letzte Änderung am 2. Okt. 2002

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Die Probleme internationaler Zusammenarbeit am Beispiel der Autoindustrie

Euro- und Weltbetriebsräte aller Multis, vereinigt uns?

Statt zusammenzuarbeiten, schauen viele GewerkschafterInnen oft argwöhnisch in die Runde. Vielleicht schnappen ja die Vertreter anderer Werke, anderer Länder ihrer Belegschaft Arbeitsplätze weg. Woher kommt diese Haltung? Und was könnte dagegen getan werden?

Wolfgang Schaumberg*

 

25. Januar 2001: Über 40 000 europäische Beschäftigte des US-amerikanischen Automobilkonzerns General Motors (GM) – zu dem auch Opel gehört - legen gemeinsam die Arbeit nieder, aus Protest gegen die angedrohte Schliessung des GM-Werkes in Luton nahe London. In Portugal und Spanien, in England, Belgien und Deutschland kommt es zu Produktionsausfällen von einer Stunde und mehr. Auch im Bochumer Opel-Werk machen über 3000 aus der Frühschicht mit. "Ein denkwürdiger Tag", schreibt danach der Bochumer Betriebsratsvorsitzende in seinem "Info aus dem Euro-Betriebsrat": "Erstmalig haben wir gemeinsam für unsere Ziele und Forderungen demonstriert". Und Emilio Gabaglio, der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), erklärt fast enthusiastisch: "Ich habe mich sehr über die Präsenz der IG Metaller aus Bochum auf der Demonstration vom 20. Januar 2001 in Luton gefreut." Dies sei ein Zeichen dafür, dass sich auch die deutsche Gewerkschaftsbewegung zunehmend europäisiere. Durch die bessere Zusammenarbeit entstehe "nicht nur ein Netz europäischer Solidarität, sondern auch eine effektive europäische Gewerkschaftsbewegung".

Das macht doch wohl Hoffnung? Anscheinend rücken die Beschäftigten in den grossen transnationalen Konzernen näher zusammen, womöglich angeführt, wie im Falle der europaweiten Aktion bei Opel/GM, von ihren Euro-Betriebsräten und Gewerkschaften.

 

Die Euro- und Weltbetriebsräte

Seit 1996 haben wir auch bei Opel einen Euro-Betriebsrat (EBR), nachdem sich das GM-Management zuvor jahrelang vehement dagegen ausgesprochen hatte – unter anderem mit dem Argument, man wolle "den Wettbewerb der Standorte weiter nutzen", wie dies ein Opel-Vorstandsmitglied formulierte. Doch mit der EU-Richtlinie im Jahre 1994 änderte sich die Lage: Ab einer bestimmten Grössenordnung sind seither alle transnationalen Unternehmen mit Betrieben in der Europäischen Union EBR-pflichtig, insgesamt 1650 Werke.

So bilden bei GM/Opel 30 Delegierte aus 17 europäischen Ländern den EBR, der alle vier Jahre neu gewählt wird. Laut der Vereinbarung zwischen der Europa-Geschäftsleitung von GM (mit Sitz in Zürich) und den VertreterInnen aus den lokalen Betriebsräten trifft sich der EBR einmal im Jahr und hat damit die Möglichkeit eines sogenannten Meinungsaustausches mit dem Management über "grenzübergreifende Themen". Wie bei Opel wurden inzwischen in über 600 Unternehmen der verschiedenen Branchen Euro-Betriebsräte eingerichtet, davon über 300 allein im Bereich der IG Metall. In logischer Konsequenz dieser Entwicklung nahmen auch die Anstrengungen zur Bildung von Welt-Betriebsräten zu. In der Autoindustrie spielte 1998 der Volkswagen-Konzern mit 320 000 Beschäftigten in 28 Ländern den Vorreiter in Sachen Welt-Arbeitnehmervertretung. Vor kurzem, im Juli 2002, folgte Daimler-Chrysler, und auch bei GM/Opel laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren.

