letzte Änderung am 14. Nov. 2002

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Unterstützung statt Kontrollen

Norbert Cyrus über alternative Strategien zum Umgang mit Illegalisierten*

»Wir müssen feststellen, dass ungeschützte, prekäre Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland und der Europäischen Union an Bedeutung zunehmen. Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen gehören zum Alltag in der Arbeitswelt. Menschen werden unter Tarif entlohnt. Die Arbeitsschutzbestimmungen werden nicht eingehalten, Beiträge zu den sozialen Sicherungssystemen werden nicht gezahlt. Menschen wird ihr Lohn vorenthalten, sie werden unter inhumanen Bedingungen untergebracht. Besonders betroffen sind Migrantinnen und Migranten, die mit den örtlichen Verhältnissen am Beschäftigungsort nicht vertraut sind, die die Sprache im Land ihrer Arbeit nicht kennen Sie sind Täter, weil sie wissentlich oder unwissentlich gegen das Recht verstoßen. Sie sind Opfer, weil sie in ihrer wirtschaftlichen Not keine Alternative sehen und Ausbeutung und Illegalität in Kauf nehmen«..[1]

 

Diese Beschreibung des ehemaligen DGB-Vorsitzenden Dieter Schulte benennt prägnant die aktuelle Situation auf den deutschen Arbeitsmärkten. Zur Durchsetzung gesetzlicher Bestimmungen und tariflicher Standards auf den deutschen Arbeitsmärkten greifen Tarifpartner und staatliche Stellen in ihrer Hilflosigkeit zunehmend zu repressiven Instrumenten wie Kontrollen und Razzien. Diese Strategie erweist sich aber nicht nur als insgesamt ziemlich erfolglos, sondern vor allem auch als kontraproduktiv und grundrechtlich bedenklich.

Der »unterstützende Ansatz« des polnischen Sozialrats stellt dem eine andere Perspektive auf das Problem vorschriftswidriger und illegaler Beschäftigung entgegen: In den Mittelpunkt wird die Frage gerückt, wie die bestehenden sozialen Standards für alle ArbeitnehmerInnen in den faktischen Arbeitsverhältnissen realisiert werden können. Angesichts einer zunehmenden Unterbietungskonkurrenz auf internationalisierten Arbeitsmärkten würde die Garantie, dass alle hier Beschäftigten ihren Anspruch auf bestehende soziale und rechtliche Standards anmelden können, ohne dadurch Nachteile befürchten zu müssen, ein effektives Instrument zur Bekämpfung ausbeuterischer und betrügerischer Beschäftigung werden und damit zur allgemeinen Aufrechterhaltung sozialer und tariflicher Standards beitragen.

Kritik am repressiven Ansatz

1. Zunächst ist die beschränkte Reichweite des repressiven Ansatzes zu kritisieren. Auch wenn dieser mit einem hohen finanziellen und personellen Aufwand verbunden ist, so werden mit Kontrollen nicht alle, sondern nur die unmittelbar überprüften Arbeitsverhältnisse abgedeckt: Im Frühjahr 1997 waren bei der Bundesanstalt für Arbeit 2462 Stellen und bei den Hauptzollämtern 1074 Stellen bundesweit zuständig für die Bekämpfung illegaler Beschäftigung und des Leistungsmissbrauchs. Wenn das zentrale Argument der Befürworter eines auf Repression setzenden Ansatzes lautet, dass damit eine Abschreckungs- und Präventionswirkung erzielt werden soll, so bleibt doch die Frage unbeantwortet, wie soziale und tarifliche Standards in den von Kontrollen nicht erfassten Arbeitsverhältnissen durchgesetzt und gewährleistet werden können.

2. Ein weiteres Manko des repressiven Ansatzes besteht darin, dass illegale Arbeitgeber aufgrund »undichter Stellen« bei Behörden im voraus von einer bevorstehenden Kontrolle erfahren und illegal beschäftigte Arbeitnehmer aus dem Bereich abziehen können. Auf diesen Aspekt des repressiven Ansatzes wird in der öffentlichen Darstellung nicht eingegangen, da es bisher keine konkret nachgewiesenen Fälle der Korruption gibt. In informellen Gesprächen mit Beschäftigten im Baugewerbe wurde mir allerdings mehrfach die Beobachtung mitgeteilt, dass jeweils kurz vor einer Kontrolle illegal Beschäftigte von ihren Arbeitgebern von einer Baustelle abgezogen wurden. Der Schluss auf eine vorherige Information der Arbeitgeber ist naheliegend.

