LabourNet Germany Dies ist das LabourNet Archiv!!! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home Über uns Suchen Termine

 

Jusos Köln Süd/Altstadt

Die Tarifpolitik der Gewerkschaft ÖTV in Köln und Bonn – ein Vergleich

Am Beispiel der Überleitungs-Tarifverträge anläßlich der Privatisierung der Kölner Abfallwirtschaftsbetriebe und der Bonner Stadtwerke

© Jungsozialisten in der SPD Köln Süd/Altstadt
Köln, September 2000
www.jusos.org/koeln/ag-sued-altstadt

Inhalt

1. Kommunalpolitischer Kontext
1.1 in Köln
1.2 in Bonn
2. Ein Satz zur Methode
3. Sicherung der Arbeitsplätze
3.1 Wortlaut der Vereinbarungen
3.2 Kommentierung
4. Sicherung des Tarifniveaus
4.1 Wortlaut der Vereinbarungen
4.2 Kommentierung
5. Schutz vor Rationalisierungen
5.1. Wortlaut der Vereinbarungen
5.2 Kommentierung
6. Weitere Inhalte
6.1. Betriebliche Altersversorgung
6.2. Mitbestimmung
7. Einige Anmerkungen zum Risiko der Privatisierung
7.1. Risikotragung
7.2. Privatisierung mit beschränkter Haftung
8. Politische Kommentierung

 

1. Kommunalpolitischer Kontext

1.1 in Köln

In Köln hat die Fa. Trienekens (Viersen) - ohne ordentliche Ausschreibung und unter Protest des ebenfalls interessierten Konkurrenzunternehmens Rethmann (Bochum) - 49,9 Prozent der zuvor als städtischer Eigenbetrieb geführten Abfallwirtschaftsbetriebe, des ehemaligen städtischen Amtes für Abfallwirtschaft (Amt 70), übernommen.

Die Gewerkschaft ÖTV in Köln hat schließlich mit dem Stadtwerkekonzern (SWK GmbH) und der Stadt einen Überleitungs-Tarifvertrag für die Beschäftigten des neuen Unternehmens Abfallwirtschaftsbetriebe Köln GmbH & Co. KG (AWB KG) ausgehandelt.

Im Vorfeld war es zu heftigen kommunalpolitischen Auseinandersetzungen gekommen. Kritisiert worden war insbesondere, mit der Privatisierung sei es zum Ausverkauf städtischer politischer Gestaltungsmacht gekommen, privaten Anbietern werde ermöglicht, ein privates Müllmonopol zu errichten und die Bürger würden gezwungen, mit ihren bisher öffentlich-rechtlichen Müllgebühren - unter Verstoß gegen das Kostendeckungsprinzip im Gebührenrecht - die privaten Profite der Fa. Trienekens zu finanzieren. (Vgl. Joe Esteban: ÖTV privatisiert Mitglieder, in: taz-köln, Köln 25.05.2000)

Wenn die Kommune erst einmal die reale (logistische und personelle) Macht, Abfallentsorgung sicherzustellen, aufgegeben habe, sei diese originär öffentliche Dienstleistung der kommunalen Daseinsvorsorge nie mehr rückholbar. Monopolprofiten auf Kosten besonders der Realeinkommen der Arbeitnehmer und damit der Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten seien Tür und Tor geöffnet worden. (Vgl. Werner Rügemer: Städtische Gebühren und zweite Miete - kein Thema für die ÖTV?, in: taz-köln, Köln 25.05.2000)

Obwohl die Kölner Jungsozialisten (Vgl. Kölner Jusos: Für eine Stärkung des Öffentlichen Dienstes, Beschluß der AGen-Konferenz, Köln 13.06.2000) und andere gesellschaftliche Kräfte sich massiv gegen die Beteiligung privaten Fremdkapitals eingesetzt hatten, waren die Kölner SPD und die Gewerkschaft ÖTV dem Argument der CDU, nur eine Beteiligung der Fa. Trienekens könne die Stabilität der Müllgebühren sichern und weitere Steigerungen verhindern, im Kern gefolgt. Sie hatten der Privatisierung keinen nennenswerten praktischen und ideologischen Widerstand entgegenzusetzen.

