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Solidarität mobilisieren

Diskussionsdokument des 39. Kongresses der Internationalen Transportarbeiterföderation, New Delhi, 29 Oktober - 5 November 1998)


Vorbemerkung


1 Diese Vorlage wurde vom ITF-Vorstand zur Beratung durch die Delegierten auf dem 39. Kongreß erarbeitet und soll die notwendige Aufgabe erleichtern, einen Wandel der Bewußtseinshaltung, Ansätze und Organisationsstrukturen der Verkehrsgewerkschaften weltweit herbeizuführen, um sich den Herausforderungen einer zunehmend internationalen Wirtschaft zu stellen.

2 Die Grundprinzipien, zu deren Verteidigung die der ITF angeschlossenen Gewerkschaften gegründet wurden - eine freie und demokratische Gewerkschaftsbewegung, angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen, ein der Gesundheit und Sicherheit zuträgliches Arbeitsumfeld und ein Ende der Diskriminierung jeglicher Art - haben heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren, doch ist durchaus denkbar, daß zu ihrer Verteidigung inzwischen grundlegend andere Methoden, Techniken, Bewußtseinshaltungen und Ansätze vonnöten sind.

3 Während eines Großteils ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte stand die ITF bei der Organisierung praktischer internationaler Solidarität in der vordersten Reihe. Ihre einmalige Erfahrung mit der Billigflaggenkampagne in der Schiffahrtswirtschaft hat ihr möglicherweise tiefere Einsichten in die Probleme und Möglichkeiten der Organisierung praktischer internationaler Solidarität vermittelt als jedem anderen internationalen Gewerkschaftsgremium.

4 Erfahrungen der jüngsten Zeit im Umgang mit Arbeitskonflikten in anderen Verkehrsbereichen haben deutlich gemacht, daß internationale Aktionen und internationaler Druck bei einer wachsenden Zahl von Arbeitskonflikten als wesentlicher (und manchmal entscheidender) Faktor dazu beitragen, gewerkschaftliche Ziele zu erreichen.

5 Ungeachtet der weitreichenden Neugestaltung der internen Strukturen der ITF während der vergangenen vier Jahre im Rahmen des Programms "Transportbe-schäftigte im nächsten Jahrtausend" bleibt noch viel zu tun, um die der ITF an-geschlossenen Gewerkschaften besser in die Lage zu versetzen, an der Mobilisie-rung der Solidarität mitzuwirken, die den Kernpunkt der ITF-Tätigkeit ausmacht.

6 Gewerkschaftsmitglieder und gewerkschaftliche Strukturen auf allen Ebenen sind nun gefordert, neue Ansätze zu entwickeln. Eine solche Änderung kann jedoch nicht über Nacht vollzogen werden. Sie erfordert eine grundlegende Überprüfung ihrer Arbeitsweise auf nationaler und internationaler Ebene durch zahlreiche der ITF angeschlossene Gewerkschaften. Mit diesem Papier und der auf seiner Grundlage geführten Kongreßdebatte soll dieser Prozeß in Gang gesetzt werden.

Gewerkschaften in einem veränderten Umfeld

7 Das wirtschaftliche und politische Umfeld, in dem Gewerkschaften weltweit ihrer Organisationstätigkeit nachgehen und ihre Verhandlungen führen, hat sich grundlegend geändert.

8 Viele Gewerkschaften sehen sich schwerwiegenden Angriffen ausgesetzt. Einige Gewerkschaften existieren nicht mehr, andere sind heute in ihrer Existenz bedroht. Traditionelle Bereiche der Verkehrswirtschaft, insbesondere die Bahnen, die staatliche Schiffahrt und die Hafenwirtschaft sind von massivem Arbeitsplatzabbau betroffen. Beschäftigungszuwachs in anderen Bereichen (Straßentransport) war vor allem im nicht gewerkschaftlich organisierten Sektor zu verzeichnen. Mit wenigen Ausnahmen mußten alle Gewerkschaften Mitglieder- und Einkommensverluste hinnehmen und sind daher gezwungen, ihre Kosten zu senken und ihre Tätigkeit zu straffen.

9 Alle Gewerkschaften sehen sich mit tiefgreifenden Veränderungen in ihrem Tätigkeitsbereich konfrontiert, selbst wenn sie bislang von einem Mitgliederschwund in größerem Umfang verschont blieben. Große Arbeitgeber im öffentlichen Sektor werden privatisiert und fragmentiert. An die Stelle landesweiter Verträge treten Verhandlungen auf Unternehmensebene. Allein um ihre Mitgliederzahlen auf dem bisherigen Stand zu halten, müssen die Gewerkschaften aggressive Mitgliederwerbekampagnen starten.

10 Die Gewerkschaften müssen Wege finden, auch die Beschäftigten bei kleinen Arbeitgebern und Vertragsunternehmen zu organisieren und das Problem der Ein-Mann-Unternehmen sowie des "informellen" Verkehrssektors in den Griff zu bekommen.

11 In diesem veränderten Umfeld konnten diejenigen Gewerkschaften ihre Position der Stärke sichern, die die Notwendigkeit der Anpassung an die neuen Gegebenheiten erkannt haben. Dabei ist es eine große Hilfe für Gewerkschaften, die mit diesen Problemen kämpfen, wenn sie aus dem Erfolg (oder Mißerfolg) der Gewerkschaften in anderen Ländern, die sich in einer ähnlichen Situation befanden, lernen können.

Die Folgen der Globalisierung

12 Ein wichtiger Faktor waren während der vergangenen zehn Jahre die Folgen der zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaft, einer Entwicklung, die vor allem durch die kontinuierlich sinkenden realen Kosten des Verkehrs sowie weitreichende Fortschritte auf dem Gebiet der Informationstechnologie vorangetrieben wurde.

13 Ein kompliziertes Geflecht von politischen und wirtschaftlichen Veränderungen führt zu einer schrittweisen Verlagerung der Zentren der Macht von der nationalen auf die internationale Ebene. Besonders extrem schlägt sich dies in dem Prozeß nieder, der inzwischen weltweit mit dem Begriff Globalisierung bezeichnet wird. Der globale Charakter der wichtigen Waren-, Verkehrs-, Kapitalmärkte ist heute Realität, und nationalstaatliche Grenzen können die Waren-, Verkehrs-, Kapitalströme nicht mehr - oder bestenfalls in äußerst geringfügigem Umfang - in ihrem Fluß behindern.

14 In einer ganzen Reihe geographischer Regionen, mit Europa an der Spitze, geht die wirtschaftliche Internationalisierung einher mit rasch voranschreitender politischer Integration. Die EU bildet den am weitesten entwickelten Binnenmarkt, der gleichzeitig auch den internationalen Arbeitgebern die größte Freizügigkeit bietet. Andere Wirtschaftsgemeinschaften wie NAFTA in Nordamerika und Mercosur in Südamerika sind bemüht, es den Europäern gleichzutun.

15 Globalisierung und regionale Integration sind keine Gegensätze, sondern vielmehr Teil ein und desselben Prozesses. Fast alle Märkte sind heutzutage global, und gleiches gilt für die dahinterstehenden Ideen. Dieselbe liberale Weltanschauung, die in der EU vorherrscht, ist auch in den zunehmend mächtiger werdenden internationalen Organisationen wie z. B. die Welthandelsorganisation (WTO) und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu verspüren, die bestrebt sind, jede Art von nationalem Ordnungsrahmen abzuschaffen. Die EU selbst wirkt durch die Bedingungen, die sie im Rahmen ihrer Beziehungen zu den Regierungen von Drittländern aufstellt, an diesem Prozeß mit.

16 Die Gewerkschaftsbewegung sieht sich heute mit der simplen, aber nicht zu übersehenden Tatsache konfrontiert, daß nationalstaatliche Regierungen nicht länger die einzigen sind, die sich im Bereich des Verkehrs oder auf dem Gebiet der Sozialordnung betätigen. Die wachsende Zahl multinationaler Transport-unternehmen ist zu einem großen Teil das Ergebnis des weltweiten Privatisierungsprozesses. Selbst im Bus- oder Bahnsektor haben es die ITF-Gewerkschaften heutzutage mit Entscheidungsträgern zu tun, die ihren Sitz in viele Tausend Kilometer weiter Entfernung haben. Probleme, die sich in der Vergangenheit im wesentlichen auf den Schiffahrtssektor beschränkten, wie z. B. die Beschäftigung ausländischen Personals und Sozialdumping, sind heute für Gewerkschaften in allen Sektoren an der Tagesordnung. Billigflaggenähnliche Bedingungen greifen langsam auch auf andere Bereiche über (dies gilt für die Verkehrswirtschaft ebenso wie für andere Wirtschaftszweige).

Solidarität

17 Solidarität - d. h. die kollektive Stärke der Gewerkschaften - war und ist das Fundament, auf dem die ITF und die gesamte internationale Gewerkschafts- bewegung gebaut ist und wird dies auch in Zukunft bleiben.

18 Die Fähigkeit, Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen, ist der Kern der gewerk-schaftlichen Tätigkeit. In einer demokratischen Gesellschaft ist es erforderlich, ver-antwortungsbewußt mit einer solchen Machtposition umzugehen und sie nur in seltenen Fällen auszuspielen, aber die Möglichkeit muß vorhanden sein.

19 Gewerkschaften, die keine praktischen Maßnahmen ergreifen können, haben nicht mehr Gewicht als Nicht-Regierungsorganisationen (NRO) mit ehrenhaften Zielen und schön formulierten Argumenten. Wir dürfen niemals vergessen, daß man uns nicht deswegen Gehör schenkt, weil wir recht haben, sondern weil wir stark sind.

20 Dies bedeutet natürlich nicht, daß wir auf gute und gut dargelegte Argumente verzichten können. Es bedeutet auch nicht, daß Gewerkschaften unverletzlich sind. Um erfolgreich Maßnahmen ergreifen zu können, brauchen wir Verbündete. Bei fast allen Arbeitskonflikten ist es heutzutage unverzichtbar, die öffentliche Meinung auf unserer Seite zu haben; deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, daß unsere Forderungen zu rechtfertigen sind und unsere Öffentlichkeitsarbeit ebenso geschmeidig und professionell ist wie alles, was unsere Gegner dem entgegensetzen können.

21 Ausgefeilte Argumente und gute Öffentlichkeitsarbeit sind jedoch kein Ersatz für wirksame gewerkschaftliche Maßnahmen. Neu ist lediglich, daß gewerkschaftliche Maßnahmen immer häufiger wirkungslos bleiben, wenn sie sich auf das Gebiet eines einzelnen Landes beschränken.

Globalisierung und praktische internationale Solidarität

22 Internationale Solidarität war immer der wichtigste Aspekt der ITF-Tätigkeit.

23 "Solidarität" hat gelegentlich symbolischen Charakter; dies gilt z. B. für Botschaften, Entschließungen, diplomatischen Druck usw. Allerdings sollte die Bedeutung dieser Form von Solidarität nicht unterschätzt werden. In einigen Ländern reicht schon allein die Androhung von Maßnahmen seitens der ITF aus, um eine Einigung herbeizuführen, die Wiedereinstellung von entlassenen Spitzengewerkschafter/innen zu erwirken oder juristische Angriffe auf Gewerkschaften abzuwenden.

