letzte Änderung am 11. April 2003

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Kommissionitis

oder: Gemeindefinanzreform bringt zu Ende, was Hartz angefangen hat – von Kurt Nikolaus*

Die Hartz-Kommision ist – obwohl an sich bereits passé – in aller Munde.[1]

Weitgehend unbeachtet bleibt jedoch die auf einem Kabinettsbeschluss vom 27. März 2002 beruhende »Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen«. Ihre Aufgabe ist es, »bis Mitte 2003 auf der Basis einer Bestandsaufnahme konkrete Lösungsvorschläge zu den drängenden Problemen des kommunalen Finanzsystems zu erarbeiten und zu bewerten«. Dass dies angesichts der Finanznot und des drohenden Kollapses zahlreicher Städte und Gemeinden schon lange notwendig gewesen wäre, steht außer Frage – nicht zuletzt hatte die Gewerkschaft ver.di mit Schreiben vom 17. Oktober 2001 die Einrichtung einer solchen Kommission angemahnt.

Nun ist die Finanznot der Kommunen allerdings nicht zuletzt der jahrzehntelangen Kommunalisierung des strukturellen Problems der Massenarbeitslosigkeit geschuldet. Somit soll es bei den zentralen Themen der Kommissionsarbeit nicht nur um die Zukunft der Gewerbesteuer gehen, sondern auch um »die finanziellen Folgen einer effizienteren Gestaltung der unterschiedlichen sozialen Transfersysteme Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für die Gebietskörperschaften«. In diesem Rahmen werden also die entscheidenden Weichen für die Zukunft der Arbeitslosenunterstützung[2] gestellt.

Das löbliche Unterfangen, die Kommunen finanziell so nachhaltig zu stabilisieren, dass sie ihren unverzichtbaren Aufgaben (Stichworte: Infrastruktur, Daseinsvorsorge, sozialer Zusammenhalt) auch wirklich nachkommen können, wird allerdings von vornherein nicht so angegangen, dass ausgehend von einer Aufgaben-kritik der Finanzierungsbedarf ermittelt und Finanzierungsquellen erschlossen würden. Stattdessen wird das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt:

Die »Vermeidung von Aufkommens- bzw. Lastenverschiebungen zwischen dem Bund auf der einen und Ländern und Kommunen auf der anderen Seite« ist seitens der Bundesregierung ausdrücklich als Rahmenbedingung für die Arbeit der Kommission gesetzt. Freilich ist klar, dass diese sich daran kaum halten wird. Sie kann es gar nicht, selbst wenn sie es wollte – dafür sind die Interessen einfach zu unterschiedlich und gegenläufig.[3]

Wie auch immer, die Gemeindefinanzreformkommission hat sich am 23. Mai 2002 konstituiert und Unterarbeitsgruppen eingerichtet, auf deren Zuarbeit sie nun wartet. Die Struktur sieht also insgesamt so aus:

Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen

Vorsitz: BMF & BMA (jetzt BMWiArb)

Arbeitsgruppe Kommunalsteuern Arbeitsgruppe Arbeitslosen-/Sozialhilfe
Vorsitz: BMF

Vorsitz BMA (BMWiArb)

AK Quantifizierung

AK Quantifizierung

Auf die Arbeitsgruppe Kommunalsteuern, die sich bisher hauptsächlich (wenn auch nicht ausschließlich) mit zahlreichen Modellen zur Reform der Gewerbesteuer beschäftigt hat, will ich hier nicht näher eingehen. Wichtiger ist mir die Arbeitsgruppe Arbeitslosenhilfe/Sozialhilfe, genauer gesagt: die Bedeutung des ominösen Schrägstrichs in dieser Bezeichnung, sowie deren Arbeitskreis »Quantifizierung«.