Zum Jahreswechsel 1999/2000 hatte sich die Gewerkschaft ÖTV dagegen noch zuversichtlich gezeigt, das Privatisierungspaket der neuen Rathausmehrheit aus CDU, FDP und Grünen verhindern zu können. (Vgl. ÖTV-Geschäftsführer Peter Meyer im Gespräch mit Jendrik Scholz, in: Kölner Woche Nr. 31, Köln 23.12.1999)

Der Verlauf der Auseinandersetzung ließ aber deutlich werden, dass insbesondere die Forderung nach Schaffung bzw. Erhalt eines starken öffentlichen bzw. gemeinwirtschaftlichen Sektors (alte ÖTV-Forderung: "Zukunft durch öffentliche Dienste") offensichtlich nicht länger Bestandteil der kommunalpolitischen Praxis von ÖTV und SPD in Köln ist. (Vgl. Marcus Meier: Genossin: Privatisierung gar nicht schlimm, in: taz-köln, Köln 08.06.2000)

 

1.2 In Bonn

Ende 1998 hatte der Rat der Stadt Bonn den städtischen Eigenbetrieb Stadtwerke Bonn (SWB) privatisiert. Daraus wurden die Stadtwerke Bonn GmbH (SWB GmbH).

Um die Rechte der Beschäftigten zu schützen, schloß die Gewerkschaft ÖTV in Bonn mit der Stadt Bonn und dem Stadtwerkekonzern einen Überleitungs-Tarifvertrag ab.

Als im Sommer 2000 auch die Müllverwertungsanlage (MVA) durch Wechsel von 95,9 Prozent der Geschäftsanteile von der Stadt zum Stadtwerkekonzern in den Stadtwerkekonzern eingegliedert werden sollte, weigerte sich der Stadtwerkonzern, einen Gleichstellungstarifvertrag abzuschließen, d. h. die Beschäftigten der MVA GmbH mit den übrigen Beschäftigten des Stadtwerkekonzerns gleichzustellen.

Schließlich konnten die Beschäftigten ihre Forderungen nach Arbeitsplatzsicherheit und Garantie des Tarifniveaus des öffentlichen Dienstes nach siebenwöchigem Streik überwiegend durchsetzen und eine Vereinbarung zur Garantie der Besitzstände abschließen. (Vgl. Jendrik Scholz: Der Müll, die Stadt und der Streik, in: Stadtmagazin Schnüss, Bonn September 2000)

 

2. Ein Satz zur Methode

Methodisch werden der Kölner "Tarifvertrag zur Überleitung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Abfallwirtschaftsbetriebe der Stadt Köln" und der Bonner "Personalüberleitungstarifvertrag (...) aus Anlaß der privatisierenden Umwandlung des Eigenbetriebes Stadtwerke Bonn im Wege der Ausgliederung aus dem Vermögen der Stadt Bonn zur Aufnahme durch die Stadtwerke Bonn GmbH" jeweils komparatistisch-synoptisch gegenübergestellt, verglichen, arbeitsrechtlich und politisch aus Arbeitnehmersicht kommentiert.

 

3. Sicherung der Arbeitsplätze

3.1 Wortlaut der Vereinbarungen

Wortaut Kölner Überleitungs-Tarifvertrag

Wortlaut Bonner Überleitungs-Tarifvertrag

Zwischen den Vertragsparteien besteht Einvernehmen, dass zur Sicherung der Arbeitsplätze der Arbeitnehmer/innen sowie zum Ausschluß betriebsbedingter kündigungen (...) eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit der AWB KG erreicht werden muss. Dies vorausgeschickt, werden betriebsbedingte Beendigungskündigungen zum Ziel der Rationalisierung für 12 Jahre ausgeschlossen. (§ 11 I S. 2)

Die Stadt, SWB und ihre Spartengesellschaften werden auf Dauer keine betriebsbedingten Beendigungskündigungen gegenüber den (...) übernommenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aussprechen. (§ 5 I S. 1)

Eine Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Besitzstandes dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch betriebsbedingte Änderungskündigung ist gleichermaßen auf Dauer ausgeschlossen. (§ 5 I 2)

SWB verpflichtet sich, den Kündigungsschutz (...) gegenüber den übernommenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch folgende in die Arbeitsverträge zu übernehmende Klausel auch einzelvertraglich zu gewährleisten: "

Das Arbeitsverhältnis kann auf Dauer aus betriebsbedingten Gründen nicht gekündigt werden. (...)" (§ 5 II S. 1)

 

3.2 Kommentierung

Nach dem Kölner Überleitungstarifvertrag werden betriebsbedigte Kündigungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Vielmehr wird nur dann die Sicherheit der Arbeitsplätze für 12 Jahre gewährleistet, wenn eine "Steigerung der Wirtschaftlichkeit" der Abfallwirtschaftsbetriebe gelingt.

