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Bei den Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes
war in der Tarifrunde 2000 keine klare Strategie erkennbar. Dies gilt besonders
für die ÖTV. Entsprechend mäßig fiel das dann doch in Verhandlungen
statt per Streik erzielte Tarifergebnis aus nach der überraschenden
Ablehnung des ursprünglichen Schlichtervorschlags durch die Tarifkommission
und nach einem Urabstimmungsergebnis von 76 Prozent, das kein überzeugendes
Votum für Streik war.
Mit 2,0 Prozent Lohn- und Gehaltserhöhung
ab August 2000 und weiteren 2,4 Prozent ab September 2001 sowie einer für
Ost und West einheitlichen Einmalzahlung von jeweils 100 DM für die Monate
April bis Juli 2000 wurde zwar eine symbolisch bedeutsame "Zwei vor dem
Komma" erreicht. Doch der Preis ist eine um sieben Monate gegenüber
dem Schlichtervorschlag verlängerte Laufzeit. Die Ostangleichung verdient
das Prädikat "verbesserte Perspektive" nicht auch wenn
die Begrenzung auf 90 Prozent des Westniveaus nur bis Ende Dezember 2002 festgeschrieben
wurde drei Monate kürzer, als dies im Schlichterspruch vorgesehen
war. Das erklärte Ziel, Anschluss an andere Tarifbereiche zu halten, wurde
jedenfalls nicht erreicht. Wo liegen die Gründe für dieses insgesamt
mäßige Ergebnis? Nebenstehend ein Kommentar von Uli Maaz.
Vor dem Hintergrund der bereits im Sinne des "Bündnisses für Arbeit" vollzogenen Tarifabschlüsse bei Chemie und Metall war die Ausgangslage zur Durchsetzung der gewerkschaftlichen Tarifforderungen für den Öffentlichen Dienst (u.a. fünf Prozent Lohn- und Gehaltssteigerung) schwierig. Auch der zeitliche Ablauf der Tarifrunde 2000 war für eine Auseinandersetzung eher ungünstig, weil nach dem Scheitern der Verhandlungen während der Schlichtungsphase Friedenspflicht herrschte und die absehbaren Ferien nur wenig Zeit zur Durchführung von wirksamen Arbeitskampfmaßnahmen ließen.
Die schwierige finanzielle Situation der öffentlichen Haushalte bildete ein weiteres, gerade in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung nicht unwesentliches, Problem für einen erfolgreichen Tarifabschluss. Rechtzeitig hätte die ÖTV hier eine politische Aufklärungskampagne starten müssen, um den Behauptungen von Bundesinnenminister Schily und anderen etwas entgegensetzen zu können. Für viele Beschäftigte im Öffentlichen Dienst stellt die Forderung nach Lohnverzicht, die mit der angeblich geringen Produktivität und der hohen Arbeitsplatzsicherheit im Öffentlichen Dienst begründet wurde, zwar reine Propaganda dar. Viele der Nutzerinnen öffentlicher Dienstleistungen wissen jedoch nicht, dass während der 90er Jahre bereits über 20 Prozent des Personals bei Bund, Ländern und Gemeinden abgebaut worden sind und/oder durch Ausgründungen die sozialen Standards verschlechtert wurden.
Doch nicht nur die Finanzierung der Tarifsteigerung und der "Ostangleichung" waren und sind ein Konfliktpunkt. Auch bei einem anderen vermeintlichen Nebenschauplatz der Tarifauseinandersetzung spielt die Finanzierungsproblematik eine besondere Rolle: der ergänzend zur gesetzlichen Altersrente existierenden Zusatzversorgung für die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes. Hier tun sich erhebliche Lücken auf, obwohl bereits im vorletzten Jahr eine Eigenbeteiligung der Beschäftigten in Höhe von 1,25 Prozent eingeführt wurde, die die letztjährige Tarifsteigerung von 3,1 Prozent zusammenschmelzen ließ. Die Einschränkung von Leistungen der Zusatzversorgung war insofern ebenfalls ein strittiges Element des Schlichterspruchs, das allerdings nicht in den jetzigen Abschluss übernommen wurde. Die Neuordnung der Zusatzversorgung soll nun im Rahmen gesonderter Verhandlungen bis Ende 2001 geregelt werden mit Sicherheit eine Hypothek für künftige Tarifrunden.
Der tarifpolitische Schlingerkurs der ÖTV von der Zustimmung Herbert Mais und fast aller anderen Mitglieder der Verhandlungskommission zum Schlichterspruch über dessen Ablehnung durch die Tarifkommission, das mäßige Ergebnis der Urabstimmung und die schließliche Annahme des materiell unbefriedigenden Tarifergebnisses durch die Große Tarifkommission sowie die Mitglieder in der zweiten Urabstimmung ist Ursache und Ausdruck einer wenig erfolgreichen Tarifrunde.
Bei den Meinungsverschiedenheiten innerhalb der ÖTV ging es jedoch nicht allein um Differenzen bei der Bewertung des Schlichterspruches, z.B. wegen unzureichender Einkommenssteigerungen oder hinsichtlich einer akzeptablen Perspektive bei der Ostangleichung. Hinter den Auseinandersetzungen um die diesjährige Tarifrunde stehen ebenso unterschiedliche gewerkschaftspolitische Einschätzungen zur Stellung der ÖTV gegen über dem "Bündnis für Arbeit" und zur geplanten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.
Es ist zu befürchten, dass der für November terminierte Gewerkschaftstag nicht zu einer selbstkritischen tarifpolitischen Perspektivdiskussion, sondern lediglich zu einem machtpolitischen Schlagtabtausch innerhalb der ÖTV genutzt wird. Für die gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit von ver.di dürfte allerdings eine ehrliche Perspektivdiskussion von größerer Bedeutung sein als eine bloße Polarisierung für oder gegen Herbert Mai als Vorsitzenden.
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