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"Eine verwirrte Debatte"

Versuch einer Systematisierung der Diskussion über Globalisierung und Sozialklauseln, Teil II

Von Rohini Hensman

In Teil II ihres Beitrags über die umstrittene Forderung nach Aufnahme von Sozialklauseln in die Handelsnormen der WTO sichtet die am "Trade Union Research Centre" der Universität Mumbai in Indien beschäftigte Sri Lankesin Rohini Hensman einige der zentrale Einwände gegen Sozialklauseln, wie sie von Seiten der Entwicklungsländer im Hinblick auf die ökonomischen Entwicklungsbedingungen im engeren und die gesellschaftlichen im weiteren Sinne sowie in Bezug auf die Debatte um einen "westlichen Werteimperialismus" formuliert werden. Den Abschluss bildet eine kritische Analyse des Protektionismus-Vorwurfs, der oft im Zusammenhang mit der Einführung von Sozialklauseln erhoben wird.

 

Gegen Sozialklauseln werden von einigen Regierungen von Entwicklungsländern – einschließlich der indischen – folgende Argumente angeführt:

Erstens: die Behauptung, dass Arbeitsrechte kein Gegenstand für Fragen der Handelsbeziehungen seien und deshalb nicht in Handelsvereinbarungen einbezogen werden sollten.

Das ist nicht wahr: Arbeit ist sicherlich ein handelsbezogenes Thema. Denn zunächst ist es die Arbeit, die Produkte herstellt, welche gehandelt werden, und die sie zu ihrem Bestimmungsort transportiert: ohne Arbeit kein Handel. Und zweitens gibt es eine ganze Reihe von Belegen dafür, dass die Handelsliberalisierung einen massiven und zumeist negativen Einfluss auf Arbeitsrechte haben kann.

Zweitens: die Behauptung, dass Differenzen der Arbeitskosten zwischen entwickelten Ländern und Entwicklungsländern nivelliert werden und dass dadurch komparative Vorteile, die arme Länder heute noch haben, zerstört werden.

Auch dies ist nicht wahr. Es ist gibt keinen Vorstoß, Löhne und Arbeitsbedingungen verschiedener Ländern anzugleichen. Auch das Thema Minimallöhne taucht in den Kernkonventionen nicht auf. Der an die ILO-Kernkonventionen angelehnte Vorschlag besteht lediglich darin, dass bestimmte minimale Arbeitsrechte, welche als internationale Standards längst akzeptiert sind, in allen Ländern respektiert werden sollten. Es wäre klarer, wenn wir uns – anstatt auf "Sozialklauseln" oder eben "Arbeitsstandards" – auf die Formulierung "minimale Arbeitsrechtsklauseln" beziehen würden.

Die oben genannte Kampfbehauptung von Regierungen und Arbeitgebern kommt der Aussage gleich, dass ihre Wettbewerbsfähigkeit von der Verletzung solcher Rechte abhängt. Sujata Gothoskar, ein Aktivist des Workers’ Solidarity Centre, meinte in Bezug auf die Billigung dieses Arguments durch den "Indian National Trade Union Congress" (INTUC): "Diese Konkurrenzfähigkeit setzt vermutlich das miserable Lohnniveau, die schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen und die Verweigerung ihrer basalen Menschenrechte voraus. Ist es für uns nicht beschämend, mit ‘unseren Vorteilen’ auf solch zynische Art und Weise umzugehen? (...) Mit diesem Argument kann jeder Kampf von ArbeiterInnen für ein besseres Leben als zerstörerisch für den Wettbewerbsvorteil unseres Landes bezeichnet werden."[1] Ein anderer Kommentator wies darauf hin, dass "die Sozialklauseln nicht die Konkurrenzfähigkeit beinträchtigen würden; vielmehr würde der verwertbare Profit sinken."[2]

Drittens: die Behauptung, dass die Durchsetzung globaler Arbeitsstandards in die nationale Souveränität ihrer Länder eingreift und deren nationales Interesse untergräbt. Stattdessen sollte jedes Land selbst Arbeitsstandards definieren.