Da der Begriff der "Wirtschaftlichkeit" nicht näher ausgefüllt wird, ist er von Arbeitgeberseite als unbestimmter Rechtsbegriff subjektiv ausfüllbar, um als Einfallstor für Entlassungen zu dienen. Mögliche Streitigkeiten in der Interpretation werden vor Gericht geklärt werden müssen. Die Kölner Vereinbarung stellt insoweit einen Abschied von tariflicher Normsetzung dar. Anstatt im Tarifvertrag selbst Regeln festzulegen, soll die Klärung von Problemen, die am Verhandlungstisch offensichtlich von den Tarifvertragsparteien nicht gelöst worden sind, an die Gerichte delegiert werden.

Dass es auch anders geht, zeigt der in Bonn abgeschlossene Tarifvertrag. Betriebsbedingte Kündigungen sind für die Belegschaft auf Dauer ausgeschlossen und darüberhinaus nicht an Bedingungen geknüpft. Darüber hinaus können auch Verschlechterungen der Einkommenssituation nicht durchgesetzt werden.

Diese Bestimmungen im Tarifvertrag werden noch zusätzlich dadurch abgesichert, dass jeder einzelne Arbeitnehmer die Unkündbarkeitsklausel in seinem Arbeitsvertrag hat. Dies schließt aus, dass durch möglicherweise zukünftig abweichende Tarifverträge eine Änderung der Rechtslage zum Nachteil der Arbeitnehmer erfolgen kann. Der Kölner Tarifvertrag geht auf dieses Problem überhaupt nicht ein.

 

4. Sicherung des Tarifniveaus

4.1 Wortlaut der Vereinbarungen

Wortlaut Kölner Überleitungs-Tarifvertrag

Wortlaut Bonner Überleitungs-Tarifvertrag

Für die Arbeitsbedingungen (kursive Hervorhebung Jusos) der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finden weiterhin die derzeit geltenden bzw. diese ergänzenden oder ersetzenden Tarifverträge im Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (...) Anwendung (Aufstellung Anlage 2). (§ 2 II S. 1)

Die AWB KG verpflichtet sich, umgehend Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV NW) zu werden. Die Aufnahmebestätigung des KAV wird Anlage dieses Tarifvertrages. (§ 2 III)

SWB verpflichten sich, in die für den Eigenbetrieb am Tage vor dem Wirksamwerden der privatisierenden Ausgliederung geltenden Tarifverträge ohne jede Einschränkung einzutreten. (§ 4 III)

SWB verplichtet sich, (..) dem kommunalen Arbeitgeberverband Nordrhein-Westfalen als tarifgebundenes Mitglied beizutreten und diese Mitgliedschaft aufrecht zu erhalten oder alle von ihm abgeschlossenen einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung auch künftig (...) einzelvertraglich anzuwenden (§ 4 VI S. 1).

Die AWB KG tritt in die in Anlage 3 zu diesem Vertrag aufgezählten Tarifverträge, Dienstvereinbarungen, Dienstanweisungen und über- und außertarifliche Regelungen (...) ein. (§ 3 I)

SWB verpflichtet sich weiterhin, diese dynamische Besitzstandssicherung gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (...) durch folgende Klausel im Arbeitsvertrag auch einzelvertraglich zu gewährleisten: "Auf das Arbeitsverhältnis finden dauerhaft als Mindestniveau BAT/BMTG-II (...) in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung." (§ 4 VI S. 3)

 

4.2 Kommentierung

Auf den ersten Blick scheint auch die Kölner Vereinbarung das Tarifniveau zu sichern. Jedoch bestehen mehrere tarifrechtliche "Löcher", die eine Absenkung des Lohnniveaus nicht ausschließen. Wie auch in der Bonner Vereinbarung wird die neue private Gesellschaft verpflichtet, Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband zu werden. Kraft Tarifbindung gelten für die Dauer der Mitgliedschaft die Bedingungen des BAT/BMTG.