Die zunehmende Verbreitung europäischer wie globaler Belegschaftsvertretungen sollte doch hoffen lassen, dass den multinationalen Konzernen das Ausspielen einer Belegschaft gegen die andere und das Abpressen von Zugeständnissen bei jeder Investitionsentscheidung immer schwieriger gemacht wird, oder?

 

Trügerische Hoffnung

Würden JournalistInnen an den Werkstoren von Opel-Bochum einmal die KollegInnen und Kollegen fragen, was sie denn von ihrem Euro-Betriebsrat halten, käme wohl Erstaunliches zutage. Drei Viertel der Befragten würden verwundert zurückfragen: "Was ist das denn, ein Euro-Betriebsrat? Nichts von gehört!" Die übrigen würden eher resigniert abwinken: "Bisher hat uns das nichts gebracht, der Arbeitsplatzabbau geht weiter, der Stress nimmt zu, und eine Betriebsvereinbarung nach der anderen zwingt uns Zugeständnisse an die Firma ab!" Ähnliche Kommentare kenne ich aus zahllosen Diskussionen mit KollegInnen aus anderen Auto-Werken.

Wie ist das zu erklären? Woher kommt diese Haltung etwa in Bochum, obwohl hier doch die Solidaritätsaktion gegen die Schliessung des Lutoner GM-Werkes Aufsehen erregt hat?

Zum einen muss man das Verhandlungsresultat des EBR mit der Konzernspitze für das Werk Luton betrachten. Der EBR unterzeichnete eine Vereinbarung, die zwar von den Euro-Betriebsräten, aber nicht von den KollegInnen als positiver Kompromiss gewertet wurde. Es gebe keine betriebsbedingten Kündigungen, hiess es da, andererseits würden aber "zur Personalanpassung Vorruhestands- und Abfindungsprogramme angeboten". Ausserdem könnten MitarbeiterInnen in andere GM-Werke wechseln. In Luton verbleibt nur eine Teil-Produktion. Somit wurde das Ziel der Protestaktionen, nämlich der Erhalt aller Arbeitsplätze, nicht erreicht.[1]

Zum andern sind auch die Verlautbarungen über die Verbesserung internationaler Zusammenarbeit genau zu hinterfragen. Zum Beispiel wurde die von EGB-Sekretär Gabaglio so gelobte Teilnahme der IG Metaller aus Bochum an der Massendemonstration in Luton von der Bochumer Belegschaft nicht als mutmachender Beitrag von Euro-Betriebsrat und Gewerkschaft erlebt - im Gegenteil: Vierzehn Bochumer IGM-Vertrauensleute waren auf eigene Kosten nach Luton gereist, nachdem sie vergeblich beim Bochumer EBR-Mitglied und bei der IGM-Ortsleitung eine offizielle Unterstützung ihrer Soli-Reise nach Luton gefordert hatten.

Wie sind dieser Widersprüche in der Bewertung der EBR-Praxis durch führende Euro-Betriebsräte und die KollegInnen, die von ihnen vertreten werden, zu erklären? Woher kommen die Differenzen zwischen den gewerkschaftsoffiziellen Einschätzungen und den praktischen Erfahrungen vor Ort? Warum sollte man besser nicht allzu viele Hoffnungen auf diese neue Form der internationalen Zusammenarbeit setzen?

 

Wenig Rechte ...

"Die Kolleginnen und Kollegen überschätzen unsere rechtlichen Möglichkeiten", wäre wohl die erste Antwort eines EBR-Mitglieders auf die Kritik. Da ist auch was Wahres dran. Die europäischen Gewerkschaften fordern hartnäckig eine Reform der EBR-Richtlinie und verlangen in erster Linie bessere Informationsrechte und Qualifizierungsmöglichkeiten für die Eurobetriebsräte sowie eine stärkere Position der GewerkschaftsvertreterInnen (diese können bisher nur als Sachverständige, nicht aber als Delegierte ihrer Gewerkschaft an den EBR-Sitzungen teilnehmen).