24 Finanzielle Solidarität kann ebenfalls wichtig sein, wenn sich Gewerkschaften aufgrund von Angriffen seitens der Arbeitgeber oder Regierungen mit hohen Kosten, Geldstrafen oder anderen gerichtlichen Schritten konfrontiert sehen, die ihre Fähig-keit zur Verteidigung der Interessen ihrer Mitglieder in Frage stellen, oder Beschäf-tigte ausgehungert werden, um sie zur Rückkehr an den Arbeitsplatz zwingen.

25 Drohungen sind allerdings wertlos, wenn diejenigen, gegen die sie sich richten, nicht daran glauben, daß sie vielleicht umgesetzt werden. Finanzielle Solidarität kann die Fortsetzung eines Arbeitskonflikts ermöglichen, aber selten den Erfolg sichern.

26 Ohne die Bedeutung von Solidaritätsbotschaften, Druck auf diplomatischer Ebene und finanzieller Unterstützung für den erfolgreichen Ausgang von Arbeitskonflikten in Frage stellen zu wollen, konzentriert sich diese Vorlage daher auf praktische Solidaritätsmaßnahmen: Solidaritätsstreiks, Boykottmaßnahmen, unterschiedliche Formen von Arbeitskampfmaßnahmen oder sonstigen direkten Aktionen, durch die Arbeitgeber oder Regierungen unmittelbar wirtschaftlich unter Druck gesetzt werden.

27 Vor allem in den maritimen Industrien und in gewissem Umfang auch in der Luftverkehrswirtschaft organisiert die ITF seit vielen Jahren mit Erfolg direkte Solidarität. Dadurch konnte sie sich erheblichen Einfluß auf die Festlegung und Durchsetzung von Mindestheuern und -arbeitsbedingungen in der internationalen Schiffahrtswirtschaft sichern. In diesem Jahr feiert die ITF das 50jährige Bestehen ihrer Billigflaggenkampagne, in deren Rahmen Tag für Tag direkte internationale Solidarität praktiziert wird.

28 Aus der Kampagne heraus wurden einige ungewöhnliche Techniken entwickelt, die zum Teil vielleicht auch auf andere Wirtschaftsbereiche übertragen werden können. Und für das internationale Solidaritätsnetzwerk für Seeleute konnte eine einzigartige Finanzgrundlage geschaffen werden, die aus von den Reedern gezahlten Beiträgen finanziert wird.

29 Die Bereitschaft der Beschäftigten in der Verkehrswirtschaft, allen voran der Hafenarbeiter, auf Wunsch solidarische Unterstützung zu gewähren, indem sie das Laden und Löschen verhindern bzw. verzögern, bildet den Kern der Kampagne. Die ITF und die ihr angeschlossenen Gewerkschaften in aller Welt sind bislang die wirksamste Quelle praktischer Solidarität in der internationalen Gewerkschafts- bewegung, und dies wird auch in Zukunft so bleiben.

30 In den vergangenen Jahren mußten wir allerdings unsere Vorstellungen davon, wie Solidarität funktioniert, zum Teil überdenken. Gewerkschaften, die über lange Zeit immer bereit waren, solidarische Unterstützung zu gewähren, finden sich auf einmal in einer Situation wieder, in der sie selbst um solidarische Unterstützung bitten müssen. Heute unterstützen Beschäftigte auf afrikanischen Flughäfen das Kabinenpersonal bei British Airways, und Beschäftigte in Deutschland und Italien drohen mit Streikmaßnahmen zur Unterstützung ihrer Kolleginnen und Kollegen in den USA. Hafenarbeiter erbitten und erhalten mittlerweile solidarische Unterstützung von Seeleuten und anderen Hafenarbeitern.

31 Viele Gewerkschaften haben ihre Lektion gelernt; anderen steht dies noch bevor. Diejenigen, die heute solidarische Unterstützung gewähren, sind morgen vielleicht schon selbst darauf angewiesen. Keine Gruppe ist für immer immun gegen Angriffe auf Arbeitsplätze, Gewerkschaftsrechte oder Arbeitsbedingungen. Um zu überleben, werden in Zukunft vielleicht immer mehr Gewerkschaften darauf angewiesen sein, daß sich Gewerkschaften in anderen Ländern im Bedarfsfall mit ihnen solidarisieren können.

Warum Solidarität mobilisieren?

32 Die globale Wirtschaft hat sich rascher entwickelt als es irgend jemand voraussehen konnte. Auf jeden Fall hat sie sich weit schneller entwickelt als die Strukturen oder das Bewußtsein der nationalstaatlichen Gewerkschaften.

33 Sowohl die ITF als auch die ihr angeschlossenen Gewerkschaften müssen sich verändern. Es ist dringend geboten, viele unserer althergebrachten und lieb gewordenen Vorstellungen davon, wie die Dinge funktionieren, sei es auf örtlicher, nationaler oder internationaler Ebene, zu überprüfen und in Frage zu stellen.

34 Mit dieser Vorlage wollen wir ein Programm vorzeichnen, um die Fähigkeit der ITF und der ihr angeschlossenen Gewerkschaften auszubauen, angesichts des zunehmend globalisierten Umfelds im Interesse des gegenseitigen Schutzes gemeinsam zu handeln.

35 Ausgehend von der strukturellen Überprüfung der Tätigkeit der ITF selbst, die seit 1994 im Rahmen des Programms "Transportbeschäftigte im nächsten Jahrtausend" läuft, konzentriert sich das vorliegende Papier auf die der ITF angeschlossenen Gewerkschaften und Verbesserungen im Hinblick auf Informationsfluß, Aufklärungsarbeit, Bewußtseinsbildung und Arbeitsmethoden auf nationaler Ebene.

36 Auch wenn der Verkehrssektor und die ITF im Mittelpunkt dieser Vorlage stehen, kann ihr Inhalt in weiten Teilen auch auf andere Wirtschaftsbereiche übertragen werden. Eine engere Zusammenarbeit mit anderen Internationalen Berufssekretariaten und nationalen Gewerkschaftsdachverbänden ist unverzichtbar, wenn internationale Solidarität Wirkung entfalten soll. Daher wird angeregt, die in diesem Dokument vorgestellten Konzepte auch beim Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG), den übrigen Internationalen Berufssekretariaten und anderen in der internationalen Gewerkschaftsbewegung tätigen Organisation einzuführen und zur Diskussion zu stellen.

Fähigkeiten ausbauen

37 Dieser Prozeß des Ausbaus der Fähigkeiten setzt eine Stärkung der Strukturen, Systeme und Methoden für die Behandlung von Fragen der internationalen Solidarität auf allen Ebenen innerhalb der der ITF angeschlossenen Gewerkschaften ebenso voraus wie bei der ITF selbst. Um dies zu erreichen, werden Maßnahmen auf verschiedenen Gebieten erforderlich sein, darunter auch in den unten aufgeführten Bereichen.

Aufklärung und Bildungsarbeit

38 Der Wissensstand und das Verständnis der Mitglieder an der Gewerkschaftsbasis in bezug auf internationale Fragen (Globalisierung, soziales Dumping, multinationale Unternehmen) ist generell sehr gering. Die Informationen konzentrieren sich im allgemeinen bei einer kleinen Zahl von hauptamtlichen Gewerkschaftsmitarbei-terinnen und -mitarbeitern, die an internationalen Sitzungen teilnehmen.

39 Selbst an den Führungsspitzen der ITF-Gewerkschaften, z. B. Mitgliedern ihrer Vorstände und anderer leitender Gremien, ist gelegentlich ein offenbar begrenztes Verständnis in Hinblick auf die internationale Tätigkeit ihrer Gewerkschaft zu erkennen. Dieses Problem tritt verstärkt in Gewerkschaften auf, in denen die Mitglieder im Verkehrssektor nur einen kleinen Teil der Gesamtzahl ihrer Mitglieder ausmachen, sowie auch in Verkehrsbereichen wie Bahnen und Straßentransport, in denen die internationale Dimension der Wirtschaft bislang weniger deutlich zutage tritt als in der Seeschiffahrt oder im Luftverkehr.
40 Die meisten Gewerkschaften, auch in Industrienationen, messen der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit große Bedeutung bei. Bislang allerdings hat sich die ITF in ihrer Bildungsarbeit auf den Aufbau von Gewerkschaften in Entwicklungs- und Übergangsländern konzentriert, wobei sie sich stark auf die finanzielle Unterstützung außenstehender Geberorganisationen verläßt.

41 Wie wichtige Arbeitskonflikte der jüngeren Zeit gezeigt haben, werden sich die Mitglieder an der Gewerkschaftsbasis, gewerkschaftlichen Vertrauensleute usw. schnell der Bedeutung der internationalen Solidarität bewußt, wenn sie persönlich damit Erfahrungen sammeln. In Zukunft müssen internationale Solidarität, Globalisierung der Wirtschaft, Entstehung regionaler Wirtschaftsgemeinschaften und die Rolle der ITF sowie anderer internationaler Gewerkschaftsorganisationen daher zum festen Bestandteil der von allen der ITF angeschlossenen Gewerkschaften angebotenen gewerkschaftlichen Grundbildungslehrgänge werden. In diesem Zusammenhang wird das ITF-Sekretariat in Zusammenarbeit mit den Bildungsabteilungen der betreffenden Gewerkschaften entsprechende Materialien erarbeiten müssen, die je nach Bedarf in die Landessprache zu übersetzen sind.

42 Ferner sollten die Gewerkschaften ernsthaft in Erwägung ziehen, Referenten und Gastredner von der ITF und von anderen der ITF angeschlossenen Gewerkschaften zur Teilnahme an ihren Kursen einzuladen und Gewerkschaften in anderen Ländern eigene Fachleute zur Verfügung zu stellen. Die ITF-Abteilung Bildungsarbeit sollte ein Verzeichnis derartiger Personen erstellen und auf dem neuesten Stand halten und den Gewerkschaften aktiv bei der Planung von Bildungsmaßnahmen behilflich sein. Wo externe Finanzquellen für diese Programme nicht erschlossen werden können, müssen sie aus Eigenmitteln zu finanzieren sein.

43 Darüber hinaus sollte das ITF-Sekretariat eine Datenbank gewerkschaftlicher Bildungsbeauftragter aufbauen und ein regelmäßig erscheinendes Bulletin entwickeln, mit dessen Hilfe sie auf wichtige Ressourcen und Informationen aufmerksam gemacht werden können.

44 Techniken zur Organisierung praktischer internationaler Solidaritätsmaßnahmen müssen einen wichtigen Aspekt bei Bildungslehrgängen darstellen. Um innerhalb der Gewerkschaften auch hauptamtliche Mitarbeiter/innen auf örtlicher Ebene und aktive Mitglieder erfolgreich ansprechen zu können, müssen Bildungsmaßnahmen dieser Art weitestgehend in der Landessprache durchgeführt werden.

