letzte Änderung am 18. Dez. 2002

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Bumerang-Geschäfte

Ver.di-KollegInnen wehren sich gegen Privatisierung der Messe Berlin

Die schlechte wirtschaftliche Lage Berlins bildet die beste Voraussetzung für eine Verschleuderung öffentlichen Eigentums, wie wir sie bereits bei der Bewag, den Berliner Wasserbetrieben und der Berliner Bankgesellschaft erfahren haben. Sie bereitet den Boden für private Investoren, die nun den Zeitpunkt gekommen sehen, sich auf Kosten der Steuerzahler die »Rosinen aus dem Kuchen zu pikken«. Sie bildet auch die Grundlage für eine Geschäftspolitik, die darauf abzielt, diesen privaten Investoren in die Hände zu spielen. Eine solche Geschäftspolitik wird von Geschäftsführern betrieben, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und für ihre Zwecke zu nutzen wissen. Doch selten wird dies in einer solchen Offenheit und Deutlichkeit betrieben wie im Falle der geplanten Privatisierung der Messe Berlin GmbH.

Hauptgesellschafter der Messe Berlin GmbH, bei der zur Zeit 360 MitarbeiterInnen beschäftigt sind, ist mit 99,7 Prozent das Land Berlin. Die Messe Berlin verfügt über 160000 qm Hallenfläche und ist damit die fünftgrößte Messegesellschaft Deutschlands. Der Standort Berlin bietet internationales Niveau, vergleichbar mit London oder Paris. Er schafft damit eigentlich die besten Voraussetzungen für eine Stärkung der Infrastruktur durch internationale Messeveranstaltungen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Veranstaltungsstruktur der Messe Berlin weist einen hohen Anteil an kleinen, regionalen Eigen- und Gastveranstaltungen mit geringer Wertschöpfung auf. Die wenigen internationalen Traditionsmessen wie die »Grüne Woche«, die »Internationale Tourismusbörse« oder die »Internationale Funkausstellung« müssten daher dringend durch neue, internationale Veranstaltungen ergänzt werden. Auch im Bereich der Umsatzentwicklung steht die Messe Berlin im Vergleich mit Wettbewerbern ähnlich großer deutscher Messeplätze zurück, z.B. gegenüber München um ca. 50 Prozent und gegenüber Nürnberg um ca. 60 Prozent. Dies spiegelt sich auch in der Auslastung der Hallenflächen wieder: Während die Messe Berlin ihre Flächen nur durchschnittlich 6,4 mal pro Jahr belegt, kommen die Messen Nürnberg und München auf 13 mal pro Jahr.

Nach dem Motto »Gewinne privatisieren – Verluste sozialisieren« legte die Geschäftsführung der Messe Berlin GmbH ein Konzept zur Privatisierung vor, das so genannte »Zwei-Säulen-Modell«.. Danach soll der aufwandsintensive Messeplatz mit seinen Grundstücken und Gebäuden – wie dem ICC, dem Funkturm und der Deutschlandhalle – beim Land Berlin verbleiben, das gewinnträchtige Veranstaltungsgeschäft jedoch privatisiert werden. Als Lösung zur Deckung der beim Land verbleibenden Kosten bietet die Geschäftsführung die fragwürdige Idee eines Spielcasinos im ICC an – die Quintessenz dreijähriger Tätigkeit der Geschäftsführung, die von einer Vernachlässigung des Veranstaltungsgeschäftes zu Gunsten hochtrabender, nicht realisierbarer Visionen geprägt war? Einer Geschäftsführung, der für die Durchsetzung ihrer Ideen – wie z.B. der »virtuellen Messe«[1] – kein Preis zu hoch ist, nicht einmal die Ablehnung seitens der Verbände und ein damit verbundener Ausstellerrückgang. Im Gegenteil: Sie treibt ihre Visionen selbst dann noch weiter, wenn sie bereits auf Ablehnung stößt, indem sie zusätzlich zur virtuellen Messe auch noch auf »streaming media«[2] setzt. Der »Erfolg« eines solchen Konzepts lässt sich an der im Vergleich zu ähnlich großen Messeplätzen unterdurchschnittlichen Auslastung der Ausstellungsflächen messen. Oder war dies der letzte große Coup einer Geschäftsführung, die bereits mit der Ausgliederung des gesamten Technikbereiches (fast 100 KollegInnen) in eine Tochter GmbH mit einem privaten Gesellschafter bewiesen hat, wie gut sie es versteht, Nebengesellschaften zur geräuschlosen Vergabe lukrativer Aufträge zu gründen, wie schon Teile der SPD in einem Diskussionspapier beklagten, während die KollegInnen aus dem Flächentarifvertrag des BAT fallen?

