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ver.di - Triumphmarsch in’s Abseits...?

von Harry Hacker

Ein Gutes hatte sie denn doch, die Gründung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di am 19.03.2001 in Berlin, denn damit fanden zumindest die monatelangen Auseinandersetzungen über die Verschmelzung der Gewerkschaften ÖTV, HBV, IG Medien, DPG und DAG letztlich ein Ende, die (je nach Streitkultur und Diskussionsstand der einzelnen Organisationen) die inhaltliche Arbeit innerhalb der Gründerorganisationen nahezu zum Erliegen gebracht hatten.

Und wenn nun das Geschacher um Posten und Pöstchen (haupt- und ehrenamtlich) zügig erledigt und der Umgang mit den Ängsten der Beschäftigten angesichts eines Überhanges von etwa 1000 Stellen geregelt werden, dann wird sich wohl auch diese neue Mega-Gewerkschaft endlich um ihre inhaltliche Ausrichtung bemühen. Ein Thema, das in den Diskussionen um Satzung, Richtlinien und Budgets bisher leider völlig unberücksichtigt blieb.

Dann wird sich auch zeigen, ob Ver.di wirklich die gewerkschaftliche Antwort auf die Erfordernisse der modernen Gesellschaft ist, die die Delegierten der fünf Einzelgewerkschaften auf ihren Auflösungskongreßen mit großen Mehrheiten zu Ausdruck eingefordert haben. An dem Ausgang der hier zu führenden Debatte wird sich der Erfolg von Ver.di messen lassen müßen.

Dabei besteht jedoch die Gefahr, daß sich Ver.di als gigantische Mogelpackung erweisen könnte, nicht mehr, als eine Alibi-Veranstaltung angesichts einer zunehmenden Entfremdung von Gewerkschaften gegenüber ihrem originären Klientel.

Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen wurde die Gründung von ver.di als einzige Alternative gewerkschaftlichen Handelns dargestellt. Doch in welchem Zustand befindet sich denn unsere Gesellschaft? Oder anders gefragt, was unterscheidet den Turbo-Kapitalismus des 21. Jahrhunderts von dem Kapitalismus der Industrialisierung ? Damals wie heute gelten einzig die Gesetze des Marktes. Arbeitslose werden gegen Arbeitende ausgespielt, Tarifbindung wird in immer größerem Maße umgangen, Arbeitszeiten bestimmen sich durch Angebot und Nachfrage. Statt an Flözen und Hochöfen knechten die Malocher der Neuzeit nunmehr Tag und Nacht in den globalen Software-Schmieden der IT-Industrie.

Nein, nicht der Kapitalismus hat sein Gesicht verändert, sondern die Gewerkschaften, die sich - sozialpartnerisch lächelnd - nicht nur arrangiert, sondern einen Platz als Säule dieses Systems gefunden haben... und damit oft genug an den Interessen ihrer Mitglieder vorbei agieren.

Vielmehr besteht die Gefahr, daß Ver.di, - auf Anpassung an gesellschaftliche und wirtschaftliche Trends ausgerichtet - den gewerkschaftlichen Anspruch auf gesellschaftspolitische (Mit-)Gestaltung aufgibt. Gelingt es nicht, diesen Anspruch zu erhalten - die Konsequenzen wären fatal !

Wer sich um Arbeitnehmerrechte glaubhaft sorgt, muß auch den Kapitalismus als solches zumindest in Frage stellen - und notfalls bekämpfen. Entscheidend für die Erfolg der neuen Mega-Gewerkschaft wird sein, wie Ver.di sich mit diesem grundlegenden Thema auseinandersetzt. Die einschlägigen Diskussionen innerhalb der fünf Ver.di-Gewerkschaften zum Verhältnis von Gewerkschaften zum kapitalisitischen System und deren Ausgang sind hinreichend bekannt.

Die Befürchtung bleibt bestehen, daß mit der Gründung von Ver.di der einfache Weg gewählt worden ist, schwindende Mitgliederzahlen durch eine platte Fusion aufzufangen, ohne eine dringende gesellschaftliche Neorientierung an Angriff zu nehmen. Ob ver.di die Kraft entfalten wird, um sich dieser Herausforderung erfolgreich zu stellen, bleibt abzuwarten - Skepsis sei jedoch angeraten.

Die Protagonisten, die sich Amt und Würden durch diese Fusion gesichert haben, berührt dies freilich nicht mehr. Ihr berufliches Verfallsdatum läuft lange vor einem imaginären Scheitern der neuen Mega-Gewerkschaft ab. Die Schlüsse der Verantwortlichen aus der bestehenden Notlage liegen auf der Hand und sind doch so offensichtlich falsch.

Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft...der Name sagt es schon, Dienstleistung soll im Vordergrund stehen, nicht die dringend erforderliche politische Neupositionierung der Gewerkschaften. Machen wir uns doch nichts vor, wenn Gewerkschaften sich auf die blanken Inhalte von Rechtsschutzversicherungen reduzieren, stellen sie in der Tat ihre Existenzberechtigung selbst in Frage.

Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus schrieb in der März-Ausgabe des Blattes auch folgerichtig: "Ver.di wird eine der politischsten Organisationen werden müssen [...]"

Deren frischgebackener Vorsitzender und ehemalige Personaldezernent der Stadt Hannover Frank Bsirske zog den "Verdianern" diesen Zahn indes bereits frühzeitig. Auf dem DAG-Gewerkschaftstag im November 2000 in Bremen machte er deutlich, wohin die neue gewerkschaftspolitische Reise gehen soll:

"Die Frage unserer gewerkschaftlichen Behauptungs- und Durchsetzungskraft und –fähigkeit entscheidet sich daran, ob es uns gelingt, in ver.di eine gute Dienstleistungspolitik für unsere Mitglieder zu entwickeln, die in allererster Linie Unterstützung suchen und nicht Ideologieproduktion."

So wäre ver.di in der Tat ein weiterer Schritt zur Entpolitisierung der Gewerkschaftsbewegung - und ein fataler Rückschritt !

Die Ver.di-Mitglieder werden sich künftig in 13 Fachbereichen wiederfinden, die inhaltlich und finanziell weitgehend autonom ihre Schwerpunkte setzen.

War es schon in der Vergangenheit zunehmend schwierig, z. B. in der ÖTV Kolleginnen und Kollegen bestimmter Sparten für die drängenden Forderungen anderer Bereiche zu solidarisieren, birgt das ver.di-Organigramm die große Gefahr einer zunehmenden Entsolidarisierung der Gewerkschaftsbewegung.

Schon im Zuge der letzten Tarifrunde war viel Überzeugungsarbeit gefragt, Müllwerker West für die Forderungen von Müllwerkern Ost zu mobilisieren. Künftig stellt sich die Frage, wie man beispielsweise Enstorger für die Interessen von Bankangestellten zu mobilisieren gedenkt, die Ihre tarifpolitischen Schwerpunkt im stillen Fachbereichskämmerlein für sich selbst bestimmen - ein möglicherweise gefährlicher Weg der Entsolidarisierung.

ver.di-Freunde sind guter Hoffnung, daß sich alles schon mit der Zeit richten werde. So wünschenswert dies perspektivisch wäre, die Frage sei aber doch gestattet, welche Erfahrungen der Vergangenheit denn konkreten Anlaß für diese Hoffnung geben? Wie viele progressive Ansätze sind denn in den verkrusteten, aber dennoch weit überschaubareren Strukturen der fünf Einzelgewerkschaften schon ungehört und undiskutiert versandet? Auf die große inhaltliche Gestaltungsdebatte wird man wohl leider auch in Ver.di vergeblich warten.

Vielmehr tut ver.di genau das, was sie vorgibt zu tun. Sie paßt sich den gesellschaftlichen Trends an. Sie will zuallererst Dienstleister sein und erst nachrangig als politische Organisation wirken. Während sie durch ihre Struktur und Ausrichtung zum Abbau von innergewerkschaftlicher Demokratie beiträgt und der überall spürbar werdenden Entsolidarisierung Rechnung trägt, gibt sie gleichzeitig den Anspruch auf, als Gewerkschaft gesellschaftsverändernd aufzutreten.

ver.di wird eine Reihe von Außenbüros unterhalten, die Präsenz in der Fläche abbilden sollen. Dies ist dem Grunde nach durchaus begrüßenswert, hierbei wird jedoch vergessen wird, daß es sich vielfach um sogenannte Start-Ziel-Modelle handelt, die in Zukunft zu einer Reduzierung der Präsenz führen werden.

Gleichzeitig werden die Wege für ehrenamtlich engagierte Mitglieder weiter, denn die entsprechenden Gremien (Bezirksvorstände, Personengruppenausschüsse, Fachbereichsvorstände usw.) werden nur in den Bezirksverwaltungen eingerichtet. Dies trägt, neben der schieren Größe der zu bildenden Gremien, zu einer Einschränkung der ehrenamtlichen Willensbildung und somit zu einer weiteren Entdemokratisierung der neuen Gewerkschaft bei.

Jedem Gewerkschaftsmitglied muß auffallen, daß u.a. Politkgrößen und Intendanten - sprich Arbeitgebern - die Lobeshymnen auf Ver.di nur so entsprudeln. Wenn das kein Grund zum Misstrauen ist ?

ver.di kann in dieser Form nicht - und ich wage zu behaupten, soll nicht - der Aufbruch in das neue Gewerkschaftszeitalter sein, sondern lediglich die Fackel der "Weiter so..."-Fraktion. Sie ist nicht die Antwort auf die drängende Reformbedürftigkeit der Gewerkschaften. Die Frage sei daher gestattet: Was kommt, wenn Ver.di scheitert? Ein Triumphmarsch für die Gewerkschaftsbewegung ist ver.di gewiß nicht... zu hoffen bleibt, daß der Weg nicht in’s Abseits führt.

Erschienen in Berliner Magazin "Stütze"


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