Zusammenfassung

45 Alle ITF-Gewerkschaften sollten Kursmodule zu internationalen Themen in ihre eigenen Bildungsprogramme aufnehmen.
Die ITF sollte geeignete Kursmaterialien entwickeln.
Die ITF sollte eine Datenbank gewerkschaftlicher Fachleute/Referenten aufbauen, die an den Bildungsmaßnahmen anderer Gewerkschaften mitwirken können.
Bildungsmaßnahmen sollten vor allem Techniken zur Organisierung internationaler Solidaritätsaktionen vermitteln.

Schulung

46 Abgesehen von der gewerkschaftlichen Grundbildung besteht bei zahlreichen Gewerkschaften dringender Schulungsbedarf für hauptamtliche Gewerkschaftsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, um sie in größerer Zahl auf die Tätigkeit auf internationaler Ebene vorzubereiten. In vielen Fällen bedeutet dies an erster Stelle die Teilnahme an Sprachkursen (in Regel, aber nicht immer, in englischer Sprache). Es bedeutet aber auch die Vermittlung eines klareren Verständnisses dafür, wie die ITF und andere internationale Einrichtungen arbeiten. Wenn es darum geht, rasch und effektiv internationale solidarische Unterstützung zu gewähren, macht sich eine solche Schulung sofort bezahlt; gleiches gilt für persönliche Kontakte zu ITF-Mitarbeiter/innen sowie anderen der ITF angeschlossenen Gewerkschaften.

47 In der Vergangenheit hat eine kleine Zahl der der ITF angeschlossenen Gewerkschaften, vor allem in der Seeleutesektion, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Mitarbeiter/innen über einen längeren Zeitraum in die Hauptgeschäftsstelle der ITF abzuordnen. In jüngerer Zeit haben einige Gewerkschaften auf ausdrücklichen Wunsch des Generalsekretärs damit begonnen, Mitarbeiter/innen auch für kürzere Zeit nach London zu entsenden, um sich mit der ITF vertraut zu machen und Kontakte im ITF-Sekretariat in London ebenso wie in den Regionalbüros aufzubauen. Für Sommer 1998 waren mehrere solche Aufenthalte in London geplant.

48 Es besteht kein Zweifel daran, daß diese Form von Schulung sowohl für das ITF-Sekretariat als auch für die betreffende Gewerkschaft von großem Wert sein kann. In Zukunft sollte es ergänzend zur Entsendung von Mitarbeiter/innen über kurze Zeiträume (das reicht von ein bis zwei Tagen bis zu drei Wochen oder länger) auf informeller Ebene möglich sein, gründlichere internationale Schulungsmaßnahmen zu internationalen Fragen für hauptamtliche Funktionsträger/innen der ITF-Gewerkschaften zu entwickeln, die auch einen Aufenthalt in London (dort stehen den angeschlossenen Gewerkschaften am Sitz des ITF-Sekretariats Büroräume zur eigenen Nutzung zur Verfügung), Besuche in den ITF-Regionalbüros, Sprachkurse sowie Praktika an der Seite von Organisationsbeauftragten oder Verhandlungsführer/innen der ITF-Gewerkschaften auf örtlicher Ebene umfassen sollten.

49 Zumindest anfänglich kann diese Form der Schulung auf fortgeschrittenem Niveau wegen der begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen nur für eine kleine Zahl von Personen angeboten werden, doch mit Hilfe des Konzepts der Schulung von Schulungskräften könnte langfristig bei vielen angeschlossenen Gewerkschaften eine relativ große Kerngruppe von hauptamtlichen Mitarbeiter/innen entstehen, die über Erfahrungen im Umgang mit internationalen Fragen verfügen.

50 Nach Möglichkeit sollten neben einem ausgefeilteren bilateralen Austauschprogramm zwischen Verkehrsgewerkschaften in verschiedenen Ländern auch Praktika für ITF-Mitarbeiter/innen aller Ebenen in den Haupt- bzw. örtlichen Geschäftsstellen angeschlossener Gewerkschaften auf Basis der Gegenseitigkeit stattfinden. Bemühungen des ITF-Sekretariats, ein solches Austauschprogramm in Gang zu setzen, sind bislang allerdings an den fehlenden Mitteln gescheitert.

51 Derartige Schulungsprogramme sind natürlich mit Kosten verbunden, und im Haushalt des Allgemeinen Fonds der ITF sind keine Mittel zur Deckung der damit verbundenen Reise- oder Unterbringungskosten vorgesehen. Es ist denkbar, daß in gewissem Umfang externe Mittel zur Finanzierung derartiger Programme für Gewerkschaften aus Entwicklungsländern gefunden werden könnten, doch in der Mehrzahl der Fälle müßten die betreffenden Gewerkschaften selbst für die Kosten aufkommen.

Zusammenfassung

52 Die ITF sollte ein Programm erarbeiten, um wichtige Funktionsträger/innen der angeschlossenen Gewerkschaften im Umgang mit internationalen Fragen zu schulen.
Die Gewerkschaften sollten Mitarbeiter/innen aller Ebenen zur Schulung in internationalen Fragen in die Hauptgeschäftsstelle der ITF und die Regionalbüros entsenden.
Das Programm sollte auch Praktika bei örtlichen Gewerkschaftsorgani- sationen in anderen Ländern umfassen.
Zur Finanzierung der Teilnahme von Gewerkschaften aus Entwicklungsländern an diesem Programm sollten externe Finanzquellen erschlossen werden.
Die Gewerkschaften sollten bereit sein, die Teilnahme ihrer hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitabeiter an Schulungslehrgängen zu finanzieren.

Information/Kommunikation

53 Obwohl die ITF-Sektionen und -Regionen eine große Zahl von Veröffentlichungen und Forschungsmaterialien herausgeben, erreicht der überwiegende Teil der von der ITF produzierten und ausgeschickten Informationen nur eine kleine Minderheit der Mitglieder bei den angeschlossenen Gewerkschaften. Dies läßt sich ganz einfach feststellen, wenn man die Veröffentlichungen der angeschlossenen Gewerkschaften studiert.

54 Zum Teil mag dies auf Qualität, Erscheinungshäufigkeit oder inhaltliche Relevanz der herausgegebenen Materialien zurückzuführen sein, und das ITF-Sekretariat ist fortlaufend bemüht, den Informationsfluß zu verbessern. Zum Teil liegt die Verantwortung aber auch bei den angeschlossenen Gewerkschaften. Mit einigen löblichen Ausnahmen messen die Redaktionen (oder Leser) von Gewerkschaftszeitungen internationalen Fragen ganz offensichtlich keine große Priorität bei, und auch die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die an ITF-Sitzungen teilnehmen, unterrichten offenbar nur selten ein breiteres gewerkschaftliches Publikum über die Ergebnisse. Dies könnte durch den Aufbau engerer Kontakte zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der ITF-Abteilung Kommunikation in London und den Regionen und den für Redaktion und Herausgabe gewerkschaftlicher Veröffentlichungen zuständigen Mitarbeiter/innen der angeschlossenen Gewerkschaften verbessert werden. Die Schaffung solcher informeller Netzwerke kann für einen besseren Informationsfluß in beide Richtungen sorgen.

55 Produktion, Übersetzung und Versand von Veröffentlichungen sind teuer und zeitaufwendig, und sicherlich wissen die Hauptgeschäftsstellen der Gewerkschaften nicht immer, an wen sie ITF-Materialien weiterleiten sollen. Mehrere Arbeitskonflikte der jüngeren Zeit haben jedoch deutlich gemacht, daß eine wachsende Zahl von Basismitgliedern, gewerkschaftlichen Vertrauensleuten usw. zunehmend Interesse an der globalen Wirtschaft und an internationaler Solidarität zeigt.

56 Das Internet, und insbesondere das World Wide Web, gibt heute den meisten Gewerkschaften eine Möglichkeit an die Hand, Informationen schnell und kostengünstig bekanntzumachen und zu verbreiten. In der Tat steht der Zugang zu Kommunikationseinrichtungen, die zuvor nur multinationalen Unternehmen oder zwischenstaatlichen Organisationen zur Verfügung standen, heute praktisch jedem offen. Und der Zugriff auf diese Technologien beschränkt sich keineswegs nur auf die Industrienationen. Die ITF sollte sich nachdrücklicher dafür einsetzen, daß hauptamtliche Gewerkschaftsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter sowie aktive Gewerkschaftsmitglieder, insbesondere in Entwicklungsländern, verstärkt Zugang zum Internet erhalten, und den Einsatz elektronischer Postdienste bei der Kom-munikation mit den angeschlossenen Gewerkschaften bewußt vorantreiben.

57 Diese explosionsartige Ausbreitung elektronischer Kommunikationsmedien birgt jedoch auch das Risiko einer Überreizung mit Informationen in sich. Die ITF kann und muß maßgeblich dazu beitragen, die wichtigsten Entwicklungen und Datenquellen zu identifizieren und diese Informationen an alle Mitglieder der ITF-Familie weiterzuleiten, die sie benötigen. Dies bedeutet, daß die Informationen einen weit größeren Adressatenkreis als gegenwärtig erreichen, und bilaterale Kontakte zwischen hauptamtlichen Gewerkschaftsmitarbeiterinnen und
-mitarbeitern sowie aktiven Mitgliedern mit gemeinsamen Interessen in verschiedenen Ländern ausgebaut werden müssen.

58 Ähnliche Veränderungen müssen sich in den gewerkschaftlichen Strukturen vollziehen, die die Grundlage für internationale Solidaritätsaktionen bilden. Wie bei vielen anderen internationalen Gewerkschaftsorganisationen auch sind die Struk-turen der ITF hierarchisch aufgebaut, gestützt auf nationalstaatliche Gewerkschaf-ten. Obwohl alle der mehr als 500 der ITF angeschlossenen Gewerkschaften gemäß den ITF-Satzungen völlig gleich sind, unterscheiden sie sich von Struktur und Größe her in Wirklichkeit enorm. Einige der ITF angeschlossene Gewerkschaften organisieren eine einzige, klar abgegrenzte Berufsgruppe bei einem einzigen Ver-kehrsträger. Bei anderen handelt es sich um Abteilungen größerer Gewerkschaf-ten, die außer dem Verkehr noch viele andere Wirtschaftsbereiche organisieren. Wieder andere der ITF angeschlossene Gewerkschaften sind keine Gewerkschaften im engeren Wortsinn, sondern lockere Zusammenschlüsse auf nationaler Ebene oder Verbände mit eigenen Mitgliedsorganisationen. Die Weiterleitung von Infor-mationen nach oben, unten und in horizontaler Richtung innerhalb dieser hierar-chischen Strukturen verschlingt viel Geld und Energie.

59 Traditionell bedient sich die ITF zur Kommunikation mit den ihr angeschlos-senen Gewerkschaften vor allem der Rundschreiben, die in die offiziellen Arbeitssprachen übersetzt und mit der Post verschickt werden. In der jüngeren Vergangenheit kamen ergänzend das Telefax und, seit neuestem, Mitteilungen per E-Mail hinzu, die sehr schnell, häufig aber nur in ein oder zwei Sprachen, ausgesandt werden können.