General Motors zum Beispiel gewährt bei dem in der EU-Richtlinie festgelegten Recht auf Information und Konsultation nur das Minimum[2]. "Die Fähigkeit von GM-Europa, Entscheidungen zu treffen, wird durch dieses Beratungsverfahren weder eingeschränkt noch verzögert", heisst es in der "Vereinbarung über ein europäisches Mitarbeiterforum bei General Motors Europe" von 1996. Bei "aussergewöhnlichen Angelegenheiten" darf die Geschäftsleitung das Beratungs- und Informationsverfahren sogar suspendieren. Dazu kommt als weitere wichtige Einschränkung eine Schweigepflicht, die noch restriktiver ist als jene des deutschen Betriebsverfassungsgesetzs (danach müssen Betriebsräte als "vertraulich" deklarierte Informationen des Managements unbedingt vertraulich behandeln, d. Red.).

Charakteristisch für EBR-Verträge aber ist vor allem die Vorgabe, dass durch die Mitsprache "die internationale Wettbewerbsfähigkeit in Bezug auf Qualität, Produktivität und Flexibilität zu verbessern" ist (so der Wortlaut der Vereinbarung). Was heisst: Der EBR hat eben auch der Profitabilität des Konzerns zu dienen. Die rechtliche Grundlage zur Intervention ist also dürftig. Dennoch kann sie allein die Praxis zumindest der führenden Euro-Betriebsräte kaum erklären.

 

... aber auch wenig Willen

Als die GM-Leitung im Dezember 2000 den Abbau von rund 6000 Arbeitsplätzen in Europa (und die Schliessung des Werkes Luton) ankündigte, sagte der GM-EBR-Vorsitzende Klaus Franz (er ist auch der Gesamtbetriebsrats-Vorsitzende der deutschen Werke): "Wir fordern das europäische Management auf, Massnahmen zu entwickeln, um die Profitabilität des Unternehmens durch Produkt- und Verkaufsoffensiven zu verbessern." Franz kann sich eine Sicherung der Belegschaftsinteressen offensichtlich nur in Form einer Profitsteigerung vorstellen. Und er argumentiert ganz im Sinne der GM-EBR-Vereinbarung, wenn er in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" verkündet: "Der Betriebsrat muss statt Gegenmanagement jetzt Ko-Management betreiben." Man müsse "die Realität des Wettbewerbs anerkennen"; eine "verhärtete Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmern und Unternehmensleitung" sei ein falscher Weg. Er selbst empfinde sich "in erster Linie" als Betriebsratsvorsitzender bei Opel, erst dann als "engagierter Gewerkschafter".

Wer so denkt, sieht in europaweiten Solidaritätsaktionen eher einen öffentlichkeitswirksamen Warnschuss (der dazuhin die Belegschaften beruhigt) als den Auftakt zu harten Auseinandersetzungen, die einen Konzern wie GM auch tatsächlich Zugeständnisse abringen (siehe Kasten). Zuerst wettbewerbsbesorgter Opel-Betriebsrat, dann Gewerkschafter, zuerst die Konkurrenz, dann die Solidarität – mit einem solchen Selbstverständnis kommen kämpferische internationale Aktionen gegen die Kapitalseite gar nicht in Frage.

Bochumer Widerstand

Dass es überhaupt zur europaweiten Solidarität mit den KollegInnen in Luton gekommen ist, hat auch mit einem Arbeitskampf in Bochum zu tun. Im Juni 2000 streikte die Bochumer Opel-Belegschaft fünf Schichten lang, so dass die Produktion in siebzehn europäischen GM-Werken zum Stillstand kam. Wie auch an anderen Standorten sollten in Bochum anlässlich des im Frühjahr 2000 eingeleiteten Zusammengehens von GM mit Fiat (mit der Option einer Übernahme des Fiat-Konzerns durch GM ab 2004) Beschäftigte des Motoren- und Getriebebaus in die neue Firma GM-Fiat-Powertrain wechseln und damit die Adam-Opel-AG verlassen. Der Eurobetriebsrat von GM hatte mit der GM-Zentrale bereits ein Abkommen ausgehandelt, das im wesentlichen die Sicherung der Opel-Standards für alle ausgegliederten Mitarbeiter für fünf Jahre vorsah. Diese Vereinbarung genügte der Belegschaft jedoch nicht, und so legte die Frühschicht einige Tage nach einer knallharten Belegschaftsversammlung von über acht Stunden Länge und mit rund 9000 TeilnehmerInnen die Arbeit nieder.