Dieses Argument des "Centre of Indian Trade Unions" (CITU) aufgreifend, meinte Sujata Gothoskar: "Können ArbeiterInnen oder Gewerkschaften jemals über einzelne Länder befinden, die sich zur Verbesserung von Arbeitsstandards entschließen? Wenn Länder entscheiden, wer oder welche spezifische Gruppe entscheidet dann? Wenn ... Gesetze zur Inhaftierung und Belästigung von ArbeiterInnen, GewerkschafterInnen und jedem, der gegen Ungerechtigkeit protestiert, gemacht wurden, wer beschloss diese Gesetze und setzte ihre Implementierung durch? (...) Ist es möglich zu sagen, Indien entscheidet? Ist es möglich zu sagen, ArbeiterInnen entscheiden? GewerkschafterInnen entscheiden? Menschen entscheiden?"[3]

Srilata Swaminadhan, ein Aktivist von "Rajasthan Kisan Sanghathan" (eine Organisation, die mit der verarmten Landbevölkerung arbeitet; Red.) kommentierte: "Was den armen und geplagten Massen von ihren herrschenden Klassen mitgeteilt wird, ist, sie hätten ihren jeweiligen Regierungen kämpferisch verbunden beizustehen, weil dies im nationalen Interesse sei. (...) Jedoch wird mit jeder Handlung der Regierung ausgedrückt, dass ‘nationales Interesse’ nur das Interesse einer reichen Minderheit bedeutet, die das Land regiert und all seinen Reichtum und seine Ressourcen kontrolliert. (...) Ist es nicht der Gipfel der Scheinheiligkeit, dass unsere Regierung durch eine mögliche Verkopplung der Forderung nach gleichen Löhnen für Männer und Frauen mit Handelsklauseln gegen die Interessen der Nation verstoßen würde? Ist es nicht aufschlussreich, dass die Möglichkeit einer Garantie für die Beendigung von Kinderarbeit als schädlich für unser Land ausgegeben wird?[4]

Auf jeden Fall ist die Berufung auf die "nationale Souveränität" und das "nationale Interesses" zwieschlächtig: Wenn einige Länder unter Bezug darauf das Recht in Anspruch nehmen, ILO-Kernkonventionen zu verletzen, können andere ebenso gut das Recht in Anspruch nehmen, ihre Waren nicht zu handeln, um ihr eigenes nationales Interesse und ihre Souveränität zu schützen.

Befürworter der ablehnenden Haltung der Regierung gegenüber Sozialklauseln argumentieren beispielsweise auch, dass Kinderarbeit nicht abgeschafft werden könne, ohne zugleich Armut überhaupt zu beseitigen, und ohne dies würden all solche Versuche lediglich zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der Kinder führen.[5]

Gibt es irgendeine Basis für dieses Argument? Eine landesweite Studie über Kinderarbeit schloss damit, dass "Armut nicht immer eine signifikante Ursache für Kinderarbeit ist, wenn gleichzeitig der Einfluss von anderen Erklärungsfaktoren in Rechnung gestellt wird," wobei ungleiche Einkommensverteilung und mangelhafter Zugang zu Bildung zu den wichtigeren Ursachen für den hohen Grad von Kinderarbeit zählen.[6] Insoweit jedoch eine Korrelation zwischen Armut und Kinderarbeit besteht, muss die Richtung ihrer Kausalität untersucht werden. In einer arbeitsintensiven Ökonomie wie der Indiens, in der es keine Sozialversicherung gibt, führt die Beschäftigung von Kindern zur Zunahme der Arbeitslosigkeit unter Erwachsenen und damit über einen Teufelskreis zu immer mehr Kinderarbeit, und zwar sowohl jetzt (weil die Kinder von arbeitslosen Erwachsenen dazu gezwungen werden, für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen), als auch in der Zukunft (weil die gegenwärtig beschäftigten Kinder im Alter von rund dreißig Jahren praktisch arbeitsunfähig sein werden und ihre eigenen Kinder arbeiten schicken müssen, um für den Unterhalt der Familie zu sorgen). Im Wettbewerb mit Erwachsenenarbeit reduziert Kinderarbeit auch die Löhne im Allgemeinen. Sie ist deshalb eine Ursache von Armut.