60 Generell richten sich Mitteilungen der ITF an die Hauptgeschäftsstellen der ihr angeschlossenen Gewerkschaften. Bitten um Unterstützung werden von der örtlichen Ebene zur nationalen Ebene "hochgereicht", dann weiter nach "oben" zur ITF, und anschließend wieder nach "unten" über die nationale Ebene zur Infor-mation oder Umsetzung auf örtlicher Ebene. Dies kann reibungslos funktionieren, wenn die Betroffenen gut informiert und vorbereitet sind, den Hintergrund ken-nen, zur richtigen Zeit verfügbar sind und die unmittelbar zuständigen haupt-amtlichen Gewerkschaftsmitarbeiter/innen oder aktiven Mitglieder schnell aus-findig machen und verständigen können. Dies ist jedoch nicht immer der Fall.

61 Bei einem dringenden Arbeitskonflikt bricht diese traditionelle "Kommunikationspyramide" in sich zusammen. Das Tempo, mit dem sich die Ereignisse in unserer heutigen Zeit entfalten, bedeutet, daß es häufig unabdingbar ist, sofort eine Verbindung zwischen den direkt betroffenen hauptamtlichen Gewerkschaftsmitarbeiter/innen bzw. gewerkschaftlichen Vertrauensleuten und der ITF herzustellen oder auf einer darunterliegenden Ebene für unmittelbare bilaterale Kontakte zwischen verschiedenen Gewerkschaften zu sorgen. Bis eine Mitteilung die Pyramide hinauf- und dann wieder hinuntergeklettert ist, ist der richtige Zeitpunkt zum Handeln häufig verstrichen.

62 Gleichzeitig muß die wirksame politische Kontrolle durch die demokratisch ge-wählten und verantwortlichen hauptamtlichen Funktionsträger/innen der Gewerk-schaften sorgfältig gewahrt bleiben. Arbeitskonflikte der jüngeren Zeit, z. B. der Streik im Liverpooler Hafen, haben verschiedentlich nicht nur die Macht inoffizieller Netzwerke, sondern auch ihre Gefahren verdeutlicht. Ein wichtiges Ziel muß daher sein, die Pyramide abzuflachen, wobei allerdings gewährleistet sein muß, daß die Kommunikation innerhalb eines Rahmens klar vorgezeichneter politischer Entscheidungsprozesse, Verantwortungsstrukturen und Rechenschaftspflicht erfolgt. Die betroffenen Gewerkschaftsmitarbeiter/innen ebenso wie die leitenden Mitarbeiter/innen der ITF müssen die Grenzen kennen, die ihrer Tätigkeit gesetzt sind.

63 Die ITF-Billigflaggenkampagne ist möglicherweise ein Modell aus der Schiffahrtswirtschaft, das eventuell in anderen Bereichen der ITF zur Anwendung kommen könnte. Bei den ITF-Inspektor/innen handelt es sich um hauptamtliche Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter einzelner Gewerkschaften, die von diesen Gewerkschaften auf Voll- oder Teilzeitbasis zur Mitwirkung an den Maßnahmen im Rahmen der Billigflaggenkampagne abgestellt werden. Sie bleiben weiterhin hauptamtliche Mitarbeiter/innen dieser Gewerkschaften und sind damit der Kontrolle durch ihre Gewerkschaft unterworfen; bezüglich ihrer alltäglichen praktischen Arbeit müssen sie sich jedoch gegenüber der ITF verantworten. Ihre internationale Tätigkeit ist entweder ihre wichtigste oder ihre einzige Aufgabe und hat höchste Priorität. Die Inspektor/innen werden von der ITF geschult und für ihre Arbeit ausgestattet, während ihre jeweilige Gewerkschaft und/oder die nationalen Koordinierungsausschüsse für das unverzichtbare Element der politischen Kontrolle über ihre Tätigkeit sorgen. Schnelle und effektive Kommunikation zwischen dem ITF-Sekretariat in London und den Regionalbüros ebenso wie zwischen den einzelnen Inspektor/innen in den verschiedenen Ländern sorgt dafür, daß die Reaktionszeit auf Probleme der Seeleuten sehr kurz bleibt. Für die laufenden Kosten im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Inspektor/innen kommt die ITF aus ihrem Internationalen Wohlfahrts-, Hilfs- und Sozialfonds der Seeleute auf.

64 Dieses System könnte nur dann unverändert auch für andere Wirt-schaftsbereiche übernommen werden, wenn für diese ähnliche finanzielle Ressourcen erschlossen werden können, wie sie in der Seeschiffahrt in der Form des ITF-Wohlfahrtsfonds der Seeleute zur Verfügung stehen. Unabhängig davon sollte es allerdings möglich sein, hauptamtliche Gewerkschaftsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter vor Ort bzw. einzelne gewerkschaftliche Vertrauensleute oder Mitglieder als Kontaktpersonen eines wachsenden internationalen Solidaritätsnetzwerks zu benennen. Diese Kontaktpersonen sollten bereit sein, in ihrem jeweiligen Bereich nicht nur im Namen ihrer eigenen Gewerkschaft, sondern im Interesse aller der ITF angeschlossenen Gewerkschaften tätig zu werden, und die erforderliche Schulung und geeignete Orientierungshilfen erhalten, um zu erkennen, wann sie auf eigene Initiative handeln können und wann sie sich bei ihrer Gewerkschaft rückversichern oder deren Zustimmung einholen müssen.

65 Zur Erprobung eines solchen Systems würden sich z. B. Flughäfen in aller Welt anbieten. Die ITF-Sektion Zivilluftfahrt hat bereits mit dem Aufbau und der Koordinierung eines internationalen Solidaritätsnetzwerks von internationalen Kontaktpersonen auf Flughäfen überall in der Welt begonnen, die im Namen aller angeschlossenen Gewerkschaften vor Ort rasch auf Bitten um Solidaritätsmaßnahmen aus anderen Ländern reagieren und bei örtlichen Arbeitskonflikten als Hauptansprechpartner im Hinblick auf die Bereitstellung internationaler solidarischer Unterstützung fungieren können. Auch die ITF-Sektion Eisenbahn hat bei den einzelnen Tochtergesellschaften der multinationalen Bahngesellschaft Wisconsin Central ein ähnliches Netzwerk geschaffen.

66 Der Aufbau solcher Solidaritätsnetzwerke wird nicht einfach sein. Abgesehen von der mit hohem Arbeitsaufwand verbundenen praktischen Aufgabe, die geeigneten Personen zu identifizieren und zu schulen und sie mit den erforderlichen Kommunikationsmitteln (Computern, Internetanschlüssen usw.) auszustatten, werden unweigerlich schwierige politische Fragen zu lösen sein.

67 Solange das Konzept der "abgeflachten Pyramide" nicht verwirklicht ist, wird jedoch weder die ITF noch der Rest der internationalen Gewerkschaftsbewegung jemals in der Lage sein, rasch und flexibel genug zu reagieren, um zu einer ernst-haften Bedrohung für die wachsende Macht transnationaler Gesellschaften zu wer-den. Die Schlüsselfunktion des Verkehrs in der internationalen Produktions- und Distributionskette und die Störanfälligkeit des modernen globalen Transportnetzes bedeuten, daß die Fähigkeit zur raschen Mobilisierung von Solidarität bei den Ver-kehrsgewerkschaften auch für Beschäftigte in anderen Wirtschaftsbereichen von ausschlaggebender Bedeutung ist, die sich auf die Unterstützung der Beschäftigten in der Verkehrswirtschaft verlassen.

68 Der Schlüssel zu der gesamten Strategie heißt Vernetzung. Nur wenn wir uns darauf verlassen können, daß entsprechend geschulte und ausgebildete Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im Bewußtsein ihrer Verantwortung Kontakte untereinander pflegen, können wir der kontinuierlich wachsenden Nachfrage nach internationalen Solidaritätsmaßnahmen gerecht werden. Kontaktstellen sind eine Möglichkeit, den Prozeß der Vernetzung in Gang zu setzen, doch ist es äußerst wichtig, Aufgaben und Zuständigkeiten dieser Kontaktpersonen genau zu definieren. Das bereits vorhandene ITF-Frauennetzwerk kann anderen Gruppen, die am Aufbau ähnlicher Systeme interessiert sind, als gutes Beispiel dienen. Selbst kleine Gesten, wie z. B. die Weitergabe von Adressen und Telefonnummern an Teilnehmerinnen und Teilnehmer an ITF-Veranstaltungen oder ein erleichterter Zugriff auf die Kontaktadressen der der ITF angeschlossenen Gewerkschaften (abweichend von der bisherigen Praxis), können dazu beitragen, formelle Barrieren zu überwinden und für mehr Kommunikation in horizontaler Richtung zu sorgen.

Zusammenfassung

69 Informationen über die ITF und internationale Fragen erreichen nur selten eine nennenswerte Zahl von Mitgliedern der angeschlossenen Gewerkschaften.
Die augenblicklich existierenden Systeme zur Weiterleitung von Informationen sind teuer und mit hohem Zeitaufwand verbunden; viele Veröffentlichungen werden ungelesen abgelegt oder landen im Papierkorb.
Die ITF muß den Gewerkschaften dabei helfen, ihre Systeme zur Weiterleitung von Informationen aus dem internationalen Bereich zu verbessern.
Internet bzw. World Wide Web bieten neue Möglichkeiten, Informationen rasch und kostengünstig zu verbreiten.
Um die neuen Technologien bestmöglich zu nutzen, müssen im Umfeld der ITF internationale gewerkschaftliche Solidaritätsnetzwerke geschaffen werden.
Die traditionelle pyramidenförmige Struktur der Kommunikation zwischen den Gewerkschaften auf nationaler und internationaler Ebene muß abgeflacht werden.
Politische und strategische Entscheidungen im Zusammenhang mit internationaler Solidarität müssen weiterhin der politischen Kontrolle der gewerkschaftlichen Führungsspitzen auf nationaler Ebene unterliegen.
Die Gewerkschaften sollten in Zusammenarbeit mit der ITF Kontaktpersonen bzw. Koordinator/innen in strategisch wichtigen Betrieben benennen, die rasch auf Bitten um solidarische Unterstützung reagieren.
Die Netzwerk-Kontaktpersonen sollten angemessen ausgebildet und ausgerüstet sein und nach Möglichkeit auf gewerkschaftsübergreifender Basis tätig werden.

Sprachkenntnisse

70 Sprachbarrieren sind und bleiben eines der größten Hindernisse, die wirksamen internationalen Solidaritätsmaßnahmen im Weg stehen. Schon zu einem frühen Zeitpunkt in ihrer Geschichte mußte die ITF einen Großteil ihrer Ressourcen für die Übersetzung von Materialien in verschiedene Sprachen aufwenden. Heute fließen umfangreiche Haushaltsmittel aus dem Allgemeinen Fonds der ITF in die Bereitstellung von Dolmetsch- und Übersetzungsdiensten.
71 Diejenigen ITF-Sektionen oder -Untergruppen, die mit Englisch als einziger Arbeitssprache auskommen können, haben einen großen Vorteil gegenüber ande-ren, die auf Übersetzung angewiesen sind. Informationen können rasch per Fax oder E-Mail ausgeschickt, Sitzungen kurzfristig einberufen und Unterlagen ent-sprechend den Bedürfnissen der Gewerkschaften erstellt werden, ohne den Ein-schränkungen zu unterliegen, die sich aus den praktischen oder finanziellen Möglichkeiten der ITF, sie rechtzeitig übersetzen zu lassen, ergeben.