Nach fünf Streik-Schichten wurde ein neues Abkommen erreicht. Es garantiert allen Ausgegliederten die Opel-Bedingungen auf Dauer. Insbesondere legt es auch fest, dass bei Opel und Powertrain dieselben gewerkschaftlichen Vertretungsgremien zuständig bleiben. Dies ist für die Erhaltung der Kampfkraft wichtig; daher stand der Streik auch unter dem Motto: "Wir wollen eine Belegschaft bleiben". Das erkämpfte Abkommen konnte dann in allen Betrieben übernommen werden. Für die Verhandlungsspezialisten des EBR und der IG Metall stellte der selbständige, offiziell nicht abgesegnete Streik mit der Korrektur ihres vorherigen Verhandlungsergebnisses eine etwas blamable Entwicklung dar. So war auch der Druck da, bei der angedrohten Schliessung des englischen Werkes in Luton die Belegschaften in die Auseinandersetzung zumindest in Form eines Warnstreiks einzubeziehen.

 

Ähnlich die Position führender Gewerkschafter bei VW: "Von der globalen Belegschaftsvertretung profitiert der Konzern", zitierte die "Frankfurter Rundschau" im September 2000 Hans-Jürgen Uhl, den IG-Metall-Sekretär des VW-Weltbetriebsrats. Eine solche Vertretung "senkt bei VW die Kosten, weil weniger gestreikt wird". Und der Gesamtbetriebsrats-Vorsitzende von VW forderte schon bei der Planung des EBR: "Die deutschen Standorte müssen das Zentrum von Produktion und Entwicklung im VW-Konzern bleiben".

Hauptsache, wir retten die Gewinnsituation an unserem Standort – das scheint die Leitparole solcher Vertreter in den Euro- oder Weltbetriebsräten zu sein. "In Wirklichkeit kämpft man gegeneinander, um für sich das Beste herauszuholen", beschrieb einmal ein britischer Kollege selbstkritisch die Verhältnisse anlässlich einer Konferenz europäischer AutomobilarbeiterInnen in Bochum (1994). "In der Praxis kämpft jeder Betriebsrat für seinen Standort. Hätten wir ein ernsthaftes Recht zu entscheiden, in welchen Ländern investiert wird, wäre die Solidarität der Arbeitnehmer sicher bald am Ende", antwortete der Betriebsratsvorsitzender des Unternehmens Dillinger Hütte im August 2002 der IG-Metall-Publikation "direkt" auf die Frage nach seinen Erfahrungen. Präziser kann man die Praxis kaum umschreiben. Statt sich gemeinsam gegen die Erpressungen von Unternehmerseite zu wehren, die Belegschaften gegeneinander ausspielen wollen, überbietet man sich darin, vormals erkämpfte Standards preiszugeben.

Führende Belegschaftsvertreter mit solchen Auffassungen habe ich in europäischen GM-Werken von Warschau bis Zaragoza ebenso kennengelernt wie in den Autofabriken von Detroit, Puebla (Mexiko) oder Sao Paulo. Überall haben Manager im Zuge der weltweiten Einführung der "schlanken" Produktion (mit Team-Arbeit, kontinuierlichem Verbesserungsprozess, usw.) die leitenden Belegschaftsvertreter ideologisch einbinden können.

