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Auf Augenhöhe unter der Gürtellinie.

Die Gehaltserhöhungen der Gewerkschaftsspitze quittiert man an der Basis mit harscher Kritik

Von Tom Strohschneider

Arbeitnehmervertreter mit Gehältern von Top-Managern? An der Gewerkschaftsbasis wird die Kritik an der ver.di-Führung immer lauter. Beim Bundesvorstand hingegen kommen keine Bedenken auf.
Der Beschluss des ver.di-Gewerkschaftsrates fiel knapp aus: Mit 56 zu 44 Stimmen nickte das Gremium
Gehaltserhöhungen für die ver.di-Spitze um bis zu 100 Prozent ab. 27 000 Mark monatlich brutto stehen von nun an auf dem Gehaltszettel des Chefs der welt größten Einzelgewerkschaft, Frank Bsirske. Das Ziel dieses Schrittes erklärte die ver.di-Landes-Chefin Berlins, Susanne Stumpenhusen, so: Gewerkschaftsfunktionäre sollten, um "mit Arbeitgebern auf Augenhöhe" verhandeln zu können, auch wie diese verdienen. Außerdem müsse man dafür Sorge tragen, dass "gute Funktionäre" nicht die Seite wechselten.

An der Basis macht man diese "Augenhöhe" allerdings weit unter der Gürtellinie aus. Die Ersetzung des "sozialen Handwerkszeug durch dicke Konten" kritisiert etwa Christian Wiesner-Stippel, Mitglied
im Berlin-Brandenburgischen Landesbezirksvorstand des Fachbereichs 8. Statt kämpferisch auf eine gleichrangige Verhandlungsposition von Betriebsräten und Personalvertretern zu drängen, "versüßten" sich die Hauptamtlichen das "Ritual von Tarifrunden, Sozialpakten und Bündnissen" - bei dem die Arbeitnehmer zusehends die Verlierer sind.

Die erste Tarifrunde nach Gründung und unter der Regie von ver.di hatte für die Lohnabhängigen weitere Reallohnverluste zur Folge, kritisiert denn auch das "Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di" und ruft die Basis zum Protest auf. Statt sich selber zu bedienen, schimpft Angela Münch vom
"Netzwerk" in Richtung ver.di-Führung, solle sich die um die Beschäftigten kümmern. Einen Beschluss der ÖTV-Arbeiterkonferenz vom Sommer 2000, der die Durchsetzung eines Lohnnachschlages
nötigenfalls auch per Kampfmaßnahmen beschloss, hat ver.di indes noch immer nicht aufgegriffen.

3,4 Millionen Mark jährlicher Aufwand

An der Basis wird angesichts der Begründung des Vorstandes auch die Frage gestellt, ob "gewerkschaftliche Kompetenz erst ab 10 000 Mark Monatsgehalt beginnt". Als "völlig inakzeptabel" kritisierte der hauptstädtische Landesbezirk der IG Medien die Gehaltserhöhungen.

Bezahlen wird ver.di die "Augenhöhe" mit einer jährlichen Mehrbelastung von 3,4 Millionen Mark. Der Gesamtbetriebsrat von ver.di etwa lehnte den Schritt des Vorstandes ab, vor allem wegen der laufenden Kürzungen der Personalausgaben. Bei allen DGB-Gewerkschaften zusammengerechnet sind seit 1995 knapp 2500 Stellen gestrichen worden, die Mitarbeiter-Gehälter stiegen zwischen 1997 und 1999 lediglich um 1,3 bzw. 2,2Prozent - bei einem durchschnittlichen Gehalt zwischen 3500 und 6000 Mark. Finanzielle Kürzungen betreffen auch die Schlagkraft der Gewerkschaften vor Ort sowie die Unterstützung betrieblicher Funktionärsträger, kritisierte das "Netzwerk".
Beim Bundesvorstand teilt man solche Bedenken nicht. Ver.di-Sprecher Hermann Zoller hat "irgendwelche Verwerfungen" nicht erkennen können. Vier Austritte seien gegenüber dem Hauptvorstand mit den Gehaltserhöhungen begründet worden. Wie das regional aussehe, könne er nicht sagen, erklärte Zoller.

Satzungsmäßigkeit des Vorgehens zu prüfen

Margret Mönig-Raane, die sich als eine der Vize-Vorsitzenden über ein neues Gehalt von 23 600 Mark freuen darf, kann zwar den Unmut an der Basis nachvollziehen. Für berechtigt hält sie ihn dennoch nicht. Vielmehr sei es ein Fortschritt, dass nun überhaupt über Gehälter geredet würde. Die "größere Differenzierung der Gehälter" würde der "größeren Verantwortung", die die Spitzenfunktionäre von ver.di tragen müssten, eher gerecht.

Wiesner-Stippel hält dies für blanken Hohn und den Gehälterskandal für eine "Apparat-Geschichte". Abteilungsleiter sähen sich inzwischen mit einer Gehaltsdifferenz von mehr als 5000 Mark gegenüber dem Kollegen auf gleicher Ebene konfrontiert - stellten aber die übervolle eigene Lohntüte nicht in Frage.
Besonders ärgert sich Wiesner-Stippel darüber, dass die Basis über die Vorgänge nicht informiert wird. Statt erneut einen Rechtfertigungsbrief zu schreiben, müssten die Mitglieder über das Vorgehen in der Berliner Zentrale schnellstens in Kenntnis gesetzt werden: "Die Leute sollen wissen, dass sie mit ihren Beiträgen eine Leistung vorfinanzieren, die noch gar nicht erbracht worden ist." Außerdem müsse die Frage nach der Satzungsmäßigkeit der Gehaltserhöhung aufgeworfen werden: Ausschlussverfahren wegen "gewerkschaftsschädigendem Verhalten" habe es in der Vergangenheit auch aus weniger schwerwiegenden Gründen gegeben, so Wiesner-Stippel.

Erschienen in Neues Deutschland vom 09.10.01


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