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Mitgliederwerbung unter schwierigen Bedingungen (3)

Hinein in die Gewerkschaft ...

 

... ist leichter gesagt und geschrieben als organisiert. Wer mal versuchte oder immer wieder probiert, seine Kolleginnen und Kollegen für die IG Medien zu gewinnen, der weiß, wie ungemein schwer dies geworden ist. Früher war das auch nicht in allen Fällen einfach. Schon damals hieß es oft: "Bleib‘ mir weg mit Deiner Gewerkschaft." Doch so manche(r) kapierte dann doch im Laufe der Zeit, daß eine gewerkschaftliche Organisation auch ihre Vorteile hat: Sie "sorgt", richtiger: kämpft, für Lohn- und Gehaltserhöhungen, für kürzere Arbeitszeiten und längere Erholungspausen. Und auch die erreichten Standards bei der Dauer des Urlaubs, der Höhe des Urlaubsgeldes oder der Jahresleistung sind nicht von Pappe. Wen dies "kalt" ließ, weil ihm das Trittbrettfahren allemal billiger erschien als das organisierte Beitrag zahlen, der konnte schon mal mit dem sanften Hinweis vom Eintritt "überzeugt" werden: "Ohne Gewerkschaft haben auch Betriebsräte häufig kurze Arme; also helfen sie – zwangsläufig – in erster Linie jenen, die sie aktiv unterstützen!"

Solche "guten" früheren Zeiten gehören der Vergangenheit an. Heute sehen sich Betriebsräte wie Gewerkschafter im Unternehmen nicht nur mit der Trägheit, sondern auch mit der Organisationsskepsis vieler Beschäftigter konfrontiert. Zum einen deshalb, weil bestimmte tarifvertragliche Rechte oder Leistungen auf Druck der Unternehmer ausgehöhlt oder umgangen werden. Zweitens bringt auch eine aktive Tarifpolitik nicht mehr die jetzt "traumhaft" anmutenden Zuwachsraten bei Löhnen und Gehältern wie in den 80er oder gar den 70er Jahren. Drittens steigern die Gewerkschaften durch unnötige Absprachen mit den Unternehmern – beispielsweise im "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" – selbst die Unglaubwürdigkeit ihrer tarif- und sozialpolitischen Forderungen. Viertens gelten die hauptamtlichen Apparate der Gewerkschaften bei vielen Beschäftigten als reine "Versorgungseinrichtungen", was durch das Schachern um Posten bei Fusionen oder Übernahmen innerhalb des DGB anscheinend bestätigt wird. Schließlich darf nicht vergessen werden, daß die wenig kritischen, den Argumenten der Unternehmer zugeneigten Medien seit Jahren den vermeintlichen Niedergang und die angeblich geringe Attraktivität gewerkschaftlicher Organisationen predigen.

Die Erfahrungen und die Propaganda gehen natürlich nicht spurlos an den Beschäftigten vorüber. Die früher mehr oder weniger selbstverständliche Hoffnung, mit dem Gewerkschaftsbeitrag auch "automatisch" eine Verbesserung der eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu "buchen", erfüllt sich heute nicht mehr. Wen wundert die fragende Schlußfolgerung: Weshalb sich dann noch organisieren? So verständlich eine solche Reaktion auch sein mag, sie verkennt Sinn und Funktion einer gewerkschaftlichen Organisation. Der Beitritt zu einer Gewerkschaft war in Wirklichkeit nie mit einer Garantie spürbar steigender Löhne und Gehälter sowie besserer manteltariflicher, sozialer Rechte und Leistungen verbunden. In aller Regel kämpften die Beschäftigten gegen eine allgemeine Senkung der Einkommen durch wachsende Inflationsraten und gegen die ständigen Versuche der Gegenseite, bereits erkämpfte (tarifvertragliche) Rechte wieder rückgängig zu machen. Gerade heute stellen die Unternehmer – wie vielleicht seit der Machtübertragung an die Nazis 1933 nicht mehr – das gesamte Tarif- und Sozialsystem in Frage. Das geschieht mal mit dem Hinweis auf die "globale" Konkurrenz und die fehlende Wettbewerbsfähigkeit, mal mit der Drohung, den Betrieb dorthin zu verlagern, wo niedrigere Löhne sowie Gehälter gezahlt werden und die Beschäftigten kaum (tarifvertragliche) Rechte kennen. Damit wollen die Unternehmer nicht nur die Belegschaften, sondern auch die Gewerkschaften zu Zugeständnissen und zur Unterwürfigkeit zwingen: auf legale oder illegale Weise ist scheißegal!

Daraus müßte sich eigentlich eine andere als die genannte Schlußfolgerung ergeben: Wenn die Unternehmer mit aller ökonomischen, politischen und medialen Macht die Existenzgrundlage der abhängig Beschäftigten angreifen, dann müssen sich Arbeiter und Angestellte erst recht zusammenschließen, um den Abwehrkampf für das bestehende Tarif- und Sozialsystem sowie die gemeinsamen Interessen zu organisieren. Die heute erreichbare größte Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen liegt in der Verteidigung des Bestehenden, im konsequenten Widerstand gegen die Offensive der Unternehmer. Dafür wird die Kraft und der Einsatz jeder Kollegin und jedes Kollegen gebraucht – im Betrieb, in der Gewerkschaft, in der Öffentlichkeit. Hierzu müssen die Beschäftigten ihre Kritik an der Gewerkschaft und ihrer Politik nicht aufgeben. Vielmehr sollten sie diese aktiv in die Auseinandersetzungen einbringen, damit Fehler nicht wiederholt oder Fehlentwicklungen nicht kultiviert werden können. Denn wer die Verhältnisse im Betrieb und "draußen im Land" verändern will, der darf bei Problemen innerhalb seiner Gewerkschaft nicht schweigen. In diesem Sinne und mit den Worten eines Sängers: "Mach‘ mit, mach‘ weiter, mach‘ den Weg ein bißchen breiter!" Also: Hinein in die Gewerkschaft!

 

Quelle: IMPULS – Informationen für Aktive
Nr. 84 /18. August 2000
Herausgegeben vom Bezirk Wiesbaden der IG Medien
Wellritzstraße 49, 65183 Wiesbaden
Telefon 0611/405187, Telefax 0611/409719
http://www.igmedwi.de


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