letzte Änderung am 10. Okt. 2002

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Internationalismus – nur ein Randthema? fragt Jens Huhn

»Andererseits ist aber jede Bewegung, worin die Arbeiterklasse als Klasse den herrschenden Klassen gegenübertritt und sie durch pressure from without zu zwingen sucht, ein political movement« (Hervorhebung von J.H.) (Marx, 23. Nov .1871, Brief an Bolte, MEW 33332)

 

Folgen der neuen Beweglichkeit des Kapitals

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Gesicht des Kapitalismus erheblich verändert und damit auch die Rahmenbedingungen für gewerkschaftliche Politik. Der gängige Begriff für diese Veränderungen lautet »Globalisierung«.. Gemeint ist damit eine rasante Internationalisierung des Finanz- und Handelskapitals, des Industriekapitals und der Informationsbranche. Die Entwicklung neuer Kommunikationstechnologie bildet dafür die Voraussetzung. Zugleich erfolgt mit dieser Internationalisierung ein gewaltiger Rationalisierungsschub. Für die Gewerkschaften hat diese Beweglichkeit des Kapitals erhebliche Folgen.

Zunächst sehen sie sich in ihren Bemühungen um Arbeitsplätze und »Standortsicherung« in einen Wettbewerb der Zugeständnisse hineingezwungen. Als eine Konsequenz dieser Zugeständnisse beginnen sich die Preise für die Ware »Arbeitskraft« weltweit anzunähern.

Überall kommt es zum Rückgang des »Normalarbeitsverhältnisses«, dem Zuwachs an ungesicherten und schlecht bezahlten Jobs, wenn auch unter sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen. Diese sind der Motor für eine Entwicklung, bei der die »Ware Arbeitskraft« in den Metropolen des Nordens in immer mehr Branchen dem Konkurrenzdruck der »Ware Arbeitskraft« aus dem Süden ausgesetzt ist und dabei immer schlechtere Bedingungen in Kauf nimmt (nehmen muss).

Sodann fehlt den Gewerkschaften in dieser Situation die hilfreiche Hand des Staats. Dies liegt nicht nur daran, dass sich inzwischen auch die meisten ehemaligen »Arbeiterparteien« der Ideologie des »globalen Wettbewerbs« verschrieben haben. Vielmehr hat die »Globalisierung« des Kapitals die Möglichkeiten zu einer »nationalökonomischen Politik« erheblich verschlechtert, wenn nicht ganz zum Verschwinden gebracht.

Dass gewerkschaftliche Politik heute »internationalistisch« zu sein habe, ist ein immer wieder zitierter Allgemeinplatz. Dabei ist daran gedacht, dass Arbeitsplätze, erträgliche Arbeitsbedingungen und erkämpfte soziale Leistungen an einzelnen »Standorten« gegen die Politik des global agierenden Kapitals nicht zu verteidigen sind. Auch wird dies kaum mehr einzelnen nationalen Regierungen zugetraut.

Als sichtbare Konsequenz aus dieser Einsicht haben europäische und amerikanische Gewerkschaften in den letzten Jahren viele Euro-Betriebsräte, ein paar Welt-Betriebsräte, multinationale regionale Tarifbünde gebildet, sich als Lobbyisten für »soziale und ökonomische Mindeststandards« bei der Bildung der EU und der NAFTA betätigt.

Es ist allerdings sicher nicht übertrieben zu behaupten, dass sich diese »neue« Verteidigungslinie gewerkschaftlicher Mehrheiten gegen Arbeitslosigkeit, gegen Sozial- und Lohndumping und Deregulierung der Arbeitsmärkte und Arbeitsbeziehungen als nicht sehr wirksam erwiesen hat. Es handelt sich dabei um einen geographisch meist auf den kapitalistischen Block, dem man angehört, beschränkten »Internationalismus«, der aus der Schwäche der jeweiligen Einzelgewerkschaft keine »gemeinsame Stärke« zu zaubern vermag. Diese Politik schwört wie eh und je in Krisen auf die »Vernunft« und »demokratische Gesinnung« von Politik und Kapital, an die es jetzt nicht mehr national, sondern auf (irgend)einer internationalen Ebene zu appellieren gilt.