3. Das erklärte Ziel staatlicher Kontrollmaßnahmen ist die Verhinderung vorschriftswidriger und illegaler Beschäftigung und die Ergreifung der »Hauptverantwortlichen« für illegale Beschäftigung. Beide Ziele werden mit dem repressiven Ansatz nicht erreicht. Vorschriftswidrige Beschäftigung liegt dann vor, wenn alle erforderlichen Erlaubnisse vorhanden sind, aber die damit verbundenen Auflagen wie z.B. Einhaltung der ortsüblichen oder tariflichen Standards nicht eingehalten werden, also von Werkvertragsunternehmen falsche Angaben gemacht werden. Wenn also die Dokumente entsprechend manipuliert sind und die Arbeitnehmer aus Angst, ihre Arbeitserlaubnis oder ihren Job zu verlieren, keine wahrheitsgemäßen Aussagen machen, können vorschriftswidrige Beschäftigungsbedingungen mit Kontrollen nicht aufgedeckt werden. Im Unterschied zur vorschriftswidrigen Beschäftigung ist die Aufdeckung der illegalen Beschäftigung durch Kontrollen leichter möglich, denn das Fehlen erforderlicher Erlaubnisse (Arbeitserlaubnisse bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer) oder erforderlicher Dokumente (Sozialversicherungsausweis und Anmeldung bei Sozialversicherung und Finanzbehörden) lässt sich durch Kontrollen leicht feststellen. Unmittelbar betroffen sind die kontrollierten Beschäftigten.

Weitaus schwieriger ist es jedoch, die illegalen Arbeitgeber zweifelsfrei festzustellen, denn es ist nicht immer möglich, auf Baustellen angetroffene Arbeitnehmer einwandfrei einem Gewerk und damit einem auf der Baustelle tätigen Unternehmen zuzuordnen. Außerdem besteht zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern eine »ungleiche Interessensübereinstimmung«: »Sowohl Arbeitgeber als auch ausländische Arbeitnehmer sind wegen ihres illegalen Handelns mit nachteiligen Rechtsfolgen bedroht. Sie haben deshalb ein gemeinsames Interesse an der Verschleierung des wahren Sachverhaltes.«[2] Ohne die Zeugenaussagen der Arbeitnehmer können illegale Arbeitgeber aber nur selten gerichtsverwertbar ermittelt werden.

4. Ein weiterer Kritikpunkt besteht somit darin, dass durch Kontrollen nur die vorschriftswidrig oder illegal beschäftigten Arbeitnehmer, nicht aber die »hauptverantwortlichen« Arbeitgeber belangt werden. Es ist bisher kaum zu Sanktionen gegen Arbeitgeber gekommen, bei denen der Rahmen der Strafandrohung ausgeschöpft worden wäre. Im Verhältnis dazu sind die Sanktionen für die aufgegriffenen Arbeitnehmer härter: Inländische Arbeitnehmer werden mit Bußgeldverfahren belegt. Bei der Feststellung von vorschriftswidrigen Beschäftigungsbedingungen zum Beispiel bei Ausführung von Werkverträgen verlieren ausländische Arbeitnehmer sofort ihre Arbeitserlaubnisse und müssen ausreisen. Bei illegaler Beschäftigung werden die Arbeitnehmer ebenfalls ausgewiesen und eventuell mit einem Einreiseverbot belegt. Dagegen kommen die Arbeitgeber – soweit sie überhaupt festgestellt werden können – aufgrund der unsicheren Beweislage mit einem geringen Bußgeld davon, das meist in keinem Verhältnis zu den realisierten Gewinnen steht. Mit der Ausweisung illegal beschäftigter ausländischer Arbeitnehmer wird diesen nicht nur die Möglichkeit genommen, ihre Ansprüche auf ausstehendes Entgelt geltend machen zu können, es werden gleichzeitig auch mögliche Zeugen für ein Verfahren gegen illegale Arbeitgeber aus dem Lande geschafft.

5. Der repressive Ansatz vergrößert die Schutzlosigkeit und Rechtlosigkeit der beschäftigten Arbeitnehmer. Die einseitige Struktur der Sanktionierungsmaßnahmen kann somit sogar als zusätzlicher Anreiz für die Arbeitgeber zur ausbeuterischen und betrügerischen Beschäftigung angesehen werden.