Jeder, der sich um ein Kind gekümmert hat und es gerne hat, weiß, wieviel Grausamkeit darin liegt, ein Kind dazu zu zwingen, stundenlang dieselben Tätigkeiten auszuführen; diese Grausamkeit steigert sich noch, wenn die Arbeit Gesundheit und Sicherheit gefährdet oder brutale Strafen mit sich bringt. Mädchen sind darüber hinaus oft von sexuellem Missbrauch betroffen – alles nur zu bekannt.[7]

Das Argument, dass das Gros der Kinderarbeit in familiär geprägten landwirtschaftlichen Kleinbetrieben stattfindet, ist nicht länger haltbar. Nebenerwerbslandwirte haben oft nicht genügend Land, um alle Erwachsenen, geschweige denn Kinder, zu beschäftigen und müssen ihre Arbeitskraft zusätzlich auf dem lokalen Arbeitsmarkt oder als ArbeitsmigrantInnen anbieten, während reiche Landwirte sich Arbeitskräfte mieten und dafür sorgen, dass ihre Kinder zur Schule gehen. Ein Fernsehbericht über Kinderarbeit in der Landwirtschaft zeigte den Tagesablauf eines Dalit-Jungen, der früh morgens zur Arbeit geht und spät nachts zurückkommt; auf die Frage der Interviewerin nach seinem Tagesverdienst antwortete er – zu erschöpft, um zu sprechen – indem er die Hand öffnete und ein paar kleine Kartoffeln vorzeigte.

Es handelt sich also mit Sicherheit um ein Element von Klassenrassismus, wenn es hingenommen oder sogar legitimiert wird, dass die Kinder der Dritte Welt-Armen sich Raub und Missbrauch unterwerfen, während dies für ‘unsere’ Kinder undenkbar wäre.[8] Auch gibt es keine Basis für Argumente, dass die Abschaffung der Kinderarbeit irgendwie zu kompliziert sei. Es erfordert lediglich einige sehr klare öffentliche politische Äußerungen. Kinderarbeit sollte verboten und die, die Kinder beschäftigen, sollten bestraft werden. Wo Eltern arbeitslos sind, sollten sie an Stelle des Kindes beschäftigt werden – zu ordentlichen Erwachsenenlöhnen und mit gewerkschaftlichen Rechten. Wenn Eltern beschäftigt sind, aber zuwenig für die Versorgung des Kindes verdienen, sollte gesichert werden, dass sie wenigstens einen gesetzlichen Mindestlohn erhalten und gewerkschaftliche Rechte haben. Wenn sie das Kind dennoch nicht unterstützen können oder wenn gar keine Eltern vorhanden sind (wie etwa im Fall von Straßenkindern), könnte ein Zuschuss für den Lebensunterhalt des Kindes sorgen. Tatsächlich gibt es Organisationen, die Kinder aus Arbeitsverhältnissen herausführen, einen Platz in der Schule für sie finden und den Beweis erbringen, dass deren Eltern auch ohne, dass ihr Kinder arbeiten gehen, überleben können. Wenn Eltern arbeitsunfähig sind, sollten auch sie mit einem Zuschuss unterstützt werden.

Es ist möglich, dass einige Dritte Welt-Länder all diese Leistungen nicht aufbringen können, sie sollten dementsprechend unterstützt werden. Im Fall von Indien sollten solche Ansprüche allerdings skeptisch behandelt werden. Eine Regierung, die es sich erlauben kann, Milliarden von Dollar in ein nukleares Bewaffnungsprogramm zu stecken[9] und die die große Schicht der ländlichen Reichen von Steuern befreit, dürfte Schwierigkeiten haben mit dem Nachweis, dass sie unfähig sei, die Kernkonventionen zu implementieren. In der Tat muss der Widerstand gegen Ideale wie umfassende Bildung, Nicht-Diskriminierung, Gewerkschaftsrechte und Freiheit von Knechtschaft im Kontext eines Staates und einer herrschenden Klasse, die durch und durch geprägt ist von der brahmanischen Kultur der Ungleichheit, gesehen werden. "Unberührbarkeit" wird immer noch in hohem Ausmaß praktiziert: Fälle von aus Schulen ausgeschlossener Dalit-Kinder, von Dalit-AkademikerInnen, die für ihr Auskommen dazu gezwungen werden, menschliche Exkremente zu beseitigen, und ganze Dörfer mit massakrierten Dalit-LandarbeiterInnen[10]; viele Fälle von Kindsmord an Mädchen, von Fällen, in denen es hingenommen wird, dass Mädchen aufgrund eines Mangels an Nahrungs- und Gesundheitsversorgung sterben, so dass das prozentuale Verhältnis von Frauen zu Männern stetig fällt und beim letzten Zensus (1991) nur 927 Frauen zu 1.000 Männer betrug[11]; weitverbreitete Zwangsarbeit und die Tatsache, dass mehr als 90 Prozent der ArbeiterInnen einfache gewerkschaftliche Rechte versagt werden: All dies ist nicht unvermeidlich. Es ist Teil einer Konstruktion von "Indien", die danach trachtet, verewigt zu werden bei denen, die argumentieren, dass die Verbindung von ILO-Kernkonventionen mit WTO-Handelsvereinbarungen ein Versuch ist, "westliche Moral dem Rest der Welt aufzuzwingen".[12] Die größte Ironie ist, dass ihr Ziel der Konservierung einer Gesellschaft, die auf dem Kastensystem, Sexismus und brutaler Repression beruht, gleichzeitig sicherstellt, dass Indien für immer eine rückschrittliche, abhängige Ökonomie bleibt, in der die Masse der Bevölkerung noch nicht einmal davon träumen kann, die Produkte zu besitzen, die sie für den Export in entwickelte Länder produziert. Reale Entwicklung – im Unterschied zur Bereicherung einer kleinen Elite – erfordert eine Verbesserung der Lebensbedingungen für alle.

