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Kreisdelegiertenkonferenz Stuttgart BB Stuttgart, 15.08.00

Antrag an den Gewerkschaftstag

 

  1. Die ÖTV korrigiert ihre Position zur Verwaltungsreform bei Bund, Ländern und Gemeinden.
  2. Die ÖTV zieht ihre Beteiligung an den gemeinsamen Planungs- und Koordinierungsgruppen zur Durchführung der Verwaltungsreform (z. B. Netzwerk Kommunen) zurück und schließt keine 3-seitigen Verträge hierzu mehr ab.
  3. Die ÖTV unterstützt aktiv die Personalvertretungen bei ihrem Kampf gegen die Folgen der Verwaltungsreform (Stellenabbau und Rationalisierung) und bei ihrer Aufgabe die Rechte der Beschäftigten in Bezug auf die "Neuen Steuerungsformen" durch Dienstvereinbarungen zu regeln.
  4. Die ÖTV startet eine Aufklärungskampagne zur Darstellung der bisherigen Auswirkungen der Verwaltungsreform auf die Beschäftigten und gegen die neoliberalen Grundlagen der Theorien vom "schlanken Staat". Sie stellt den Zusammenhang zwischen Verwaltungsreform, Globalisierungswettlauf und Verschlechterung der Lage der Bevölkerung her.

 

Begründung:

Über 600.000 Stellen wurden in den letzten Jahren im Öffentlichen Dienst (ÖD) abgebaut. Damit nicht genug: Die Fa. Roland Berger (die in Stuttgart gerade die sog. "Gesamtsteuerung" einführt) hat im Auftrag des Bundesfinanzministeriums Pläne vorgelegt, wie bis 2005 im ÖD weitere 600.000 Stellen gestrichen werden können. Kernaussage ist: Mit den Methoden der Haushaltskonsolidierung lässt sich dies nicht machen, es müssen Strukturveränderungen her. Gemeint ist die Verwaltungsreform. Sie ist der Versuch die Verschlechterung unserer Arbeitsbedingungen, die Verdichtung der Arbeit und die Aushöhlung des ÖD noch als Fortschritt zu verkaufen:

Der "schlanke Staat" soll dem "Standort Deutschland" im weltweiten Globalisierungskampf Konkurrenzvorteile verschaffen. Die Lohnnebenkosten sollen sinken, damit deutsche Unternehmer auf dem Weltmarkt einen Preisvorteil haben. All das sichert jedoch nicht unsere Arbeitsplätze, sondern lediglich die Gewinne der Unternehmer: Obwohl in den letzten Jahren die Gewinne explodierten, wurden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen. Eigentliches Ergebnis der Standortpolitik ist eine Umverteilung in gigantischem Ausmaß: die Reichen werden immer reicher, der Anteil der abhängig Beschäftigten am gesellschaftlichen Reichtum sinkt immer mehr.

Der immer schnellere Wettlauf um den Höchstprofit ist ein Irrweg, denn er kann letztlich nur dazu führen, dass entweder der Konkurrent bzw. ganze Volkswirtschaften den Kürzeren ziehen und in den Ruin getrieben werden, oder dass der Konkurrent noch radikaler kürzt und den Lebensstandard der Bevölkerung verschlechtert. In jedem Fall sind die ArbeitnehmerInnen die Verlierer. Dieser Spirale nach unten muss ein Ende gesetzt werden.

Eine Schwächung des Gemeinwesens zu Gunsten der Einflussmöglichkeiten und der Macht der Unternehmer gefährdet auch die Demokratie. Die zunehmende Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und ihre marktwirtschaftliche Ausrichtung führen zu einem immer größeren Machtverlust für die Kommunen. Die Abkehr vom Sachentscheidungsprinzip und die Einführung der finanziellen Steuerung (Kosten- und Leistungsrechnung, Budgetierung) tun ein übriges. Die Kommunen können immer weniger selbst entscheiden, wenn sie unter dem Druck konkurrierender Privatunternehmen zunehmend nach Marktgesichtspunkten handeln (siehe NWS-Verkauf). Die Erfüllung sozialstaatlicher Aufgaben, z.B. die Subventionierung von Fahrpreisen im Interesse der Bürger oder ähnliches, wird dadurch letztlich unmöglich.