6. Illegale Arbeitgeber können durch den repressiven Ansatz zusätzliche Gewinne erzielen. Die vorübergehende Festnahme und anschließende Ausweisung der illegal beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer führt sogar dazu, dass illegale Arbeitgeber die Auszahlung zuvor erworbener Lohnansprüche herauszögern und verweigern. So können durch die Sanktionen infolge des repressiven Ansatzes die Gewinne der illegalen Arbeitgeber noch zusätzlich größer werden: Es wird verschiedentlich berichtet, dass illegale Arbeitgeber kurz vor einem anstehenden Zahltag mit einer anonymen Anzeige eine Kontrolle provozieren und auf diesem Wege die Lohnauszahlung umgehen, da die Arbeitnehmer ausgewiesen werden und ihre Lohnansprüche nicht mehr geltend machen (können).

7. Der repressive Ansatz wirkt im Sinne einer »sich selbst erfüllenden Prophezeiung«, weil mit mehr Kontrollen selbstverständlich auch mehr Unregelmäßigkeiten aufgedeckt werden, woraus von Verfechtern des repressiven Ansatzes die Notwendigkeit der Ausweitung von Kontrollen und der Aufstockung des Kontrollpersonals abgeleitet wird – ohne allerdings auf die qualitativen Ergebnisse dieses Vorgehens einzugehen.

Demokratietheoretisch bedenklich ist die mit dem repressiven Ansatz verbundene ungleiche Behandlung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und die Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte. Staatliche Kontrollorgane haben inzwischen auch ohne Anfangsverdacht Zugang zu Baustellen und Firmenniederlassungen erhalten. Damit wird das rechtsstaatliche Prinzip der prinzipiellen Unschuldsvermutung aufgegeben.

Insgesamt hat also der repressive Ansatz – gemessen an den formulierten Zielen – wenig Erfolge vorzuweisen. Die Arbeitgeber als »Hauptverantwortliche« werden nicht aufgedeckt. Schwarzarbeit wird nicht verhindert. Kontrollen wirken sich ausschließlich gegen die abhängig Beschäftigten aus und schlimmer noch, Kontrollen haben kontraproduktive Auswirkungen, die rechtlichen und sozialen Ansprüche der Beschäftigten spielen keine Rolle.

Der unterstützende Ansatz

Das Ziel des unterstützenden Ansatzes ist es, die Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit aller abhängig beschäftigten Arbeitnehmer zur Durchsetzung tariflicher und sozialer Standards zu stärken. Aus der dargestellten Kritik des repressiven Ansatzes ergeben sich Argumente für die Notwendigkeit, neue Wege zur Durchsetzung tariflicher und sozialer Standards zu finden, um die sozialen und grundrechtlichen Ansprüche aller Beschäftigten angemessen zu berücksichtigen. Als »unterstützender Ansatz« lässt sich ein Bündel nicht-repressiver Instrumentarien zur Information, Beratung und Unterstützung bezeichnen, das auch dazu beitragen soll, die sozialen und tariflichen Standards für alle Beschäftigten durchzusetzen und zu gewährleisten. Folgende Argumente sprechen für den unterstützenden Ansatz:

1. Es werden alle Arbeitsverhältnisse abgedeckt: Der unterstützende Ansatz richtet sich an alle abhängig Beschäftigten. Es werden keine Branchen bevorzugt oder andere ausgespart. Ausgangspunkt sind die bestehenden Arbeitsverhältnisse und die bestehenden sozialen Standards und tariflichen Ansprüche. Es werden tendenziell alle Arbeitsverhältnisse erfasst. Damit kann der Ungleichbehandlung verschiedener Branchen entgegengewirkt werden.

2. Es bestehen keine Möglichkeiten der Korruption: Beim unterstützenden Ansatz haben Arbeitgeber keine Möglichkeit, durch Bestechung die Aufdeckung eines vorschriftswidrigen oder illegalen Beschäftigungsverhältnisses zu vertuschen. Das Risiko der vorschriftswidrigen oder illegalen Beschäftigung wird vergrößert und vor allem unkalkulierbar.

3. Durch den unterstützenden Ansatz werden vorschriftswidrige Beschäftigungsbedingungen und/oder illegale Arbeitgeber beweissicher und gerichtsverwertbar aufgedeckt: Der unterstützende Ansatz richtet sich an prekär Beschäftigte. Sogar unter den bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen ergeben sich Situationen, in denen prekär beschäftigte Arbeitnehmer das Angebot zur Information, Beratung und Unterstützung annehmen.