Die Zusammensetzung dieser AG (insgesamt 33 Personen unter Leitung von Staatssekretär Rudolf Anzinger) ist stark von der Ministerialbürokratie geprägt: 11 StaatssekretärInnen und 12 MinisterialrätInnen dominieren das Gremium mit Zweidrittel-Mehrheit; vertreten sind das ehemalige BMA, jetzt BMWi mit sechs bis sieben Personen, das BMF mit zwei und das BMI mit einer Person; dazu kommen zwei Innen-, zwei Finanz- und sechs Arbeits- bzw. Sozialminister der Länder. Seitens der Kommunen sind der DST, der DStGB und der DLT mit jeweils zwei Plätzen vertreten, die BA mit drei – einer davon Florian Gerster. Ganz am Ende der Rangskala rangieren die Tarifpartner mit jeweils einem Platz für BDA und ZDH, für DGB (Ursula Engelen-Kefer) und ver.di (Christian Zahn). Andere Einzelgewerkschaften sind nicht vertreten.[4]

Inhaltlich geht es um die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe – und zwar nicht etwa um das Ob, sondern nur noch um das Wie. Die bisherigen Anlaufschwierigkeiten in der AG AlHi/SozHi hängen damit zusammen, dass die von der CDU/CSU regierten Länder (die sog. B-Länder, die ja die Mehrheit im Bundesrat haben) sich gar nicht erst auf die von der »Hartz-Kommission« vorgeschlagene Lösung unter der euphemistischen Bezeichnung »ALG II« einlassen wollten. Zur Debatte stand anfangs eine Reihe von Reformmodellen und -vorschlägen, die freilich unter dem Diktat leerer Kassen alle mehr oder weniger auf das Gleiche hinausliefen:

1. Schaffung eines einheitlichen Systems
1.1 Abschaffung der Arbeitslosenhilfe oder
1.2 Neues Leistungsgesetz
1.2.1 in Trägerschaft der Landkreise und kreisfreien Städte
1.2.2 in Verantwortung des Bundes (à la Hartz)
1.3 in Trägerschaft eines Dritten (sprich: privatisiert)
2. Optimierung des bestehenden Systems
2.1 Verbesserung der Integrationshilfen
2.2 Verbesserung der Transferleistung HLU (= lfd. Hilfe zum Lebensunterhalt)
2.3 Zeitliche Begrenzung der Transferleistung Arbeitslosenhilfe

Davon sind mittlerweile nur noch zwei Optionen übrig geblieben: Erstens die Anlehnung[5] an das »Hartz-Konzept« – sei es in Trägerschaft der Landkreise und kreisfreien Städte, sei es in Trägerschaft des Bundes –, zweitens die Angleichung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe als Vorstufe für eine einheitliche Leistung auf Vorschlag der B-Länder Bayern und Hessen.

Vom Tisch sind damit die Vorschläge der Arbeitgeber zur Abschaffung (1.1) und von Gerster zur zeitlichen Befristung (2.3) der Arbeitslosenhilfe, aber auch die Aufstockung der Sozialhilfe in der Form von HLU (2.2). Die Verbesserung der Integrationshilfen (2.1) ist im Prinzip unstrittig – schön wäre es, wenn darin so viel Geld und Gehirnschmalz investiert würde wie in die Einsparungen –, und damit ist klar, dass ein neues Leistungsgesetz so oder so kommen wird.

Die sozialpolitisch entscheidende Frage, wer wie viel wie lange und unter welchen Bedingungen bekommt, wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem Unter-Unter-AK quantifiziert – dazu ist mir leider nichts Näheres bekannt. Spannend genug ist jedoch auch die Frage, ob das Hartzsche Arbeitslosengeld II original (1.2.2) oder modifiziert (1.2.1) oder so gut wie gar nicht (1.3) umgesetzt wird:

Im letzteren Fall würde wohl das ›brutalstmögliche‹, von Roland Koch propagierte »Gesetz zum optimalen Fördern und Fordern in Vermittlungsagenturen«, das so genannte »Offensiv-Gesetz«[6] zum Tragen kommen. Dies liefe auf Zwangsarbeit für alle (BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe) hinaus, auch unter Inkaufnahme weiterer Abhängigkeit von Kombi-Lohn unterhalb der Transferleistung, wobei es in der Hand privater Vermittlungsagenturen läge, die Transferleistungen noch stärker zu kürzen als bisher (im Prinzip bis auf Null); die Senkung der Regelsätze wäre dann wohl nur noch eine Frage der Zeit – also workfare in Reinkultur.