Die Kölner Vereinbarung sichert hingegen nicht das bisherige Lohnniveau, wenn sich die AWB entschließt, den Arbeitgeberverband wieder zu verlassen. Dann sind Lohnreduktionen nicht ausgeschlossen. Dass der Austritt aus dem Arbeitgeberverband keine hypothetische Gedankenspielerei ist, zeigt wiederum die Bonner Vereinbarung. Die SWB wird für diesen Fall entweder verplichtet, die Mitgliedschaft aufrecht zu erhalten oder aber die Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung einzelvertraglich anzuwenden. Damit sind die Arbeitnehmer auch bei einem Austritt aus dem Arbeitgeberverband vor Lohnverlusten geschützt.

Für den Fall des Austritts kann nach der Kölner Vereinbarung nur § 2 I Anwendung finden. Der Text verweist aber nur hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, nicht aber was Löhne und Gehälter betrifft, auf den in Anlage 2 aufgeführten Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und den Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter (BMTG). Bei der in § 3 I erwähnten Anlage 3 fehlen der BAT und der BMTG. Rechtlich ist es zumindest umstritten, ob unter Arbeitsbedingungen auch das Lohnniveau zu verstehen ist. Die Bonner Vereinbarung läßt solche Streitigkeiten gar nicht erst zu, indem sie auf die Regelungen des Arbeitsverhältnisses verweist, wodurch unstreitig auch Löhne und Gehälter erfaßt werden. In Köln hingegen sind Lohnkürzungen nicht ausgeschlossen und arbeitsrechtliche Streitigkeiten vorprogrammiert.

Die Bonner Vereinbarung trifft weiterhin Vorkehrungen gegenüber anderslautenden Tarifverträgen, indem die Bedingungen des BAT/BTMG als Mindestniveau festgeschrieben werden. Dies berücksichtigt die Kölner Lösung ebenfalls nicht.

Die Beschäftigten in Bonn können aufatmen und beruhigt in die Zukunft blicken. Die Bonner ÖTV hat ihren wirtschaftlichen Besitzstand ist umfassend gesichert. Das Gegenteil ist in Köln der Fall: Wie schon bei der Arbeitsplatzsicherheit, müssen die Arbeitnehmer in Köln auch um ihr erreichtes Lohnniveau bangen.

 

5. Schutz vor Rationalisierungen

5.1 Wortlaut der Vereinbarungen

Wortlaut Kölner Überleitungstarifvertrag

Wortlaut Bonner Überleitungs-Tarifvertrag

Zwischen ÖTV, Personalvertretung, Gesellschaftern und der Stadt Köln besteht in Fortsetzung bisheriger Aktivitäten weiterhin eine gemeinsame Interessenlage, die Wirtschaftlichkeit der AWB KG zu verbessern (...). Dieser Anspruch wird zu einer laufenden Optimierung der Geschäftsprozesse führen und alle betrieblichen Tätigkeiten und Sachaufwendungen umfassen. Demzufolge sind Teil der Optimierung auch personalwirtschaftliche Belange. (§ 10 I)

In Anbetracht der wirtschaftlichen Situation verpflichten sich Unternehmensleitung und die Arbeitnehmervertretung ggf. unter Beteiligung der Gewerkschaft ÖTV unverzüglich Gespräche aufzunehmen (...) und Vereinbarungen zu treffen, die die Wirtschaftlichkeit der AWB KG verbessern. (§ 10 II S. 1)

Die Bonner ÖTV hat keine entsprechende Vereinbarung unterschrieben. Vielmehr ist für den Fall einer Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen folgendes vorgesehen:

Sollte die SWB (..) oder Teile ihrer Gesellschaften aufgelöst werden oder ihren Zweck aufgeben, haben die (...) übernommenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Rückkehrrercht (..) (§ 6 I).

Das Rückkehrrecht richtet sich gegen die jeweils vorausgegangene Arbeitgeberin.