4. Es können aufgrund der besseren Beweislage Sanktionen gegen hauptverantwortliche Arbeitgeber verhängt werden: Die Zusammenarbeit mit den prekär beschäftigten Arbeitnehmern führt insbesondere bei ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen dazu, dass das ganze Ausmaß vorschriftswidriger oder illegaler Beschäftigung bekannt gemacht und die »hauptverantwortlichen« Arbeitgeber ermittelt werden können. Damit kann ein Hauptziel der Bekämpfung illegaler Beschäftigung wirksamer erreicht werden.

5. Für die Arbeitgeber erhöht sich das Risiko einer vorschriftswidrigen oder illegalen Beschäftigung, und der Anreiz zur illegalen Beschäftigung wird verringert: Die Rechtssicherheit bietet ArbeitnehmerInnen einen besseren Schutz vor vorschriftswidriger Beschäftigung oder ausbeuterischer oder betrügerischer Beschäftigung und trägt somit dazu bei, die Unterbietungskonkurrenz und den weiteren Verfall der sozialen und tariflichen Standards zu stoppen. Der unterstützende Ansatz erhöht die Konfliktfähigkeit der ArbeitnehmerInnen und damit das Risiko der illegalen Beschäftigung für gewerbsmäßige illegale Arbeitgeber: Der Arbeitgeber muss damit rechnen, dass der Arbeitnehmer bei der Nichteinhaltung von Absprachen oder Versprechungen eine Beratungsstelle aufsucht und Anzeige erstattet. Der Arbeitgeber wird also stärker auf das Wohlwollen der ArbeitnehmerInnen achten, wodurch u.a. auch das Lohnniveau für illegale Beschäftigte steigen könnte. Insgesamt ergibt sich somit eine präventive Funktion der Verhinderung ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse.

6. Abschöpfung der Profite aus vorschriftswidriger und illegaler Beschäftigung: Wenn Arbeitnehmer über ihre Ansprüche auf Tariflohn informiert und bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche beraten und unterstützt werden, ergibt sich eine höhere Aussagebereitschaft und größere Konfliktbereitschaft der prekär Beschäftigten. Die Durchsetzung der Lohnansprüche führt außerdem dazu, dass die Profite aus den vorschriftswidrigen und illegalen Beschäftigungsverhältnissen verringert werden. Auch dadurch wird der Anreiz zur gewerbsmäßigen illegalen Beschäftigung verringert.

7. Es ergibt sich aus der Darstellung, dass der unterstützende Ansatz auch aus demokratietheoretischer Perspektive wichtig ist. Bürgerliche Freiheitsrechte werden beachtet, denn staatliche Ermittlungsbehörden können zielgerichtet auf konkrete Verdachtsmomente hin tätig werden. Die Tendenz der Ausweitung staatlicher Überwachung und des Ausbaus staatlicher Kontrollorgane wird durch die grundrechtlich wünschenswerte Stärkung der Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit der betroffenen Arbeitnehmer ersetzt. Die sozialen Grundrechte aller ArbeitnehmerInnen werden gestärkt. Der größeren Verantwortung der Arbeitgeber wird durch eine stärkere Sanktionierung der Arbeitgeber entsprochen.

Perspektiven der Umsetzung

Sogar unter den aktuellen, arbeits- und aufenthaltsrechtlich fatalen Bedingungen konnten vom Polnischen Sozialrat e.V. in Berlin mit dem skizzierten unterstützenden Ansatz bereits beachtliche Ergebnisse erzielt werden. Während noch im Jahr 1996 Gruppen polnischer Werkvertragsarbeiter aus zehn Entsendeunternehmen betreut wurden, konzentriert sich die Betreuungsarbeit heute weniger auf Werkvertragsarbeiter, sondern auf hunderte ‘einzelne’ zeitlich befristet in Deutschland Arbeitende aus verschiedenen Unternehmen. In diversen Fällen führte die Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern zur Meldung vorschriftswidriger Beschäftigungsbedingungen bei den zuständigen deutschen Kontrollbehörden. In den Fällen der von den Beschäftigten geforderten Kontrolle erhielten die Mitarbeiter des Arbeitsamtes auch wahrheitsgemäße Aussagen über die wirklichen Beschäftigungsbedingungen. In einigen Fällen entschlossen sich polnische Werkvertragsarbeitnehmer, vorenthaltene Löhne vor polnischen Arbeitsgerichten einzuklagen. Der Polnische Sozialrat unterstützte in diesen Fällen die Klagen, indem zum Beispiel die deutschen Tarifbestimmungen für die polnischen Gerichte übersetzt und zur Verfügung gestellt wurden. In zwei Fällen unterstützte der Polnische Sozialrat auch die Klagen polnischer Werkvertragsarbeitnehmer, die nach einem Arbeitsunfall keine Lohnfortzahlung erhielten und vor Gericht auf Lohnfortzahlung klagten.[3]

