letzte Änderung am 20. Jan 2003 | |
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Kommentar aus den Reihen der ver.di-Betriebsgruppe im Knappschaftskrankenhaus Sulzbach:
Die Regierenden in diesem Land spucken Gift und Galle. Ihre Zeitungen, Radioanstalten und Privatsender verkünden einhellig: der neoliberale Umbau der Gesellschaft, die Umverteilung von unten nach oben, der Sozialabbau, den sie mit Permanenz betreiben, alles das geht ihnen nicht weit genug. Deswegen wollten sie uns in der Tarifrunde nichts geben. Sie sagen, die Kassen seien leer. Sie verschweigen dabei, dass sie diese Kassen geleert haben und weiter leeren. Wir, die abhängig Beschäftigten, sollen dafür die Zeche bezahlen. Da erlauben wir uns mal gleich zu Beginn folgende Bemerkung: Wer den Vermögenden und Kapitaleignern die Steuer senkt, ihnen mit Geschenken die Taschen füllt, wer Kriege führt und das notwendige Geld binnen Stunden dafür aufbringen kann, dem glauben wir nicht.
Viele Kollegen sind enttäuscht über das Ergebnis in den Tarifauseinandersetzungen. Manche wollten kämpfen. Aber andere sind auch einverstanden, stimmen den Regierenden zu, schließlich sagt die Opposition auch nichts anderes. Die einen wollen noch schlimmere Dinge, die anderen können uns besser beruhigen. Im Kern setzen alle auf diesen Raubzug auf unsere Geldbeutel und unsere Gesundheit. Mit einer verbissenen Entschlossenheit übertreffen sich die neoliberalen Kahlschlagsfanatiker aus CDU, FDP, Grüne und SPD in Vorschlägen fernab jeder ökonomischen Realität. Es sind gerade diese neoliberalen Rezepte aus der Mottenkiste des Frühkapitalismus - heißen sie nun Service GmbH oder zu geringe Kaufkraft durch niedrige Lohnabschlüsse -, die uns in den wirtschaftlichen Ruin führen.
Und die Gewerkschaft? Auch hier befinden sich die Menschen, die den Neoliberalismus bejubeln, solange das Hemd bei Aldi so billig zu haben ist. Was kümmert einen da die Kinderarbeit in Indien? 40.000 Kinder sterben täglich auf diesem Globus. Ein Ergebnis dieser ach so schönen Globalisierung. Alles scheint weit weg, so wie die Kriege und Irak. Lediglich unser Pfarrer Bier bemerkte in seinen Worten im KlinikWeb zu Weihnachten Nachdenkenswertes und lässt den gewerkschaftlich organisierten Weihnachtsmann Wahrheiten aussprechen. Ja, das alles hängt zusammen: die geplante Gesundheits"reform", die Renten, der Arbeitsstress, die Arbeitslosigkeit, das Verhungernden Kinder in der "dritten Welt" und unsere Tarifrunde.
Der Gewerkschaft wurde der Kampf nicht leicht gemacht. Die Medien verkündeten, wir würden in einem Gewerkschaftsstaat leben. Man sprach vom "Moloch ver.di", unsere Forderung sei "verheerend", unser Vorsitzende Bsirske wurde beschimpft, weil er die Wahrheit fragte: "Millionen zahlen Steuern, warum nicht Millionäre?" Man drohte mit Arbeitsplatzabbau, obwohl man diesen ja schon seit Jahren auch im öffentlichen Dienst betreibt. Die Arbeitgeber drohten mit Aussperrung, nach langem Zögern boten sie uns ein Prozent mehr Geld, dafür sollten wir eine halbe Stunde mehr arbeiten (=1,3 Prozent), das Land Berlin flüchtete aus der Tarifgemeinschaft.
Und doch muss man auch festhalten: ein Inflationsausgleich wurde durchgesetzt, für die neuen Bundesländern konnte die Angleichung an das Westniveau bis 2007 bzw. 2009 festgeschrieben werden. Dies ist ohne Arbeitskampf durchgesetzt worden, was ohne Frage einen Erfolg darstellt, zumal es derzeit diese Frage leider nicht arbeitskampffähig war, da es dafür an Fähigkeit und Bereitschaft fehlte.
Unser Krankenhaus sollte am 20. Januar in den Streik gerufen werden. Unsere Streikleitung hatte die entsprechenden Pläne erarbeitet. Wir standen nur Stunden vor der Urabstimmung. Aber, übersehen wir nicht, dass nicht alle bereit waren zu kämpfen. Wir waren bei der Generalprobe Warnstreik zwar gut, aber viele entzogen sich auch dem Aufruf. Nur ein Arzt und relativ wenig Pflegekräfte sah ich auf der Demonstration der 6.000 in Saabrücken. Andere Krankenhäuser fehlten ganz.