Natürlich wird diese rückwärtsgewandte Vision nicht von denen geteilt, die für die indische Unabhängigkeit kämpften, für die Gleichheit und soziale Gerechtigkeit vorrangige Ziele waren. Die von Dr. Ambedkar (selbst ein Sprecher der Dalit-Bewegung) entworfene Verfassung verspricht alle Rechte, die in den Kernkonventionen formuliert sind – für alle Staatsbürger des unabhängigen Indiens; und unzählige FeministInnen, Dalits, Arbeiter- und andere Organisationen kämpfen immer noch für deren Umsetzung.[13] Für diese AktivistInnen sind Sozialklauseln keine undefinierbaren Flugobjekte. Ihre wichtige Frage lautet vielmehr: Können wir sie benutzen, um unseren Kampf voranzubringen?

Joseph Gathia vom "Centre of Concern for Child Labour", konstatiert unter Bezugnahme auf den Quantensprung, den die Zunahme der Kinderarbeit in der Teppichindustrie (von 30.000 in den Jahren 1979-1980 auf 395.000 in den Jahren 1993-1994) gemacht hat: "In diesem Kontext sind die Sozialklauseln ein goldener Weg in einem ansonsten düsteren Szenario. Wir unterstützen die Einbeziehung von Sozialklauseln und fordern, dass es den entwickelten Ländern nicht erlaubt wird, sie zu ihrem Vorteil zu benutzen."[14] Murlidharan, ein Vertreter der "Boehringer-Mannheim Employees’ Union", meint: "Es mag stimmen, dass sich protektionistische Interessen hinter der Forderung nach Sozialklauseln verstecken. Aber die protektionistischen Interessen der Textilfabrikbesitzer von Lancashire bleiben noch hinter dem Stand unseres Arbeitsrechts zurück, bis jetzt sind wir noch in der Lage, sie zu unseren Gunsten zu benutzen."[15] Und M. J. Pande von der "Bombay Union of Journalists": "Wir alle wissen, dass die UNO eine Organisation ist, die von imperialistischen Interessen dominiert ist, dennoch unterstützen wir bisher ihre Menschenrechts-deklaration: Könnten wir nicht auch Sozialklauseln unterstützen, während wir die ausbeuterische Weltordnung bekämpfen, die von der WTO repräsentiert wird?"[16]

 

Wie wird das Funktionieren?

Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt an den Sozialklauseln ist, dass sie als protektionistische Maßnahme der entwickelten Länder gegen Importe der Dritte Welt-Länder benutzt werden können. Der "All India Trade Union Congress" (AITUC) ist unter denen, die dies anklagten.[17] Seine Position wird von Verfechtern des uneingeschränkten Freihandels unterstützt, inklusive der Weltbank und des früheren Vorsitzenden des GATT, Arthur Dunkel.[18] Andere argumentieren, dass, da die ILO für die Arbeitsstandards zuständig ist, auch die Sozialklauseln unter die Zuständigkeit der ILO fallen und in deren Konventionen integriert werden sollten.[19] Auf der anderen Seite gibt es Beschwerden von GewerkschafterInnen, dass die ILO keine Zähne zeigt und ihre Politik der "Benennung und Beschämung" von Regierungen, die die Kernkonventionen verletzen, gerade wie im Falle der indischen, die keine Scham kennt, nicht funktioniert.[20] Diese Punkte werfen die Frage danach auf, wie Arbeitsrechtklauseln überhaupt greifen sollten.