Auch im Falle illegaler Beschäftigung hat die unterstützende Arbeit des Polnischen Sozialrat e.V. zu einem bemerkenswerten Resultat geführt: Im April 1997 wurde ein illegaler Arbeitgeber vom Amtsgericht Köln wegen ausbeuterischer illegaler Beschäftigung zu zehn Monaten Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt.[4] In diesem Falle hatte der Polnische Sozialrat Arbeitnehmer unterstützt, die von einem deutschen Staatsangehörigen unter falschen Versprechungen angeworben und mit falschen Papieren ausgestattet worden waren. Durch den repressiven Ansatz wären in diesem Falle die Täter zu Opfern gemacht worden! Ein betrogener Arbeitnehmer sammelte daraufhin belastendes Material gegen den Arbeitgeber und wandte sich schließlich schriftlich – er unterlag dem Einreiseverbot – mit der Bitte um Unterstützung an den Polnischen Sozialrat e.V., wo die übersandten Beweismaterialien übersetzt und zusammen mit einer Anzeige der zuständigen Staatsanwaltschaft übermittelt wurden. Der Polnische Sozialrat erwirkte eine Aufhebung des Einreiseverbotes, der betrogene Arbeitnehmer wurde später in der Gerichtsverhandlung als Zeuge gehört, und schließlich wurde eine Haftstrafe ohne Bewährung gegen den Arbeitgeber verhängt. Ohne die unterstützende Arbeit des Polnischen Sozialrates wäre das Verfahren nicht zustande gekommen.

Wenngleich der vom Polnischen Sozialrat verfolgte Ansatz sich somit bereits in einer Reihe von Fällen als geeignete Maßnahme zur Ermutigung und Unterstützung betroffener ArbeitnehmerInnen bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche erwiesen hat, ließe sich die Effektivität dieses Ansatzes durch eine Verstärkung bereits bestehender Möglichkeiten und Strukturen noch erhöhen. Dazu zählt zuerst die personelle Aufstockung bestehender und zusätzliche Einrichtung weiterer Anlaufstellen zur Beratung und Unterstützung ausländischer ArbeitnehmerInnen. Da eine Ansprache in der Muttersprache erforderlich ist und die MitarbeiterInnen der Schweigepflicht unterliegen müssten, bietet es sich an, die Anlaufstellen behördenfern in Zusammenarbeit mit Eigenorganisationen von ZuwanderInnen einzurichten. Ein erster Schritt in diese Richtung war das seit dem 1. Juni l997 in Trägerschaft des Polnischen Sozialrates e.V. arbeitende ABM-Projekt ZAPO (Zentrale integrierte Anlaufstelle für Pendlerinnen und Pendler aus Osteuropa). Mit diesem Projekt waren erstmals in der Bundesrepublik Stellen zur Information, Betreuung und Unterstützung osteuropäischer WanderarbeitnehmerInnen mit offizieller Förderung eingerichtet worden. Damit standen den 3536 Stellen für den repressiven Ansatz schon 13 ABM-Stellen für den unterstützenden Ansatz gegenüber. Damals erschien dies als ein Anfang, der durch die Übernahme in eine Regelfinanzierung hätte abgesichert werden müssen. Das Gegenteil ist eingetreten: Die Stellen wurden immer weiter gekürzt, so dass es im Herbst diesen Jahres noch zwei Stellen gab, von denen die eine im September und die letzte Ende Oktober auslief. Seit 1. November existiert damit das Projekt ZAPO mangels Finanzierung nicht mehr.