72 Für alle größeren ITF-Sitzungen, für die Übersetzungsdienste benötigt werden, müssen die Unterlagen etwa sechs Wochen vor dem Sitzungstermin fertiggestellt sein. Der Sprachendienst der ITF sieht sich durch die ständig steigende Zahl von Sitzungen und den wachsenden Umfang der Unterlagen immer stärker unter Druck gesetzt, während die Einnahmen der ITF bestenfalls gleichbleiben oder gar schrumpfen.

73 Dennoch erhalten zahlreiche der ITF angeschlossene Gewerkschaften Materialien nicht in einer Sprache, die die Mehrzahl ihrer Mitglieder verstehen, ebenso wenig wie sie auf ITF-Sitzungen in ihrer Muttersprache sprechen können. Dies bedeutet eine Benachteiligung der betroffenen Teilnehmer/innen, hält viele andere von der Teilnahme an solchen Sitzungen ab und grenzt den Adressatenkreis, an den sich ITF-Informationen und -Veröffentlichungen richten, erheblich ein.

74 Die derzeitige Sprachenpolitik der ITF ist in der Geschichte verwurzelt. Traditionell gibt es fünf "offizielle" Arbeitssprachen (Englisch, Französisch, Deutsch, Schwedisch, Spanisch) plus Japanisch, das seit 1994 immer häufiger als Arbeits-sprache angeboten wird. Gleichzeitig bleiben zahlreiche andere, wichtige Sprachen, die bei vielen angeschlossenen Gewerkschaften gebräuchlich sind, unberücksich-tigt. Russisch z. B. ist heute bei den der ITF angeschlossenen Gewerkschaften eine verbreitete Sprache; Chinesisch könnte es in Zukunft werden. Bis auf weiteres wer-den auf der Mehrzahl der ITF-Sitzungen (Simultan-)Übersetzungsdienste in die "offiziellen Arbeitssprachen" bereitgestellt. Dies resultiert gelegentlich in der widersinnigen Situation, daß bestimmte Delegierte trotz guter Englischkenntnisse auf eine Simultanübersetzung der Beratungen und übersetzte Unterlagen zurück-greifen können, während andere, die enorm davon profitieren würden, wenn Unterlagen und Beratungen in ihre Muttersprache übersetzt würden und sie in ihrer Muttersprache an den Beratungen teilnehmen könnten, auf diesen Service verzichten müssen. Gelegentlich findet sich die ITF zudem in der unerfreulichen Lage wieder, einmal engagierte Dolmetscher für Sprachen bezahlen zu müssen, die nicht benötigt werden, weil die betreffenden Gewerkschaften ihre Teilnahme an der fraglichen Sitzung in letzter Minute abgesagt haben.

75 Kontinuierliche Fortschritte bei der Entwicklung computergestützter Überset-zungsprogramme werden in Zukunft vielleicht Möglichkeiten eröffnen, zumindest Sitzungsunterlagen und Veröffentlichungen in einem weit breiter gefächerten Spektrum von Sprachen anbieten zu können. Keine Organisation, die sich aus Mitgliedsbeiträgen finanziert, wird jedoch jemals in der Lage sein, eine Verdolmetschung in alle gewünschten Sprachen anbieten zu können. Bei jeder Sitzung oder sonstigen Maßnahme muß ein Kompromiß gefunden werden. Die Beschränkung auf eine einzige Arbeitssprache (in der Regel Englisch) ermöglicht rasches und wirksames Arbeiten. Während der ersten beiden Monate des Jahres 1998 verschickte die ITF-Hafenarbeitersektion per Fax insgesamt 24 Informationsbulletins zum Konflikt in den nicht gewerkschaftlich organisierten Häfen in Australien. Dies wäre nicht möglich gewesen, wenn alle diese Bulletins hätten übersetzt werden müssen.

76 Wenn man mit fünf oder sechs (oder noch mehr) Sprachen arbeitet, verlangsamt dies unweigerlich die Reaktionszeiten und macht es praktisch unmöglich, hochwertige, vollständige und top-aktuelle Sitzungsunterlagen zu erstellen. Die ITF wird sich in Zukunft nach und nach vom Konzept "offizieller" Arbeitssprachen verabschieden müssen; an seine Stelle muß ein wesentlich flexibleres System, bezogen auf jede einzelne Maßnahme, treten, wobei bestimmte Kernsprachen auf fast allen Sitzungen angeboten werden, das Sekretariat aber bevollmächtigt ist, die tatsächlichen Bedürfnisse der betroffenen Gewerkschaften oder Einzelpersonen in bezug auf Unterlagen oder Sitzungsteilnahme in ihrer Muttersprache zu prüfen und, unabhängig davon, ob es sich bei der betreffenden Sprache um eine "offizielle" Arbeitssprache handelt, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen.
77 Bezüglich der vielen Sprachen, die nicht zur "ITF-Kerngruppe" zählen, werden die nationalen Koordinierungsausschüsse zunehmend die Verantwortung (und die Kosten) für die Übersetzung von ITF-Materialien in die Landessprache übernehmen müssen.

78 Nur die allerwichtigsten der in den Satzungen verankerten Sitzungen werden in der Zukunft noch von der Notwendigkeit entbunden sein, langsam aber sicher vom augenblicklichen System "offizieller" Arbeitssprachen abzurücken und zu einem den tatsächlichen Bedürfnissen der betroffenen Gewerkschaften und Einzelpersonen angepaßten, flexibleren System überzugehen. Wegen der unvermeidlichen Verzögerungen wird in Zukunft auf die Übersetzung dringender Mitteilungen usw. verzichtet werden müssen, es sei denn, dies wäre die einzige Möglichkeit, um zu gewährleisten, daß sie richtig verstanden werden. Technische Lösungen, wie z. B. computergestützte Übersetzungen, die vielleicht keine perfekten, aber doch immerhin verständliche Übersetzungen dringender Mitteilungen liefern können, müssen ebenfalls in größtmöglichem Umfang genutzt werden.

79 Eine der kosteneffizientesten Maßnahmen, um die Fähigkeit der Gewerkschaften zur Mitwirkung an internationalen Solidaritätsmaßnahmen zu verbessern, besteht darin, ihren hauptamtlichen Mitarbeiter/innen, gewerkschaftlichen Vertrauensleuten und Basismitgliedern im Rahmen der weiter oben erwähnten Bildungsprogramme auch eine Fremdsprachenausbildung anzubieten.

Zusammenfassung

80 Mangelnde Fremdsprachenkenntnisse sind eines der größten Hindernisse bei der Mobilisierung von Solidarität.
Die hergebrachte Praxis, (Simultan-) übersetzungsdienste in einer begrenzten Anzahl von offiziellen Arbeitssprachen anzubieten, wird den Anforderungen der globalen Wirtschaft von heute nicht gerecht.
Es ist unvermeidlich, sich bei einer grösseren Zahl von Sitzungen und Unterlagen auf eine einzige Sprache zu beschränken.
Eine rasche Reaktion auf Konflikte kann nur in einer einzigen Sprache erfolgen.
Ein flexiblerer Ansatz, bei dem Sprachen je nach tatsächlichem Bedarf angeboten werden, muß an die Stelle der offiziellen Arbeitssprachen treten.
Die Vermittlung von Fremdsprachenkenntnissen an ausgewählte hauptamtliche Gewerkschaftsmitarbeiter/innen ist ein kosteneffizientes Verfahren, um Sprachbarrieren zu überwinden.
Nationale Koordinierungsausschüsse müssen verstärkt die Verantwortung für die übersetzung und Veröffentlichung von ITF-Materialien in den Landessprachen übernehmen.

Bewußtseinsbildung

81 Das vielleicht größte Hindernis für eine wirksame Mobilisierung internationaler Solidarität ist die sehr unterschiedliche Einstellung führender Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und Mitglieder zur internationalen Arbeit. Manche ITF-Gewerkschaften, deren Mitgliedern der rauhe Wind der Globalisierung schon seit vielen Jahren ins Gesicht steht, engagieren sich aus tiefer Überzeugung in der internationalen Arbeit und betrachten sie als eine natürliche Fortsetzung ihrer Organisations- und Verhandlungstätigkeit auf nationaler Ebene. Andere messen der internationalen Tätigkeit einen niedrigen Stellenwert bei und sehen die Teilnahme an ITF-Sitzungen als Belohnung für treue Dienste an.

82 Wieder andere Gewerkschaften entsenden ungern Delegierte zu Sitzungen im Ausland. Sie haben häufig gute Gründe dafür - gewerkschaftliche Ressourcen sind knapp, Reisen ist teuer und die Mitgliederbetreuung daheim wichtiger. Außerdem betrachten selbst Gewerkschaften, die sich dem Gedanken der internationalen Soli-darität zutiefst verpflichtet fühlen, die Teilnahme an ITF-Sitzungen nicht immer als die sinnvollste Nutzung der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit. Allerdings fällt es einigen Gewerkschaften selbst bei wichtigen Sitzungen schwer, den damit ver-bundenen Zeit- und Kostenaufwand gegenüber ihren Mitgliedern zu rechtfertigen, für die Auslandsreisen noch immer ein Luxus sind.

83 Diesen Schwierigkeiten kommt je nach Land und ITF-Sektion sehr unterschiedliches Gewicht zu, aber in dem Maße, wie sich die Konsequenzen der globalen Wirtschaft auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen weiter ausbreiten, wird den Gewerkschaftsmitgliedern immer deutlicher bewußt, daß die Arbeit auf internationaler (und regionaler) Ebene ein integraler Bestandteil ihrer alltäglichen Gewerkschaftsarbeit werden muß. Diesen Bewußtseinswandel auf allen Ebenen herbeizuführen, muß eine der wichtigsten Zielsetzungen der weiter oben erwähnten Bildungsprogramme sein.

Zusammenfassung

84 Gewerkschaften müssen den der internationalen Arbeit beigemessenen Stellenwert neu festsetzen, um zu gewährleisten,
daß die von ihnen zu Sitzungen entsandten Delegierten in angemessener Weise für die Teilnahme qualifiziert und motiviert sind,
daß die Mitglieder ohne Vorbehalt die Notwendigkeit erkennen, die internationale Arbeit in die nationale Organisations- und Verhandlungstätigkeit zu integrieren,
daß die Gewerkschaft die erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen für die internationale Arbeit bereitstellt.

Koordinierung

85 Der Schlüssel zu internationaler Solidarität ist nationale Solidarität. Manche Gewerkschaften reden von der Gründung internationaler oder regionaler Gewerk-schaften, wenn sie sich noch nicht einmal mit ihren Schwesterorganisationen im eigenen Land zu Gesprächen zusammenfinden können.