Gegen den Konkurrenzdruck des neuen »Weltarbeitsmarktes« werden mit Unternehmen und internationalen Institutionen wie ILO oder sogar WTO vor allem »Verhaltenskodizes« ausgearbeitet, die Mindestbedingungen für den Verkauf und die Verwendung dieser »Ware« festlegen sollen. Diese werden aber weder bei jedem Unternehmen durchgesetzt, noch sind sie wirksam zu kontrollieren, noch gibt es eine Instanz, die zu wirksamen Sanktionen bei Verstoß gegen diese »Kodizes« bereit ist.

Die Schwäche der Gewerkschaften gegenüber einem »globalisierten« Kapital, ihr stetiger Verlust an Einfluss, gesellschaftlicher Anerkennung und nicht zuletzt auch an Mitgliedern in den vergangenen Jahrzehnten, hat sicher viele Ursachen. Eine wesentliche dürfte sein, dass die die gewerkschaftliche Politik bestimmenden Mehrheiten in europäischen und amerikanischen Gewerkschaften in ihrem jetzigen Zuschnitt trotz jeweils sehr unterschiedlichen Traditionen »Kinder des Nachkriegskapitalismus« geblieben sind.

In der Boom-Phase bis in die 70er Jahre erwiesen sich Unternehmen angesichts eines relativen Arbeitskraftmangels als meist großzügig und bereit, einen (geringen) Teil der sprudelnden Profite ohne allzu großen Widerstand um des »sozialen Friedens« willen abzugeben. Gewerkschaftlicher Fortschritt beim Einkommen, den Arbeitsbedingungen und der sozialen Sicherung konnte sehr oft von Unternehmen auch ohne harte Kämpfe, begleitet von eher symbolischen Unmutsäußerungen der »Basis« durch stellvertretende Funktionäre (Fachleute) »erhandelt« werden. Hinzu kam, dass die meisten Regierungen im »Kalten Krieg« gegen die »kommunistische Gefahr« auf einen »sozial gebändigten Kapitalismus« setzten. Dabei hat sich ein »Gewerkschaftsmodell« durchgesetzt, das an die biblische Herde mit dem guten Hirten erinnert. Wer heute über die »Krise« der Gewerkschaften redet, redet über die Krise dieses Modells.

In der Epoche schrumpfender Nachfrage, gigantischer Unternehmensfusionen mit entsprechender Kapitalvernichtung, der konsequenten Sicherung der Aktionärsrendite (»Shareholder-value«), globaler Finanzbewegungen und einer von den meisten Regierungen eifrig betriebenen »Angebotspolitik« vermag eine naturwüchsig sich fortsetzende gewerkschaftliche Politik der »Fachleute« und »guten Hirten«, die mehr oder weniger energisch an »Einsichten« des Kapitals und des Staates (bzw. der Staatengemeinschaft) appellieren, auch wenn sie sich »europäisiert« oder »nordamerikanisiert«, nicht mehr als gerade noch das »Schlimmste« (Es kann ja immer noch schlimmer kommen!) verhindern.

In vielen europäischen und amerikanischen Gewerkschaften hat es in der Nachkriegszeit mehr oder weniger starke Minderheiten gegeben, die das herrschende Modell der Gewerkschaftspolitik theoretisch und praktisch in Frage gestellt haben.[1] In der aufklärerischen Tradition der Arbeiterbewegung bestehen sie darauf, dass die »Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiterklasse selber sein kann«. Sie setzen demnach auf Selbsttätigkeit und Selbstorganisation. Ihre Maxime ist, dass an jedem Ende eines (Klassen) Kampfs beim einzelnen Beteiligten ein besseres Verständnis über die Gesamtgesellschaft und ein Zuwachs an Selbstbewusstsein (Klassenbewusstsein) stehen. Angesichts der Entwicklung ehemaliger Arbeiterparteien zu »Volksparteien« sehen sie die Gewerkschaften als die letzte noch verbleibende »Klassenorganisation«.