 

(...) Der Einsatz neuer Techniken verändert die Entsorgungswirtschaft, was zu Veränderungen der Arbeitsinhalte und Arbeitsabläufe führt. Hierzu sind dann ggf. neue Vereinbarungen abzuschließen, die innerhalb von 5 Jahren zu entsprechenden wirtschaftlichen Ergebnissen und zur Arbeitsplatzsicherung führen. (Protokollerklärung zu § 10 II)

 

 

5.2 Kommentierung

Die Kölner Vereinbarung ist der tarifpolitische Offenbarungseid der Kölner ÖTV. Es wird wie selbstverständlich anerkannt, dass auch "personalwirtschaftliche Belange zu optimieren" sind. Im Klartext heißt dies, dass auch der Abbau von Arbeitsplätzen zu billigen ist und von ihr mitgetragen wird. Es ist davon die Rede, dass AWB und ÖTV gemeinsam Gespräche zu Verbesserung der Wirtschaftlichkeit führen werden. Offensichtlich beabsichtigt die ÖTV, eine Art Co-Management zu betreiben, das nicht an den Interessen der Arbeitnehmer orientiert ist, sondern stattdessen dazu dient, Arbeitsverdichtungen und Rationalisierungen durchzusetzen.

Die Protokollnotiz läßt erahnen, dass die ÖTV beabsichtigt, in den nächsten Jahren weitere verschlechternde Vereinbarungen abzuschließen. Aufgrund der vielen Lücken in der jetzt abgeschlossenen Vereinbarung ist dies auch nur folgerichtig.

Der Bonner Tarifvertrag hingegen läßt sich nicht auf solche Zugeständnisse ein. Die Gewerkschaft ist nicht der Meinung, sie müßte in das Management des Betriebes eingreifen. Stattdessen hat sie versucht, die Arbeitnehmer möglichst gut zu schützen. Während die Kölner Vereinbarung darauf abzielt, weitere Verschlechterungen der Löhne und Arbeitsbedingungen zuzulassen, garantiert die Bonner Vereinbarung jedem Arbeitnehmer, der in einem unrentablen Bereich des Konzerns arbeitet, eine Rückkehrmöglichkeit zum früheren Arbeitgeber. Damit sind auch außerordentliche betriebsbedingte Kündigungen wegen Stillegung eines Betriebes ausgeschlossen. In Köln bleibt auch diese Frage weitestgehend offen. In § 7 II der Vereinbarung besteht eine Rückkehrmöglichkeit zur Stadt Köln nur innerhalb eines vertretbaren Zeitraums. Auch hier setzt die ÖTV darauf, mögliche Konflikte mit der Arbeitgeberseite auf die Gerichte zu verlagern – mit höchst ungewissem Ausgang für die betroffenen Arbeitnehmer

 

6. Weitere Inhalte

Die Bonner Vereinbarung weist weiterhin viele Details auf, die den Arbeitnehmerschutz verstärken. Ein diesbezüglicher Vergleich mit Kölner Bestimmungen ist nicht möglich, da diese Fragen dort gar nicht auftauchen.

6.1 Betriebliche Altersversorgung

§ 4 VII der Bonner Vereinbarung sichert durch ausführliche Vorschriften die betriebliche Altersversorgung der Mitarbeiter. Die Kölner Vereinbarung beschränkt sich – wie schon in den Fragen des Tariflohnes – auf die bloße Verpflichtung der AWB, Mitglied der Zusatzversorgungskasse zu werden. Eine weitergehende Sicherung besteht nicht. Hingegen werden in der Bonner Vereinbarung sogar Details bezüglich der Wartezeiten geregelt. Auch die Versorgung von Hinterbliebenen ist nicht ausgepart (§ 4 IX).

6.2. Mitbestimmung

Ebenso ist es im Bonner Tarifvertrag gelungen, die betriebliche Mitbestimmung durch den Betriebsrat erheblich über die gesetzlichen Vorschriften hinaus zu erweitern (§§ 11 – 13). In den Fällen des § 11 des Tarifvertrags wird die Mitbestimmung zudem als erzwingbare ausgestaltet. Das heißt: Bei einer fehlenden Einigung kann die SWB GmbH nicht einseitig Maßnahmen gegen den Willen des Betriebsrates durchsetzen. Dadurch wird eine effektivere Arbeit des Betriebsrates ermöglicht und die Stellung der Arbeitnehmervertretung erheblich gestärkt. Der Kölner ÖTV hingegen scheint an der Stärkung ihrer Betriebsräte nicht gelegen zu sein.