86 Ohne Gewerkschaftseinheit gibt es keine Solidarität. Hierbei geht es nicht um eine aufgezwungene Einheit, die sich über ganz reale, weltanschaulich oder beruflich bedingte Differenzen hinwegsetzt, sondern um die Einheit des Handeln für ein gemeinsames Ziel.

87 Die ITF-Satzungen halten die Gewerkschaften dazu an, nationale Koordinierungsausschüsse zu gründen, um die Beziehungen zur ITF auszubauen, nicht angeschlossene Gewerkschaften zu einem Beitritt zu ermuntern, den Informationsfluß zu sichern usw.

88 Wo solche Ausschüsse existieren, haben sie häufig wesentlich dazu beigetragen, die Beziehungen zwischen den Gewerkschaften auf nationaler Ebene zu verbessern, insbesondere soweit sie unterschiedlichen Gewerkschaftsdachverbänden angehören.

89 Es gibt vielleicht einige wenige Länder (z. B. wo nur eine Gewerkschaft der ITF angeschlossen ist), in denen kein Bedarf an einem nationalen Koordinierungsausschuß besteht; nach den bisherigen Erfahrungen haben sie sich jedoch als ein nützliches Instrument für Gewerkschaften in allen Regionen, in Industrienationen ebenso wie in Entwicklungsländern, bewährt.

90 Nationale Koordinierungsausschüsse sind ein geeignetes Werkzeug, um gewerkschaftliche Beiträge zur Solidarität zu optimieren und die Kommunikation zwischen den Gewerkschaften und der ITF zu verbessern. ITF-Koordinator/innen in einzelnen Ländern oder die/der Vorsitzende bzw. Sekretär/in des betreffenden Koordinierungsausschusses können erste Kontakte zur ITF vermitteln, indem sie die Positionen der Gewerkschaften zusammentragen und sie über die Tätigkeit der ITF unterrichten. Die Koordinierungsausschüsse können auch als Forum dienen, in dem die Mitglieder des ITF-Vorstands und anderer regionaler und Sektionsgremien Bericht erstatten. Sie können für die kosteneffiziente Übersetzung/Weiterleitung von ITF-Materialien sorgen oder gar eigene Materialien produzieren, wie das Beispiel des Koordinierungsausschusses der angeschlossenen japanischen Gewerkschaften, der seit mehr als 10 Jahren existiert, oder des russischen Koordinierungsausschusses zeigt, der eine eigene Zeitschrift herausgibt und eine nationale Webseite im Internet einrichten will.

91 Zur Unterstützung von Gewerkschaften, die nationale Koordinierungs-ausschüsse gründen wollen, wurden Leitlinien erarbeitet und verschickt. Darüber hinaus hat der ITF-Vorstand seine Zustimmung zur Bereitstellung von Zuschüssen aus dem Internationalen Solidaritätsfonds zur Finanzierung der Startkosten gegeben.

Zusammenfassung

92 Die ITF-Satzungen legen den Gewerkschaften die Einrichtung nationaler Koordinierungsausschüsse nahe.
Wo derartige Ausschüsse existieren, wurden damit in der Regel gute Erfahrungen gemacht.
Nationale Koordinierungsausschüsse sorgen für mehr demokratische Kontrolle und stärkere Mitwirkung an der Tätigkeit der ITF.
Außerdem bieten sie Verkehrsgewerkschaften unterschiedlicher politischer Richtungen ein Forum zur Zusammenarbeit.
Leitlinien und finanzielle Zuschüsse stehen zur Unterstützung zur Verfügung.
Koordinierungsausschüsse sind für Gewerkschaften in allen Regionen von Vorteil.

Kampagnen

93 Der Schwerpunkt der ITF-Tätigkeit liegt zur Zeit vor allem auf der Organisierung von Sitzungen. So wird bei den Gewerkschaften traditionell gearbeitet. Internationale Sitzungen haben viele - offene und versteckte - Vorzüge, doch sind sie mit hohen Kosten für die ITF ebenso wie für die teilnehmenden Gewerkschaften verbunden und ihre Ergebnisse rechtfertigen nicht immer den hohen organisatorischen Aufwand. Je mehr Sitzungen stattfinden, desto weniger Zeit steht für eine angemessene Vor- und Nachbereitung zur Verfügung, so daß ihr Nutzwert für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemindert wird.

94 Es wird immer deutlicher erkennbar, daß traditionelle Maßnahmen nicht mehr ausreichen. Sie müssen durch neue Formen ergänzt und, falls notwendig, ersetzt werden. Sitzungen können nicht der einzige - oder auch nur der wichtigste - Hand-lungsmechanismus der ITF sein. Die ITF-Gewerkschaften und die ITF selbst müssen sich statt dessen stärker auf die Durchführung von Kampagnen einstellen.

95 Hierzu müssen Schlüsselthemen von Bedeutung für Gewerkschafts- mitglieder herausgegriffen werden, bei denen eine internationale Kampagne etwas bewegen kann, und anschließend alle verfügbaren Ressourcen mobilisiert werden, um die Ziele der Kampagne zu erreichen.

96 Kampagnen können langfristig (wie die seit 50 Jahren laufende Billigflag- genkampagne) oder kurzfristig angelegt sein (z. B. Kampagnen zur Unterstützung bedeutender Arbeitskonflikte). Wichtig ist jedoch, daß für die Dauer der Kampagne alle Ressourcen der Gewerkschaften und der ITF ausschließlich auf diese Kampagne konzentriert sind.

97 Um auf der einen Seite die Gewerkschaftsmitglieder zu mobilisieren und auf der anderen Seite in der Öffentlichkeit, der Presse und der Politik größtmögliche Unterstützung für die Ziele der Kampagne zu gewinnen, muß eine Kampagne mit modernen und professionellen Methoden geführt werden.

98 Während die ITF-Sektionen selbstverständlich auch weiterhin im Mittelpunkt der Mehrzahl der Kampagnen stehen werden, wird eine wachsende Zahl von Kam-pagnen sektions- oder abteilungsübergreifenden Charakter haben (z. B. in bezug auf Sexismus in der Luftverkehrswirtschaft, Aidsvorbeugung für die Beschäftigten in der Verkehrswirtschaft, Gewerkschaftsrechte bei wesentlichen Diensten im Verkehrssektor).

99 Kampagnen, in deren Rahmen einzelne Arbeitgeber, seien es nationale oder multinationale Unternehmen, unter Druck gesetzt werden, können große Wirkung haben. In der globalen Wirtschaft bieten sich bestimmte Unternehmen als Zielscheibe für Kampagnen geradezu an. Solange wir nicht versuchen, alle Arbeitgeber gleichzeitig anzugreifen, ist die Solidarität der Arbeitgeber nicht sehr ausgeprägt, wie uns die Billigflaggenkampagne zeigt. Selbst Regierungen in Ländern, in denen Gewerkschaften verboten sind, sind für internationalen Druck empfänglich (als Beispiel sei hier auf die Söldneraffäre in Dubai verwiesen).

100 Auch das internationale Finanzsystem können wir gegen sich selbst wenden, indem wir z. B. den Einfluß gewerkschaftlich oder durch die Arbeitnehmerseite kontrollierter Rentenfonds in verschiedenen Ländern in abgestimmter Weise einsetzen. Ein solches Vorgehen wird zur Zeit in der Internationale der Öffentlichen Dienste diskutiert, deren Mitglieder in zahlreichen großen Rentenfonds des öffentlichen Sektors vertreten sind. Wenn dieser Einfluß gezielt genutzt wird, können unternehmensinterne Verhaltenskodexe durchgesetzt und gewerkschaftsfeindliche Unternehmensleitungen spürbar unter Druck gesetzt werden. Da eine arbeitnehmerfeindliche Haltung häufig auch den langfristigen Interessen der Aktionäre zuwiderläuft, sind solche Strategien oft ohne Verstöße gegen nationalstaatliche Gesetze oder Gefährdung der Interessen der Rentenbezieher umzusetzen. Solange die öffentliche Meinung den damit verfolgten Anliegen im großen und ganzen wohlwollend gegenübersteht, lassen sich auch Verbraucherboykotte als wirksame Waffen gegen große Arbeitgeber einsetzen.
101 Im Zusammenhang mit breit angelegten internationalen Kampagnen müssen menschliche und finanzielle Ressourcen der angeschlossenen Gewerkschaften mobilisiert werden. Eine Finanzierung solcher Kampagnen aus den regulären Haushaltsmitteln des Allgemeinen Fonds der ITF wäre nur dann möglich, wenn alle anderen Tätigkeitsbereiche der ITF drastisch beschnitten würden. Es wird in vielen Fällen notwendig sein, daß Vertreterinnen oder Vertreter angeschlossener Gewerkschaften über längere Zeit in ITF-Büros umziehen, um eine Kampagne zu leiten, und große Mengen von Materialien für die Kampagne - Plakate, Broschüren, Flugblätter, Anzeigen in der Presse usw. - herauszugeben. Finanziert werden müs-sen große Kampagnen durch die Erhebung von Sonderabgaben seitens der ange-schlossenen Gewerkschaften oder durch die Schaffung ähnlicher Systeme wie des "Wohlfahrtsfonds" auch in Bereichen außerhalb der Schiffahrtswirtschaft.

102 Kleine Kampagnen können jedoch genauso wirkungsvoll sein wie große. Kampagnen können auch auf regionaler oder subregionaler Basis oder in einer Gruppe benachbarter Länder geführt werden. Entscheidend ist das Verständnis für die Methoden der Kampagne. Die ITF muß daher im Rahmen ihrer internationalen Bildungsprogramme und ihrer Materialien für die Bildungsarbeit auch auf Metho-den für Kampagnen gegen Wirtschaftsunternehmen eingehen und Wege finden, wie Gewerkschaften, die bereits Erfahrungen mit Kampagnen sammeln konnten, diese an andere weitergeben können, für die das Konzept neu ist.

103 Wie breit auch immer eine Kampagne angelegt ist, ihr Zweck muß es sein, konkrete Ergebnisse zu erzielen. Die Verlagerung des Schwerpunkts der ITF-Tätigkeit auf einen stärker auf Kampagnen ausgerichteten Ansatz muß mehr sein als nur ein neuer Name für ein altes Spiel. Die Vorbereitung einer guten Kampagne erfordert viel Zeit, und zu ihrer Umsetzung werden viele Helfer benötigt. Kampagnen müssen klar definierte und erreichbare Ziele sowie in der Regel einen erkennbaren Endpunkt haben. Eine effektive Kampagne kann grundlegend neue Taktiken (beispielsweise aufsehenerregende Öffentlichkeitsaktionen) und den Einsatz aller vorhandenen Mittel, so z. B. auch die Unterstützung befreundeter Organisationen, Politiker, Journalisten usw., erforderlich machen. In Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag des Starts der Billigflaggenkampagne wird das ITF-Schiff vielen ITF-Gewerkschaften im maritimen Sektor ebenso wie in anderen Bereichen Gelegenheit geben, im internationalen Rahmen an einer Kampagne teilzunehmen und unterschiedliche Methoden zu erproben.

