letzte Änderung am 15. Januar 2003 | |
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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es ist ja nicht das erste Mal, dass ich einen Tarifabschluss - um es neutral zu sagen - höchst bedenklich finde, auch nicht einen Abschluss im öffentlichen Dienst. Aber es ist das erste Mal, dass ich Mitglied einer Gewerkschaft bin, die einen Abschluss im öffentlichen Dienst unterschrieben hat.
Ich will mich jetzt gar nicht so sehr mit den Rechnungen befassen: Das werden jeder und jede auf ihrem Konto selbst hinbekommen, weder Jubelrechner noch kritische Genies der Prozentrechnung werden dazu gebraucht. Schönrechnen hält im allgemeinen bis zur ersten Überweisung vor. Dass es stark verbreitete Unzufriedenheit gibt wird kaum jemand bestreiten wollen.
Weil ich mich nicht in die konkreten Entwicklungen der betroffenen Fachbereiche einmischen kann und will, beschränke ich mich auf zwei Punkte dieses Abschlusses, die meiner Meinung nach von sozusagen allgemeinpolitischer Wichtigkeit sind, die alle betreffen, deshalb sollen auch alle dazu reden.
Das ist erstens die gesamte Frage der finanziellen Lage insbesondere der Kommunen. Ich denke schon, dass nicht übersehen werden darf, dass die tatsächlich oft in einer entschieden kritischen Lage sind. Wer sich auf Parolen wie "Geld ist genug da" zurückzieht, wird lernen müssen, dass seine These eine Blütezeit beschwört, die vorbei ist. Was ja aber konsequenterweise zweierlei bedeuten kann: einmal Rückzug, Anpassung, Verzicht. Zum anderen: Viel intensiveres und direkteres politisches Eingreifen. Fürs erste sind andere zuständig, die sich irgendwelchen Machterhaltungsspielen politischer Parteien anpassen. Das zweite aber bedeutet eine gesellschaftliche Debatte um einen ganzen Katalog wesentlicher Fragen - wie etwa der Steuerpolitik (weshalb liegen die Kommunen auch vergleichsweise am schlechtesten), aber eben auch um den öffentlichen Dienst insgesamt - was will die Bevölkerung als öffentlichen Dienst haben - und manches andere mehr. Was alles aber nicht nur die so oft und oft vergeblich beschworene "Politisierung der Tarifpolitik" bedeuten soll, die eh lange schon zum puren Slogan abgewirtschaftet ist, sondern eine ganz andere Art, Tarifrunden zu führen, wobei etwa die Einbeziehung von Erwerbslosen und die einst populären Festgeldforderungen nicht nur unsere diversen Rechenmeister arbeitslos machen würde, sondern lediglich Ausgangspunkt solch anderer Tarifpolitik wären. Diese müsste Verbindungen suchen bzw herstellen zwischen Wünschen und Forderungen der Bevölkerung und jenen der Beschäftigten und auf solchen gemeinsamen Interessen aufbauen und von daher sehr öffentlich geführt werden. Einstweilen ein Denkansatz, den ich gar nicht genauer ausführen will, aber für dringend nötig erachte zu verfolgen, weil ich ihn für nützlicher, erfolgsträchtiger halte, als die je übliche Debatte "hätten wir radikaler müssen...?"
Das zweite aber sind die beiläufigen politischen Positionierungen, die dieser Abschluss impliziert. Ich enthalte mich - einstweilen - der Debatte um die lange Laufzeit. Dass dies die Handlungsfähigkeit nicht gerade stärkt, dürfte aber unbestritten sein. Was aber wirklich mit diesem Tarifabschluss "erreicht" wurde ist eindeutig: Die "beiläufige Abwicklung" der Arbeitszeitverkürzung. Die IG Metall kündigt den Tarif nicht, verdi unterschreibt die Streichung eines Tages. Wertlos Beschlüsse wie die unserer Bezirkskonferenz, es müsse auf eine allgemeine AZV orientiert werden: Ablage rund. Wer so handelt ist dann hinterher vom Zwang der Sachen, wie Politik heute oft genannt wird, gefesselt: Und PSA, prekäre Beschäftigung und all die kapitalistischen Wünsche haben Hoch-"Sommer".
Ich denke, diese nahezu strategische Festlegung ist in Wirklichkeit das mieseste Ergebnis dieses Abschlusses: objektiv, weil AZV immer noch das einzig denkbare Mittel ist Erwerbslosigkeit zu begegnen und Gesundheit zu schützen, subjektiv, weil es viele AktivistInnen gibt, die sich gerade in letzter Zeit wieder verstärkt dafür eingesetzt haben. Sehr bedenklich stimmt mich dabei, dass auch viele KritikerInnen des Abschlusses insofern diese Entwicklung - unfreiwillig, hoffe ich - stützen, indem sie ohne viel zu überlegen den AZV Tag einfach mit soundsoviel Prozent "abziehen". Das ist schon fast eine Generation her, als mensch anfing, zu sehen, dass Freizeit und Geld nicht ohne weiteres verrechenbar sind. Auch echte 3% oder mehr oder 5 wären mit AZV Abzug ein schlechter Abschluss gewesen.
Helmut Weiss
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