Auch in unserer Betriebsgruppe gibt es Enttäuschte. Wir waren voller Hoffnung als wir die hohe Beteiligung im Land an den Warnstreiks vernahmen. Wir wollten beweisen, dass man auch unter Krisenbedingungen eine Reallohnerhöhung durchsetzen kann. Diese Strategie entwickelten wir schon im Frühjahr und haben damit bundesweites Aufsehen erzielt. http://www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/tarif02/sulzbach2.pdf Wir sahen nicht gerne, dass man von ver.di-Seite dem Schlichterspruch zustimmte, weil das eine weitere Mobilisierung erschwerte. Wir haben unsere Position in unsere Gewerkschaft eingebracht und haben gespürt, dass eine wachsender Teil der Kolleginnen und Kollegen uns zustimmten. Im Internet starteten wir eine Umfrage, 907 Teilnehmer von 914 Gesamtteilnehmern sprachen sich dort für Streik aus. Das macht uns Mut.
Wir müssen uns bewusst werden, dass sich die Tarifmisere des öffentlichen Dienstes nicht mit tarifpolitischen Mitteln allein - auch nicht durch einen harten Arbeitskampf - auflösen lässt. Der strategische Blick der Gewerkschaften wird sich daher noch stärker auf die Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik des Staates und der Geldpolitik der Zentralbank zu richten haben. Alles das sind schwierige Fragen, die es zu diskutieren gilt und die deutlich machen, dass auch wir Gewerkschafter an einem Wendepunkt stehen. Und gerade die Warnstreiks haben uns gezeigt, was die richtige Richtung ist. Wir müssen unsere Mitglieder mobilisieren, müssen auf unsere eigene Kraft vertrauen.
Wenn uns in diesen tagen jetzt allerdings Häme von Nichtmitgliedern entgegengebracht werden, dann dazu auch ein paar Worte: Alle die jetzt die Klappe ganz groß aufreißen und noch nicht einmal Mitglied in ver.di sind, meinen, sie seien besonders klug. Sie vergessen dabei, dass auch die 4,4 Prozent nur der Gewerkschaft zu verdanken haben und auch unserem Streikwillen. Wer nicht Mitglied der Gewerkschaft ist, hat kein Recht, Veränderungen einzufordern. Wer sich nicht für seine Interessen einsetzt und dabei Solidarität mit andern ausübt, muss sich nicht wundern, wenn wir sie verächtlich Trittbrettfahrer nennen, die sich nicht wundern dürfen, wenn ihnen immer mehr Geld aus der Tasche gezogen wird.
Nein, wir wollen euch nicht beschimpfen, wir wollen euch überzeugen, damit ihr mitmacht, weil wir nur mit einer starken Gewerkschaft etwas erreichen können. Wir brauchen dich, heute dringender denn je. Gerade du, Kollege Arzt, gerade du, Kollegin in Pflege oder Verwaltung, in Technik oder Küche - gerade du hast uns noch gefehlt. Die Bedeutung von ver.di kann man in diesen Wochen allein schon daran erkennen, wie die Arbeitgeber und ihre Medien uns bekämpft haben.
Und nur wir alle - mit unserer Gewerkschaft - sind es, die Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung und Lohnraub aufhalten können, indem wir nicht weiter machen wie bisher, indem wir die Zusammenhänge erkennen und beginnen unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Wir müssen erkennen, dass wir an einer Entscheidungsstelle gesellschaftlicher Formierung stehen. Und formieren, das können wir uns nur selbst. Das nimmt uns kein Politiker ab. Es hilft kein Jammern, keine Resignation, keine Gespräche an warmen Kaminen und auch keine noch so gut geführten nächtlichen Verhandlungen. Die Zeiten der "Sozialpartnerschaft" sind vorbei. Es hilft nur die harte Auseinandersetzung. Und diese können nur wir führen. Deswegen gibt es heute nichts wichtigeres als die Gewerkschaft. Und dort müssen wir aktiv mitmachen, müssen uns demokratisch einbringen und mitentscheiden. In ver.di sind die Kräfte, die in der Lage sind, das Ruder rumzureißen. Aber das machen sie nicht automatisch. Dazu müssen sie überzeugt werden. Die Zeit ist reif darüber die Diskussion auch in ver.di zu führen. Die ver.di Betriebsgruppe im Knappschaftskrankenhaus will dazu ihren Beitrag leisten.
Dr. Brunner
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