letzte Änderung am 27. Jan 2003 | |
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Es war richtig, die Tarifrunde nicht an den Sachzwängen, die durch die Politik geschaffen wurden (Nullrunde für Krankenhäuser, leere Kassen durch die Steuerpolitik), zu orientieren, sondern die Forderung an den Abschlüssen der Privatwirtschaft auszurichten.
Ein echter Erfolg ist die vereinbarte Anpassung des Tarifgebiets Ost. Hier ist es gelungen, ein bestehendes Tabu zu erledigen. Dies macht Hoffnung, dass es ver.di in Zukunft besser möglich ist, politisch produzierte „Sachzwänge“ in Frage zu stellen und zu durchbrechen.
Eine „ergebnisorientierte“ Forderung setzt einen verständigen Arbeitgeber voraus, den wir nicht ausmachen können. Die Arbeitgeber werden immer versuchen, die Löhne soweit wie möglich zu drücken. Insofern müssen sie eine „ergebnisorientierte“ Forderung als Einladung hierzu auffassen. Die Forderung hat zwar in der Anfangsphase gewisse Vorteile in der Argumentation gebracht, je näher eine Entscheidung rückte umso deutlicher wurde, dass hiermit eine falsche Strategie gewählt wurde. Mit und ohne Streik bedeutet sie, dass den Arbeitgebern eine Ultimatum gestellt wird, aus dem sie ohne Gesichtsverlust nicht mehr herauskommen können. Tarifverhandlungen sind keine Kapitulationsverhandlungen. Bei der Aufstellung der Forderungen muss ein entsprechender Verhandlungsspielraum berücksichtigt werden.
Da die Bundesebene im Rahmen der Forderungsaufstellung vorgegeben hatte, dass Arbeitszeitfragen keine Rolle spielen dürfen, kritisieren wir, dass entgegen den eigenen Vorgaben, mit dem Wegfall des AZV-Tages, einer Arbeitszeitverlängerung zugestimmt wurde. Diese Zustimmung erfolgte entgegen bestehender Beschlüsse der Quellgewerkschaft ötv und vieler Diskussionen in ver.di zur Arbeitszeitverkürzung. Die Streichung des AZV-Tages kann bei den AG als Wendepunkt für die Arbeitszeitpolitik der Gewerkschaft und als Einladung für zusätzlichen Stellenabbau gewertet werden.
Der Lohnabschluss bedeutet bei Beschäftigten eine Lohnerhöhung von ca. 1,6 bis ca. 2,2%. Damit wurde das Ziel, sich von den Tarifergebnissen der Privatwirtschaft nicht abkoppeln zu lassen nicht erreicht. Wir kritisieren drüber hinaus, dass über Rechenkünststücke bei den KollegInnen der Eindruck erweckt werden soll, dass es sich um eine Lohnerhöhung von 4,4% Prozent handelt.
Die lange Laufzeit des Abschlusses, verstößt klar gegen die Beschlusslage, verhindert für 27 MonateVerbesserungen und nimmt ver.di die Möglichkeit die dringend notwendigen Mitgliederzuwächse, die im Zusammenhang mit jeder Tarifrunde einfacher möglich sind, zu erzielen.
Die Kürzung der Lebensaltersstufensteigerung spaltet die Beschäftigten, da die Beschäftigten, die noch nicht die Endstufe erreicht haben, deutlich schlechter gestellt werden. Sie erreichen im Gesamtvolumen gerade die Hälfte der Lohnerhöhungen der Anderen. Die AG können dies als Einstieg in die Abschaffung automatischer Steigerungen zugunsten von Leistungsprämien verstehen. Auch dazu gab es keinen Verhandlungsauftrag.
Die Prozessvereinbarung zur Ablösung des BAT und der entsprechenden ArbeiterTV zugunsten von rechtlich selbstständigen Spartentarifverträgen, die markt- und leistungsorientiert sowie kostenneutral bis zum Ende der Laufzeit des Tarifvertrages umgesetzt werden soll, widerspricht unseren demokratischen Strukturen, weil die innergewerkschaftliche Diskussion zur Änderung des öffentlichen Tarifrechts in ihren Anfängen abwürgt und ad absurdum geführt wird: Sie legt eine Richtung fest, die der bisherigen Beschlusslage und Kritik am 100 Punkte-Papier widerspricht. Kostenneutralität bedeutet, dass durch einen neuen Manteltarifvertrag Beschäftigte mehr und andere weniger verdienen werden.
Besonders gefährlich sind aus unserer Sicht die möglichen mittel- und langfristigen Wirkungen dieses Abschlusses. Die These, dass durch Streik nicht mehr erreicht werden hätte können halten wir für falsch und sie ist äußerst gefährlich. Jede Gewerkschaft wäre damit letztlich handlungsunfähig..Aus unserer Sicht wäre ein Streik richtig und durchführbar gewesen. Es stellt sich die Frage, wenn es bessere Zeiten für einen Arbeitskampf geben wird. Seit 1992 wurde keine so hohe Bereitschaft bei den Mitgliedern festgestellt, wie in diesem Jahr.
