letzte Änderung am 28. August 2003

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Offener Brief an die Mitglieder, die Funktionäre und den Vorstand der IG Metall:

Zur Arbeitszeitverkürzung stehen, aber sie glaubwürdiger durchsetzen!

Der Streik für Arbeitszeitverkürzung in der ostdeutschen Metallindustrie ist von der IG Metall nicht aufgrund eines demokratischen Beschlusses ihrer Gremien abgebrochen worden, sondern unter dem Eindruck einer in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen Diffamierungskampagne der konservativ/liberalen Mehrheit der deutschen Medien. Diese haben wochenlang den Streik der IG Metall als katastrophal wirtschaftsschädigende Fehlentscheidung "betonköpfiger Gewerkschaftsbosse" angeprangert, solange, bis schließlich auch maßgebliche IG Metall-Funktionäre (besonders Betriebsräte unter dem Dauerbeschuß ihrer Konzernleitungen!) der Streikführung in den Rücken fielen und zum Abbruch rieten, so daß die gewerkschaftliche Streikfront schließlich wankte und die verantwortlichen Funktionäre den Streik abbrachen.

Die "Streikniederlage" war also nicht das Ergebnis eines verlorenen Tarifkampfes – im Gegenteil: etliche Unternehmen hatten schon eingelenkt und, um wieder arbeiten zu können, AZV durch Firmentarife zugesichert. Die mediale Kampagne gegen diesen Streik wurde unterstützt durch die polemischen oder pseudowissenschaftlich eingekleideten Unheilsprophetien der überwiegend konservativen Wirtschaftsforschungsinstitute – wobei selbst der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW (Berlin), Klaus Zimmermann, die eigenständige Linie seines Hauses verließ und (lt. FR. vom 7. Mai 03) allen Ernstes die Arbeitszeitverkürzung als wirtschaftsschädlich verfehlte "Idee aus der Mottenkiste" schlechtredete.

Er wie auch die anderen akademischen und publizistischen Kämpfer gegen die Arbeitszeitverkürzung verdrängen systematisch, dass diese seit Ende der fünfziger Jahre 4 - 5 Millionen Arbeitsplätze erhalten oder neu geschaffen hat – ohne den von den Gewerkschaften, insbesondere der IG Metall, erkämpften Weg von der 48- zur 35-Stunden-Woche hätten wir heute eine noch viel höhere Arbeitslosigkeit!

Angesichts der seit den siebziger Jahren ständig abnehmenden Chancen, Arbeitsplätze durch hohes Wirtschaftswachstum zu schaffen, erweist sich die Umverteilung/Verminderung der Arbeitszeit als eine der wichtigsten Strategien gegen die zunehmende Massenarbeitslosigkeit. Wachstum allein ändert an der Arbeitslosigkeit nicht viel. Tarifvertragliche Strategien der Arbeitszeitverkürzung dagegen (in Form kollektiver AZV, der Teilzeitarbeit, der Vorruhestandsregelungen mit Schaffung von Einstellungskorridoren für die jüngere Generation etc.) können, wie schon in der Vergangenheit, Hunderttausende von Arbeitsplätzen schaffen.

Was gegen den IG Metall Vorstand kritisch einzuwenden ist, ist also nicht etwa seine "Betonköpfigkeit" in Sachen Arbeitszeitverkürzung, sondern seine mangelnde Standfestigkeit gegenüber den publizistischen Verteufelungs-Attacken und das Einknicken einiger Funktionäre und Betriebsräte in den eigenen Reihen. Insbesondere ist der ehemalige Vorsitzende Zwickel zu kritisieren, der seinen Dissens mit dem designierten Nachfolger Jürgen Peters angesichts der Medienkampagne gegen diesen nicht etwa zurückgestellt, sondern weiter betrieben hat – zum Schaden für die gesamte IG Metall und die Gewerkschaftsbewegung!

Wir appellieren dringend an alle kritischen Metaller, insbesondere aber an die verantwortlichen Funktionäre, in dieser Situation sich mit Nachdruck für die Aufrechterhaltung und Weiter-Verfolgung des Streikziels "35-Stunden-Woche für die ostdeutschen Metallarbeiter" auszusprechen und damit die vorübergehende "Niederlage" in eine erneuerte Kampfbereitschaft umzuwandeln.

Dabei appellieren wir insgesamt an die IG Metall, wesentlich offensiver und öffentlichkeitswirksamer als bisher die große volkswirtschaftliche Bedeutung einer anhaltenden Gewerkschaftspolitik der Arbeitszeitverkürzung in die öffentliche Diskussion zu bringen. Dabei muß es mehr als bisher um die Koppelung von verschiedenen Varianten der Arbeitszeitverkürzung gehen. Nichts wäre glaubwürdiger für die IG Metall als Arbeitszeitverkürzungen mit differenziertem Lohnausgleich und mit Konzepten der Arbeitsplatzbeschaffung für die jüngere Generation, auch unter dem Aspekt der Geschlechterdemokratie zu verbinden. Nur so können die Gewerkschaften wieder zu einer starken gesellschaftlichen Kraft werden – mit Visionen und Strategien, die Menschen überzeugen.

Berlin, den 12.August 2003

ErstunterzeichnerInnen:

Prof. Dr. Hermann Adam, FU Berlin; Prof. Dr. Gerd Bäcker, Uni Duisburg, Prof. Dr. Peter Grottian, FU Berlin; Prof. Dr. Hartmut Elsenhans, Uni Leipzig; Manfred Heckenauer, Berlin; Prof. Dr. Ingrid Kurz-Scherf, Uni Marburg; Jakob Moneta, Frankfurt/M; Prof. Dr. Rainer Oesterreich, Dr. Irmtraud Schlosser, FU Berlin; Dr. Jens Schlosser; Prof. Dr. Eberhard Schmidt, Uni Oldenburg; Dr. Werner Thönnessen, Cuvat/Genf; Prof. Dr. Fritz Vilmar, FU Berlin; Prof. Dr. Walter Volpert, TU Berlin, Dr. Peter Wahl; Prof. Dr. Wolfgang Weber, Uni Innsbruck; Prof. Dr. Bodo Zeuner, FU Berlin; Prof. Dr. Karl Georg Zinn, TU Aachen.

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