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Die Guisepp(l)e der ver.di

Zwischenbilanz eines Erwerbslosen

 

Die Tinte auf den Verschmelzungsverträgen zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di war noch nicht getrocknet, da zeigte sich die neue Gegenmacht zum Kapital von nicht erwartet revolutionärer Seite – Erwerbslose können Mitglied werden !

Was auch heute noch in vielen DGB-Gewerkschaften nur schwer möglich ist, wird in der ver.di-Satzung verankert. Ein begrüßenswerter Vorstoß zur Solidarisierung von Beschäftigten und Arbeitslosen.

Damit nicht genug. Erwerbslose bilden in ver.di eine eigene Personengruppe, sie sind in den Ausschüssen und Konferenzen auf allen Ebenen vertreten und haben die Möglichkeit Ausschüsse zu bilden. Diese neuen Perspektiven für Arbeitlose haben in ver.di vielerorts zu einer enormen Belebung der ehrenamtlichen Arbeit der betroffen KollegInnen geführt.

Vier Monate nach der offiziellen Gründung zeigt der Gewerkschaftsriese nun jedoch sein wahres Gesicht. Mit den viel gepriesen Angeboten für Erwerbslose und der solidarischen Gemeinsamkeit scheint es nicht weit her zu sein.

Propagiert ver.di in einem eigens für Erwerbslose erstellten Flugblatt noch das "große Angebot an kostenlosen Bildungsveranstaltungen" deutet sich nunmehr die Einstellung der Sozialrechtsseminare für Arbeitslose an – im Bildungsangebot der ver.di für 2002 tauchen diese Seminare jedenfalls nicht mehr auf. Und das zu einer Zeit, wo mit dem sog. Job-AQTIV-Gesetz weitere Einschränkungen für Arbeitslose mit erheblich erweiterten Sperrzeittatbeständen bereits ins Werk gesetzt wurden und die erwerbslosen KollegInnen dringend über Inhalte und Auswirkungen der neuen Gesetzgebung kundig gemacht werden müssten.

Vielmehr fällt ver.di seinen Erwerbslosen mit schmeichelhaften bis positiven Stellungnahmen zu diesem Katalog rot-grünen Sozialabbaus noch zusätzlich in den Arm. Begrüßt wird besonders das "verbesserte Vermittlungsverfahren" – als ob Arbeitslosigkeit hierzulande nicht auf fehlenden Arbeitsplätzen, sondern auf mangelnder "Evaluierung" der Arbeitlosen beruhen würde.

Dabei verkennt ver.di, dass das Job-AQTIV-Gesetz durchaus das Ziel hat, die Arbeitlosenzahlen zu senken, aber durch die Veränderungen im Sozialgesetzbuch nicht ein einziger Arbeitsplatz neu geschaffen wird. Dadurch wird auch klar, dass eine Verbesserung der Arbeitslosenzahlen nur durch vermehrte Sperrzeiten erreicht werden kann.

Schon die "Drückeberger"-Kampagne wurde bei den Arbeitsämtern als Kritik aufgefasst, nicht mehr Sperrzeiten ausgesporchen zu haben. In diesem Zusammenhang machen in bösmeinenden Kreisen vage Gerüchte die Runde, wonach Arbeitsgruppen innerhalb der Arbeitsämter angehalten wurden, eine bestimmte Sperrzeitenquote pro Woche "beizubringen".

Kritiklos wird das gelobte "verbesserte" Vermittlungssystem als Fortschritt gewertet, obwohl sich die wahren Auswirkungen erst in der Praxis zeigen müssen. Zumindest befürchtet werden muss doch, dass die Evaluierung der Arbeitslosen bei einigen Betroffenen zu einer Einschränkung ihrer Vermittlungsfähigkeit führen könnte, da in Einzelfällen erhöhter Qualifizierungsbedarf besteht. Dabei ist noch gar nicht abzusehen, ob dies nicht auch zu Leistungskürzungen führen kann, selbst wenn der/die Arbeitslose allen Auflagen der Arbeitsämter geflissentlich nachkommt.

Dass Gewerkschaften mit öffentlichen Stellungnahmen nicht immerhin die Mehrheitsmeinung ihres Klientels treffen ist hinlänglich bekannt – oblgleich beklagenswert. Als ehrenamtlicher Funktionär besitze ich dabei durchaus die Fähigkeit zur Selbstkritik und damit zur Erkenntnis, daß es der ver.di-Basis im Falle des Job-AQTIV-Gesetzes nicht gelungen ist, zu gegebener Zeit eine eigene Position zur Sozialrechtsreform zu entwickeln.

Noch entscheidender scheint jedoch der demokratische Umgang der Organisation mit ihren Mitgliedern. Für Erwerbslose z.B. ergeben sich derzeit zumindest mehr Fragen als Antworten.