Vergleichsweise human (sprich: etwas weniger inhuman, falls Humanität denn teilbar ist) erscheint da noch das Arbeitslosengeld II nach dem »Hartz-Konzept«, egal, in welcher Form es nun aufgegriffen wird. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Frage, a) wer die Leistungen auszahlt und b) wer sie bezahlt. Hierüber streiten sich die Geister leider mehr als über die Frage des menschenwürdigen Existenzminimums.

Auf Initiative der Gewerkschaften und mit Unterstützung der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände ist es wenigstens gelungen, zu den ursprünglichen Reformzielen – schnelle und passgenaue Vermittlung in Arbeit, keine einseitige Verschiebung von Lasten (s.o.), effiziente und bürgerfreundliche Verwaltung sowie breite Zustimmungsfähigkeit – die umfassende Absicherung bei Arbeitslosigkeit sowie die Armutsfestigkeit im aktiven Erwerbsleben und im Alter hinzuzufügen; wie umfassend, muss sich jedoch erst noch zeigen.

Nach den Vorstellungen der »Hartz-Kommission« sollten die Job-Center in Verantwortung der erneuerten BA die Auszahlung der Gelder vornehmen, die aus Steuermitteln stammen. Dies wäre eine Anknüpfung an die bisherige Praxis bei der Arbeitslosenhilfe und würde dem Charakter einer integrationsfördernden Lohnersatzleistung eher entsprechen als die von einigen Vertretern der Kommunen gewünschte Variante, das Geld in eigener Regie zu verteilen. Die Zersplitterung der jetzigen Bewilligungsmodalitäten bei der Sozialhilfe trägt ja nicht gerade zur Rechtsstaatlichkeit, sondern eher zur Behördenwillkür bei.

Quadratur des Kreises

Die Gemengelage stellt sich somit folgendermaßen dar: Laut »Hartz« sollen ›erwerbsfähige‹ (was immer das heißt) SozialhilfeempfängerInnen in den Kreis der ALG-II-Anspruchsberechtigten einbezogen werden – schätzungsweise knapp eine halbe Million Menschen. Die Kommunen wollen und sollen von Sozialhilfekosten entlastet werden, um Mittel für vermehrte kommunale Investitionen frei zu machen (bzw. um überhaupt überleben zu können). Doch gleichzeitig kündigt auch der Bund massive Einsparungen bei der Arbeitslosenhilfe an! Nach Adam Riese ist dieser Interessenkonflikt unauflöslich – kein Wunder, dass bereits jetzt mit einer verschärften Bedürftigkeitsprüfung auch knapp eine halbe Million Menschen (überwiegend Frauen) aus dem Leistungsbezug bei der Arbeitslosenhilfe herauszufallen drohen. Diese Quadratur des Kreises wird dann unter dem Etikett »Synergieeffekte statt Verschiebebahnhöfe« verkauft, was der unfreiwilligen Komik keineswegs entbehrt.

Der unleugbare gewerkschaftliche Erfolg, Menschen, denen nichts fehlt außer einem Arbeitsplatz, von den Sozialämtern ›zurück‹ zum Arbeitsamt zu holen, verkehrt sich so ins Gegenteil. Dies kann, wenn man die vier Grundrechenarten berücksichtigt, auch gar nicht anders sein, solange kein armutsfestes, wenigstens den Bezug von Sozialhilfe vermeidendes Mindestniveau (also eine Grundsicherung) ins System der Arbeitslosenversicherung eingebaut wird – egal ob es nun Arbeitslosenhilfe oder Arbeitslosengeld II heißt. Alles andere ist letztlich eine rein fiskalisch motivierte kollektive Leistungskürzung im individuellen Gewand – denn wie anders sollten die angekündigten Einsparvolumina von 2,5 bis 3,5 Mrd. Euro pro Jahr erreicht werden?

