letzte Änderung am 15. Januar 2003 | |
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„Die Drei ist ernst gemeint, darauf könnt ihr euch verlassen! Das Signal ist angekommen, ihr macht uns den Rücken stark!" Das versicherte Frank Bsirske den rund fünfhundert Kolleginnen und Kollegen, die sich am 15. November 2002 in Stuttgart versammelten, wo er Stunden später die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst eröffnete. Drei Prozent plus x bei einer Laufzeit von 12 Monaten sollten es werden. Und dann sind sogar „4,4 Prozent“ herausgekommen (die Tarifkommission stimmte mit 106 Stimmen bei 18 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen für die Annahme des Ergebnisses). Eine Einmalzahlung für November und Dezember 2002, 2,4% für das Jahr 2003 und jeweils 1 % im Januar und Mai 2004 sowie eine Einmalzahlung im November 2004 in Höhe von 50 Euro bei einer Laufzeit von 27 Monaten stehen auf der Habenseite. Und doch knallen an der ver.di Basis keine Sektkorken.
Offenbar können die Gewerkschafter an der Basis doch besser rechnen als die Gewerkschaftsführung ihren Mitgliedern unterstellt. Trotz PISA-Schock und den offenbar gewordenen Mathematik-Schwächen ist den ArbeitnehmerInnen des Öffentlichen Dienstes klar, dass an den vermeintlich erkämpften Gehaltszuwächsen nicht alles Gold ist was glänzt. Für das Jahr 2003 werden die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst sogar einen deutlichen Reallohnverlust verkraften müssen. Denn die 2,4 % vereinbarten Lohnerhöhungen für dieses Jahr werden durch eine Reihe von Maßnahmen „kompensiert“ und in ihr Gegenteil verkehrt: So dürfen ab Dezember 2003 die Auszahlungen der Vergütungen erst am Monatsletzten erfolgen und nicht mehr am 15. eines Monats. Für die Angestellten und Arbeiter ein faktischer Verlust ihrer Einkommen von rund 4%. Das Weihnachtsgeld bleibt weiter eingefroren und beträgt jetzt nur noch knapp 84% eines Monatseinkommens ein weiterer Verlust von rund 0,2 %. Bislang erhielten die Beschäftigten alle zwei Jahre eine Lohnerhöhung in Abhängigkeit von ihrem Alter und ihrer Vergütungsgruppe von 25 bis 150 Euro. Diese wird zukünftig für 1 Jahr um 50% gekürzt. Im Mittel ein weiterer Einkommensverlust von ca. 0,4%.
In der Summe also ein Abschlag von 4,6 %, dem eine Lohnerhöhung von 2,4 % gegenüber steht. Nicht berücksichtigt ist, dass außerdem ein Urlaubstag gestrichen wird. Die Inflationsrate wird in 2003 rund 1,8 % betragen. Die Kaufkraft der Arbeiter und Angestellten wird also um rund 4,3 % „plus x“ sinken. Besser wäre es also gewesen, ver.di hätte den letzten Tarifvertrag nie gekündigt… Dabei trifft es entgegen landläufiger Meinung nicht gerade die Einkommenselite. Eine 35 Jahre alte, verheiratete Sekretärin erhält knapp 2000 Euro brutto im Monat. Ein ebenso alter, verheirateter Betriebswirt mit FH-Diplom kommt im günstigsten Fall auf knapp 3000 Euro. Und letztgenannte Arbeitnehmer trifft es noch arger: Ihre Gehälter steigen nicht zum 1. Januar, sondern erst ab April 2003. Die Angestellten im Osten sind hingegen viel besser dran: Schon knapp 20 Jahre nach der Wiedervereinigung werden am 31. Dezember 2009 auch die letzten Beschäftigten die gleiche Vergütung wie ihre West-Kollegen erhalten. Kein Wunder also, dass ver.di in einer eiligst gedruckten Hochglanzbroschüre feststellt: „Damit haben wir an die Einkommensentwicklung in den anderen Branchen Anschluss gehalten“.
Schon die Tarifrunde 2000 (damals noch unter dem Label der ÖTV) wurde von vielen Gewerkschaftern als Desaster empfunden. Das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ erinnert in ihrem Tarifinfo vom November 2002 daran: „76,2% der Mitglieder stimmten für Streik und gegen den Schlichterspruch. Die ÖTV-Führung sabotierte den Streik. Sie verhandelte nach und präsentierte wenige Tage nach dem Streik-Votum ein Ergebnis, das unter dem Strich noch schlechter war als der Schlichterspruch (die 0,2% Verbesserung gegenüber dem Schlichterspruch wurde durch Verschieben der Erhöhungszeitpunkte sogar überkompensiert). Nach Aussage des damaligen Vorsitzenden des ÖTV-Bezirks Bayern, Michael Wendl, haben die Arbeitgeber in den 3 Jahren Laufzeit 3 Milliarden gegenüber dem Schlichterspruch eingespart. Der Unmut an der ÖTV-Basis war zu recht groß. An der Urabstimmung über das neue und als verbessertes Ergebnis verkauften Abschlusses beteiligten sich weniger als 50% der Mitglieder. Die 60% Zustimmung bedeuten deshalb, dass nur 25% der abstimmungsberechtigten ÖTV-Mitglieder dem Ergebnis zugestimmt haben. Die Löhne stiegen nach einer Einmalzahlung von 400 Mark für die Monate April bis Juli ab 1.8. 2000 um 2% (Inflationsrate 2000 war 1,9%) und ab 1.9.2001 um 2,4% (Inflationsrate 2001 war 2,5%). Das heißt, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst für die Preissteigerung im Frühjahr und Sommer gar keinen Ausgleich erhielten. Die Erhöhung ab September 2001 lag noch unter der Inflationsrate. Wir erinnern daran, dass die ArbeiterInnenkonferenz der ÖTV einen Monat nach diesem Abschluss bereits zu recht einen Nachschlag und dessen Durchsetzung per Kampfmaßnahmen beschlossen hat. Dieser Beschluss wurde vom ÖTV- und ver.di-Vorstand völlig ignoriert.“ Geschichte wiederholt sich doch!
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