Ist die mangelnde internationale gewerkschaftliche Zusammenarbeit im wesentlichen ein Problem solcher ins Ko-Management abgewanderter Betriebsräte, die bekanntlich dicke Werkswagen fahren und oftmals unvorstellbare Einkommensverbesserungen erfahren haben? Liegen die Ursachen in dem Veränderungsprozess, den die die früheren Arbeiter oder Angestellten auf dem Weg in in die hohen Etagen der Belegschaftsvertretungen durchlaufen? Auch eine solche Erklärung greift jedoch zu kurz.

Das Management benutzt die Konkurrenz des Marktes, um die Konkurrenz zwischen den einzelnen Standorten zu schüren. Dies führt zu der absurden, aber realen Situation, dass sich EBR-VertreterInnen, die dieses Spiel mitmachen, gegenseitig argwöhnisch beäugen beim Versuch, dem Management Investitions- oder Produktionszusagen für den "eigenen" Standort abzuringen - in der Hoffnung, so die Zukunft der eigenen Belegschaft zu sichern. Diese Konkurrenz bildet übrigens auch die Basis für die zahlreichen "Bündnisse für Arbeit" inklusive der damit einhergehenden "Standortsicherungsvereinbarungen", die auf Betriebsebene abgeschlossen wurden. Sie gehören in Deutschland seit Jahren zum Alltag, haben aber den massiven Arbeitsplatzabbau keineswegs verhindert.

 

Co-Manager im Betriebsrat im Widerspruch zu ihrer Gewerkschaft?

"Wir müssen uns zu Global Playern für die erfolgreiche Vertretung von Arbeitnehmerinteressen entwickeln", verlangte der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel im November letzten Jahres bei seiner Wiederwahl zum Vorsitzenden des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes IMB, der 186 Gewerkschaften aus 95 Ländern mit insgesamt 22 Millionen Mitgliedern zusammenschliesst. Zwickel erklärte, nur durch die Gründung von Weltbetriebsräten nach dem Vorbild der Autokonzerne könnten die Gewerkschaften den weltweit agierenden Unternehmen erfolgreich entgegentreten.

Was dieses "den Unternehmen entgegentreten" tatsächlich bedeutet, zeigt sich an Zwickels begeisterter Beurteilung des VW-Konzerns: "Ein Unternehmen, wo es gelingt, gewerkschaftliche Interessen, unternehmerischen Spitzenerfolg sowie individuelle und gesellschaftliche Belange unter einen Hut zu bringen, das ist schon aussergewöhnlich!", rief er Mitte April 2002 den Delegierten einer Versammlung zur VW-Aufsichtsratswahl zu. Aufgabe der internationalen Gewerkschaftsgremien wäre demnach, dafür zu kämpfen, dass "unternehmerischer Spitzenerfolg" mit den Interessen von Gewerkschaftsmitgliedern sowie aller anderen Menschen "unter einen Hut" gebracht werden.

Als "Pionier und Flaggschiff" preist auch der IMB-Sekretär Robert Steiert den Konzern. Steiert war bis Anfang 2000 verantwortlich für die Internationale Abteilung beim Vorstand der IG Metall: Mit der Gründung des VW-Weltbetriebsrats sei ein sozial verantwortlicher Globalisierungsprozess eingeleitet worden, der auf der Basis wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit funktioniere. "Das Beispiel von VW zeigt, dass ein Unternehmen besser operiert, wenn es seine Beschäftigten in guten Zeiten informiert und einbezieht statt sie als Sündenböcke zu behandeln, wenn es schlecht läuft", schrieb Steiert in der Vierteljahresschrift des European Trade Unions Institute ("Transfer" 07/01). Der Erfolg eines Unternehmens hinge ja auch davon ab, wie weit die Unternehmensentscheidungen von den Belegschaften akzeptiert und erfolgreich mitgestaltet würden.

