letzte Änderung am 19. Febr. 2003

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Soziale Aneignung ist möglich!

Sascha Kimpel über die Suche nach Alternativen zur Privatisierung auf dem Europäischen Sozialforum

Post, Telekommunikation, Strom, Wasser, Nahverkehr... Kaum ein Bereich der »öffentlichen Daseinsvorsorge«, der noch nicht in Folge der zu den Konstitutionsgrundlagen der EU zählenden Liberalisierung, der Verankerung des Wettbewerbs- und Ausschreibungsprinzips in europäischen Richtlinien bzw. Verordnungen oder deren Antizipation und Anwendung in der Politik der öffentlichen Haushalte privatisiert oder in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Anbietern gesetzt worden wäre. Doch gerade in den Sozialsystemen, in Bereichen wie Bildung oder Gesundheit, gibt es noch eklatante Differenzen zwischen den Mitgliedsländern und einen entsprechenden »Homogenisierungsbedarf«. Spätestens, wenn am 31. März die WTO-Mitglieder die sog. »Länderlisten« zur Konkretisierung des Abkommens über den internationalen, grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr (GATS) präsentieren, in denen detailliert aufgeführt werden muss, in welchen der zwölf Sektoren des Dienstleistungshandels sie wie liberalisieren wollen, werden wir wissen, was innerhalb der EU in diesen »sensiblen« Bereichen zu erwarten ist. Zwar sieht das GATS durchaus vor, dass in den Länderlisten Ausnahmebereiche benannt werden, doch gilt dies nur für solche »Dienste«, die »weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern« betrieben werden. Genau darauf läuft jedoch die derzeitige Strategie in der deutschen Bildungs-, Gesundheits- und Arbeitsmarkt – bzw. Beschäftigungspolitik hinaus. Auch insofern greift beispielsweise die offizielle ver.di-Strategie zum Umgang mit GATS zu kurz, auf den »Vorrang nationaler Kompetenzen« und »weite Spielräume für die nationale, regionale und kommunale Ausgestaltung der Liberalisierung« zu setzen.[1] Dagegen artikuliert sich allerdings auch innerhalb der Gewerkschaften Kritik. Unter dem Motto »Öffentlich ist wesentlich« führt beispielsweise der ver.di-Bezirk Stuttgart seit einigen Monaten eine regionale Kampagne »gegen Privatisierung, Stellenabbau und für einen hohen Stand der öffentlichen Daseinsvorsorge« durch.[2]

Sascha Kimpel berichtet im folgenden Beitrag über erste Ansätze zu einer europaweiten Bewegung gegen die weitere Kommodifizierung und Privatisierung der »Leistungen von allgemeinem Interesse«, die im Rahmen des europäischen Sozialforums in Florenz entwickelt wurden. Dabei stellt sich mit einer gewissen Konsequenz erneut die alte Frage, was dieses allgemeine Interesse denn sei und wer es bestimmt.

Öffentliches Eigentum gilt heute als »illegitim, gemeinwohlschädlich und ineffektiv« (Zeuner 1999). Die expansive, auf die Durchkapitalisierung weiter Gesellschaftsbereiche angelegte Tendenz neoliberaler Vergesellschaftung, die sich speziell in den Privatisierungspolitiken äußert, wird heute mittels EU- und WTO-Auflagen – teils mit, teils ohne Unterstützung durch diese – in den Nationalstaaten durchgesetzt und beinhaltet die Kommodifizierung dreier wesentlicher Produktions- und Reproduktionsbedingungen des kapitalistischen Akkumulationsprozesses: der allgemeinen (staatliche Infrastruktur, öffentliche Dienstleistungen), der persönlichen (soziale Reproduktion) und der externen (natürliche Umwelt). Diese Bedingungen werden sukzessive liberalisiert und privatisiert, und damit den Verwertungsinteressen des privaten Kapitals unterworfen. Mehr denn je zuvor nimmt der kapitalistische Akkumulationsprozess heute die Form einer globalen Enteignungsökonomie an. Die europäische Sozialdemokratie und in weiten Teilen auch die Gewerkschaftsbewegung sind auf die Prämissen der Privatisierungspolitik längst eingestiegen.