 

7. Einige Anmerkungen zum Risiko der Privatisierung

7.1 Risikotragung

Wortlaut Kölner Überleitungs-Tarifvertrag

Wortlaut Bonner Überleitungs-Tarifvertrag

(1) Mit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses zur AWB KG besteht mit Ausnahme der Regelungen nach den Absätzen 2 - 3 kein Anspruch auf Wiedereinstellung bei der Stadt.

In Bonn fehlen sämtliche Hinweise zur Übernahme des unternehmerischen Risikos. Es findet sich lediglich eine Bestimmung zum Rückkehrrrecht von Arbeitnehmer (siehe dazu schon unter 4.)

(2) Sollte die Stadt innerhalb eines Zeitraumes von 5 Jahren die Änderung des Leistungsumfangs hinsichtlich Werkstatt und Einkauf veranlassen und somit eine Weiterbeschäftigung dieses Personals bei der AWB KG nicht mehr möglich sein, verpflichtet sich die Stadt, übergewechseltes Personal innerhalb eines vertretbaren Zeitraumes wieder zurückzunehmen

Gleiches gilt für Mitarbeiter/innen der Werkstatt und des Einkaufs, die der Überleitung nicht widersprochen haben, wenn eine Änderung eintritt, die eine Beschäftigung bei der AWB KG aus genehmigungsrechtlichen Gründen nicht möglich macht.

(3) Sollte innerhalb eines Zeitraumes von 5 Jahren ab dem Stichtag eine Beschäftigung des überwechselnden Personals aus gesundheitlichen Gründen nachweisbar bei der AWB KG nicht mehr möglich sein, verpflichten sich die Stadt und der Stadtwerke-Konzern zur Übernahme von je 50 % der betroffenen Beschäftigten. Sollte dies trotz ernsthaften Bemühens nicht möglich sein, verbleibt die Problematik bei der AWB KG mit dem Ziel der zumutbaren Weiterbeschäftigung bei der AWB KG. (§ 7 I-III)

 

Die Kölner Vereinbarung hat eine sehr seltsame Form der Risikotragung für den Fall, dass die Privatisierung nicht den gewünschten Erfolg für die Anteilseigner bringt. Die Bonner Lösung (siehe unter 4.) ist klar und eindeutig. Wenn eine Teilgesellschaft der SWB aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr fortgeführt werden kann (eine durchaus wahrscheinliche Option im Zusammenhang mit der europäischen Liberalisierung der Märkte!), muß entweder die SWB GmbH selbst oder eine andere Gesellschaft des SWB-Konzerns (je nachdem, wer letzter Arbeitgeber war) die Arbeitnehmer "ohne wenn und aber" übernehmen. Die Stadt Bonn bleibt davon unberührt.

Nach der Kölner Lösung (§ 7) ist die Lösung sehr vertrackt. Zunächst einmal muß nicht die AWB das Risiko tragen, für die bei ihr Beschäftigten eine andere Verwendung zu suchen, sondern der Stadtwerke-Konzern und die Stadt Köln selbst. Erst als allerletzter Notanker wird eine subsidiäre Haftung der AWB anerkannt. Mehr kann sich eine private Gesellschaft eigentlich gar nicht mehr wünschen: anstatt selbst für Arbeitnehmer sorgen zu müssen und ihnen zumutbare Beschäftigungen anzubieten, übernimmt die öffentliche Hand diese Funktion. Praktisch eine Einladung dazu, gesundheitsschützende und andere Rahmenbedingungen des Arbeitsverhältnisses zu verletzen. Schließlich muß man selbst für die Folgen nicht aufkommen. Sobald jemand steigende Anforderungen aufgrund von Arbeitsverdichtung nicht mehr erfüllen kann, wird er einfach an die öffentliche Hand abgeschoben. Auch so kann man private Extraprofite öffentlich subventionieren. Die Kölner ÖTV nimmt so eine gesellschaftspolitisch skandalöse Haltung ein.