Die Politik des IG-Metall-Vorstands ist also ganz auf den Erfolg ausgerichtet – auf den Erfolg des Unternehmens. Damit aber macht die Gewerkschaftsführung die Sicherung des Profits der Konzerne zur Grundlage für das Wohlergehen der Beschäftigten. Oder, wie es das VW-Vorstandsmitglied Peter Hartz ausdrückte: "Die Mitbestimmung, wie sie die IG Metall vertritt, akzeptiert die handlungspolitische Funktion des Gewinns und der Wettbewerbsfähigkeit". So wird verständlich, warum sich Betriebsräte um die Gewinne ihrer jeweiligen Standorte sorgen und die Gewerkschaft um die Profitlage "der (deutschen) Wirtschaft".

In der Praxis bedeutet das traditionelle Verhaftetsein im korporatistischen Block der "Sozialpartner" für die internationale Betriebsrats- und Gewerkschaftspolitik eher die Ausrichtung auf die Parole "Sieg im Konkurrenzkrieg" als auf einen gemeinsamen Kampf gegen die Macht der Konzerne.

 

Herausforderung für die Linke

Vor Ort, in den Belegschaften, wird die wettbewerbsorientierte Politik der Gewerkschaftsrepräsentanten zwar ärgerlich kritisiert (wenn wieder einmal ein fauler Kompromiss abgeschlossen wurde). Im Kern aber akzeptiert doch eine Mehrheit das Vorgehen und die Verhandlungsergebnisse. Schliesslich wählen die Leute ihren Betriebsrat. "Das Hemd ist mir näher als die Jacke", heisst es oft, wenn es darum geht, solidarisch mit KollegInnen anderer Betriebe oder Länder gegen den "eigenen" Betrieb oder Konzern vorzugehen und womöglich noch was zu riskieren. Als wäre es von der Natur so eingerichtet, dass man nur in der Konkurrenz seine Interessen schützen kann, beteiligen sich die Beschäftigten am Wettbewerb.

Dieses seit langem vorherrschende Bewusstsein wird durch Unternehmerpropaganda und die Medien tagtäglich neu verstärkt. In diesem Zusammenhang spielt die praktische Betriebsrats- und Gewerkschaftspolitik eine entscheidende Rolle: "Es gibt keine Alternative", hören die KollegInnen immer wieder. Bei jedem Konflikt am Arbeitsplatz das gleiche Spiel: Man schimpft gemeinsam über schlechte Arbeitsbedingungen oder Lohnprobleme und holt den gewerkschaftlichen Vertrauensmann hinzu. Der ruft den Betriebsrat. Dieser verspricht, sich "um das Problem zu kümmern", und beschreitet den geregelten Weg, indem er die Betriebsratsgremien einschaltet. Grosse Probleme landen vielleicht sogar auf dem Schreibtisch des Euro-Betriebsrats. Das Verhandlungsergebnis nimmt dann wieder denselben Instanzenweg zurück: "Mehr war nicht drin", wird dann der Kompromiss kommentiert, der nicht auf der Basis einer Mobilisierung der Mitglieder zustande gekommen ist (deren Aktionsbereitschaft man vorher sorgfältig hätte abfragen müssen), sondern durch Experten, die gemeinsam die Wettbewerbsfähigkeit "ihres" Unternehmens nicht gefährden, sondern eher verbessern wollen. Dass diese Erfahrung bei den KollegInnen die scheinbare Notwendigkeit der Konkurrenz täglich neu einhämmert, wird in der Linken weitgehend unterschätzt.

 

Vier Thesen zu unseren Aufgaben

1. Sei es die europaweite Soli-Aktion bei GM Anfang 2001, seien es die in der Bundesrepublik in selten erlebter Radikalität ausgeweiteten Streiks bei der letzten Metall-Tarifrunde (oder die Streikbereitschaft der GBI-KollegInnen) – immer können wir Linken die in der Aktion erlebte Solidarität für eine gezielte Diskussion nutzen, die genau an diesen Widersprüchen ansetzt. Solidarität nicht in Folge eines moralischen Anspruchs, sondern als Notwendigkeit und Gegensatz zur gepredigten Konkurrenz. Statt "corporate identity", in die man sich bei der alltäglichen Arbeit immer wieder einspannen lässt, "working-class identity", erlebt in gemeinsamer Aktion.