Es sind deshalb heute vielfach neue Akteure – innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung, aber auch im Rahmen neuer gewerkschaftlicher Ansätze –, welche diese Entwicklung hinterfragen. Das Motto »Die Welt ist keine Ware« bietet sich hier förmlich an, über neue gesellschaftliche Verhältnisse nachzudenken. Auf Initiative von Attac hatten daher verschiedenste Gruppierungen sowie gewerkschaftlich Aktive aus Frankreich, England, Italien und linke Intellektuelle auf dem Europäischen Sozialforum in Florenz ein dreitägiges Seminar zu den Folgen der Privatisierung des Öffentlichen Dienstes und der sozialen Daseinsvorsorge angeboten. Über 20 Personen sprachen vor rund 1000 TeilnehmerInnen kenntnisreich über die negativen Folgen der Privatisierungspolitik.

Eric Decarro von der Schweizer Gewerkschaft der Öffentlichen Dienstleistungen zeigte auf, wie aufgrund der Privatisierung der Schweizer Post Rechte der Arbeiter weiter ausgehöhlt und die Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen vorangetrieben wurden, Arbeitsplätze wurden massiv abgebaut, der Service für die Bürger habe sich verschlechtert. Auf EU-Ebene wurde die Postprivatisierung gerade mit Nachdruck vorangetrieben, wie überhaupt die EU-Kommission in den letzten Jahren die Privatisierungspolitik der Öffentlichen Dienste forciere. Alternativen müssten deshalb auch auf der EU-Ebene ansetzen, da der europäische Wirtschaftsraum bereits stark integriert sei. Für einzelne Bereiche, wie z.B. den Transportsektor, seien nationale Lösungen gar nicht mehr möglich.

Bernd Gehrke aus Berlin forderte in seiner Rede über die Folgen der Treuhandprivatisierungen in Ostdeutschland, Alternativen auf der Ebene von Regionen zu diskutieren, da diese sich in Europa zunehmend unterschiedlich entwickeln würden. Es müssten neue Formen von demokratischer wirtschaftlicher Planung entwickelt werden, die den Forderungen der europäischen Leitlinien nach mehr Konkurrenz zwischen den Regionen entgegen wirken müssten. Daraus ließe sich vielleicht auch ein Bündnis der sozialen Kräfte von Sizilien bis Ostdeutschland schmieden.

Birger Scholz sprach am Beispiel Berlins über einen in der Privatisierungsdebatte wenig beachteten Bereich: die Folgen der möglichen Sparkassenprivatisierung und ihre negativen Konsequenzen für die regionale ökonomische Entwicklung; er verwies auch darauf, dass bestimmte Gruppierungen der Bevölkerung durch die Privatisierung der Sparkassen ihres Rechts auf ein Bankkonto beraubt würden.

Yves Salesse, ehemals im französischen Verkehrsministerium tätig, verwies darauf, dass die Privatisierungspolitik eine alte Forderung der Arbeiterbewegung wieder auf die Tagesordnung stelle: die nach der Kontrolle des Eigentums. Dieses Eigentum sei der Kern der Macht unserer Gegner. Die sozialen Rechte zu verteidigen, heiße deshalb auch, den Zugriff der Unternehmer und des Staates auf dieses Eigentum zu verhindern. Nur eine breite soziale Offensive könne, so Salesse, gemeinsam mit Kämpfen, die auf lokaler Ebene konkret die Privatisierungspolitik zu verhindern versuchen, die Privatisierungspolitik stoppen.

In der Diskussion wurde hervorgehoben, dass die Verteidigung des Staatseigentums im alten Stil dabei keine Alternative mehr biete, weil auch in diesen Bereichen die Rechte und der demokratische Einfluss der ArbeiterInnen systematisch zurückgedrängt worden seien. Der neue Ansatz, der in der globalisierungskritischen Bewegung und innerhalb der Gewerkschaften stark gemacht werden müsse, verbinde den Anspruch nach demokratischer und sozialer Kontrolle und nach Bürgernähe mit einer antikapitalistischen Intention: der Infragestellung des Profitprinzips im Bereich der Daseinsvorsorge. Leitlinie müsse die Befriedigung der sozialen Bedürfnisse und des freien Zugangs für alle Bevölkerungsgruppen zu den notwendigen Dienstleistungen sein.