104 Sobald eine Kampagne voll angelaufen ist, kann es notwendig werden, alle weniger wichtigen Aufgaben ruhen zu lassen. Das bedeutet für die Gewerkschaften, daß sie bereit sein müssen, zusätzliche menschliche Ressourcen für die Kampagne bereitzustellen, und für die ITF, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Bedarf flexibel in den einzelnen Abteilungen und Sektionen sowie Regionalbüros einzusetzen. Beispiele dafür gibt es bereits, so z. B. die gemeinsamen Anstrengungen der Mitarbeiter/innen in den Binnenverkehrssektionen und der Sektion Zivilluftfahrt der ITF zur Unterstützung des UPS-Streiks im August 1997 sowie die Entsendung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Sonderabteilung der Seeleute nach Tokio und San Francisco während der Aktionswoche in Asien und dem pazifischen Raum vom November 1997.

105 Keine dieser Kampagnenaktivitäten kann jedoch ohne einen Kern gut geschulter Kräfte bei den angeschlossenen Gewerkschaften durchgeführt werden. Dies bedeutet auch hier wieder, der Bildungsarbeit mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Zusammenfassung

106 Die ITF sollte den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit verstärkt in Richtung auf Kampagnen verlagern.
Kampagnen bedürfen klar definierter Ziele und Zeitpläne sowie detaillierter Planung und des Aufwands aller Kräfte während ihrer Dauer.
Für größere Kampagnen sind zusätzliche Mittel und geschultes Personal erforderlich.
Kleinere Kampagnen auf regionaler Ebene können große Wirkung entfalten.
Bei einigen Gewerkschaften besteht Schulungsbedarf in bezug auf Methoden für die Durchführung von Kampagnen.

Neue Aktionsformen

107 Kampagnen allein reichen häufig nicht aus. ITF-Gewerkschaften werden auch weiterhin auf wirksame Methoden angewiesen sein, die Entscheidungsträger in der Verkehrswirtschaft unter Druck zu setzen. Die Fähigkeit, gegebenenfalls dafür zu sorgen, daß sich nichts mehr bewegt, ist von entscheidender Bedeutung für ge-werkschaftliches Handeln in der Verkehrswirtschaft. Wir sollten nur dann zu Arbeitskampfmaßnahmen greifen, wenn wir uns dazu gezwungen sehen, aber wenn sie notwendig sind, müssen sie auch Wirkung zeigen.

108 Die ITF und die ihr angeschlossenen Gewerkschaften lernen ständig dazu, was neue Techniken und Strategien für die praktische Ausgestaltung internationaler Solidarität angeht. Jeder größere Arbeitskonflikt und jede Kampagne liefern neue Ideen für das gewerkschaftliche Vorgehen. An der Serie von Aktionswochen im Rahmen der Billigflaggenkampagne 1996 und 1997 nahmen Gruppen von Hafenarbeitern teil, die bis dahin nichts von der Billigflaggenkampagne wußten; daraus resultierend lagen Schiffe über lange Zeiträume in Häfen fest, in denen niemals zuvor ein ITF-Boykott stattgefunden hatte. Die Streiks bei British Airways und UPS machten deutlich, daß sorgfältige Vorbereitung und intensiv geführte Aktionen letztendlich in internationalen Maßnahmen resultieren können, die tatsächlich etwas bewegen - vor allem wenn die beteiligten Gewerkschaften es verstehen, größtmöglichen Nutzen aus internationaler Unterstützung zu ziehen. Auch wenn der Umfang der gewerkschaftlichen Unterstützung in den einzelnen Ländern unterschiedlich war, litt die Moral der betroffenen Unternehmen, die damit nicht gerechnet hatten, während sie den streikenden Beschäftigten Auftrieb gab. Ausschlaggebend war in allen Fällen die durch die gewerkschaftlichen Maßnahmen verursachte Unsicherheit, ob die Beförderungsleistung zuverlässig und rechtzeitg erbracht werden konnte. Unternehmen wie BA und UPS haben hohe Geldbeträge in den Aufbau eines globalen Markennamens investiert und reagieren daher auf dem globalen Markt besonders empfindlich auf wirksame Kampagnen, die mit selektiven Arbeitskampfmaßnahmen verbunden sind. Der von UPS international genutzte Slogan "consider it done" (Wird gemacht!) wurde von der ITF-Sektion Zivilluftfahrt mit einigem Erfolg in der abgeänderten Form "consider it stopped" (Wird gestoppt!) übernommen.

109 Auch aus den jüngsten Aktionen der Gewerkschaften im Straßentransport in Frankreich und Argentinien haben wir gelernt. Zwar ist der Straßentransport der Verkehrsträger mit dem niedrigsten gewerkschaftlichen Organisationsgrad, aber er ist auch der größte, was die Zahl der Beschäftigten angeht, und der wichtigste im Hinblick auf die Folgen für die Wirtschaft. In Frankreich, wo nur ein kleiner Teil des Fahrpersonals im Straßentransport gewerkschaftlich organisiert ist, konnte die Wirkung gewerkschaftlicher Aktionen durch umfassende Mobilisierung (mit Hilfe von Kommunikationsnetzwerken, die auf dem Einsatz von Handys basierten) vervielfacht werden. Nicht gewerkschaftlich organisierte Fahrerinnen und Fahrer, die den gewerkschaftlichen Forderungen insgeheim zustimmten, konnten die Aktionen unterstützen, ohne sich der Gefahr von Sanktionen seitens ihrer Arbeit-geber auszusetzen. In Argentinien wurde praktisch der gesamte grenzüberschrei-tende Handel durch eine mit der Gewerkschaft in Chile abgestimmte "Bummel-aktion" lahmgelegt.

110 Doch egal wie eindrucksvoll diese Aktionen im einzelnen waren, wirksam waren sie, weil sie breite Unterstützung in der Öffentlichkeit fanden. Wir müssen uns darauf einstellen, daß unsere Gewerkschaften in vielen Ländern nicht mehr so stark sind wie früher. Arbeitskampfmaßnahmen gleich welcher Form zu organisieren, ist schwierig geworden, und dies gilt um so mehr für Solidaritätsmaßnahmen zur Unterstützung anderer Beschäftigter. Es sind nicht nur ernstzunehmende gesetzliche Hürden zu überwinden, sondern angesichts von hoher Arbeitslosigkeit und mangelnder Beschäftigungssicherheit ist auch das Risiko von Vergeltungsmaßnahmen seitens der Arbeitgeber deutlich gewachsen.

111 Dies heißt nicht, daß die Gewerkschaften nicht mehr in der Lage wären, Arbeitskampfmaßnahmen zu organisieren, sondern lediglich, daß sie ihr Vorgehen ändern müssen. Statt es auf eine direkte Konfrontation ankommen zu lassen, werden wir zunehmend auf Guerilla-Taktiken umsteigen müssen. Gesetzgeberische Maßnahmen oder ein Eingreifen der Regierung herauszufordern, kann mit schwerwiegenden Risiken verbunden sein; in der Regel sind dieselben Ziele jedoch auch auf anderem Wege zu erreichen, ohne den Boden des Gesetzes zu verlassen.

112 Alle Maßnahmen, einschließlich internationaler Solidaritätsmaßnahmen, müssen daher sorgfältig geplant sein und in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Konflikts stehen. Die Unterbrechung des Verkehrsflusses kann eine äußerst wirksame Waffe sein, sie kann aber auch Vergeltungsmaßnahmen seitens der Regierungen provozieren, wie z. B. das jüngst von der EU-Kommission angedrohte Einschreiten gegen gewerkschaftliche Maßnahmen, um den Fortbestand des EU-Binnenmarktes zu gewährleisten.

113 Maßnahmen sollten sich wo immer möglich darauf konzentrieren, den Arbeitgeber, dem sie gelten, zu treffen, und Unbeteiligte schonen. Soweit es irgendwie geht, sollten Maßnahmen Kunden-/öffentlichkeitsfreundlich gestaltet sein. Während des BA-Konflikts zum Beispiel waren Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter in den USA den Fluggästen bei der Umbuchung ihrer Flüge auf andere Fluggesellschaften behilflich. Gewerkschaften der Beschäftigten bei den Konkurrenten von BA wurden gebeten, ihre Fluggesellschaften zu ermuntern, zusätzliche Flüge anzubieten. Während der Aktionswochen im Rahmen der Billigflaggenkampagne fordern die Inspektorinnen und Inspektoren die Besatzungen bestreikter Schiffe inzwischen bewußt auf, stark frequentierte Liegeplätze freizumachen, damit die übrigen Abläufe im Hafen nicht in größerem Umfang gestört werden. Parallel zu ihrem Appell, für die Dauer des jüngsten Arbeitskonflikts in den australischen Häfen auf die Inanspruchnahme der Dienste von Patrick Stevedores zu verzichten, drängte die ITF die Reeder mit Nachdruck, sich statt dessen an Patricks gewerkschaftlich organisierte Konkurrenz zu wenden. Die französischen Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer tun mittlerweile ihr möglichstes, um privaten Pkw das Passieren der Straßenblockaden zu erleichtern. Während ihres Arbeitskonfikts 1994 sorgten streikende kroatische Bahnbeschäftigte dafür, daß einige Zugverbindungen im Weihnachtsreiseverkehr aufrechterhalten wurden.

Recht und Gesetz

114 Ein Aspekt, der den neoliberalen Tendenzen während der vergangenen 20 Jahre überall gemeinsam war, ist die erhebliche Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen, die in allen Teilen der Welt das Recht der Gewerkschaften zur Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen einschränken. Sekundäre Arbeitskampfmaßnahmen in der Gestalt von Boykottaktionen und andere Formen der solidarischen Unterstützung waren als Zielscheibe für gewerkschaftsfeindliche Gesetze besonders beliebt. Auch wenden die Arbeitgeber heute gesetzliche Bestimmungen weit aggressiver an; dabei werden sie häufig von international tätigen gewerkschaftsfeindlichen Unternehmensberatungen unterstützt. Die Sanktionen, mit denen Gewerkschaften selbst bei geringfügigen Gesetzesverstößen belegt werden können, stehen gelegentlich in keinem Verhältnis zur Schwere des Verstoßes, so z. B. die Verhängung hoher Geldstrafen oder Schadensersatzzahlungen, die Beschlagnahmung von Vermögenswerten oder gar die Inhaftierung von hauptamtlichen Gewerkschaftsmitarbeiterinnen und
-mitarbeitern.

115 Selbstverständlich müssen sich die Gewerkschaften diesen gewerkschafts-feindlichen Gesetzen heftig widersetzen und das Recht einfordern, auf nationaler ebenso wie auf internationaler Ebene Solidaritätsaktionen zu organisieren. Aber die ITF weiß aus Erfahrung, daß die Rechtslage nicht immer ein berechtigter Grund ist, untätig zu bleiben, sondern manchmal auch als Vorwand herhalten muß. Es ist wesentlich einfacher zu sagen: "Das Gesetz hindert uns daran, etwas zu tun" als "Wir können folgendes unternehmen". Während sich einige Türen verschließen, gehen andere auf. Sich an wirksamen internationalen Solidaritätsmaßnahmen zu beteiligen, sollte bedeuten, daß man sich auf das konzentriert, was möglich ist, und nicht darauf, was nicht möglich ist.