7.2 Privatisierung mit beschränkter Haftung

Wortlaut Kölner Überleitungs-Tarifvertrag

Wortlaut Bonner Überleitungs-Tarifvertrag

Bei wesentlichen Änderungen der rechtlichen oder von der Stadt veranlassten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Abfallentsorgung und Straßenreinigung z. B. infolge des Wegfalles von Abfuhr- und Reinigungsbezirken innerhalb eines Zeitraumes von 15 Jahren ab dem Stichtag wird zur Personal-Problematik rechtzeitig eine einvernehmliche Interessenausgleichslösung zwischen Stadt, AWB KG, Anteilseigner, Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaft ÖTV herbeigeführt. § 112 BetrVG bleibt davon unberührt. (§ 11 III)

(...) erklärt die SWB unwiderruflich, auf die Geltendmachung von Rechten aus § 112a Betriebsverfassungsgesetz zu verzichten. (§ 10 S. 2)

Nicht weniger seltsam ist die Regelung in der Kölner Vereinbarung zu Veränderungen der Reinigungsbezirke in § 11 III. Diese Regelung betrifft entweder Fälle, in denen die Stadt Köln zu dem Schluß kommt, ein anderer Anbieter als die AWB erfülle das Anforderungsprofil der Stadt besser oder aber Fälle, in den Änderungen im europarechtlichen Bereich eine Änderung der Ausschreibungsbedingungen erforderlich machen. Hier soll dann für die "Personal-Problematik" (!) eine "Interessenausgleichslösung" herbeigeführt werden. Eine "Interessenausgleichslösung" kommt aber nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) nur dann in Betracht, wenn eine unternemerische Maßnahme "wesentliche Nachteile für die Belegschaft zur Folge haben" kann, zum Beispiel Stillegung des gesamtes Betriebes (§ 111 S. 1 Nr. 1 BetrVG). Die Ausweitung der Akteure auch auf die Stadt Köln zeigt, dass die AWB nicht gewillt sind, dieses originär unternehmerische Risiko alleine zu tragen. Selbst rechtliche Veränderungen oder den Fall des negativen Ausgangs einer Ausschreibung (an konkurrierende Mitbewerber) will man auf diese Art und Weise verhindern oder zumindest nicht die Folgen tragen.

Auch die Hoffnungen auf einen Sozialplan könnten für die Kölner Beschäftigten trügerisch sein. Nach § 112a II BetrVG ist ein Sozialplan nur dann verpflichtend, wenn die Gesellschaft mehr als vier Jahre bestanden hat. Ob dieses auch für die Neugründung einer Gesellschaft, wie es die AWB sind, gilt, ist höchst fraglich. Im Gegensatz zur Bonner Vereinbarung, die angesichts dieser Schwierigkeiten die Anwendung des Paragraphen ausgeschlossen hat, läßt die Kölner Vereinbarung wieder einmal alles offen.

Auch hier wird eindeutig jedes wirtschaftliche Risiko an die öffentliche Hand zurückverwiesen. Aus privater Sicht eine vorteilhafte Form der Privatisierung. Ohne das Unternehmerrisiko tragen zu müssen, können mögliche Gewinne abgeschöpft werden. Wahrlich eine Privatisierung mit beschränkter Haftung der Anteilseigener nach dem Motto: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren.

 

8. Politische Kommentierung

Der Kölner Abschluß markiert einen Wendepunkt in der Tarifpolitik der Gewerkschaft ÖTV in Köln , weil es ihr in einem durch gegnerische politische Kräfte (CDU, FDP) forcierten und einem von einer geschwächten und zerrissenen SPD z. T. mitgetragenen Privatisierungsprozeß nicht gelungen ist, die Privatisierung an sich zu verhindern bzw. wenigstens die sozialen Interessen ihrer Mitglieder nachhaltig zu sichern.

Ihr Abschluß ist gewerkschafts- und gesellschaftspolitisch skandalös, weil er – neben vielen anderen Punkten - weder die Sicherheit der Arbeitsplätze noch das Tarifniveau verteidigt.

Immer deutlicher zeigt sich zudem, wie gering der Einfluß der Gewerkschaft ÖTV in der Kölner Kommunalpolitik, insbesondere in der Kölner SPD, inzwischen ist. Dieser massive Bedeutungs- und Machtverlust korrespondiert mit ähnlichen Entwicklungen auf Bundes- und Landesebene.

