letzte Änderung am 14. Nov. 2002

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Internationale Arbeitersolidarität

Ergänzend zum Schwerpunkt »Arbeit auf der Flucht« und zu Wolfgang Schaumbergs Beitrag über die Bedeutung von Euro- und Weltbetriebsräten für einen gewerkschaftlichen Internationalismus dokumentieren wir aus der Nullnummer des express (15. Dezember 1972) den folgenden Kommentar von Eva Brumlop über eine länderübergreifende Streikinitiative »von unten«. Ob der Riss in Sachen Solidarität tatsächlich nur zwischen »Bürokratie und Mitgliedschaft« verläuft, darf aus heutiger Perspektive bezweifelt werden. Interessant bleiben aber die Argumente gegen »multi-nationale Tarifverhandlungen« und »multi-nationale Konzerngewerkschaften«.

Die fortschreitende internationale Kapitalverflechtung erlaubt dem Kapital, sich ohne Rücksicht auf nationale Grenzen von einer profitablen Anlagesphäre auf die andere zu werfen, Lohnforderungen und Streikbewegungen die Spitze abzubrechen, indem Produktionseinheiten verlagert, Ersatzproduktion in einem ausländischen Werk mit Überstundenarbeit aufgenommen und Vorräte aus anderen Produktionsstätten beschafft werden. Es gibt zahllose Beispiele für das Scheitern nationaler Streikbewegungen auf Grund mangelnder internationaler Solidarität der Arbeiter. Für die Gewerkschaftsbewegung stellt sich das Problem, wie auf dem aktuellen Niveau der Kapitalentfaltung eine Vereinheitlichung von Forderungen und Aktionen zur effektiven Durchsetzung der materiellen Interessen der Arbeiter erreicht bzw. wie verhindert werden kann, dass Streikerfolge in einem Land durch ein anderes zunichte gemacht werden. Voraussetzung für eine praktische Solidarität zwischen Arbeitern verschiedener Länder ist erst mal ein Erfahrungsaustausch über die Besonderheit der Gewerkschaftspolitik eines Landes, über die Arbeitsbedingungen, die Lohnstufen, die Sozialversicherung etc. Aber welche Gewerkschaft berichtet ihren Mitgliedern schon über die Auseinandersetzungen bei Fiat und Pirelli, bei Ford und in den schottischen Schiffswerften? Welche Gewerkschaft wäre schon bereit, ohne durch die Forderung ihrer Mitglieder dazu gezwungen zu werden, italienische und englische Formen des gewerkschaftlichen Kampfs zu unterstützen? Nicht nur die Spaltung der internationalen Gewerkschaftsverbände in den kommunistischen WGB und in den IBFG verhindert ein einheitliches Vorgehen der einzelnen nationalen Verbände, die Trennwände verlaufen vielmehr innerhalb der Gewerkschaften selbst, zwischen den meist mit »gesamtwirtschaftlicher Verantwortung« beladenen und in die staatlichen Institutionen integrierten Gewerkschaftsbürokratien und der Mitgliedschaft.

Der Koordinationsausschuss der Betriebsräte von Dunlop-Pirelli ist ein neuer Faktor in der internationalen Gewerkschaftsbewegung, der die vielfältige Zersplitterung der Gewerkschaften aufzuheben versucht. Während die traditionelle Gewerkschaftsbewegung meint, eine effektive Einsetzung gewerkschaftlicher Mittel über europäische Konferenzen herbeiführen zu können, die den Klassenkampf auf Spitzenverhandlungen zwischen Gewerkschaftszentrale und Management des betreffenden Konzerns reduzieren und mit denen den Arbeitern die Rolle von Statisten in eigener Sache zugeordnet wird, weist die Initiative der Dunlop-Pirelli Betriebsräte den Weg zur Bildung eines »europäischen Bewusstseins« der Arbeiter über einen gemeinsamen Erfahrungsaustausch um gemeinsame Aktionen im europäischen Rahmen.

Am 9. Juni dieses Jahres wurde in den italienischen und den englischen Betrieben von Dunlop-Pirelli gleichzeitig gestreikt. Anlass waren die im Zuge des umfassenden Rationalisierungsprogramms der Firmengruppe durchgeführten Entlassungen. Die im Januar 1971 vollzogene Fusion von Dunlop-Pirelli sollte die durch harte Arbeitskämpfe und wachsende Konkurrenz geschwächte Rentabilität des Gummikonzerns Pirelli wiederherstellen helfen. Durch die Zusammenlegung beider Firmen ist ein multinationaler Konzern entstanden, dessen Produktionsstätten sich über mehr als 20 Länder ausbreiten und der allein in Italien und England über 99000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt. Vom Sommer 1968 bis Januar 1971 stand Pirelli fast ununterbrochen im Zentrum der Arbeitskämpfe. Die für Pirelli so vernichtenden Kampfformen bestanden vor allem in der systematisch angewandten Technik der Produktionsverlangsamung als Form des Widerstandes gegen die steigende Intensivierung der Arbeit. Eine Verringerung der Produktion um zehn Prozent bedeutete nur etwa einen Lohnausfall um drei Prozent. Während des Kampfes um die Stabilisierung der aus den Streikbewegungen hervorgegangenen Arbeiterdelegierten und Fabrikräte im Jahre 1969 wurde den Pirelli-Arbeitern die Notwendigkeit internationaler Aktionsformen bewusst: Pirelli ließ Waggons mit Autoreifen aus Griechenland, Spanien und anderen Ländern kommen, um auf diese Weise dem Streik die Spitze abzubrechen. Wenig später wurden die Verlegungen einzelner Produktionsabläufe nach England und der Fusionierungsplan bekannt. Das der Fusion zugrundeliegende Rationalisierungsprogramm sah Produktionsverlagerungen, Umgestaltungen des Absatzes der Produkte sowie des Produktionsablaufes vor, die Freisetzung und Kurzarbeit für die Beschäftigten in Italien und England bedeuteten. Diese Strategie der kapitalistischen Profitmaximierung führte in England zu einem Verlust von mehr als 8000 Arbeitsplätzen und zu der Schließung eines Betriebes, in Italien zur Entlassung von weiteren 1000 Arbeitern und ebenfalls zu einer Schließung.

Um die Wirksamkeit zukünftiger Streiks zu sichern, wurde ein Koordinationsausschuss aus englischen und italienischen Arbeiterdelegierten gebildet, der in einer Folge von Treffen seit 1970 eine Mobilisierungskampagne gegen das Rationalisierungsprogramm vorbereiten sollte. Die Treffen fanden nicht auf offizieller Gewerkschaftsebene statt, auch der Streikaufruf erfolgte inoffiziell.

Die Einsetzung der unabhängig voneinander, in den konkreten Klassenauseinandersetzungen in England und Italien entstandenen betrieblichen Kampfinstrumente der Arbeiter für eine Internationalisierung der Kontakte und Aktionen stellt die Funktionsfähigkeit der Gewerkschaftsapparate auf dem Gebiet der Koordination internationalen Erfahrungsaustausches und internationaler Aktionen in Frage. Dass die Kampagne zur Herstellung einer Gewerkschaftseinheit durch die Einheit der Arbeiter im Kampf von den betroffenen Gewerkschaftsführungen nicht boykottiert wurde, sondern wie im Fall der italienischen Chemiearbeitergewerkschaft sogar indirekte Unterstützung erfuhr, verweist auf das durch Arbeitskämpfe veränderte Verhältnis zwischen Basis und Spitze.

Während in England nur etwa 20 Prozent dem Streikaufruf folgten, waren es in Italien mehr als 80 Prozent. Schon in der Höhe der Streikbeteiligung kommen die Unterschiede in der Lage und der Kampfbereitschaft der Arbeiter sowie der Gewerkschaftspolitik insgesamt zum Ausdruck, die einen gemeinsamen Kampf vorläufig erschweren. Deshalb wendet sich der Ausschuss mit Vehemenz gegen multinationale Tarifverhandlungen, deren Koordination und Abstimmung zu diesem Zeitpunkt eine Reduktion der Forderungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und eine Stärkung der Gewerkschaftszentralen auf Kosten der Basisinitiative bedeuten müssen. Ausdrücklich wird ebenso Stellung genommen gegen multinationale Konzerngewerkschaften, die der Gefahr ausgeliefert sind, einen Betriebspartikularismus auf höherer Ebene zu reproduzieren und damit die Verbindung betrieblicher Kämpfe mit Kämpfen in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu blockieren. Der Ausschuss sieht seine wichtigste Aufgabe vielmehr in ständigem Austausch von Erfahrungen, in denen ausgehend von den unterschiedlichen Lebens- und Kampfbedingungen allgemeine Forderungen diskutiert werden sollen, um damit die Voraussetzung für ein einheitliches solidarisches Handeln zu schaffen. Gemeinsame Tagesaufgabe ist die Verteidigung der relativ autonomen betrieblichen Machtorgane gegen jeden Angriff, vor allem gegen den sowohl in England als auch in Italien geführten Angriff auf das Streikrecht und die Tarifautonomie der Gewerkschaften.

Durch die Ausdehnung der Kontakte auf Spanien, Frankreich und die BRD soll zugleich der Spielraum für gemeinsame Aktionen erweitert werden.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10/02

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