116 In diesem Zusammenhang werden insbesondere im Rahmen der Billigflaggenkampagne die unterschiedlichsten Taktiken und Ideen entwickelt. Einige davon sind nicht geeignet, in einem offen zugänglichen Papier diskutiert zu werden, andere sind allgemein bekannt, wie z. B. die Aufnahme geeigneter Klauseln in Verträge, die den Beschäftigten das Recht auf Teilnahme an Solidaritätsstreiks oder zur Respektierung von Streikposten garantieren. Wo solche Vertragsklauseln noch nicht existieren, sollten die Gewerkschaften sie nach Möglichkeit in ihren Forderungskatalog für Kollektivverhandlungen aufnehmen. Rechtliche Schritte werden außerdem durch den internationalen Charakter des Solidaritätsnetzwerks der ITF erschwert. Wenn in einem Land die Gefahr rechtlicher Gegenmaßnahmen besteht, kann der Schwerpunkt der Aktionen häufig in ein anderes Land mit günstigeren gesetzlichen Voraussetzungen verlagert werden.

117 Gelegentlich ist es der ITF dank ihres eigenen Status als internationale Organisation auch möglich zu verhindern, daß nationalstaatliche Gesetze gegen die Gewerkschaften des betreffenden Landes angewandt werden, und wo Gewerkschaften sich schwerwiegenden Angriffen von seiten des Gesetzgebers und der Politik ausgesetzt sehen, sind internationale Aktionen manchmal die einzige verfügbare Option, wie z. B. bei den jüngsten Konflikten in der australischen Hafenwirtschaft. Für die ITF gilt ebenso wie für die angeschlossenen Gewerkschaften, daß das Gesetz respektiert werden muß, daß aber auch seine Möglichkeiten ausgelotet werden. Während des Arbeitskonflikts bei BA wurden der ITF und ihrem Generalsekretär Schadensersatzklagen in Großbritannien angedroht, weil sie die Gewerkschaften in anderen Ländern um gesetzlich zulässige Solidaritätsaktionen gebeten hatten. Im Verlauf des Arbeitskonflikts mit der MUA konnte Patrick Stevedores bei den britischen Gerichten eine gerichtliche Verfügung erwirken, die, wenn sie Bestand gehabt hätte, die Fähigkeit der ITF, ihrer zentralen Aufgabe nachzugehen, erheblich eingeschränkt hätte, solange das Sekretariat seinen Sitz in London hat. Glücklicherweise konnte die gerichtliche Verfügung dank schlagkräftiger rechtlicher Gegenargumente rasch aufgehoben werden; dabei ergaben sich zugleich nützliche Erkenntnisse im Hinblick auf den rechtlichen Rahmen für Maßnahmen seitens der ITF. Das Gesetz sollte immer respektiert werden, doch müssen die ITF und die ihr angeschlossenen Gewerkschaften auch bereit sein, im Zuständigkeitsbereich der Gerichtsbarkeit bestimmter Länder wohl überlegte und kontrollierte rechtliche Risiken einzugehen, wenn Solidarität kein leeres Wort sein soll.

Direkte Maßnahmen auf internationaler Ebene

118 Eine der wichtigsten Erfahrungen aus den jüngsten Arbeitskonflikten ist die Erkenntnis, daß Gewerkschaften, die dringend internationale Unterstützung benötigen, bereit sein müssen, Beteiligte an dem Konflikt persönlich dorthin zu entsenden, wo Druck ausgeübt werden soll. Während des BA-Streiks halfen die ITF und die ihr angeschlossenen US-amerikanischen Gewerkschaften, eine Gruppe "mobiler Streikposten" aus Großbritannien zu organisieren, die mit ihren Aktionen auf dem New Yorker Kennedy-Flughafen für erhebliche Verspätungen bei BA-Flügen sorgen konnten. Eine Delegation der US-amerikanischen Teamstersgewerkschaft besuchte während des UPS-Streiks im August 1997 verschiedene europäische Vertriebszentren von UPS, wo sie auf Massenveranstaltungen von UPS-Beschäftigten sprach und mit den Vorständen von Gewerkschaften zusammentraf, die um ihre solidarische Unterstützung gebeten worden waren. Führende Mitarbeiter einer italienischen Seeleutegewerkschaft reisten vor einigen Jahren nach Florida, um dort Streiks der Besatzungen von Schiffen zu organisieren, die nicht gewerkschaftlich organisierte Häfen anliefen. Trotz der Tatsache, daß es sich nicht um einen offiziellen Arbeitskampf handelte, konnten sich die Liverpooler Hafenarbeiter ein beacht-liches Maß an direkter Unterstützung in vielen ausländischen Häfen sichern, indem sie ganz einfach Delegationen entsandten, die sich mit direkten Appellen an die örtlichen Gewerkschaftsmitglieder wandten. Der Arbeitskonflikt in Liverpool war nicht von Erfolg gekrönt, und bei seiner Organisierung sind viele Fehler gemacht worden, aber die Tatsache, daß die gewerkschaftlichen Vertrauensleute das Internet als Kommunikationsmedium einsetzten, ebenso wie ihre Reisen in alle Welt, bei denen sie internationale Solidarität mobilisierten, geben uns wichtige Anhaltspunkte dafür, welche Art von Taktiken ITF-Gewerkschaften in allen Bereichen künftig möglicherweise anwenden müssen.

119 All dies ist jedoch eine Frage der Prioritäten. Internationale Solidarität kann in vielen Arbeitskonflikten ausschlaggebend sein - allerdings nur dann, wenn die Gewerkschaften ernsthaft bereit sind, als Bereitsteller ebenso wie als Empfänger solidarischer Unterstützung die erforderlichen menschlichen und finanziellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

120 Es ist heutzutage nicht mehr möglich, Solidarität an- und abzustellen wie ein Radio. Wenn Gewerkschaftsmitglieder heute Arbeitskampfmaßnahmen zur Unterstützung von Beschäftigten in anderen Bereichen oder anderen Ländern ergreifen, riskieren sie dabei fast immer ihren eigenen Lohn und manchmal sogar ihren Arbeitsplatz. Gewerkschaftsmitglieder werden auch weiterhin bereit sein zu helfen, doch kann diese Bereitschaft nicht mehr wie selbstverständlich vorausgesetzt werden. Vielmehr muß Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit geleistet werden. Vorbereitungen sind daher von ausschlaggebender Bedeutung. In Zusammenhang mit den jüngsten Aktionswochen im Rahmen der Billigflaggenkampagne und der Kampagne für eine Verkürzung der Arbeitszeit im europäischen Straßentransport hat die ITF detaillierte Aktionshandbücher erarbeitet, während die Gewerkschaften Informationsveranstaltungen und Lehrgänge organisierten, auf denen sie den Basismitgliedern, die sich an den Aktionen beteiligen sollten, erläuterten, was von ihnen erwartet werde und weshalb.

121 Der wichtigste Faktor aller Solidaritätsmaßnahmen ist das Element der Über-raschung. Wir müssen die Arbeitgeber treffen, wenn sie es am wenigsten erwarten, wenn sie sich in Sicherheit wiegen. Dank der fortschreitenden Integration des glo-balen Verkehrssystems können selbst kleine Aktionen an der richtigen Stelle große Wirkung haben. Der Verkehr ist heute der Schlüssel zu fast allen Industrieabläufen. Der verbreitete Einsatz von Just-in-Time-Produktionsmethoden und Logistik bedeutet, daß Arbeitgeber in vielen Wirtschaftsbereichen Störungen im Verkehrsablauf über nationalstaatliche Grenzen hinweg praktisch schutzlos ausgeliefert sind. Wir müssen unsere eigene Fähigkeit optimieren, uns diese neue globale Ausgangslage zunutze zu machen. Für die internationale Gewerkschaftsbewegung stellt die Internationalisierung der Wirtschaft ebenso sehr eine Gelegenheit wie eine Bedrohung dar.

Zusammenfassung

122 Die Fähigkeit, Verkehrsdienste zu verzögern oder zum Stillstand zu bringen, steht im Zentrum von Solidaritätsaktionen.
Traditionelle Aktionsformen müssen neuen Formen weichen.
Aktionen sollten sorgfältig vorbereitet und kundenfreundlich sein und eine unnötige Beeinträchtigung von Unbeteiligten vermeiden.
Das Gesetz muß respektiert werden, darf aber nicht als Vorwand für Untätigkeit mißbraucht werden.
Bei wichtigen Arbeitskonflikten gibt es keinen Ersatz für die Entsendung von Vertreterinnen und Vertretern an den Ort des Geschehens, um zu Solidaritätsmaßnahmen zu ermuntern.
Das überraschungsmoment ist unverzichtbar - Arbeitgeber hassen nichts mehr als Unsicherheit.
Das international integrierte Verkehrssystem bedeutet, daß alle Arbeitgeber ohne Ausnahme Streiks in der Verkehrswirtschaft schutzlos ausgeliefert sind.
Die Globalisierung stellt für die Verkehrsgewerkschaften eine Gelegenheit ebenso wie eine Bedrohung dar.

Mitgliederwerbung

123 Voraussetzung für alles bislang gesagte ist die Existenz gut organisierter Belegschaften, bestehend aus Gewerkschaftsmitgliedern, die bereit und in der Lage sind, Solidaritätsmaßnahmen zu ergreifen, wenn sie darum gebeten werden. Dies ist jedoch in vielen Ländern keineswegs der Fall. Ein wichtiger Aspekt bei der Mobilisierung von Solidarität ist daher, Gewerkschaften nach allen Kräften dabei zu unterstützen, nicht gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte als Gewerkschaftsmitglieder zu werben, insbesondere bei Vertragsunternehmen, im informellen Sektor, bei Kleinstunternehmen, Arbeitnehmerinnen, Beschäftigten, die nicht in den traditionellen Bereichen der Verkehrswirtschaft tätig sind, sowie anderen Gruppen, die nur schwer zu organisieren sind.

124 Mit Zustimmung der betroffenen Gewerkschaften sollte sich die ITF daher darauf konzentrieren, die Solidaritätslücke zu schließen und in Zusammenarbeit mit Geberorganisationen und angeschlossenen Gewerkschaften Löcher im weltweiten Netzwerk der Solidarität ausfindig zu machen und zu stopfen. Mitgliederwerbung sollte zu einem immer wichtigeren Aspekt der Tätigkeit der ITF im Bereich der Bildungs- und Projektarbeit in allen Regionen werden.

Zusammenfassung

125 Die ITF sollte jederzeit bereit sein, Gewerkschaften sowohl durch Bildungsmaßnahmen als auch in Form direkter Mitgliederwerbekampagnen bei der Organisierung der nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten in der Verkehrswirtschaft zu helfen.

Wo es keine entsprechende angeschlossene Gewerkschaft gibt, sollte die ITF bereit sein, konkrete Projekte zur Gründung neuer, demokratischer Verkehrsgewerkschaften zu starten


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