Übrigens, wenn ein neues Leistungsgesetz gleich welcher Spielart bald die Arbeitslosenhilfe als Arbeitslosengeld II neu regeln sollte, so ist das keineswegs unabhängig vom Arbeitslosengeld I zu sehen: Beide Leistungsarten zusammen bilden das Gesamtsystem der Arbeitslosenversicherung, in das nicht ohne weiteres an einem isolierten Punkt eingegriffen werden kann. Sollte sich das Arbeitslosengeld II, wie von der Haushaltslage diktiert, dem Sozialhilfeniveau annähern, so stellt sich durchaus die Problematik der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Kürzung. Bereits seit langem ist bekannt[7], dass in einem solchen Fall diejenigen, die lange und viel eingezahlt haben, nach dem Äquivalenzprinzip einen längeren Anspruch auf Arbeitslosengeld (I) haben müssten, als es die bisherige Rechtslage (maximal 32 Monate) hergibt! Sollte das Bundesverfassungsgericht irgendwann zu dem Schluss kommen, dass auch in der Arbeitslosenversicherung ein Äquivalenzprinzip (wie jetzt in der Rentenversicherung) eingeführt werden müsste, dann wäre entweder die Haushaltskonsolidierung gescheitert oder die BA insolvent – oder beides.

Wie auch immer, auf jeden Fall soll die AG bis Ende März 2003 der Gesamt-Kommission ihren Abschlussbericht vorlegen. Bis Mitte d.J. sollen die Ergebnisse der beiden Unterarbeitsgruppen zusammengebracht werden, so dass das neue Leistungsgesetz zum 1. Januar 2004 in Kraft treten kann. Die Gesamt-Kommission wird also erst (oder besser: schon) im zweiten Quartal d.J. eine endgültige Entscheidung fällen. Deren personelle Zusammensetzung ist allerdings ebenso von BerufspolitikerInnen bzw. Polit-Beamten geprägt wie die der Unterarbeitsgruppen:

Hans Eichel und Wolfgang Clement führen gemeinsam den Vorsitz; darüber hinaus sind BMF, BMWi und BMI mit je einer weiteren Person vertreten. Zwei Innenminister, fünf Finanzminister und zwei Arbeits-/Sozialminister der Länder kommen hinzu, DST, DLT und DStGB mit jeweils zwei Personen, die BA ist nicht vertreten, BDA auch nicht, dafür aber BDI, DIHK und ZDH mit je einem Platz. Von Seiten der Gewerkschaften sind nur Heinz Putzhammer für den DGB und Frank Bsirske für ver.di zugelassen. Das macht insgesamt 25 Kommissionsmitglieder mit jeweils einer/m StellvertreterIn.

Im Gegensatz zur »Hartz-Kommission« sind bei der Gemeindefinanzreformkommission allerdings nicht beliebig ausgewählte ›handverlesene‹ Einzelpersonen Mitglied, sondern Institutionen und Verbände entsenden ihre VertreterInnen. Es gibt kein striktes Konsensprinzip, aber auch kein striktes Mehrheitsprinzip. Dennoch sollen starke Minderheitsmeinungen Berücksichtigung finden. Das bezog sich zunächst auf die Position der B-Länder Bayern und Hessen in der Unterarbeitsgruppe, könnte aber genauso gut für die beiden Gewerkschaftsvertreter gelten. Und es existiert noch ein wichtiger Unterschied zur »Hartz-Kommission«: Da der Wahlkampf vorbei und die PR-Schau gelaufen ist, sind sachlich begründete Minderheitsvoten zu einzelnen Punkten etwas weniger problematisch. Dennoch ist der Zwang zur Einigung natürlich sehr hoch.

Die Frage stellt sich, was Gewerkschaften in solch einer Konstellation bewegen können. Die Frage, was sie überhaupt in einer solchen Kommission wollen, stellt sich jedoch so nicht: Die Gemeindefinanzen auf eine solide Grundlage zu stellen, ist schließlich auch ihr (und unser) ureigenstes Interesse. Von daher können sie sich auch der Unterarbeitsgruppe zur Arbeitslosenhilfe/Sozialhilfe nicht verwehren – die Option eines Ausstiegs oder einer Totalverweigerung, die in Sachen Hartz theoretisch bestanden hätte, gibt es hier de facto nicht; sie wäre politisch absurd.[8] Vom Konzept her haben sowohl der DGB als auch ver.di (Ressort Sozialpolitik) im Rahmen der öffentlichen Anhörung »Weiterentwicklung der Sozialhilfe« im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Dt. Bundestags am 28. Januar 2002 ausgezeichnete Stellungnahmen vorgelegt.[9] Ob sich ihr vernünftiges Konzept in dem oben skizzierten Interessenkonflikt allerdings durchsetzen lässt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Und ob sich darüber hinaus die gewerkschaftliche Basis zu den Themen »Kommunalfinanzen« und »Arbeitslosenunterstützung« mobilisieren ließe, ist ungewiss.