Jedenfalls sollten sich die Erwerbslosen in ver.di in ihren Ansprüchen nicht den Durchschnittsbeitrag reduzieren lassen, sondern offensiv deutlichen machen, das wir keine Randgruppe in unserer Organisation und konkrete Forderungen erarbeiten, deren Umsetzung im Übrigen auch Beschäftigten KollegInnen zu gute kommen würde.

Man kann kritisieren, daß Geld in ver.di eine übergeordnete Rolle in der programmatischen Diskussion spielt. Dies verwundert gleichwohl nicht, stellt ver.di doch eine Reaktion auf die finanziellen Zwänge der zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften dar.

Eine Antwort auf diese finanziellen Zwänge ist die Budgetierung der Fachbereiche, die nach ihrem durchschnittlichen Beitragsaufkommen innerhalb des Fachbereiches mit Personal und Sachmitteln ausgestattet werden. Dadurch werden z.B. jene Fachbereiche benachteiligt, die zwar einigermaßen hohe Mitgliederzahlen vorweisen können, aber aufgrund des niedrigen Lohnniveaus in diesen Branchen einen entsprechend niedrigeren Anteil am "Budget" erwirtschaften.

Zur finanziellen Ausstattung der Personengruppe Erwerbslose heißt es in der entsprechenden Richtlinie lapidar es würden Sachmittel in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt werden.

An dieser Stelle darauf zu hoffen, daß die Erwerbslosenausschüsse selbst weitestgehend festlegen, welche Mittel sie für sich als "angemessen" erachten, wäre wahrscheinlich eine Illusion, daß aber gerade die Erwerbslosen zu einem der Großsponsoren der neuen "Solidar-gemeinschaft" werden sollen, treibt dem Autor denn doch die Zornesröte ins Gesicht.

Zur Verdeutlichung sei hierzu gesagt, daß ver.di selbst von rund 220.000 erwerbslosen Mitgliedern spricht, die in Zukunft nach ver.di-Satzung mindestens 5,-- DM Beitrag entrichten werden. Legt man diesen Betrag zu Grunde, so ergibt das ein jährliches Beitragsaufkommen von etwa 12 Mio. DM. Wenn bei diesem Betrag Sozialrechtsseminare nicht (mehr) zum "ausreichenden Bedarf" gehören sei die Frage erlaubt, wo die Grenze dessen liegt, was ver.di bereit ist, tatsächlich in Erwerbslose zu "investieren".

Schon eine mittlere Bezirksverwaltung wird nach Umsetzung der ver.di-Satzung (bei 1.500 Erwerbslosen) einen Beitrag von jährlich rund 90.000,-- DM von Erwerbslosen erhalten. Man darf gespannt sein, wieviel von diesem Geld tatsächlich wieder in die Erwerbslosenarbeit vor Ort fließt.

Dabei sollte auch ver.di aus reinem Eigeninteresse nicht egal sein, wie sich der soziale Status ihrer erwerbslosen Mitglieder in Zukunft gestaltet. Eine Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe würde sich auch auf die Beitragsstrukturen der Erwerblosen in ver.di auswirken. Geld, daß jetzt in Kampfmaßnahmen gegen solche Bestrebungen angelegt wird, zahlt sich daher auch in Mark und Pfennig für die Organisation aus, da auch bei Erwerbslosen die Beiträge an die Einkommen gekoppelt sind.

Es sei am Rande bemerkt, daß es bedenklich ist, inhaltliche Zielsetzungen nach finanziellen Erwägungen auszurichten, die neu geschaffene Fachbereichs- und Budgetierungsstruktur läßt allerdings auch den Erwerbslosen keine andere Chance.

Dazu kommen die zahlreichen Vorurteile, denen sich Erwerbslose innerhalb ihrer eigenen Organisation noch immer ausgesetzt sehen, die eine auf dem Solidarprinzip basierende finanzielle Unterstützung der Erwerbslosenarbeit nahezu ausschließt.

Eine vernünftige finanzielle Ausstattung für die Erwerbslosenarbeit in ver.di wird man vermutlich leider nicht durch Überzeugungsarbeit bei KollegInnen in den Fachbereichen erzielen können, sondern einzig an anhand der satzungsmäßigen Budgetierungsvorgaben einfordern müssen. So müssen Erwerbslose in ver.di nicht nur die Kraft aufbringen ihre Kämpfe mit Behörden und gegen die Verschlechterung sozialrechtlicher Rahmenbedingungen selbst zu führen, sie müssen darüber hinaus eine ausgeprägte Ellenbogenmentalität gegenüber ihrer eigenen Organisation entwickeln.

Alles in allem Entwicklungen, die es Erwerbslosen schwer machen in ver.di den Anspruch nach politischer Heimat und dem starken Partner in der täglichen Praxis zu finden, den ver.di sich selbst gegeben hat.

Harry Hacker
Mitglied des Bezirksvorstandes und Bezirkserwerbslosenausschusses ver.di Lübeck/Ostholstein sowie des Landesbezirkserwerbslosenausschusses ver.di Nord.


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