Eine Möglichkeit ist, dass es über Arbeitsrechtklauseln für die WTO unmöglich gemacht wird, ein Mitglied, dass ILO-Kernkonventionen befolgt, zu zwingen, Produkte zu importieren, die nicht gemäß diesen Konventionen hergestellt wurden, genauso wie sie heute ein Land nicht zwingen kann, Produkte zu importieren, die als schädlich für Leben und Gesundheit betrachtet werden. Dies würde nicht zu Handelssanktionen beitragen und eher eine Beschränkung als eine Ausweitung der WTO-Macht bedeuten. Es würde die Souveränität von Ländern stärken und sie befähigen, international vereinbarte fundamentale Rechte ihrer ArbeiterInnen gegen WTO-Interventionen zu verteidigen, die dazu führen, diese Rechte zu unterlaufen. Skepsis, dass die WTO selbst – ohne Kompetenz hinsichtlich der Arbeitsrechte und auf das Ziel des Freihandels verpflichtet – fähig sein würde, diese Aufgabe auszuführen, ist völlig gerechtfertigt. Eine Kopplung von Arbeitsrechtsklauseln und Handelsklauseln funktioniert nicht ohne eine kompetente Organisation – am ehesten die ILO –, die eine Beschwerde untersucht und für die Information über die Ergebnisse dieser Untersuchung bzw. die Einhaltung der Konventionen beim Kläger wie beim Beklagten sorgt.

Eine solch enge Auslegung der Sozialklauseln kann jedoch deswegen kritisiert werden, weil (a) nur die Unternehmen betroffen sind, die für die Exportproduktion arbeiten, welche in Indien zur Minderheit zählen, und (b) gerade für diese das Resultat nicht notwendig aus verbesserten Bedingungen bestehen wird (arbeitende Kinder beispielsweise einfach entlassen werden könnten).[21] Eine breitere Auslegung (welche neben der engeren bestehen könnte) würde bedeuten, dass Anstrengungen zur Implementierung der ILO-Kernkonventionen eine Bedingung für die WTO-Mitgliedschaft sind. Kein Gewerkschafter oder Arbeiter mit Verstand würde sich gegen das Prinzip wenden, dass in allen WTO-Mitgliedsländern – tatsächlich, in allen Ländern der Welt! – zumindest die ILO-Kernkonventionen erfüllt sein sollten.

Jedoch wirft dies umgehend die Frage auf, wie solch eine Anforderung erzwungen wird.

Gerade angesichts der bisherigen strategischen Orientierung an "Unterstützung" und "Anreizen" zeigt die lange Erfahrung mit der Funktionsweise der ILO, dass ohne Strafen großangelegte Verletzungen der Konventionen fortdauern. Bis heute sind Handelssanktionen die einzige Strafe, die vorgeschlagen wurde. Aber ist das ein angemessenes Mittel, um Arbeitsrecht durchzusetzen?

Es gibt mehrere Einwände gegen den Gebrauch von Handelssanktionen:

Einer ist, dass sie die Ökonomie eines Landes zerstören können, in dem sie Arbeitsstandards eher verschlechtern als verbessern und die Schwächsten eher zum Opfer machen als sie zu unterstützen, wie z.B. im Irak.

Ein anderer ist, dass Sanktionen von Natur aus Waffen des Starken gegen den Schwachen sind. Bangladesh kann z.B. keine zwingenden Sanktionen gegen die USA ins Auge fassen, obwohl bekannt ist, dass gerade die USA viele der Kernkonventionen missachten. Sanktionen würden deshalb Ungleichheiten zwischen Ländern eher verstärken als untergraben, eine ungleiche Weltordnung solchermaßen verewigend. Diese Ungleichheit richtet sich gegen die Interessen von ArbeiterInnen überall, weil es bedeutet, dass – selbst wenn Sozialklauseln eingeführt sind – ArbeiterInnen in armen Ländern weiterhin einen extrem niedrigen Lebensstandard beibehalten, während ArbeiterInnen in reicheren Ländern beständig davon bedroht sind, dass ihre Arbeitsplätze in die ärmeren Länder verlagert werden.

Drittens wird eingewandt, dass Handelssanktionen nicht die wirklichen Ursachen von Verstößen (be)treffen bzw. möglicherweise einige treffen, andere aber unterschlagen. Der Melzer-Bericht zum Beispiel bestätigt, was KritikerInnen der Weltbank und des IWF schon lange Zeit behaupten, nämlich, dass die Dritte Welt-Politik dieser Institutionen zunächst meist die Probleme von Armut und Ungleichheit potenziert [22] und dies in einer Degradierung von Arbeitsstandards mündet. Oder mächtige Unternehmen könnten ein kleines Land, dass versucht, Arbeitsstandards zu verbessern, mit der Drohung ihrer Abwanderung erpressen. Dies geschah beispielsweise, als die People’s Alliance-Regierung in Sri Lanka 1995 versuchte die Anerkennung von Gewerkschaften und kollektiven Verhandlungen in Freihandelszonen gesetzlich festzuschreiben.[23] Handelssanktionen aber würden die Hauptursache dieser Verstöße kaum bekämpfen.

Die Lösung dieses Problems erfordert klares Denken, Phantasie und einen wirklichen Dialog in der Arbeiterbewegung. Die ILO ist unzweifelhaft die kompetenteste Organisation, wenn es darum geht, Verstöße gegen Arbeitsrechte zu untersuchen und Maßnahmen zu ergreifen, die Abhilfe schaffen. Wenn sie aber diese Rolle spielen soll, wird die Arbeiterbewegung nicht umhin kommen, in diese Richtung Druck auszuüben. Doch selbst wenn die ILO nicht dazu in der Lage ist, wenigstens die Kernkonventionen zu durchzusetzen, wird fortgesetzter Druck auf auch weniger kompetente Institutionen – wie die WTO – ausgeübt werden müssen, damit diese Aufgabe übernommen wird.

Die ILO sollte zudem bevollmächtigt werden, internationale Institutionen wie die Weltbank oder den IWF streng zu prüfen und gegen deren Politik ein Veto einzulegen, wenn diese zu einer Senkung von Arbeitsstandards führt. Die ILO könnte von der WTO dafür finanziert werden, dass sie die Kernkonventionen und die Einhaltung bei den WTO-Mitgliedern überwacht und gegen diejenigen Regierungen vorgeht, die gegen die Konventionen verstoßen, ohne dabei umgekehrt die Interessen von ArbeiterInnen nachteilig zu treffen. Neben den Mitteln der "Unterstützung" und der "Anreize" könnte dies z.B. in Form von Strafen geschehen; wenn etwa die Verstöße von einer Dritte Welt-Tochtergesellschaft eines multinationalen Unternehmens, das seinen Sitz in einem der entwickelten Länder hat, ausgehen oder von einem Dritte Welt-Zulieferer eines westeuropäischen oder nordamerikanischen Handelsunternehmens: Es sollten jeweils beide Länder belangt werden, zum Beispiel mit einer finanziellen Strafe, die sich nach einem bestimmten Verhältnis zu ihrem Bruttosozialprodukt bemisst. Die Strafen könnten dann zur Finanzierung von Maßnahmen, die der Einhaltung der Kernkonventionen dienen, benutzt werden (z.B. Kinderarbeitbekämpfung und Kinderfürsorge, Maschineneinsatz, um Fällen von Zwangsarbeit zu begegnen, Maßnahmen gegen Gewerkschaftszerschlagung und Diskriminierung usw.). Regierungen, die die Kernkonventionen realisieren wollen, aber zu schwach sind, diese umzusetzen, sollten Mittel an die Hand gegeben werden, die ihre Macht gegenüber widerspenstigen Arbeitgebern stärken, und die verhindern, dass Drohungen von transnationalen Konzernen, ihre Investitionen in Länder umzuleiten, die Verletzungen der Kernkonventionen erlauben, zur Realität werden; diese Erosion "nationaler Souveränität" wäre der zu zahlende Preis für die Mitgliedschaft in der WTO. Solange eine WTO-Mitgliedschaft jedoch kompatibel ist mit der Verletzung von ILO-Kernkonventionen, haben Einwände gegen diese Aussichten, vor denen viele Entwicklungsländer zurückschrecken, eine rationale Basis.

Es muss betont werden, dass dies nicht das Eindringen der WTO auf das Gebiet der Arbeitsstandards bedeuten, aber – im Gegenteil – der ILO, Regierungen und Gewerkschaften einige Kontrolle über den Einfluss des Welthandels auf das Arbeitsrecht erlauben würde. Gewerkschaften könnten mit ihrem Platz in der WTO darauf drängen, dass sich die WTO – nachdem sie sich mit globalisierten Waren- und Kapitalmärkten befasst – nun auch der Globalisierung des Arbeitsmarkts zuwendet.

Einwanderungskontrolle stoppt die Arbeitsmigration nicht, im Gegenteil: sie schafft eine Masse von ‘Illegalen’ und demzufolge unorganisierbaren und superausgebeuteten ArbeiterInnen, was sinkende allgemeine Arbeitsstandards zur Folge hätte. Offene Grenzen würden diesen ArbeiterInnen einen legalen Status geben und sie dazu befähigen, sich gewerkschaftlich zu organisieren und für ihre Rechte zu kämpfen.

Dies sind nur Vorschläge, aber sie sind gemacht worden, um zwei Bedingungen zusammenzuführen, die bis hierher als gegensätzlich angesehen wurden, nämlich die Gleichstellung von Entwicklungsländern innerhalb der WTO genauso wie den Schutz der ArbeiterInnen vor den negativsten Effekten der Globalisierung abzusichern. Soweit nur nur die unmittelbaren Probleme der ArbeiterInnen betroffen sind, ist dies ein Minimal-Programm; wenn allerdings wichtige Themen wie z.B. Gesundheit, Sicherheit oder soziale Absicherung aufgenommen würden, wäre ein großes Programm erforderlich. Aber das kann später folgen. Im Moment besteht die wichtigste Aufgabe darin, den Gedanken stark zu machen, dass Entwicklung und Arbeitsrecht keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig stärken, und eine offene Debatte in der weltweiten Arbeiterbewegung zu initiieren, um einen realisierbaren Entwurf zu entwickeln, mit dem beides erreicht werden kann.

 

Erschienen in Express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit - Ausgabe 2/2001

Übersetzung: Jörg Waschatz/Kirsten Huckenbeck

 

Anmerkungen

1) Sujata Gothoskar: "The Social Clause: Whose Interests is it Supporting?", auf der "Konsultation über Sozialklauseln" präsentiertes Papier, Zentrum für Bildung und Kommunikation, New Delhi, März 1995

2) Thomas Mathew: "Social Clause: Why Not?" auf der New Delhi-Konsultation präsentiertes Papier

3) Sujata Gothoskar, a.a.O.

4) Srilata Swaminadhan: "Social Clause and Multilateral Trade Agreements," auf der New Delhi-Konsultation präsentiertes Papier

5) z.B. Pradeep S.Mehta: "Child labour, social clause & the WTO," Economic Times, 16.6.1999; Ulrike Grote: "Statement on Labour Standards," GDN Konferenz der Weltbank, Bonn, 6-8.12.1999, wiedergegeben in: CUTS-CITEE Communique, Januar 2000

6) Iftikhar Ahmed: "Getting Rid of child work," Economic and Political Weekly, Vol. XXXIV Nr. 27, 1999, S. 1815-1822

7) Siehe "Children are Dying," Labour File, Vol. 4, Nr. 8, August 1998, und viele andere Berichte über erschreckenden Missbrauch – zum Teil mit Todesfolge – von Kinderarbeitern (inklusive denen, die in angeblich ungefährlichen Stellungen arbeiten) und den Mord am pakistanischen Kinderarbeiter-Führer Iqbal Masih.

8) Ich schließe nicht unter allen Umständen aus, dass Kindern die Erlaubnis zu arbeiten verweigert wird. Kleinkinder sind häufig eifriger bei der Teilnahme an Haushaltsaktivitäten, und ich habe nichts dagegen, Mädchen und Jungen zur Hilfe bei der Hausarbeit zu ermutigen. Auch ist es nicht nötig, jemanden von vollbezahlter Arbeit auszuschließen. Als ein Freund und ich vor etwa fünfzehn Jahren eine Frauenkooperative aufbauten, wollten mehrere Mädchen zwischen elf und vierzehn Jahren – einige von ihnen betätigten sich bei häuslicher Arbeit in nahegelegenen Appartements – mitarbeiten. Als wir uns schließlich einigten (hauptsächlich, weil sie sich weigerten, "Nein" als eine Antwort anzunehmen), glaubten wir, dass sie es als Spaß empfanden, Taschengeld zu verdienen, Witze zu reißen, zu lachen und hinduistische Filmsongs zu singen, während sie saßen und arbeiteten. Ich spreche mich also nicht prinzipiell gegen Kinderarbeit aus, vorausgesetzt, (1) ihre Gesundheit und Sicherheit ist gewährleistet, (2) es stört nicht ihre Schulbildung (dies ist in Bombay möglich, weil Staats- und staatsähnliche Schulen im Schichtbetrieb laufen, was wegen der Knappheit der Plätze erforderlich ist, und (3) es gänzlich freiwillig ist und sie gehen können, wann immer sie es wünschen – was bedeutet, dass weder ihr eigener Lebensunterhalt noch der ihrer Familien von der Arbeit abhängig sein sollte.

9) Siehe die Streitschrift "India’s Draft Nuclear Doctrine", herausgegeben vom "Movement in India for Nuclear Disarmament" (MIND), email: <mind123@angelfire.com>, Website: http://angelfire.com/mi/mind123

10) Nachrichtensendung Star TV und "Bihar: More Bloodshed", Economic and Political Weekly, Vol. XXXII, Nr. 13, 1997, S. 622; "Bihar: Fratricidal Politics", Economic and Political Weekly, Vol. XXXIV, Nr.6, 1999, S. 308

11) N.Krishnaji: "Trends in Sex Ratio," Economic and Political Weekly, Vol. XXXV, Nr. 14, 17.4.2000

12) Deepak Lal: "India urged to resist WTO’s social charter", Business Standard, 6.4.1999. Siehe auch "Towards the millennium trade round", Business Standard, 29.7.1999; Arvind Panagariya forderte: "Premierminister Vajpayee muss sofort Anstrengungen unternehmen, um so viele Regierungen von Entwicklungsländern wie möglich dazu zu bewegen, eine gemeinsame Erklärung abzugeben, die sich einstimmig gegen jede Einbeziehung von Arbeitsstandards bei zukünftigen WTO-Runden wendet." ("Seattle: A failure without losers", Economic Times, 13.12.1999); und Pradeep Mehta argumentiert gegen minimale Arbeitsrechte, weil "Bedürfnisse, Standards und Werte zwischen verschiedenen Gesellschaften immens differieren und jede Art von Homogenisierung in einer heterogenen Welt völlig falsch ist." ("What Next: After Seattle?" CUTS-CITEE Communique, Januar 2000

13) Man fragt sich, warum so viele Freiheitskämpfer Jahre in britischen Gefängnissen verbrachten, nur um damit der indischen Bevölkerung westliche Moral aufzunötigen!

14) Bericht über die Verfahren der New Delhi-Konsultation.

15) Diskussion über Sozialklauseln, Gewerkschaftsbüro der Blue Star Arbeiter, Bombay, April 1995

16) Versammlung des "Trade Union Solidarity Committee" am Maifeiertag 1995 in Bombay

17) Bericht über die Verfahren der New Delhi-Konsultation.

18) Dunkel meinte, dass die Sozialklauseln durch die Hintertür auf einen Protektionsimus hinauslaufen bzw. diesen nur kaschieren (siehe Martin Ferguson: "International Trade and Workers’ Rights", International Union Rights, Vol. I, Issue 7, 1994, S.4), und der Weltentwicklungsbericht (World Development Report) der Weltbank von 1995 stimmte damit darin überein, dass es das Beste sei, "multilaterale Handelsvereinbarungen auf direkt handelsbezogene Themen zu beschränken, um protektionistische Interessen von der Zweckentfremdung solcher Verbindungen abzuhalten". Auch wenn Vandana Shiva deshalb verkündet, dass "Sozialklauseln aus Gewerkschaften des Nordens und ihren Unternehmen Bettgefährten macht, um gemeinsam soziale Bewegungen des Südens zu kontrollieren und zu unterminieren" ("North paying lip-service to social issues," The Observer of Business and Politics, 19.9.1995), scheint eine korrektere Beobachtung die zu sein, dass Opposition gegen die Sozialklauseln aus indischen Zentralgewerkschaften und ihren Unternehmen, dem indischen Staat, NGOs wie CUTS, Dunkel, der Weltbank und Vandana Shiva Bettgefährten macht.

19) Anuradha Chenoy: "The Social Clause in the International Trading System: Responses from India," auf der New Delhi-Konsultation präsentiertes Papier

20) z.B. N.Vasudevan von der Gewerkschaft der Blue Star-Arbeiter und der Föderation der Blue Star-Beschäftigten

21) z.B. Grote, s.o.

22) Siehe Walden Bello: "Melzer Report on Bretton Woods Twins Builds Case for Abolition but Hesitates," in: Focus on Trade, Nr. 48

23) Die Regierung zog sich in dieser Gelegenheit zurück, aber sie reagierte im Dezember 1999 mit einem Gesetz zur verbindlichen Anerkennung von Gewerkschaften und kollektiven Verhandlungen – sicherlich eine Lektion für Indien!


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