Die Richtung, in die der Zug fährt oder schon längst abgefahren ist, wird sich m.E. nicht mehr prinzipiell ändern lassen. Dennoch bestehen durchaus noch wichtige Gestaltungsmöglichkeiten: Zentrale Details, wie etwa Erhalt des Lohnbezugs oder der Rentenversicherungspflicht beim Arbeitslosengeld II, lassen sich auch mit nur zwei Vertretern in der Kommission durchaus noch in unserem Sinne regeln, gerade weil die Gemengelage so widersprüchlich ist. Zwar sind Einbußen für viele Betroffene zu befürchten, aber gute Argumente und taktisches Verhandlungsgeschick können diese Einbußen mindern oder lindern. Auf diese Chance zu verzichten, wäre wohl ebenso sträflich, wie den relativen Erfolg – wenn er denn eintritt – als großen gewerkschaftlichen Sieg zu verkaufen!

Vor der Frage »Fundamentalopposition oder Detailkritik« (vgl. quer Nr. 5, Oktober 2002, S. 4) werden dann auch die Erwerbsloseninitiativen spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2003 wieder stehen, wenn das neue Leistungsgesetz als dritte Stufe der »Hartz-Reform« das Parlament passieren muss.

 

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 3/03

* Kurt Nikolaus ist Mitglied im Bundeserwerbslosenausschuss von ver.di.

Anmerkungen:

1) Im ersten von drei geplanten Umsetzungsschritten wurden bereits zwei Gesetzentwürfe ins Parlament eingebracht, die einen kompletten Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik einleiten, jedoch leider eben nicht in der Beschäftigungspolitik. Letztere findet, wie gewohnt, schlicht nicht statt. Mit den gesellschaftspolitischen Folgen dieses Paradigmenwechsels, die ja bei weitem nicht auf den Arbeitsmarkt beschränkt sind, befasst sich die Ausgabe von »quer« Dezember 2002 ausführlich. Daher genügt an dieser Stelle der Hinweis, dass die Umsetzung keineswegs 1:1 erfolgte, sondern zum Teil weit über die Vorschläge der Hartz-Kommission hinausgeht, welche mir im Rückblick noch relativ milde erscheinen. Während das so genannte Hartz-Konzept im Original noch den Charakter eines (wenn auch faulen) Kompromisses hatte, lässt die rot-grüne Umsetzung keinerlei Kompromisse mehr erkennen.

2) Ich benutze diesen Begriff, um soziale Transferleistungen an Arbeitslose unabhängig von der Art der Ausgestaltung – insofern neutral – zu bezeichnen; ausgenommen davon ist lediglich das Arbeitslosengeld (ALG I), das ja durch die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Äquivalenzprinzip zumindest soweit geschützt ist, dass es nicht so einfach willkürlich gekürzt werden kann.

3) Die Debatte kreist an dieser Stelle um das so genannte Konnexitätsprinzip, das sich am besten anhand der arbeitsmarktrelevanten Problematik der Kinderbetreuung verdeutlichen lässt: Der Bund verpflichtet die Kommunen, für Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu sorgen, und wo sie das Geld dafür hernehmen, ist dann deren Problem. Kommunen und Länder möchten hier zukünftig das Prinzip geltend machen: »Wer bestellt, bezahlt auch«.

4) Die ursprüngliche Zusammensetzung sah sechs VertreterInnen des BMA und einen des BMWi vor, was sich durch die neue Ressortaufteilung geändert hat. Die Proportionen und Mehrheitsverhältnisse sind jedoch dadurch nicht verschoben. Die Abkürzungen bedeuten: BMA = Bundesministerium für Arbeit [und Soziales], BMWi = Bundesministerium für Wirtschaft [und Arbeit], BMF = Bundesministerium der Finanzen, BMI = Bundesministerium des Innern; DST = Dt. Städtetag, DStGB = Dt. Städte- und Gemeindebund, DLT = Dt. Landkreistag; BA = Bundesanstalt [oder meinetwegen Bundesagentur] für Arbeit; BDA = Bundesvereinigung der Dt. Arbeitgeberverbände; ZDH = Zentralverband des Dt. Handwerks; und vom DGB haben ja wohl alle schon mal was gehört ...