Dubiose Managementkonzepte

Die Geschäftsführung drängt den zögernden Senat zu einer Entscheidung. Schließlich gilt es, eine drohende Insolvenz abzuwenden. Eine Insolvenz, für die sie selbst verantwortlich wäre und die sich im Übrigen aus dem Wirtschaftsprüfungsbericht 2001 noch nicht ergibt. »Die Privatisierung ist ja auch nicht mein Privatanliegen, sondern wird auch von Wirtschaftsberatern wie Roland Berger empfohlen«, äußerte sich der Geschäftsführer am 9. September 2002 in der Berliner Zeitung. Auch Roland Berger hält das Messegelände aufgrund der hohen Kostenintensität für nicht privatisierbar. »Anders verhält es sich mit dem Veranstaltungsgeschäft, das normalerweise hochprofitabel ist. Die Messegesellschaften sitzen hier auf einem Schatz, den es zu Gunsten der öffentlichen Kassen zu heben gilt«, erklärte er am 29. August 2002 gegenüber der Berliner Morgenpost. Zu Gunsten der öffentlichen Kassen? Oder zu Lasten der Steuerzahler, zu Lasten der Infrastruktur Berlins, zu Lasten der Arbeitsplätze und zu Gunsten eines privaten Investors? Dass die Auslagerung des Veranstaltungsgeschäfts eher auf Letzteres hinausläuft, wie die Gewerkschaft ver.di in einem Positionspapier aufzeigt, in dem sie den Erhalt der Messe als Einheit von Veranstaltungsgeschäft und öffentlichem Messeplatz fordert. In der Argumentation der Geschäftsführung dagegen bleibt die infrastrukturelle Bedeutung des Messeplatzes für Berlin, seinen Haushalt und seine Arbeitsplätze vollkommen unberücksichtigt. Ein Umstand, der schon jetzt deutlich macht, dass die Ziele, die das Land Berlin mit seinem Messegeschäft als Wirtschaftsförderungsinstrument verfolgt und im Interesse der Bevölkerung auch verpflichtet ist zu verfolgen, mit einem privaten Investor, der nur an schnellen betriebswirtschaftlichen Gewinnen interessiert ist, nicht mehr realisiert werden können.

ver.di-Analyse gegen das Privatisierungskonzept

In der umfangreichen Analyse der Gewerkschaft ver.di, Fachbereich 13 (»Besondere Dienstleistungen«), Bezirk Berlin, werden die negativen Hebelwirkungen, die eine Privatisierung des Veranstaltungsgeschäftes der Messe Berlin zur Folge hätte, deutlich dargestellt.

Dem privaten Unternehmer ist nicht an regionalen Gewinnen und kumulierten Steuereffekten gelegen, von denen das Land Berlin durch die Durchführung einer großen und internationalen Messeveranstaltung profitiert. Ihm ist der Ertrag egal, den eine solche Messe als Wirtschaftsförderungsinstrument dem Land Berlin einbringt und der sich aus Hotelübernachtungen, gastronomischer Verpflegung, Aufträgen für das Handwerk, Einzelhandelsumsätzen, Besuchern der Kulturbetriebe, Umsätzen der Verkehrsbetriebe oder Unternehmen der Kommunikationsgewerbe zusammensetzt. Es geht hier um insgesamt ca. 13400 Arbeitsplätze und ein Steueraufkommen von 76 Mio. Euro, das durch die Privatisierung aufs Spiel gesetzt wird. Der Senat würde jeglichen Einfluss darauf verlieren würde. Und dies ist, bedingt durch die bereits fortgeschrittene Vernachlässigung des Veranstaltungsgeschäftes und die Konzentration auf kleine, regionale Messen, noch we-nig im Vergleich zu München mit 20400 Arbeitsplätzen und einem Steueraufkommen von 115 Mio. Euro.

Würde die Messe Berlin GmbH durch ein international ausgerichtetes Veranstaltungsangebot auf eine ähnliche Unternehmensleistung kommen wie die Messe München, wäre der Senat um weitere 39 Mio. Euro Steuereinnahmen entlastet, und es könnten 7000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden.

Dem privaten Investor dagegen ist es egal, welche Arbeitsplätze er in diesen Bereichen durch eine, diesen Zielen des Landes Berlin entgegengesetzte, allein auf betriebswirtschaftliche Gewinnmaximierung angelegte Veranstaltungspolitik gefährden würde. Er wird kein Interesse an der Entwicklung großer, internationaler Messen haben, da der Kostenaufwand zu hoch und der Kapitalrückfluss zu langsam ist. Er wird sich eher auf kleine, regionale Veranstaltungen konzentrieren, die eine schnelle Rendite erzielen, und dabei die Geländepacht möglichst gering halten wollen.

