letzte Änderung am 06. Juni 2002 | |
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Auch dieses Jahr gingen die Tarifverhandlungen in der Chemieindustrie schnell, kurz und geräuschlos vonstatten. Ab dem 9. April wurde zentral verhandelt. Bereits am 18. April wurde dem erstaunten Publikum das Ergebnis präsentiert.
Für März gibt es für alle Beschäftigten 85 Euro Einmahlzahlung und für die weiteren zwölf Monate eine Erhöhung der Entgelte von 3,3 Prozent. Die Ausbildungsvergütungen werden um 23 Euro verbessert. Ein Ergebnis oberhalb der Inflationsrate erstaunt nach den Abschlüssen der letzten Jahre schon so auch die Reaktionen in den Betrieben. Oder musste die IG BCE nur ganz schnell den Vorreiter machen, damit die IG-Metallkollegen nicht übermütig werden? Einfluss auf deren Tarifrunde hat das Chemie-Ergebnis schon gehabt, und das lässt sich die Industrie schon mal was kosten. Der Abschluss im Einzelnen:
Die Umwandlung der so genannten Entgeltgarantie in den Entgeltgruppen E5 bis E8 (die klassischen Entgeltgruppen für den gewerblichen Bereich) in Tarifentgelt ist sicher positiv zu bewerten. Vorher gab es gestaffelt nach Jahren die Entgeltgarantie, die jedoch nicht als vollwertiges Tarifentgelt behandelt wurde, z.B. in Bezug auf Zulagen. Besonders für die Kollegen auf Schicht wird das Entgelt bei den Zulagen durch die veränderte Grundlage verbessert.
Des Weiteren einigten sich die Tarifparteien darauf, in den nächsten zwölf Monaten einen Abschluss über »optionale, leistungsbezogene Entgeltsysteme« zu erreichen. Dies wäre der Einstieg in eine völlig neue Logik und würde den Druck untereinander und die Aufspaltung der Belegschaften weiter vorantreiben. In diesem Zusammenhang will man auch die »Durchlässigkeit« der Entgeltgruppen regeln. Die Arbeitgeber fordern eine zusätzliche Entgeltgruppe zwischen E8 und E9. Wenn diese Entgeltgruppe auch finanziell zwischen den bisherigen Entgeltgruppen angesiedelt wird, bedeutet dies einen geringeren Entgeltzuwachs bei Höhergruppierungen. Ob dann von dem Versprechen, dass »Handwerker und Chemikanten endlich eine Chance erhalten, über E8 hinaus zu kommen«, noch etwas übrigbleibt, ist zweifelhaft.
Bei den Eingruppierungsmerkmalen hat es erhebliche Verschlechterungen gegeben. Statt bei den Richtbeispielen für Handwerker und Chemikanten die im Vergleich zu anderen dreieinhalb-jährigen Ausbildungsberufen schon längst überfällige Anpassung nach oben zu vereinbaren, wurde dort nichts verändert. Dafür aber im kaufmännischen und Verwaltungsbereich und teilweise im technischen Bereich, wo die Arbeitsbeispiele bis zu zwei Entgeltgruppen niedriger liegen.
Per Betriebsvereinbarung kann die tarifliche Jahresprämie (»dreizehntes Monatsgehalt«) momentan 95 Prozent eines Monatsentgeltes um maximal 15 Prozent abgesenkt oder um 30 Prozent angehoben werden. Anstatt die Jahresprämie wieder auf hundert Prozent zu erhöhen (im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Lohnfortzahlung wurde sie von 100 auf 95 Prozent gekürzt), wurde damit eine Regelung vereinbart, die wieder ein Stück Tarifmaterie auf der betrieblichen Ebene regelt.
Die stillen Verschlechterungen bleiben ein Markenzeichen der Tarifrunden in der Chemieindustrie. Sie fallen nicht sofort auf, sind dafür aber besonders wirksam. So hat in der Vergangenheit bereits die Einführung der E7 die Entgeltstruktur im technischen Angestelltenbereich nach unten gedrückt. Jetzt hat man sich dies im Kaufmännischen, IT- und Verwaltungsbereich vorgenommen. Die Anzahl der Beschäftigten in diesen Bereichen wird wachsen, und den Arbeitgebern sind die Entgelte dort zu hoch. Deshalb wird jetzt über neue Eingruppierungsrichtlinien für die selbe Tätigkeit weniger Entgelt gezahlt. Ähnliches ist zu befürchten bei dem Thema »leistungsbezogene Entgeltsysteme«: Auch hier wird mit Gewinn- und Leistungsbezogenen Entgeltsystemen die Tarifebene zugunsten der betrieblichen Ebene unterlaufen und die Konkurrenz unter den Beschäftigten innerhalb des Betriebs und zu anderen Firmen geschürt. Eine Veränderung der Tarifpolitik der IG BCE ist weit und breit nicht abzusehen. Dazu ist die Stimmung in den Betrieben zu passiv. Viele Veränderungen sind langfristig angelegt und für die Beschäftigten nicht überschaubar. Ansonsten ist außer vielleicht bei BASF Tarifpolitik kein Thema der innergewerkschaftlichen Debatte. Die »Tarifleitlinien« werden vom Hauptvorstand vorgeben und oft genug in unteren Gremien nur bestätigt. Dem kann nur entgegengewirkt werden, wenn Tarifthemen nicht als Geheimthema betrachtet werden, sondern im Vorfeld breit in der Belegschaft diskutiert werden. Doch dies weiterhin zu versuchen, wird wohl der gewerkschaftlichen Opposition allein überlassen sein. In den offiziellen Gremien rührt sich nichts.
* Nikolaus Roth ist Betriebsrat bei Bayer Leverkusen und Mitglied der dortigen KollegInnengruppe »Durchschaubare«.
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