5) Von einer Umsetzung der »Hartz-Vorschläge« kann in diesem Zusammenhang kaum gesprochen werden: Das entsprechende Hartz-Modul sechs lässt zu vieles in der Schwebe. Zur Erinnerung: In der allerersten Entwurfsfassung des Hartz-Berichts war die Befristung des Arbeitslosengeldes auf zwölf Monate mit anschließendem »Eingliederungsgeld« vorgesehen; daraus wurde dann zunächst ein reduziertes Arbeitslosengeld mit zweijähriger Bezugsdauer bei anschließendem »Sozialgeld«, später Arbeitslosengeld wie gehabt (mit Bezugsdauer von sechs bis 32 Monaten), aber Befristung des »Arbeitslosengeld II« auf ein Jahr, und schließlich unbegrenztes Arbeitslosengeld II. Offen bleiben insbesondere die folgenden Knackpunkte:
a) Lohnbezug / Bedarfsprinzip (Lohnersatzleistung?),
b) Höhe der Leistung und Anrechnung von Vermögen / Einkommen / Verwandtenunterhalt (Bedürftigkeitsprüfung),
c) Einbezug in die Rentenversicherung sowie
d) Erwerbsfähigkeit – was ist das überhaupt?
Die Bundesregierung hat schließlich mit ihren »Eckpunkten für eine Ordnung auf dem Arbeitsmarkt« vom 21. August 2002 die Verwirrung vervollständigt, indem sie von einem zweistufigen System – statt, wie Hartz, von drei Leistungsarten – spricht und das Arbeitslosengeld II nun als »Fördergeld« tituliert. Unter der Voraussetzung, dass die rot-grünen Koalitionäre bis auf drei zählen können, dürfte das Fördergeld also dichter am Sozialgeld als an der »guten alten« Arbeitslosenhilfe liegen.

6) Gesetzesantrag des Landes Hessen, BR-Drs. 52/02 v. 23. Januar 2002; man beachte die nahtlose und unproblematische Übernahme des spezialdemokratischen Sprachgebrauchs in den Antrag der CDU!

7) Vgl. Alexander Gagel: »Verfassungsfragen bei der Arbeitslosenhilfe«, Neue Zs. für Sozialrecht, Heft 12/2000, S. 591-596

8) Ebenso lächerlich ist es in meinen Augen, einerseits zu kritisieren, dass die Gewerkschaften aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in solchen Kommissionen zu wenig bewirken können, und andererseits im gleichen Atemzug die Beteiligung von Betroffenen (Erwerbsloseninitiativen usw.) zu verlangen.

9) Auch in der ver.di-Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit im Dt. BT am 12. November 2002 zu den ersten beiden Hartz-Gesetzen »für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« heißt es: »Die vorgeschlagenen Neuregelungen sehen die stufenweise und langfristige Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe durch Absenkung der Anrechnungsvorschriften von Vermögen und Partnereinkommen vor. ver.di lehnt die Abschmelzung der Leistungen der Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der Sozialhilfe ab. Während Arbeitslosenhilfe auf einem durch Beiträge erworbenen Versicherungsschutz beruht, wird Sozialhilfe als Fürsorgeleistung gewährt. Zielrichtung der Neuregelung ist die Einsparung bei den Leistungen der Arbeitslosenhilfeempfänger und der sozialen Sicherungssysteme. Das Ziel der Gesetzesvorschläge, mehr Arbeitslose in Beschäftigung zu bringen, wird damit in keiner Weise erreicht. Es handelt sich vielmehr um reine Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung, die zu Lasten der ohnehin sozial Schwachen gehen und mit dem Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar sind. Ver.di erinnert daran, dass die Arbeitslosenhilfe ohnehin nur die Hälfte des zuvor erzielten Nettoeinkommens absichert.«

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