Um den unmittelbaren Erfolg des unterstützenden Ansatzes flächendeckend zu gewährleisten, müssten aber auch unbedingt die Arbeitsgerichte personell besser ausgestattet werden, damit das Einklagen ausstehender Löhne oder tariflicher Ansprüche zeitnah zur Klage beschieden werden kann.[5]

Durch Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen könnte der unterstützende Ansatz durchschlagskräftiger werden. An erster Stelle zu nennen ist der Verzicht auf Statusfeststellung bei Anzeigen und Klagen vor Arbeitsgerichten. Durch eine solche »Kronzeugenregelung«[6] könnte zum einen eine größere Konfliktfähigkeit und Rechtssicherheit für die betroffenen ArbeitnehmerInnen erreicht werden, zum anderen aber ließen sich ausbeuterische und betrügerische Arbeitgeber empfindlicher treffen. Langfristig wären Überlegungen anzustellen, ob das repressive und selektive Arbeitserlaubnisrecht angesichts internationalisierter Arbeitsmärkte überhaupt noch aufrechterhalten werden kann und soll. Spätestens dann müssten weitere Überlegungen allerdings auch in Richtung sozialer Mindeststandards oder allgemeinverbindlicher Tarife gehen.

Auch der unterstützende Ansatz wird natürlich illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit nicht verhindern, er sorgt aber zumindest dafür, dass das Risiko für ausbeuterische und betrügerische Arbeitgeber steigt und der Anreiz zur ausbeuterischen oder zur gewerbsmäßigen illegalen Beschäftigung verringert wird. Der unterstützende Ansatz bildet daher eine Alternative, zumindest aber eine notwendige Ergänzung zum repressiven Ansatz. Im Kern entspricht er der von den Gewerkschaften geleisteten Beratungspraxis und Unterstützungsarbeit, allerdings mit einer konsequenten Ausweitung auf alle Gruppen abhängig Beschäftigter, unabhängig von ihrem arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Status. Damit schließt er auch an ein in den Gewerkschaften selbst formuliertes Verständnis an: »Auch illegal Beschäftigte verdienen Schutz gegen Ausbeutung. Auch ihre Persönlichkeitsrechte müssen beachtet und verteidigt werden«..[7] Es wird sich zeigen, ob diese Auffassung mehr als ein Lippenbekenntnis ist.

 

* Norbert Cyrus arbeitet für den Polnischen Sozialrat Berlin e.V., Kohlfurterstr. 40, 10999 Berlin. Der ungekürzte Text mit Literaturliste ist erhältlich unter: www.expertbase.net/forum/cyrus.html

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10/02

Anmerkungen

1) DGB Referat Migration – Internationale Abteilung (Hg.): »Illegale Beschäftigung in der Europäischen Union. Gewerkschaftliche und staatliche Handlungsmöglichkeiten.« Dokumentation der Arbeitstagung in Langenfeld am 21./22. November 1996, Düsseldorf 1997, S. 2

2) Achter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) sowie über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung (BillBG) – Drucksache 13/5498, Bonn 1996, S. 48

3) Vgl. Norbert Cyrus: »Moderne Migrationspolitik im alten Gewand. Zur sozialen Situation polnischer Werkvertragsarbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland«, in: »Alte Fehler im neuen Gewand« oder »Moderne Migrationspolitik«. Dokumentation einer Fachtagung am 21./22. November 1996 in Bautzen, hg. von der Friedrich Ebert Stiftung, Bonn 1997; Lothar Heinke: »Ausländische Bauleute fühlen sich betrogen: Kein Tariflohn – Polen klagen gegen Arbeitgeber«, in: Der Tagesspiegel vom 23. März 1997; Hans-Peter Meister: »Anlaufstellen für ausländische Beschäftigte stärken Konfliktfähigkeit und Rechtssicherheit«, in: Transodra. Deutsch-polnisches Informationsbulletin Nr.14/15, hg. von der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Brandenburg, Potsdam 1996, S. 63 – 66

4) Wilde Katze: »Mieser Ausbeuter vor Gericht«, in: von unge (Kölner Stadtzeitung) Nr. 5/1997

5) Vgl. auch Burkhardt von Seggern: »Illegale Beschäftigung, rechtliche Befunde und Perspektiven«, in: DGB (Hg.), a.a.O., S.32 – 39

6) Leo Monz/ KIaus-W. West: Zuwanderung, Arbeitsmarkt und soziale Chancen, in: Gewerkschaften und Einwanderung. Eine kritische Zwischenbilanz, herausgegeben von Peter Kühne/Nihat Öztürk/Klaus W.West, Köln 1997, S. 132

7) DGB (Hg.): Illegale Beschäftigung in der Europäischen Union, a.a.O., S. 2

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