Gegen die neuen Bedingungen der »Ware Arbeitskraft«, ihre enorme Zerklüftung in »Normal«-Beschäftigte, Teilbeschäftigte, gelegentlich Beschäftigte, nie Beschäftigte und die damit verbundene Verschlechterung der Lebensbedingungen insgesamt haben einzelne Gewerkschaften und GewerkschafterInnen versucht neue Strategien zu entwickeln. Darin sind Gewerkschaften als der Sammelpunkt der »Klasse« bestimmt, nicht als bloße »Lohnmaschine«, sondern als »soziale Bewegung« zur Veränderung bestehender Verhältnisse, wobei die Bewegung mehr umfasst als die Gewerkschaftsmitglieder und sich um gesellschaftliche, nicht nur betriebliche Angelegenheiten kümmert.[2] Mit ihrer kämpferischen Tradition und neuen strategischen Ansätzen konnte diese »Strömung« in einigen Ländern in letzter Zeit mehr als das Schlimmste verhindern.[3]

Als Erben der aufklärerischen Tradition der Arbeiterbewegung verstehen sich diese Strömungen »internationalistisch«. Die Praxis ihres »Internationalismus« ist allerdings nur schwer auf einen Nenner zu bringen. In einer unter ihnen weit verbreiteten Idee allerdings »konvergieren« sie eigentümlich mit der Mehrheitsströmung: Es ist die Vorstellung, man müsse der ungehemmten Ausbreitung eines »wilden ungezähmten Kapitalismus« einen neuen »kämpferischen übernationalen Keynesianismus« der Basis entgegensetzen, der die bekannten Adressaten Kapital, internationale Organisationen, Regierungen, Staatenverbände (wie die EU) zur Rückkehr zum »regulierten Kapitalismus« zwingen würde.

 

Gewerkschaften: auf ihren Anfang zurückgeworfen

Das Plädoyer für die Rückkehr zum »keynesianisch« regulierten Kapitalismus auf diesmal übernationaler Ebene bezieht sich allerdings auf eine staatliche Form, die nicht nur als »Territorialmacht« auf dem Rückzug ist, sondern ihrem ganzen Inhalt nach im Schwinden zu sein scheint.

Die Staatsaufgaben der kapitalistischen Länder zumindest bis zum Ende des Kalten Kriegs bestanden darin, neben der Sicherung physischer Unversehrtheit ihrer Bürger aktive Wirtschaftspolitik zur Hebung der »allgemeinen Wohlfahrt« zu betreiben und die Risiken des »freien Markts« für den Einzelnen abzumildern. Damit sollten – so die offizielle Ideologie – Kommunismus, aber angeblich auch Faschismus abgewehrt werden. Dies galt für die Welt insgesamt. Im Süden, der »3. Welt« gab es nun »Entwicklungsländer«, es gab die »Entwicklungsdekade«, »Allianzen für den Fortschritt« etc. Die Wirklichkeit, die hinter diesem Schleier lag, muss hier nicht erörtert werden. Über sie sind ganze Bibliotheken geschrieben worden.

Spätestens seit dem Zusammenbruch des »real existierenden« Sozialismus ist eine Abkehr sowohl von der Ideologie, als auch von der Praxis dieser »Weltsozialpolitik« zu bemerken. Heute gilt es als die vornehmste staatliche Pflicht, die »Rahmenbedingungen« für den »internationalen Wettbewerb« des Kapitals zu verbessern, um den eigenen »Standort« sicherer zu machen. Aktive Wirtschaftspolitik schrumpft auf die Politik einer Senkung der »Staatsquote« und »Deregulierung«, Sozialpolitik wird zunehmend »Polizeipolitik«. Die ehemaligen drei Staatsaufgaben schrumpfen in einer zusammen: Der Sicherheitspolitik.