Nach dem dreitägigen Kraftakt wurde auf einem weiteren Treffen – noch in Florenz – über die Vernetzung lokaler Kämpfe gegen Privatisierung diskutiert, und es wurden praktische Ideen für den Aufbau eines Netzwerkes gegen Privatisierungspolitik gesammelt. Bis Mitte 2003 soll auf Vorschlag von Attac-Italien ein alternatives Weißbuch über lokale Kämpfe gegen Privatisierung zusammengestellt werden, das sich als Gegenentwurf zum in Kürze erscheinenden Grünbuch der EU-Kommission versteht. Die Diskussion über Alternativen wird in den kommenden Monaten organisiert weitergeführt, so erstmals am 23. März in Brüssel. In Deutschland gilt es nun, die Inhalte des Seminars in die Diskussionen einzubringen und Initiativen gegen lokale Privatisierungsprojekte (wie das Cross-Border Leasing[3]) zu organisieren.

Fazit

Die Verweigerung der »Vermarktwirtschaftlichung« der Lebenswelt konfrontiert uns unweigerlich mit der Notwendigkeit, gesellschaftliche Bedürfnisse in einforderbare Rechte zu verwandeln: auf Arbeit, auf Wohnraum, auf Gesundheit, auf Bildung usw. Das Ziel öffentlicher Dienstleistungsproduktion kann nicht darin bestehen, möglichst hohe Profite zu erzielen, sondern allen Bürgerinnen und Bürgern den gleichen Zugang zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu ermöglichen. Dies impliziert einen Rentabilitäts- und Produktivitätsbegriff, der sich, in radikaler Umkehr der privatkapitalistischen Verwertungslogik, nicht am Tauschwert der Dienstleistungen orientiert, sondern an deren Gebrauchswert. Oder in anderen Worten: Der Wert des Öffentlichen Dienstes liegt in seinem gesellschaftlichen Inhalt, in der Nützlichkeit des Einsatzes öffentlicher Arbeitskraft für die Gesellschaft. Ob die verfügbare Arbeitskraft für die Erbringung gerade dieser Leistung oder einer anderen eingesetzt werden soll, lässt sich nur über politische Willensbildungsprozesse bestimmen. Jede Diskussion über Alternativen zur Privatisierungspolitik ist also auch eine Diskussion darüber, wer in einer Gesellschaft Bedürfnisse definiert, gegeneinander abwägt und deren Befriedigung plant. Die Identifikation dieser Bedürfnisse drückt sich dabei in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen aus: in der politischen Debatte, in der ständigen Konfrontation und Vermittlung von Einzelinteressen, sowohl der Lohnabhängigen als auch der Nutzerinnen und Nutzer, die bislang nur als passive Konsumenten wahrgenommen wurden.

Die Demokratisierung öffentlicher Entscheidungsprozesse als Grundvoraussetzung einer sozialen Aneignung stellt unweigerlich die Frage nach dem Eigentum an Produktions-, Kommunikations- und Tauschmitteln. Diese Frage darf auch in der bundesdeutschen Debatte nicht länger als Tabu behandelt werden, sondern muss offensiv von links aufgegriffen werden.

Weitere Informationen: Der Reader zum Privatisierungsseminar in Florenz ist erhältlich unter: http://mitglied.lycos.de/lionelj/Reader.pdf; unter http://www.privatisierungswahn.de findet sich eine Vielzahl von Arbeitskreisen, Aktivitäten und Materialien zur Privatisierungsthematik, so u.a. Informationen und Kampagnen zum Cross Border Leasing. Informationen zu dem genannten Treffen am 23. März in Brüssel über: khalfa@sudptt.fr

 

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/03

Anmerkungen

1) »Die Welthandelsorganisation und das Dienstleistungsabkommen GATS. Handels- und Dienstleistungsliberalisierung als Herausforderung für Gewerkschaften«, hg. von ver.di Bundesverwaltung, Ressort 1 (Politik und Planung), Potsdamer Platz 10, 10785 Berlin, S. 26ff.

2) Informationen über ver.di-Geschäftsführung Bezirk Stuttgart, Willi-Bleicher-Str. 20, 70174 Stuttgart

3) Dabei handelt es sich um ein relativ junges Instrument der kommunalen Haushaltspolitik, bei dem städtische Anlagen bzw. kommunales Eigentum in die USA verkauft und anschließend zurückgemietet werden. Zweck der Veranstaltung: Der Käufer kann die »Investition« steuermindernd geltend machen und reicht dem vormaligen Eigentümer einen Teil der Ersparnis in Form des sog. »Barwertvorteils« weiter; Anm. d. Red.

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