2. Die Basis fordert zunehmend Gegenwehr. "Zum Verzichten brauche ich keine Gewerkschaft", diese Kritik hört man immer öfter in den Betrieben. Die Angriffe auf die erreichten Sozialstandards haben eine Ausmass erreicht, das gemeinsame Gegenwehr immer dringlicher macht. Eine wirksame Gegenwehr bedingt allerdings auch, dass die Ursachen dieser Entwicklung (die Zwänge einer auf Kapitalverwertung und Akkumulation ausgerichteten Produktionsweise) breiter diskutiert werden.

3. "Her mit dem schönen Leben – eine andere Welt ist möglich", hiess die Parole von Gewerkschaftsjugend und Attac für ihre gemeinsame Grosskundgebung Mitte September vor der Bundestagswahl. Diese Parole hat aber nur Zukunft, wenn wir Linken uns auch an die Verbreitung der Frage herantrauen, wie denn (und anders als unter kapitalistischen Konkurrenzbedingungen) unser gemeinsames Erarbeiten und Verteilen der von uns benötigten und gewünschten Güter weltweit organisiert werden könnte. Anzusetzen wäre auch an den Erfahrungen, die täglich im Produktionsprozess gemacht werden. So könnte man etwa darüber debattieren, inwieweit neue Arbeitsformen (wie Gruppenarbeit) oder neue Technologien als kapitalistisch bedingt abzulehnen sind – oder inwieweit sie selbst im Widerspruch zu den Bedingungen stehen, denen sie in einer kapitalistischen Welt unterliegen. Das heisst: Ob sie neue Chancen bieten für eine ganz andere Form von Produktion und Verteilung.

So machen viele KollegInnen mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und -strukturen neue Erfahrungen: Einerseits haben sie die Doktrin der "Konkurrenzfähigkeit" bereits verinnerlicht, andererseits entwickelt sich das Selbstbewusstsein, den Produktionsprozess steuern zu können. Sie sollen in den Prozess eingreifen, ihn kontinuierlich verbessern, aber gleichzeitig das Unvernünftige mitorganisieren (und nur der kurzfristigen Gewinnsteigerung ihres Ausbeuters dienen).

4. Wir müssen die Anforderungen an Euro- und Weltbetriebsräte wie überhaupt an gewerkschaftlichen Internationalismus offensiver diskutieren. Bei Opel in Bochum versuchen wir als linke Betriebsgruppe mit dem Namen GOG – Gegenwehr ohne Grenzen (siehe Kasten) seit über zwanzig Jahren, die internationale Zusammenarbeit voranzubringen, beispielsweise durch gegenseitige Besuche von BasisgewerkschafterInnen, internationale Konferenzen, regelmässigen Erfahrungsaustausch und vor allem durch Einbeziehung der ganzen Belegschaft. Doch inhaltlich war auch unsere Diskussion fast nur auf Verteidigung ausgerichtet. Unser Blick ging insofern selten über den notwendigen Zusammenschluss innerhalb des GM-Konzerns oder die Erfahrungen in der Auto-Industrie hinaus. Unsere Kritik an der offiziellen Betriebsrats- und Gewerkschaftspolitik beschränkte sich zumeist auf das Benennen und Beklagen der Wettbewerbsorientierung. Die Wettbewerbszwänge zu verstehen, sie aber nicht zum Ziel zu machen, erfordert eine gewerkschaftliche und soziale Bewegung für eine andere Gesellschaft. Eine Alternative können wir jedoch nur entwickeln, wenn wir eine internationale Debatte in Gang bringen, die die gesamte Gesellschaft umfasst, offene Fragen nicht scheut und unsere Mängel nicht ausklammert.