Nach dem »Kommunismus« sind neue Bedrohungsszenarien entstanden. Es sind dies – um nur die gängigen aufzuzählen – die »ökologische Krise«, Aids, die »Drogenschwemme«, die »Flüchtlingswellen«, die internationale »Bandenkriminalität«, der »Terrorismus« und die Arbeitslosigkeit. Sicherheitspolitik hat nach innen wie nach außen vor diesen Bedrohungen zu schützen. Deutlich beschreiben die Szenarien auch die vermeintlichen hauptsächlichen Urheber dieser Bedrohungen. Sie kommen aus dem Süden des Globus (gelegentlich auch aus dem »Wilden Osten«). Sicherheitspolitik meint heute also wesentlich Sicherung vor den Bedrohungen aus ehemaligen »Entwicklungsländern« (oder denen des alten »Ostblocks«) und deren Ausläufern im eigenen Land, meint »Bau einer Festung« gegen die »anbrandende Flut« der Bedrohungen.

Aber auch diese verbliebene Aufgabe ist vom ehemaligen Nationalstaat nicht vollständig zu erfüllen. Um der Bedrohung Herr zu werden, die »Globalisierung« des Kapitals staatlich zu stützen und abzusichern, genügen die Machtmittel eines Staats, und seien es selbst die USA, nicht mehr. Es bedarf dazu der Zusammenarbeit von Staatengemeinschaften. Es bilden sich so die Umrisse dessen, was einige Autoren das »Imperium« nennen.[4] (Sie beschreiben es als in seiner Form dem alten römischen Imperium nicht unähnlich). Es entsteht eine Art nördliches Reich, das sich mit einer fließenden, aber immer gut verteidigten Grenze umgeben hat. Manchmal verläuft sie mitten durch die Städte des Nordens. Dahinter liegt die Barbarei. In ihr befinden sich einzelne vorgeschobene Handelsposten des Imperiums, vor allem aber wichtige Rohstoffreserven, die zugänglich zu halten sind. Die Interessengebiete des »Imperiums« dort sind umgeben von einem Meer der Barbarei, darunter viele »weiße Flecken« auf der Landkarte, in denen sich die »abgekoppelten Gebiete« befinden. Die Beziehung des »Imperiums« zur Barbarei ist die der Intervention, der diplomatischen Intervention zur Stabilisierung von hegemonialen Regionalmächten im Interesse der eigenen Sicherheit und immer häufiger der militärischen Intervention.

Das neue »Imperium«, bestehend aus Einzelregierungen, internationalen Institutionen wie der UNO, Militärblöcken usw., hat kein eindeutiges Zentrum, in ihm herrscht ökonomischer Wettbewerb zwischen einzelnen Staaten und den drei Blöcken (Amerika, Europa, Ost- und Südostasien), diplomatische und militärische »Arbeitsteilung«. Es gibt eine Art imperialer Ideologie und Ethik und deren Legitimationsinstanzen.[5] Wie weit sich diese Ideologie bereits durchgesetzt und damit die Praxis des »Imperiums« »zustimmungsfähig« gemacht hat, konnte man nach dem 11. September 2001 feststellen. In der öffentlichen Rhetorik bildeten das Imperium und alle die, die in ihm leben und es für die »beste aller möglichen Welten« befinden, die »friedlichen guten Willens« sind, die »zivilisierte Welt«, ein »ewiges Reich der Freiheit« mit Weltbürgern unter gleichem Recht (den Menschenrechten) auf dem Weg zum »ewigen Frieden«.. Das »Imperium« streitet allerdings noch für dieses Ziel. Dabei wird dann den »Menschenrechten« auch schon mal in einem durch UNO-Resolutionen oder die Geschichte (»Nie wieder Auschwitz«) abgesegneten »gerechten Krieg« Anerkennung verschafft. Streitbar ist das Imperium aber auch gegen die »inneren Barbaren«, die die bestehenden Verhältnisse nicht anerkennen wollen oder können.

Die innere Logik dieser Veränderung scheint offensichtlich darin zu bestehen, den gegenwärtigen gesellschaftlichen Machtverhältnissen, der Vorherrschaft des »globalisierten Kapitals«, den angemessenen »globalen« politischen Rahmen zu verschaffen, sie ein für allemal als die »menschlich allein angemessenen« zu bestimmen und mit den Weihen eines »Reichs der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens« zu versehen. Im Konstrukt des »Imperiums« sind keine Interessen mehr vorgesehen, die den bestehenden Machtverhältnissen zuwider laufen könnten. Kritik an den Verhältnissen im Namen eines »Gemeinwohls« ist damit zur Absurdität erklärt und wird schwerlich Fürsprecher in den herrschenden Institutionen finden.

Auch wenn die Fassade anderes signalisiert: Die Gewerkschaften in den entwickelten kapitalistischen Ländern sind, wollen sie ihrem Inhalt treu bleiben, auf ihren Anfang zurückgeworfen. Zwar sind sie als Co-Manager, Co-Staatsmänner und Mit-Ideologen geduldet, die Interessen aber, die sie vertreten sollen, gelten mehr und mehr als »barbarisch« (selbst wenn es sich um ein so harmloses Interesse wie das an einer Lohnerhöhung handelt).

Gewerkschaften wurden gegründet, um den »Gewalttaten des Kapitals« wirksam begegnen zu können. Einer ihrer ersten Schritte dazu war der oft recht erfolgreiche Versuch, die Konkurrenz unter den ArbeiterInnen selbst zu beschränken. Die Bedingungen dafür sind ungünstiger denn je. Die »Ware Arbeitskraft« konkurriert heute auf einem »Weltarbeitsmarkt«. Selbst auf den »nationalen Unter-Arbeitsmärkten« gelingt die Ausschaltung der Konkurrenz immer weniger.

Allerdings gibt es von dort auch ein paar erfolgreiche Versuche zu vermelden (wie z.B. der Kampf bei Schlecker oder bei Transmedia). Die Erfolge wurden nicht nur am »runden Tisch« oder vor dem Arbeitsgericht errungen, sie sind das Ergebnis von Kampf und Mobilisierung weit über den Einzelbetrieb hinaus. Sie hatten es mit einer ursprünglich »gewerkschaftsfernen Klientel« zu tun und einer stark aufgespaltenen Belegschaft. Zwar sehen die Verhältnisse auf dem »Weltarbeitsmarkt« überall ähnlich aus, die Erfahrung mit diesen »nationalen« Kämpfen sind aber nur bedingt übertragbar. Einigen – vergleichsweise wenigen – weltweit agierenden Kapitalen steht nicht nur eine völlig zerklüftete Weltbelegschaft, sondern auch – besonders im Süden – eine ungeheure Vielfalt von »Klassenorganisationen« gegenüber.

Dort gilt vielleicht noch mehr als im Norden, dass die Macht des »globalisierten Kapitals« durch die Konzentration des Kampfs auf den einzelnen Betrieb kaum zu erschüttern ist. Dies wird schon dadurch erschwert, dass internationale Unternehmen häufig die Form eines »Wanderunternehmens« annehmen, d.h. sehr kurzfristig von einem Land in das nächste wechseln.

Auch zeigt sich das »globale Reich der Freiheit« an seinen südlichen Rändern besonders um seine »Sicherheit« besorgt: Hier gibt es Knebelgesetze (nicht zuletzt gegen gewerkschaftliche Betätigung), wie wir sie aus dem 19. Jahrhundert kennen, denen nicht selten durch brutale Gewalt Geltung verschafft wird. »Klassenorganisationen« treten deshalb häufig in der Form des »noch Erlaubten«, d.h. als Menschenrechtsgruppe, Forschungsorganisation, Umweltschutzgruppe, Frauengruppe etc. auf, um auf diese Weise von einer »tolerierten Zone« aus an der Verwirklichung bestimmter »Mindeststandards« für ein humanes Leben zu arbeiten (zu dem auch ein bestimmtes Einkommen und bestimmte Arbeitsbedingungen gehören). Zugelassene Gewerkschaften dagegen erinnern unter bestimmten repressiven Umständen im Süden manchmal eher an eine Mafia als an eine »Klassenorganisation«. Bei der internationalen Zusammenarbeit gegen die Macht des »globalisierten Kapitals« lassen sich jedenfalls nicht umstandslos weltweit Gewerkschaften addieren.

In der internationalen Zusammenarbeit – zumal mit dem Süden – sollte man auch nicht davon ausgehen, dass man es mit lediglich anders aussehenden GewerkschaftskollegInnen zu tun hat, dies hieße eine lange Kolonialgeschichte einfach zu übergehen. Sie ist aber im Bewusstsein der »Klasse« im Süden unerhört präsent.[6] Nicht selten äußert sich dies in einem tiefen Misstrauen gegenüber allen »Importen« aus dem Norden. Dazu zählen nicht nur der Kapitalismus, die Produkte McDonalds oder MTV, sondern auch die Idee der Menschenrechte, die Idee der Demokratie, die Idee vom Sozialismus, politische Parteien und die Gewerkschaften.[7]

 

Zurückgewinnen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Die Gewalttaten des globalisierten Kapitals sind heute weder durch die Verhandlung von Kodizes, noch durch den Aufbau einer Drohkulisse fusionierter Gewerkschaften oder gar weltweit gesammelter Gewerkschaften in einer Organisation zu unterbinden. Seine Macht wird auch nicht durch den bloßen Kampf im Einzelbetrieb eingeschränkt, auch wenn dieser nationale Grenzen überschreiten mag.

Schon die klassische defensive gewerkschaftliche Aufgabe, die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wenn nicht zu unterbinden, dann doch abzumildern, kann unter den Bedingungen eines wachsenden »Weltarbeitsmarktes« und der sich allmählich herausbildenden politischen Herrschaftsform des »Imperiums« auf keine bewährten, immer noch erfolgreichen Prozeduren und auf verlässliche Verbündete zurückgreifen. Die Gewerkschaften im Norden stehen vor einem Neubeginn. Die »Augenhöhe« mit dem Gegner bei der Alimentierung von Funktionären, die Größe ihrer Zentralen, die Nähe dieser zu den Burgen der Macht, ein »intelligentes« Co-Management täuschen nicht darüber hinweg, dass es um ihre Anerkennung als »Gegenmacht« beim Kapital, der Politik und in der Gesellschaft schlecht bestellt ist. Es ist eine modernisierte Form jener Nicht-Anerkennung, die sie in ihren Anfängen erfahren hat.

In diesen Anfängen bestimmten sich Gewerkschaften häufig als eine Organisation, in der durch den Kampf im Lohnsystem wichtige Erfahrungen für den Kampf gegen das Lohnsystem gesammelt wurden. Die Hoffnung auf ein Ende des Lohnsystems hat dabei dem Kampf im Lohnsystem zu Anfang eine enorme Schubkraft verliehen und damit die gesellschaftliche und politische Anerkennung der Gewerkschaften als Gegenmacht wesentlich gefördert, auch wenn dieser Umstand in der offiziellen Rhetorik der Gewerkschaftsspitzen schon früh lieber verschwiegen wurde.

Der Zusammenhang zwischen einer grundsätzlichen Kritik an bestehenden Verhältnissen, der Hoffnung auf ihre Abschaffung und der Kampfkraft einer Bewegung ist auch an den »Arbeiteraufständen« der 60er Jahre in Frankreich, Italien, Großbritannien oder der USA zu beobachten. Auch heute bedarf es wohl der Entfaltung dieses Zusammenhangs, um Anerkennung zurückzugewinnen. Bei der Entwicklung einer grundsätzlichen Kritik an den bestehenden Verhältnissen mit hoffnungsvollem Ausgang stünde einer erneuerten Gewerkschaft eine gewaltige Aufgabe bevor. Sie müsste hierzulande zumindest beinahe im Alleingang (angesichts der ziemlich ermatteten politischen Linken) neben und in ihren defensiven »klassischen« Auseinandersetzungen Begriffe wie »Demokratie«, »Freiheit«, »Gleichheit«, »Brüderlichkeit« als Kampfbegriffe zurückgewinnen. Dies wäre kein hoffnungsloser Fall. Eine dieser Absicht angemessene Praxis müsste kaum von Grund auf »neu« erfunden werden. An eine Praxis der »Gewerkschaft als soziale Bewegung«, an Erfahrungen mit einer das Selbstbewusstsein des Einzelnen und der Gruppe stärkenden »in plant strategy«[8] kann angeknüpft werden. Nicht zuletzt würde die Zusammenarbeit mit den »Klassenorganisationen« des Südens erheblich erleichtert werden.

»Das Glück der Menschheit ist, laut den Beteurungen der Regenten, das stete Ziel ihrer landesväterlichen Sorgen. Die neuesten Manifeste der Eroberer von Polen atmen nur diesen Geist und führen nur diese Sprache. Ich will hier keineswegs ihre Aufrichtigkeit in Zweifel ziehen. Die Verwirrung des Sprachgebrauchs, wie ich anderwärts gesagt habe, ist freilich groß genug; allein an den Worten. Glück, Wahrheit, Tugend ist unseren Führern jetzt noch zuviel gelegen, als daß sie es versuchen könnten, sich schon gänzlich ohne sie zu behelfen. Ohne sie würde das Recht des Stärkern gar bald eine viel zu wankende Stütze ihrer Herrschaft werden.«
(Georg Forster, Über die Beziehung der Staatskunst auf das Glück der Menschheit, 1793)

 

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 9/02

Anmerkungen

1) Sie müssen hier nicht im Einzelnen angeführt werden. Es sind die »Aufständischen« von FIAT Turin oder Renault Billancourt, Betriebsgruppen, innergewerkschaftl. Oppositionsgruppen wie die TDU in den USA, neue Gewerkschaften wie die SUD etc. Ihre »Theoretiker« sind Gorz, Rossanda, Trentin oder auch I. Negt.

2) Siehe dazu vor allem die Erläuterungen von Sam Gindin aus der kanadischen Automobilarbeitergewerkschaft CAW in TIE Ränkeschmiede, Nr. 8, 1999.

3) Als exemplarische Fälle seien hier nur der Generalstreik gegen die Berlusconi-Regierung, die Aufstände in Frankreich, die »Days of Action« in Kanada, aber auch die Auseinandersetzungen im Schlecker-Konzern, bei Transmedia, bei Opel Bochum genannt.

4) Dies sind vor allem Negri/Hardt in »Empire«, Cambridge Mass., 2000 und Ruffin in »Die neuen Barbaren«, München 1996.

5) Hier spielt vor allem die »neue UNO« eine wichtige Rolle, die prompt mit dem Friedensnobelpreis unterstrichen wurde.

6) Über dieses Bewusstsein erfährt man heute noch am meisten von Frantz Fanon in seinem Buch »Die Verdammten der Erde«, Reinbek, 1966.

7) Der Zuspruch, den ein z.T. »erfundener« Islam im Süden erfährt, hängt damit zusammen. Der Islam ist ein authentisches Produkt des Südens. Er hat im Gegensatz zu vielen anderen Religionen des Südens alle Kolonialisierungsversuche so gut wie unbeschadet überlebt.

8) Diese Kampftaktik wurde in den USA unter der Reagan-Regierung entwickelt, ist ähnlich unserem »Dienst nach Vorschrift« und versucht einen Kampf zu führen unterhalb der Schwelle zu einem möglicherweise katastrophal endenden Streik. Dabei kommt es vor allem auf die Fantasie und Selbsttätigkeit der einzelnen Beschäftigten an.

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