Wir befürchten, dass mit Ergebnis und Vorgehen eine zumindest vorläufige Richtungsentscheidung für politische Anpassung getroffen wurde. Es besteht die große Gefahr, dass sich auch in den anderen Auseinandersetzungen (Sozialabbau, Erhalt der Daseinsvorsorge, Umverteilung) der Eindruck verfestigt, dass Gewerkschaften keine Gegenmacht sind, die die Interessen der Beschäftigten erfolgreich vertreten können und ein echtes Gegengewicht gegen die neoliberale Ausrichtung Deutschlands darstellen. Ihnen bliebe dann nur noch die Rolle die von den Herrschenden vorgegebene Politik abzuschwächen und „sozialverträglich“ „mitzugestalten“ – ohne eigenständige Perspektive.
Wir befürchten, dass die Glaubwürdigkeit der Organisation bei den Mitgliedern beschädigt wurde. Die Ausrichtung der Organisation auf eine schnelle Eskalation und auf die ergebnisorientierte Forderung wurde von vielen Mitgliedern ernst genommen. Die Umorientierung auf Verhandlungen nach einer großen Warnstreikbewegung nach dem Schlichterspruch ohne Rückkoppelung wirft Schatten auf die innergewerkschaftliche Demokratie, auch wenn die formale Entscheidung durch die Tarifkommission gefällt wurde. Die Mitglieder sind keine Objekte sondern die Subjekte der Tarifpolitik.
Die ver.di Bezirksverwaltung Stuttgart beauftragt den Bundesvorstand, die Diskussion um Vermögens- und Unternehmenssteuern weiterzuführen und die Kampagne dafür zu verstärken.
Ver.di Stuttgart fordert den Bundesvorstand und die Tarifkommission auf in Zukunft verbindlich dafür zu sorgen, dass Forderungsbereiche, die vorher ausgeschlossen wurden, nicht in die Verhandlungen und Ergebnisse einbezogen werden
Ver.di Stuttgart fordert den Bundesvorstand und die Tarifkommission auf, die Schlichtungsvereinbarung im Jahr 2003 endgültig aufzukündigen und nicht mehr neu abzuschließen.
Ver.di Stuttgart fordert den Bundesvorstand auf, im Jahr 2003 das aus der Gründungsorganisation bekannte Rückkoppelungsverfahren dahingehend zu ergänzen, dass den Bezirken in jedem Fall ein Zeitraum von drei Tagen gegeben wird und zu veranlassen, dass es mit dieser Ergänzung in die ver.di-Satzung und die Tarifrichtlinie des öffentlichen Dienstes eingearbeitet wird. Die Rückkoppelung soll (muss) dabei Ergebnis von Entscheidungen bezirklicher Delegierten- bzw. Funklionärskonferenzen unter Beteiligung der Tarifkommissionsmitglieder (soweit vorhanden) sein.
Der Bundesvorstand wird aufgefordert, die Reform der Gemeindefinanzierung öffentlichkeitswirksam auf politischer Ebene voranzutreiben mit dem Ziel, die Gemeinden finanziell wieder handlungsfähiger zu machen und der Verpflichtung, die öffentliche Daseinsvorsorge zu erhalten.
Ver.di Stuttgart fordert den Bundesvorstand auf, den Stellenabbau im öffentlichen Dienst und anderswo öffentlichkeitswirksam anzuprangern und damit zu einem Klima gegen Arbeitsplatzabbau beizutragen. Auf dem Hintergrund der breiten Kritik an der Streichung des AZV-Tages soll eine bundesweite Diskussion über die Frage der Arbeitszeit und Arbeitszeitverkürzung auf die Tagesordnung gesetzt werden. Arbeitszeitverkürzung als ein Mittel gegen den Stellenabbau muss als gewerkschaftliche Perspektive der Tarifpolitik neu belebt werden.
Ver.di Stuttgart fordert den Bundesvorstand auf, dem Umbau unserer sozialen Sicherungssysteme durch entsprechende Kampagnen entgegenzuwirken. Dabei muss die Erhaltung der sozialen Absicherung der Masse der Bevölkerung, die Rückumverteilung der Lasten auf die Arbeitgeber und Reichen und die Beschränkung von Markt- und Wettbewerbsmechanismen im Zentrum stehen.
Darüberhinaus beantragen wir, dass über Ablauf und Ergebnis der Tarifrunde im ÖD eine breite innergewerkschaftliche Diskussion mitgliederoffen geführt wird, die auch ihren Niederschlag in den ver.di Publikationen findet.
Der Versuch der Arbeitgeber den Flächentarifvertrag auszuhöhlen muss bundesweit zurück gewiesen werden. Den Angriffen der Arbeitgeber auf den Flächentarifvertrag soll durch eine bundesweite Kampagne für den Flächentarifvertrag begegnet werden. Die Berliner Kollegen/innen benötigen die Solidarität der Gesamtorganisation in ihrem Kampf gegen die Abkoppelung aus dem Flächentarifvertrag. Ein Zurückweichen in Berlin hätte negative Folgewirkung für das ganze Bundesgebiet und muss verhindert werden.
Einstimmig auf einer offenen Delegiertenversammlung für den ÖD Bereich am 13.2. verabschiedet. Weiterhin durch einen Beschluss des Bezirksvorstandes am 23.2. verabschiedet.
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