Finanzielle Steuerung bedeutet die Einführung der Personalkostenbudgetierung und der Kosten- und Leistungsrechnung auf der EDV-Basis. Gesteuert wird zunehmend weniger über Sachentscheidungen, sondern über finanzielle Vorgaben. Beschäftigte sind ein Kostenfaktor, der reduziert werden muss. Im Rahmen der Kosten- und Leistungsrechnung, insbesondere der Personalkostenbudgetierung, droht eine umfassende Leistungserfassung und -kontrolle, sowie die zunehmende Unterhöhlung der Gleichbehandlung der Beschäftigten und die Benachteiligung von "teureren" und nicht so "leistungsfähigen" Arbeitskräften.

Die Dezentrale Ressourcenverantwortung (DRV) wird gepriesen als Verlagerung von Verantwortung in die Ämter. Tatsächlich wird die Arbeit verlagert, um zentral vorhandene Stellen abbauen zu können. Die Verantwortung wird nur in dem Sinne verlagert, dass zentrale Vorgaben dezentral eingehalten werden müssen. Zusätzlich droht das Ende einer einheitlichen Rechtsanwendung und der Gleichbehandlung der Beschäftigten, wenn in den einzelnen Ämtern unter Kostengesichtspunkten und Sparvorgaben "Personalpolitik" betrieben wird.

Erklärtes Ziel ist der "Ämterwettbewerb" und damit das Schüren der Konkurrenz zwischen den Ämtern und Eigenbetrieben und ihren Beschäftigten. Jeder soll nur noch zu seinem Vorteil und nach finanziellen Gesichtspunkten entscheiden. Die Einheitlichkeit der Stadtverwaltung und der Aufgabenerledigung soll auf der Strecke bleiben.

Die DRV ist der "Durchlauferhitzer" für weitergehende Privatisierungspläne, für Eigenbetriebs- und GmbH-Gründungen. Sie soll auch dazu führen, dass Aufgaben an Private vergeben werden (Outsourcing) und damit der Arbeitsplatzabbau vorangetrieben wird. Insbesondere die Arbeiterbereiche, die Personalverwaltung, die EDV-Bereiche und weitere "Servicebereiche" stehen zur Disposition. Mehrarbeit durch die Fremdvergabe müssen natürlich die Ämter und Eigenbetriebe tragen.

Im Rahmen der Verwaltungsreform sollen zwischen den einzelnen Ebenen der Verwaltung Ziele vereinbart und in Form von Verträgen (Kontrakten) fest geschrieben werden. Die Erreichung dieser Ziele soll über Kennzahlen kontrolliert werden. Kennzahlen sollen auch den Vergleich zwischen den einzelnen Kommunen ermöglichen. Ein umfassendes Berichtswesen soll eine engmaschige Ergebnisüberwachung gewährleisten.

Damit findet im Prinzip eine Übertragung der Verantwortung für die Erreichung der Unternehmensziele auf die Arbeitnehmer ("das Team") statt, ohne dass diese die Möglichkeit hätten diese Ziele selbst zu beeinflussen. Der Wunsch der Mitarbeiter nach Teamarbeit wird missbraucht. Die neue "Freiheit" ist letztlich die, so zu funktionieren, wie es diejenigen wollen, die den Rahmen setzen und die Ziele vorgeben.

Wie die Ziele erreicht werden, soll nicht mehr die Sache des Arbeitgebers bzw. der Verwaltung sein, sondern die der Beschäftigten selbst. Die "Teammitglieder" sollen quasi in die Arbeitgeberrolle hinein wachsen und sich entsprechend verhalten. Sie sollen in Konkurrenz treten mit anderen Abteilungen. Sie müssen besser sein als andere, damit sie neue Aufträge bekommen. Sie sollen selbst dafür sorgen dass leistungsschwächere Mitarbeiter entweder mitziehen oder entfernt werden. Sie sollen "selbst entscheiden" wie lange und wie intensiv sie arbeiten, um die Ziele zu erreichen. Die versprochene größere Selbstständigkeit entpuppt sich im wahrsten Sinn des Wortes als "Scheinselbstständigkeit". Das Team ähnelt eher einem Haifischbecken mit der Freiheit zur Selbstausbeutung.