Die Errichtung eines privaten Veranstaltungsmonopols auf senatseigenem Gelände birgt unkalkulierbare Risiken für das Land Berlin: Sie macht das Land Berlin erpressbar. Denn wer kann garantieren, dass für das Land Berlin so wichtige Veranstaltungen wie die Grüne Woche, die ITB oder die IFA nicht auch mal den Standort wechseln können, etwa wenn die Pacht nicht stimmt oder finanzielle Mittel für den Neubau von Hallen nicht fließen? Das Land müsste dann einspringen, um die Messen in Berlin zu halten, und könnte sich so gezwungen sehen, dem Privatbetreiber steuerlich entgegen zu kommen. Am Ende stünde nicht nur die Privatisierung des Veranstaltungsgeschäftes, sondern auch der Verlust des eigenen Steueraufkommens. Öffentliche Gelder würden damit in die Taschen von Privatinvestoren fließen.

Doch selbst diese sollen offenbar nicht in Berlin bleiben. Denn bei dem neuen Konzept geht es keinesfalls darum, weitere Messen für den Standort Berlin zu akquirieren, geplant sind vielmehr Firmenübernahmen in anderen Messestädten, so die Aussage der Geschäftsführung. Eine Information, die auch eine andere Aussage der Geschäftsführung in einem völlig anderen Licht erscheinen lässt: »Die Messe wird in einem Jahr 150 Mitarbeiter mehr haben, wenn wir unsere neuen Projekte realisieren können. Dazu brauchen wir neues Kapital.« (Berliner Zeitung 9. September 2002). Bedeuten »150 Mitarbeiter mehr« also doch nicht 150 neu geschaffene Arbeitsplätze in Berlin, sondern erhöhte Konkurrenz um Arbeitsplätze mit anderen Standorten? Oder handelt es sich dabei einfach um das bei der Übernahme einer anderen Messegesellschaft notgedrun-gen »mitgekaufte« Personal an einem anderen Standort?

Widerstand bei der Belegschaft

Die KollegInnen der Messe Berlin GmbH haben kein Vertrauen mehr in ihre Geschäftsführung. Sie glauben nicht, dass es gelingt, das Unternehmen mit diesem erneuten Lösungsansatz, der Privatisierung durch das Zwei-Säulen-Modell, erfolgreicher werden zu lassen. Zahlreiche Visionen der Geschäftsführung, wie die vir-tuelle Messe, die Kooperation mit Reed[3], die Ausgliederung des Technikbereiches und der EDV oder der Bau des Südeinganges wurden bisher mit Genehmigung des Aufsichtsrates verwirklicht und führten zu weiteren Verlusten. Die Belegschaft fordert dagegen eine öffentliche Messe als Einheit von Messeplatz und Veranstaltungsgeschäft und eine Geschäftsführung, die sich auf das Kerngeschäft der Messe Berlin, die Veranstaltung von Messen und Kongressen, konzentriert und sich dabei an den Zielvorgaben des Senates orientiert.

Die Analyse des ver.di-Fachbereichs 13, die auch den politisch Verantwortlichen in Berlin vorgelegt wurde, wie auch der Widerstand der gesamten Belegschaft gegen die Privatisierung blieben nicht ohne Wirkung. Die Berliner ver.di-Bezirkskonferenz solidarisierte sich mit den Forderungen der Belegschaft und fordert den umgehenden Stop der Privatisierungsvorhaben. Die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD (AFA) beschloss auf ihrer Landeskonferenz den Erhalt der Messe als öffentliche Messe. Zumindest wurde beim Senat ein Aufschub erwirkt, der sich darin äußerte, die Entscheidung über die Privatisierung, die im November auf der Aufsichtsratssitzung getroffen werden sollte, zu verschieben. Aufgrund des sichtbar gewordenen Widerstandes wird auf Veranlassung des Senates ein Gutachten einer Beratungsgesellschaft eingeholt, um das Privatisierungskonzept aus Sicht des Landes Berlin zu prüfen. Ob dies ein Stein auf dem Weg ist, die drohende Privatisierung des Messegeschäftes zu stoppen oder ob die Messe doch privatisiert wird, wie skeptische Stimmen sagen, ist offen. Die Forderung nach umgehendem Stop der Privatisierung und gegen die Zerschlagung der Messe muss weiter gemeinsam vertreten werden, um den Beschluss des SPD/PDS-Senats zur Messeprivatisierung aufzuheben. Der Widerstand von unten muss und kann andere politische Entscheidungen erzwingen.

 

ver.di-KollegInnen aus der Messe Berlin

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11-12/02

Anmerkungen:

1) Die Aussteller werden bereits bei der Standbuchung gegen einen – im Vergleich zur Gegenleistung und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die meisten ausstellenden Firmen bereits über eigene Web-Seiten verfügen – unverhältnismäßig hohen Aufpreis zur Teilnahme am virtuellen Messeplatz verpflichtet und können dort ihre Produkte im Internet »ausstellen«.

2) Die Übertragung von Live-Bildern und Video-Sequenzen der Ausstellungsstände wird in den virtuellen Messeplatz eingebunden

3) Die Messe Berlin Reed GmbH, die als Tochterunternehmen aus dem Joint Venture zwischen der Messe Berlin GmbH und der Reed Exhibition Companies hervorgegangen ist, brachte bisher nur Verluste.

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