Gegenwehr ohne Grenzen

Bei Opel in Bochum haben wir 1972 die Betriebsgruppe "GOG – Gruppe oppositioneller Gewerkschafter in der IG Metall" gegründet und seither regelmässig eine Betriebszeitung und Flugblätter verteilt. 1993 bis 2000 hiess die Zeitung "Standorte", seit zwei Jahren wieder "GOG-Info", wobei das Kürzel für den neuen Gruppennamen Gegenwehr ohne Grenzen steht (die Zeitung sowie unsere Kontaktadresse ist auf der Website www.labournet.de/branchen/auto/gm-opel/bochum zu finden).

Seit Anfang der achtziger Jahre bildet die internationalistische Kooperation einen wesentlichen Schwerpunkt unserer Arbeit. Die Organisation Transnationals Information Exchange (TIE) – damals nur in Amsterdam, heute mit Büros auch in Frankfurt/Offenbach, Sao Paulo, Detroit, Moskau – hat mit ihren basisorientierten Konferenzen den Aufbau der Kontakte zu vielen GM-Belegschaften wesentlich unterstützt. Über das TIE-Bildungswerk und andere Organisationen wie die Humanistische Union und die Berliner Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt haben wir Konferenzteilnahmen, Austausch-Besuche und insbesondere auch offizielle Bildungsurlaube (etwa in Liverpool, Zaragoza, Gliwice) zu Kontaktaufbau und Erfahrungsaustausch organisiert, an denen immer rund 25 KollegInnen teilnahmen. Zwischendurch (von 1993 bis 1998) publizierten wir mit einigen gewerkschaftlichen Vertrauensleuten in der "Arbeitsgruppe für internationale Belegschaftskontakte" das "Info-International" sowie 1996 die Analyse "General Motors: 'Wir sind keine Wohlfahrtseinrichtung'. Der grösste Konzern der Welt unter der Lupe". Weitere Informationen zu unserer Arbeit und unseren Position bietet die Website des Online-Magazins "LabourNet Germany": www.labournet,de

 

 

Dieser Artikel ist freundlicher Vorabdruck aus "WoZ économique" Nr. 2, die am 17. Oktober erscheint. Dieser Sonderteil der WoZ erscheint vier Mal im Jahr und wird von GewerkschaftsaktivistInnen finanziert. Schwerpunkt ist diesmal die internationale Zusammenarbeit von Gewerkschaften (bzw. deren Mühe damit).

* Wolfgang Schaumberg arbeitete 30 Jahre lang im GM-Opel-Werk Bochum (Deutschland) und war 25 Jahre Mitglied im Betriebsrat. Er ist seit 2 Jahren Vorruhestand. Siehe auch seinen Beitrag: "Linke im Betriebsrat", erschienen in: "express" Nr. 2/2001: www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/betrvg/schaumb.html

Fussnoten:

(1) Eine ausführliche Dokumentation zum Konflikt bei GM/Vauxhall sowie über die gesamte Entwicklung bei Opel/General Motors findet sich unter: www.labournet.de/branchen/auto/gm-opel/bochum bzw. www.labournet.de/branchen/auto/gm-opel/luton. Zum Ergebnis des Kampfes siehe auch das Framework Agreement for GM Luton: www.imfmetal.org/imf/main

(2) Ziel der EU-Richtlinie vom 22. Spetember 1994 ist die "Stärkung des Rechts auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer" durch die Schaffung von Euro-Betriebsräten oder einem entsprechenden Verfahren (Art.1). Das Unternehmen ist verantwortlich dafür, dass ein sozialpartnerschaftlich zusammengesetztes Verhandlungsgremium die Art der Umsetzung beschliesst. Die Mehrzahl der Vereinbarungen gehen aber kaum über die Mindestvorschriften hinaus. Auch richteten zahlreiche Unternehmen kurz vor der Inkraftsetzung der Richtlinie freiwillige, minimale Informations- und Konsultationsverfahren ein, die, falls die Sozialpartner dies beschliessen, weiter gelten. (Art.13)

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