Konnte sich die Gewerkschaft ÖTV in den vergangenenen Jahrzehnten noch auf stabile soziale Milieus verlassen, die kommunal ihre Interessen in SPD und Stadt-Gesellschaft machtpolitisch umsetzten, hat das Verschwinden dieser "alten" Milieus ihren rapiden gesellschaftlichen Bedeutungsverlust massiv beschleunigt. Es ist ihr nicht gelungen, stattdessen eine professionalisierte Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit zu etablieren, um in die Kommune hinein den Nutzen eines starken öffentlichen Sektors für alle Menschen in der Stadt, stabiler Beschäftigungsverhältnisse und eines gesicherten Tarifniveaus zu kommunizieren.

Statt in dieser schwierigen Situation – wie in Bonn – auf die eigene Kraft zu vertrauen, Mitglieder und Öffentlichkeit offensiv aufzuklären, zu mobilisieren und gegebenenfalls mit Arbeitskampfmaßnahmen für einen besseren Abschluß zu streiten, hat sich die Führung der Gewerkschaft ÖTV in Köln offenbar selbst auf die Funktion des hilflosen Co-Managements reduziert.

Gerüchten, der ehemalige Bezirksleiter der Gewerkschaft ÖTV im Bezirk Nordrhein-Westfalen I werde in die Geschäftsführung der privatisierten Abfallwirtschaftsbetriebe eintreten, tritt die ÖTV-Führung zudem nicht entschieden entgegen und nährt so nachhaltig Gerüchte, es habe ein Posten-"Klüngel" auf Kosten der Beschäftigten stattgefunden.

In Bonn ist es der Gewerkschaft ÖTV dagegen in der Auseinandersetzung um die Übernahme der Müllverwertungsanlage (MVA) durch den Stadtwerkekonzern gelungen, sich mit einem siebenwöchigen Streik gegen die absolute CDU-Mehrheit im Bonner Stadtrat, die "Modernisierungs"fraktion in der Bonner SPD und ihre Oberbürgermeisterin, eine überwiegend feindliche veröffentlichte Meinung und die Konzernleitung selbst durchzusetzen - auch Neo-Korporatismus setzt eben partielle Konflikt- und Eingriffsfähigkeit voraus.

Überdies hat die Führung der Kölner ÖTV die Tarifautonomie – eine der zentralen Errungenschaften der Arbeiterbewegung im asymetrischen Klassenkompromiß nach 1945 - massiv beschädigt, indem sie die Zukunft des Lebens und der Arbeit ihrer Mitglieder in die Hände bürgerlicher (Arbeits-) Gerichte legt, statt alle einschlägigen Punkte selbst tarifvertraglich abschließend zu regeln.

Einmal mehr beweist der Kölner Abschluß, welche Risiken in der geforderten Verbetrieblichung der Tarifpolitik liegen, wenn sie nicht einhergeht mit einer aktiven und emanzipatorischen Rolle der Gewerkschafts-Mitglieder im Betrieb und vor Ort.

In Köln hat die neue Zeit endgültig begonnen: Der öffentliche Sektor der Stadt steht insgesamt vor dem Ausverkauf. Die neoliberalen Protagonisten dieser Entwicklung haben ein gutes Stück ihrer Wegstrecke bereits erfolgreich zurückgelegt. Sie sind erfolgreich - die alte Arbeiterbewegung und ihr Sanierungsfall DGB-Kreis Köln-Leverkusen-Erft, der erneut durch Ignoranz und Passivität seine eigene kommunalpolitische Irrelevanz unter Beweis stellte, ist es nicht.

Wenn die Gewerkschaft ÖTV in Köln in diesem Prozeß zukünftig überhaupt noch eine Rolle spielen will, muß sie sich schnellstens vom getriebenen Objekt neoliberaler Umstrukturierung in ein bewußt handelndes, modernisiertes politsches Subjekt reformieren.

Ohne die Partizipation von Gewerkschafts-Mitgliedern und der Menschen in der Stadt wird es keine Erneuerung geben, wird sich kein neuer sozialer Block bilden und auch keine kommunale Hegemonie. Weitere Niederlagen sind dann vorprogrammiert.


Home
LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace
Datei:
Datum: