Gerhard Mackenroth in West-Berlin vor dem "Verein für Socialpolitik" einen Vortrag mit dem Titel "Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan" – und löste damit die wohl heftigste Diskussion aus, die in der bundesdeutschen Sozialpolitik je geführt wurde.

In der heutigen vom privaten Rendite-Kalkül beherrschten Debatte tut es gut, die grundsätzlichen Sätze zu hören, die als "Mackenroth-These" in die Literatur eingegangen sind: "Nun gilt der einfache und klare Satz, dass aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muss. Es gibt keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der Sozialaufwand fließen könnte, es gibt keine Ansammlung von Fonds, keine Übertragung von Einkommensteilen von Periode zu Periode, kein ‚Sparen’ im privatwirtschaftlichen Sinne – es gibt gar nichts anderes als das laufende Volkseinkommen als Quelle für den Sozialaufwand."

Eben das ist die Lebens-Lüge aller Befürworter von Kapitaldeckung für die Alters- und Lebensstandardsicherung: dass man nur rechtzeitig Geld bei Seite legen und anlegen muss, um von diesem Topf dann, wenn man es braucht, leben zu können. "Jede Fondsansammlung wird in der Geldwirtschaft zur volkswirtschaftlichen Kapitalbildung, einmal gebildetes Kapital kann man nicht mehr verzehren."(Mackenroth).

Geldbesitzer können sich also lediglich Eigentums-Ansprüche auf einen Teil des künftigen Sozialprodukts sichern, indem sie irgendwo ihr Geld kapitalisieren lassen. Je mehr Geld, umso mehr Eigentums-Ansprüche später. Ansprüche, die dann gegenüber denjenigen, die das Sozialprodukt erwirtschaften, geltend gemacht werden müssen. In die Rentenversicherung eingeführt, unterscheidet sich die Kapitaldeckung von der Umlage hinsichtlich der Realisierung des Lebensunterhaltes im Alter also überhaupt nicht. Bei beiden Verfahren muss das, was die Alten an Rente bekommen, erstmal erwirtschaftet und zur Verfügung gestellt werden. Bei beiden Verfahren gibt es Ansprüche, die die Alten an die im Erwerbsleben stehenden Aktiven haben.

Es wird bei der Kapitaldeckung nur so getan, als ob es ein besseres oder gar sichereres Finanzierungsverfahren wäre. Dank der Vorstellung, dass Geld die Welt regiert und dank der verbrieften Eigentums- und Besitztitel im Bankschließfach kommt sich der Kapitalanleger als der überlegenere und vorsorgendere Zeitgenosse vor. Aber die Umlage als zeitaktuelles System der Verteilung des Sozialaufwands ist in Wirklichkeit das volkswirtschaftlich überlegenere System. Hier wird der kollektive Konsum-Verzicht der einen (egal ob über Steuer oder Beitrag realisiert) ohne Verzögerung innerhalb derselben Periode in den Konsum der anderen überführt. Schalten wir hingegen eine private Kapitalsammelstelle ein, die sich entsprechend den im Zeitalter des shareholder value geltenden Erwartungen um die renditeträchtige Anlage kümmern muss, dann haben wir die erste Verkomplizierung und Erhöhung der Unsicherheit. Sollen dann im Leistungsfall die Alten aus den Kapitalanlagen bedient werden, geht auch das wieder nur über den Umweg der Liquidierung der Anlage-Anteile. Je mehr hier gleichzeitig verkaufen wollen, umso geringer der erlöste Preis. Hier ist die zweite Verkomplizierung und Erhöhung der Unsicherheit.

Gesamtgesellschaftlich gesehen ist die Anerkennung der Tatsache, dass es sich bei der Rente wie bei jedem Sozialaufwand um ein (Um)verteilungsproblem handelt, die beste Grundlage für eine vernünftige Lösung. Dass diese Grundlage nun verlassen werden soll, liegt nicht an stichhaltigen ökonomischen oder sozialpolitischen Gründen. Vielmehr geht es hier um eine andere Umverteilung: Keineswegs werden die Pensionskassen die Zukunft der Ruhestandsbezüge sicher stellen; vielmehr werden sie die wirtschaftliche Wertschöpfung zunehmend zu Gunsten der Besitzer/innen von Kapitalvermögen umverteilen. Dieses Ergebnis wird überall dort sichtbar, wo entsprechende Strukturen geschaffen wurden.

 

Der dritte Weg

Als Schröder und Hombach in Anlehnung an den angeblichen dritten Weg eines Blair und Giddens ihre Politik der neuen Mitte in der SPD durchsetzten, war dieselbe in England eigentlich schon gescheitert. Wenn 40% der englischen Rentenempfänger Sozialhilfe (im deutschen Sinne) benötigen, weil die Rente nicht reicht, ist das der sattsam bekannte erste Weg der immer wieder neuen kapitalistischen Selbstbereicherug auf Kosten der Massen. Die Blair-Regierung hat bruchlos die Thatcher-Poltitik des Rückzugs des Staates aus der Altersvorsorge fortgesetzt, insbesondere durch Abschaffung der staatlichen Zusatzrente (SERPS) und die Einführung von "Stakeholder Pension Schemes".

Versuche, mit einer beitragsgestützten, einkommensunabhängigen Umlage-Grundrente das Existenzminimum abzusichern und per staatlicher Förderung von freiwilliger Zusatzversorgung für den Rest sorgen, waren nicht erfolgreich. Deshalb wurde 1978 nachgebessert mit der beitragsgestützten, aber einkommensabhängigen Zusatzrente SERPS (State Earnings Related Pensions Scheme). Aber man konnte sich von der SERPS befreien lassen (contracting out), was von der Thatcher-Regierung auch massiv durch entsprechende steuerliche Anreize betrieben wurde. Mit Beginn der Blair-Regierung waren über 80% der vollbeschäftigten Männer und über 70% der vollbeschäftigten Frauen von der SERPS befreit. Die Abschaffung der SERPS durch Blair setzt bruchlos die Thatcher-Politik fort. Zwar soll Ersatz geschaffen werden durch eine "State Second Pension" ab 2002, womit dann insbesondere für Bezieher/innen niedriger Einkommen eine höhere Rente gezahlt werden soll, aber auch das wird begleitet von weiteren Anreizen (Ermäßigung der Sozialversicherungsbeiträge), um den Druck auf Beitritt in ein privates Rentensystem zu erhöhen.

 

Die Bilanz kapitalgedeckter Rentensysteme

Das Ergebnis ist eine Politik für eine immer reicher werdende Minderheit, die im Lande selbst eine soziale Innenweltzerstörung bewirkt und draußen in den Ländern, in denen die Pensionsgelder Rendite einfordern, das Verschlingen aller gesellschaftlichen Bereiche in die immer schnellere Kapitalverwertung beschleunigt. Der Anteil der Pensionsfonds-Gelder, der im Ausland angelegt wird, ist in Großbritannien und in den Niederlanden besonders hoch.

Wie weit Befürchtungen in der deutschen sozialpolitischen Debatte der 50ger Jahre vor einer Machtübernahme durch gewaltige Rentenkonzerne inzwischen Wirklichkeit geworden sind, zeigt das, was auf den internationalen Finanzmärkten mittlerweile Pensionsfonds veranstalten.

Die Geldmenge, die in den Ländern mit kapitalgedeckten Alterssicherungssystemen allein in Pensionsfonds gesammelt und zu Anlagekapital umgemünzt wurden, geht in die Billionen Dollar und wird immer größer. Alle institutionellen Anleger zusammen (Kapitalanlagegesellschaften, Pensionsfonds, Versicherungen) dürften derzeit ca. 30 Billionen Dollar Vermögen verwalten.

Die USA sind das Land mit den größten kapitalgedeckten Pensions-Systemen. Da die staatliche Rentenversicherung zwar für 3/5 aller Leistungsempfänger im Alter zumindest die Hälfte der Einnahmen liefert, aber eben nur eine nicht lebensstandardsichernde Grundsicherung bietet, muss zwangsläufig noch eine betriebliche (Firmenpension) oder private Absicherung hinzukommen (oder eben noch ein Job). 80 Mio. Amerikaner/innen sind in "Private Pensions-Plans" der Privatwirtschaft, hinzu kommen ca. 33 Mio. Angehörige des öffentlichen Dienstes. Wenn so der Endzustand der jetzt auch hierzulande propagierten "kapitalgedeckten Säule" aussieht, dann lassen sich am Beispiel USA die Folgen studieren:

5% der US-Amerikaner/innen besitzen über 95% des Aktienkapitals, bestimmen damit direkt oder indirekt (z.B. über Fonds), was in der Wirtschaft zu passieren hat. 40% der Pensionsfonds-Gelder werden in Aktien gehalten, was für die entsprechenden Konzerne bedeutet, dass die Vorgaben der Fonds-Manager die moderne, dem eigenen Management vorgelagerte Befehls-Ebene darstellen. Ob Eigentümer von Finanz-/Industrietitel oder Manager der führenden Wirtschaftseinheiten, das Interesse ist das gleiche. Es geht nicht um solide Langfristperspektiven, erst recht nicht für alle, sondern um möglichst hohe Rendite hier und jetzt. Also setzen die Manager der Finanzkonzerne auf schnelle Angriffe, ein Hochtreiben der Preise und vor allem den schnellen Rückzug, bevor das ganze Gebäude zusammenkracht. Insbesondere in den 80ern hat die Politik des damaligen US-Präsidenten Reagan dafür gesorgt, dass das Vermögen der Begünstigten und Reichen gesteigert wird, gelegentliches Auffliegen einzelner Raubzüge wie das Zusammenkrachen der Spar- und Kreditvereine (2000 $ Schaden für jede/n US-Amerikaner/in) ändert nichts am System.

In Mexiko löste 1994 das Herdenverhalten der amerikanischen Pensionsfonds, die ihre liquiden Vermögen plötzlich und binnen weniger Tage aus dem Land abzogen, eine Finanz- und Wirtschaftskrise aus.

 

Das IWF/Weltbank-Vorzeigeobjekt Chile

1981 konnten in Chile aus Chikago importierte Ökonomen ein blitzblankes Kapital-Pensions-System aufbauen, nachdem der blutige Pinochet-Militärputsch für klare Verhältnisse, u.a. für die weitgehende Zerstörung der Sozialversicherung, gesorgt hatte. Und, was sehen wir heute, nach etlichen Jahren Erfahrung mit den neuen, doch angeblich allen öffentlichen und umlagefinanzierten Systemen überlegenen privaten Pensionsfonds?

Mittlerweile nur noch 9 Pensionsfonds bereichern sich an den Beiträgen der zwangsversicherten Chilen/innen, das Eigentum der Pensionsfonds befindet sich in der Hand privater Unternehmen, die 4 größten befinden sich überwiegend in ausländischer Hand. Die Verwaltungs- und Verfahrenskosten liegen mit 20 bis 25% in einem derartigen Abstand zu den 2% der gesetzlichen Rente in Deutschland, dass solch dreiste Ausplünderung schon verblüfft. Wer die rechnerische 4% Rendite auf das angesparte Alters-Kapital dann tatsächlich bekommen will, muss eingezahlt haben. Aber leider sind das immer weniger, von 1983 ist der Anteil der Mitglieder, die regelmäßig ihren Beitrag zahlen können, von 71% auf 45% 1999 gefallen. Die anderen zahlen entweder unregelmäßig oder gar nicht mehr. Formell versichert dieses private System zwar 95% der Erwerbsbevölkerung (5,9 Mio. Mitglieder), aber nur 2,9 Mio. sind Beitragszahler/innen (zur Blütezeit des alten Systems im Jahre 1974 betrug die Quote 80%). Innerhalb eines privaten Systems aber richten sich Auszahlungen ausschließlich nach der Einzahlung; Mechanismen des sozialen Ausgleichs unterschiedlicher Leistungsfähigkeit fehlen nicht etwa deshalb, weil vergessen wurde, sie einzubauen. Sie wären in einer Privatversicherung systemfremd.

So hatten nach 15 Jahren Einzahlung 1996 47% weniger als 500.000 Pesos auf ihrem individuellen Pensionskonto, 35% bis zu drei Millionen Pesos, 7% bis zu 5 Mio. und nur 1,7% mehr als 5 Millionen. Um aber auch nur eine bescheidene Pension zu erreichen, müssen mindestens 20 Mio. Pesos angesammelt werden! Die Pensionen, die mehrheitlich von diesem System zu erwarten sind, werden lediglich für zwei, drei Jahre reichen. Dabei wirken sich nicht nur die fehlenden sozialen Ausgleichsmechanismen, sondern auch der höhere Verwaltungsaufwand, der Abfluss von Gewinnen zu (aus- oder auch inländischen) Privatversicherungen und das größere Ausfallrisiko mindernd auf die Ansprüche aus.

Wie kann man solche offensichtlich abschreckenden Sozial-Organisationen für eine gute Lösung halten? Man kann, wenn man die Bereicherung Weniger im Sinn hat und wenn man darauf setzt, dass genügend Menschen die Lüge der "Mehr vom Leben!"-Branche glauben. Auch wenn die rot-grüne Regierung es weit von sich weisen würde, dass sie so etwas wie in Chile einführen will: Das chilenische Modell ist Vorbild für die neoliberale Reorganisation des sozialen Sektors, erklärtermaßen.

1994 hat die Weltbank in der international angelegten Studie "Averting the Old Age Crisis" für einen grundlegenden Systemwechsel in der Alterssicherung plädiert. Empfohlen wird ein im wesentlichen am chilenischen Vorbild orientiertes Mehr-Säulen-System, das die private Durchführung der Alterssicherung und ihre kapitalgedeckte Finanzierung in den Mittelpunkt stellt. Die "Umverteilungssäule" genannte erste Säule würde unserer Sozialhilfe entsprechen, die "Sparkapitalsäule" wäre eben für die obligatorische Alterssicherung da, hinzu kämen private Ersparnisse. Direkt richten sich die Empfehlungen an die Transformations- und Entwicklungsländer, die Weltbank war jedoch der Meinung, dass auch die Industrieländer mit demographischen und arbeitsmarktbedingten Problemen von diesen Vorschlägen profitieren können.

1998 hat die OECD in "Maintaining Prosperty in an Aging Society" die Umstellung auf das Kapitaldeckungsverfahren empfohlen, nachdem schon 1997 in der französischen Nationalversammlung eine Initiative der Rechten eingebracht aber vorerst zurückgewiesen wurde.

Als ob die liberale Utopie in der ersten Hälfte des 20sten Jahrhunderts nicht schon all ihre katastrophalen Folgen gezeitigt hätte, wird mit dem neoliberalen Rollback seit Ende der 70er erneut dem totalitären Herrschaftsanspruch des Marktes entgegengefiebert. Da haben dann die Deutschen durch eine Wahlentscheidung einen Kanzler an die Macht gebracht, der die neueste Form der kapitalistischen Tretmühle zum Programm erhob. "Wir müssen unser Politik in einem neuen, auf den neuesten Stand gebrachten wirtschaftlichen Rahmen betreiben, innerhalb dessen der Staat die Wirtschaft nach Kräften fördert, sich aber nie als Ersatz für die Wirtschaft betrachtet", hieß es im "Schröder-Blair-Papier".

Da muss nicht nur der Staat in der Wirtschaft abdanken, nein, auch die Sozialsysteme müssen der Kapitalverwertung zugeführt werden. "Wir wollen den Sozialstaat modernisieren, nicht abschaffen", war die eher dümmliche Abgrenzung in dem Papier. Aber nun wissen wir, was er meinte, hat er doch mit Riester einen passenden Modernisierer gefunden: Dauerhafte Senkung des Rentenniveaus und Aufbau einer "privaten Säule" sind nach der Steuerreform der zweite Schritt, weitere, so steht zu befürchten, dürften folgen, z.B. im Gesundheitssystem. Das Programm ist immer dasselbe: Milliarden-Geschenke an das darbende Finanzkapital!

Wer privat sparen will und kann, soll das gerne tun – aber Kapitaldeckung hat in der gesetzlichen Rentenversicherung nichts verloren.
Die Riester Rente muss vom Tisch!

 

Werner Raetz

Dieses Positionspapier ist hervorgegangen aus Diskussionen im Koordinierungskreis des Netzwerkes für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte

Anmerkungen
  1. Verband deutscher Rentenversicherungsträger
  2. So auch von Bundeskanzler Schröder auf dem ÖTV Gewerkschaftstag am 5.11. in Leipzig.

Home
LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace
Datei:
Datum: