letzte Änderung am 28. August 2003

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Spitzenkombinationen ersetzen keine demokratische Richtungsentscheidung

Die fälligen Entscheidungen über das zentrale Führungspersonal in der IG Metall werden nach einem einstimmigen Vorstandsbeschluss von dem für Oktober vorgesehenen Gewerkschaftstag auf Ende August vorgezogen. In den Frankfurter Messehallen wird sich in der Zeit vom 29. – 31. August zeigen, ob sich für die schwere Orientierungs- und Führungskrise der Gewerkschaft ein Lösungsweg anbahnt. Skepsis ist angebracht. Die massiven Mitgliederverluste, das rückläufige Engagement und das, was sie an Schwächung der Organisations- und Finanzkraft bedeuten, halten bisher unvermindert an. Die organisationsinterne Auseinandersetzung um den abgebrochenen Streik im Osten um die Gleichstellung bei der 35-Stunden-Wochenarbeitszeit, verknüpft mit dem Machtkampf um die zentrale Führung, hat die Krise nur ganz drastisch offengelegt. Ansehen und Handlungsfähigkeit der größten Einzelgewerkschaft im DGB waren schon vorher empfindlich geschwächt. Kräfte und Konzepte, die Krise progressiv anzugehen, sind bisher kaum in Sicht, aber letztlich entscheidend.

Die Unfähigkeit, wirksam und in der unabhängigen Aktion gegen die Massenerwerbslosigkeit vorzugehen und gegen die Sozialschweinereien der Schröder/Fischer-Regierung mit eigenen Vorstellungen einer Sozial- und Steuerreform zu mobilisieren, die den Namen verdient, war schon vor dem Streikdebakel deutlich. Das Scheitern aller Konzepte, im Angestellten- und Jugendbereich neue Mitgliederpotenziale zu erschliessen, die starke Verunsicherung in der Mitgliedschaft, der empfindliche Rückgang des Engagements bei den betrieblichen Vertrauensleuten und der Austritt von Zehntausenden von Mitgliedern sind nicht erst Ergebnis des Streikabbruchs. Das Wiederaufleben der sog. Tandem-Lösung, d.h. die Wahl von Peters und Huber an die Spitze der Organisation muss deshalb keineswegs bedeuten, daß die entscheidenden Fragen jetzt auf progressive Weise entschlossen angegangen werden. Ob die Fortsetzung des Gewerkschaftstags im Oktober, wo es vor allem um die programmatische Orientierung geht, die fällige Erneuerung einleitet, ist keineswegs ausgemacht. Der Personalkompromiss – wenn er von den Delegierten Ende August so akzeptiert wird – kann sich auch als vorübergehender "Modus Vivendi" im Machtapparat herausstellen. Immerhin wird der geschäftsführende Vorstand von 10 auf 7 Mitglieder verkleinert. Soweit absehbar, dürfte der "Huber-Flügel" darin das Übergewicht haben. Ein linksgewerkschaftlicher Exponent des Vorstands wie Horst Schmitthenner, der 1988 gegen den Willen des damaligen Vorsitzenden Franz Steinkühler vom Gewerkschaftstag in den Vorstand gewählt wurde, scheidet aus Altersgründen aus. Offen ist derzeit noch, ob es kurzfristig noch zu Kandidaturen für den engeren Vorstand kommt und wer sich dabei durchsetzt. Schon jetzt hat Peters erklärt, daß er bereit ist, nach einer Wahlperiode als Erster Vorsitzender den Stab an Huber zu übergeben. Dieses Zugeständnis gehört offenbar zu dem Kompromißpaket.

Richtungsentscheidung?

Führende Funktionäre bestreiten sogar, daß die IG Metall vor einer Richtungsentscheidung steht. Sie mögen insoweit recht haben, als die Unterschiede zwischen Peters und Huber überhaupt nicht so sind, wie in der veröffentlichten Meinung dargestellt ("Betonköpfe" gegen "Reformer"). Sie sind vorhanden und keineswegs belanglos. Ohne sie wäre der Streit um die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche im Osten nicht zu erklären und erst recht nicht die Offensive des sozialpartnerschaftlichsten Flügels gegen den Streik und nach dem Streikabbruch. Aber gemessen an dem Reformbedarf der IG Metall, insbesondere der inneren Demokratie, der regierungsunabhängigen Ausrichtung und der Konsequenz in der Interessenwahrnehmung, sind die Unterschiede zwischen den zentralen Funktionären in der Tat nicht programmatisch gegensätzlich. Dies machen Peters und Huber auch in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 23.7.03 deutlich. Der Abschnitt über die "Reform des Sozialstaats" sagt übrigens nicht nur nichts über die gewaltige Umverteilungsoffensive im Rahmen der neoliberalen Politik der Bundesregierung und die Aufgaben der IG Metall, sondern wiederholt nur die formelhaften Sprüche von Regierung und veröffentlichter Meinung. Aber selbst Zwickel schreibt in seiner Rücktrittserklärung: "Viele Mitglieder und Funktionäre, unsere Vertrauensleute und unsere Betriebsräte spüren in der täglichen Arbeit, dass wir mit einer Politik des "Weiter so" immer weniger Arbeitnehmer erreichen". Aber, damit keine falschen Hoffnungen aufkommen, schränkt er sofort ein: Man müsse "sowohl die Meinung der Gesamtheit unserer Mitglieder und der Arbeitnehmerschaft als auch die wirtschaftlichen Gegebenheiten und die gesellschaftliche Realität zur Kenntnis nehmen." Und: "Die IG Metall muss in der Wirklichkeit ankommen". Aussagen, die geradezu banal sind, aber auf dem Hintergrund der Streits um die Orientierung der Organisation, den Einsatz des Streiks zur Durchsetzung von Mitgliederinteressen nur anpasslerisch gemeint sein können. "Andere", so Zwickel weiter, "halten daran fest, daß gerade unter schwierigen Bedingungen kein Zweifel an der gewerkschaftlichen Entschlossenheit und den bisherigen Zielsetzungen aufkommen dürfe. Auch dann nicht, wenn die aktuellen Erfahrungen wie zum Beispiel beim Widerstand gegen die Agenda 2010 und die tarifpolitische Niederlage in Ostdeutschland dagegen sprechen". Ist man hier buchstäblich gezwungen, zwischen den Zeilen zu lesen, so haben sich andere aus Zwickels bzw. Hubers Lager, u.a. der Hauptkassierer Bertin Eichler, der wieder kandidieren wird, gegenüber Betriebsräten und Vertrauensleuten deutlicher ausgedrückt. Er deutet die schwache Mobilisierung gegen die Sozialagenda 2010 vom Frühsommer schlicht in Zustimmung zum Regierungskurs um und fordert eine entsprechende Kurskorrektur der IG Metall. Die ständigen Halbheiten in der Auseinandersetzung mit dem verheerenden Regierungskurs, das Fehlen eines eigenständigen und mobilisierungsfähigen gewerkschaftlichen Konzepts, die immer geringere Konfrontationsbereitschaft mit der Kapitalseite, allein schon, um tarifliche Errungenschaften zu verteidigen, das Scheitern von sozialpartnerschaftlichen Vorstössen wie des famosen "Bündnis für Arbeit", die Weigerung und das Unvermögen, systematisch mit neuen Sozialbewegungen wie Attac und Erwerbslosen zusammen zu arbeiten, haben in solchen Betrachtungen natürlich keinen Platz mehr. Aber genau sie haben das Vertrauen in die IG Metall massiv gesenkt und zu der verbreiteten Resignation entscheidend beigetragen.

Basisbewegung

Zu einer wirklichen Erneuerung der Gewerkschaft, und die ist in der Tat überfällig, bedarf es mehr: Einer breiten Basisbewegung und einer gewerkschaftspolitischen, alternativen Orientierung gegen die sozialpartnerschaftliche Grundorientierung. Das wäre ein echter Richtungsstreit mit der Möglichkeit für die Delegierten, auch eine Richtungsentscheidung zu treffen. Eine so verstandene Richtungsentscheidung ist von Kombinationen in der Apparatspitze und von seiten der einflussreichen Spitzenbetriebsräte nicht zu erwarten. Aber genau diese Basisbewegung hat als innerorganisatorischer Faktor bisher kaum Gewicht.

Das Potenzial dafür ist durchaus vorhanden. Das beweisen allein schon die zahlreichen Briefe und Stellungnahmen an den Vorstand im Gefolge des Streikabbruchs und angesichts des offenen Ausbruchs der Führungskrise. Diese fand in aller Regel in den offiziellen Publikationen der IG Metall oder auf ihren Internetseiten keine Beachtung. Unschätzbar wertvolle Hilfe hat hier etwa der Info-Dienst/die Kommunikationsplattform Labournet geleistet. Bis hinunter in Bezirksleitungen, Ortsvorstände und Betriebsratsgremien haben gewichtige Funktionäre die Flut von Stellungnahmen dagegen typischerweise nicht als Ausdruck von demokratischem Engagement, sondern als Ausdruck von Führungsschwäche interpretiert. Das nach wie vor vorhandene, fortschrittliche Potenzial in der IG Metall kommt auch in den zahlreichen Anträgen zum 20. ord. Gewerkschaftstag zum Ausdruck (die ohnehin schon gefiltert sind), sei es zur Arbeitszeit-, Entgelt- und Sozialpolitik, zum Erhalt des Flächentarifvertragssystems, zum Arbeitsrecht oder zur Friedenspolitik. Was bisher nicht gelungen ist, gewisse Ausnahmen bestätigen die Regel, war eine stärkere Koordination der Aktivitäten an der Basis, die Ausarbeitung von gemeinsamen tarif- und sozialpolitischen Vorstellungen, Forderungen zur Überwindung der Orientierungskrise und zur Demokratisierung der Organisation. Wenn es nicht gelingt, eine Strömung aufzubauen, die erfolgreich dafür kämpft, die Gewerkschaft wieder zu einer von Staat und Parteien unabhängigen Sozialbewegung zu machen, ist der weitere Abstieg auch von scheinbar festgefügten Organisationskolossen wie der IG Metall vorgezeichnet.

Hermann Dierkes, IG Metall-Betriebsrat

Vorabdruck aus SoZ vom September 2003

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