Die ÖTV hat bisher in vielen Veröffentlichungen diese eigentlichen Ziele der Verwaltungsreform verharmlost und versucht sie den Beschäftigten als "Chance" anzudienen. Sie sorgt sich gemeinsam mit den Arbeitgebern um das Vorankommen der Verwaltungsreform und beklagt wortreich, wenn sie durch den Widerstand von Beschäftigten "ins Stocken gerät" oder "an Schwung verliert".

Die bisherigen Erfahrungen der Beschäftigten mit der praktischen Umsetzung der Verwaltungsreform und die weiteren Pläne der öffentlichen Arbeitgeber widerlegen diese Position zunehmend und machen die ÖTV unglaubwürdig. Sie muss dringend revidiert werden.

Die ÖTV muss eine klare Position zu den Versuchen der Zerschlagung großer Teile des Gemeinwesens, zu Stellen- und Leistungsabbau im Öffentlichen Dienst einnehmen. Sie darf sich nicht durch 3-seitige Verträge, gemeinsame Lenkungsgremien in die Mitverantwortung für diese beschäftigten- und bevölkerungsfeindliche Pläne und Maßnahmen nehmen lassen.

Durch eine solche unabhängige Position unterstützt sie am besten die Personalvertretungen, deren Aufgabe es ist durch Dienstvereinbarungen die Folgen dieser Sparmaßnahmen für die Beschäftigten abzumildern und die Rechte der Beschäftigten in diesen Prozessen und Projekten zu sichern.

Bei der Unterstützung der Personalvertretungen kommt es insbesondere auch darauf an, die "Neuen Steuerungsformen" (finanzielle Steuerung, projekthaftes Vorgehen, Zielvereinbarungen / Kontraktmanagement, Benchmarking, Selbststeuerung usw.), die dem Maßnahmenbegriff der Personalvertretungsgesetzes nicht zugänglich sind, und mit den herkömmlichen Mitteln nicht geregelt werden können, durch die Formulierung neuer Beteiligungsrechte und Formen (z.B. Einvernehmlichkeitsklauseln bei der Personalkostenbudgeteierung oder bei Zielvereinbarungen) zu beherrschen und diese neuen Rechte in Dienstvereinbarungen festzuschreiben.

Aufgabe der ÖTV ist es weiterhin auf die Änderung der geltende Personalvertretungsgesetze hinzuwirken, um so diese "Neuen Steuerungsformen" der Mitbestimmung durch die Personalvertretungen zugänglich zu machen.

Die Teilnahme der Personalvertretungen an den jeweiligen Prozessen und Projekten der Verwaltungsreform zur Vermeidung der schlimmsten Auswirkungen für die Beschäftigten ist genauso zwingend notwendig, wie die konsequente Ablehnung und der Kampf der ÖTV gegen die Verschlankung des Staates, gegen die Unterwerfung jeglicher öffentlicher Aufgabe unter Wettbewerbsideologie und Kostenbetrachtungen, sowie gegen den Abbau von Sozialleistungen.

Gleichzeitig muss eine Aufklärungskampagne gestartet werden, die die Beschäftigten und die ÖTV in die Lage versetzt, sich gegen die Auswirkungen der Verwaltungsreform, gegen die Sparmaßnahmen im ÖD und gegen den Abbau des Gemeinwesens zu wehren. Hierbei muss insbesondere der Zusammenhang zu den neuen Entwicklungstendenzen des Kapitalismus (Globalisierung, Shareholder-Value) und zu den neoliberalen Politikstrategien zur Verstärkung dieser Entwicklungstendenzen herausgearbeitet werden.


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