letzte Änderung am 10. Okt. 2002

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»Mangel an Feindbild?«

Kim Moody* über hohle Phrasen, Mittelstandsgeschwätz und Klassenidentität – eine Antwort auf Kate Bronfenbrenner

Kate Bronfenbrenner (s. express 8/02) hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Die ArbeiterInnenbewegung hat ihre Organisierungsziele verfehlt, weil die meisten Gewerkschaften sich gegen Veränderung wehren und eine klare industrielle Strategie vermissen lassen. Die Situation ist umso alarmierender, als sich der sowieso bereits unerfreuliche ökonomische und politische Kontext in letzter Zeit noch verschärft hat.

 

Wie Bronfenbrenner darlegt, liegt das Problem zum Großteil in der Unbeweglichkeit der Gewerkschaften selbst begründet. Die Aspekte dieser Unbeweglichkeit sind erstens das in den meisten Gewerkschaften anzutreffende Demokratiedefizit – und damit die mangelnde Einbindung der Mitglieder –, sowie zweitens die verworrene soziale Vision, die die AFL-CIO und die ihr angeschlossenen Gewerkschaften ihren Mitgliedern und denjenigen präsentieren, die Organisierung benötigen.

Gewerkschaftsdemokratie ist nicht nur deshalb wichtig, weil wir Demokratie allgemein für wertvoll halten. Sie ist vielmehr die einzige Möglichkeit, die Gruppe der gewerkschaftlichen AktivistInnen in konsistenter Weise als zentrale Kraft für die Organisierung der Nichtorganisierten zu mobilisieren und auszuweiten. Ohne demokratische Debatte ist es außerdem unwahrscheinlich, dass die Gewerkschaften eine kohärente Strategie entwickeln werden, die aktuelle und potentielle Gewerkschaftsmitglieder anspricht. Und schließlich ist es die Stärke eines engagierten und aktiven Mitgliederstammes, die den Gewerkschaften helfen kann, verlorene Verhandlungsmacht zurückzugewinnen und die Nichtorganisierten davon zu überzeugen, dass der Kampf für eine Gewerkschaft das Risiko wert ist. So lange wirkliche Entscheidungen und Debatten von den Gewerkschaftsspitzen und anderen »Professionellen« der ArbeiterInnenbewegung monopolisiert werden, wird Unbeweglichkeit die beherrschende Linie bleiben.

Daher kann es auch nicht überraschen, dass ‘reine’ Beispiele für die Wirkung von Demokratie auf die Gewerkschaftspraxis nur allzu selten sind. Aber es gibt auch demokratischere Gewerkschaften wie z.B. die United Electrical Workers, denen es gelingt, eine offenere interne politische Kultur mit einer wirkungsvolleren Verhandlungspraxis zu vereinen, womit sie überdurchschnittlich gute Tarifverträge erzielt.

Vielleicht das beste Beispiel dafür, was mit internen Gewerkschaftsreformen erreicht werden kann, war der Erfolg, den die transformierte Gewerkschaft Teamsters mit dem Streik von 1997 gegen UPS erzielte: Eine Gewerkschaft, die sich mitten in einem tiefgreifenden demokratischen Wandel befand, führte einen der wirksamsten Streiks der letzten Jahre durch, indem sie Mitgliederinitiative von unten mit einer starken Unterstützung durch die Gewerkschaftsführung vereinte. Die kurz darauf, nach Aufdeckung des Wahlskandals, erfolgte Rückkehr der Alten Garde[1] demonstrierte auf tragische Weise, was Rückschritte auf dem Weg der Demokratisierung bewirken können: Die Gewinne des Streiks waren bald wieder erodiert. Dennoch haben die Demokratiefortschritte der Reformbewegung und ihres Rückgrats, der Teamsters for a Democratic Union (TDU), als Erbe hochgradig demokratisierte lokale Gewerkschaften hinterlassen, z.B. das Local 206 in Portland/Oregon und das von lateinamerikanischen ArbeiterInnen dominierte, TDU-geführte Local 556 beim Fleischproduzenten IBP im Staate Washington.

Eine verworrene und verschwommene Vision präsentieren die meisten US-Gewerkschaften ihren Mitgliedern sowie der Öffentlichkeit der Arbeiterklasse, die sie zu organisieren und zu beeinflussen hoffen – womit sie allerdings scheitern. Besonders die AFL-CIO gebraucht eine sozial hohle Rhetorik über ArbeiterInnen der »Mittelklasse« und »arbeitende Familien«, von der sich jeder und keiner angesprochen fühlen kann. Sie hat zwar ihre öffentlich vertretenen Positionen zu Diversität, Einwanderung und Internationalismus überarbeitet, doch ihre Führung lehnt das einzige Konzept ab, das in der Lage wäre, all dies miteinander zu verknüpfen und eine gemeinsame Identität zu schaffen, die die historische Basis der Gewerkschaften bildet – das Klassenkonzept. Das im Klassenbegriff enthaltene »Wir gegen Die« wird nach wie vor durch die offizielle Sprachregelung der ‚Partnerschaft’ mit der Industrie verschleiert.

Nur eine breit angelegte klassenkämpferische Vision kann die immer vielfältigeren Millionen vereinen, aus denen die Arbeiterklasse besteht. Zwar machen die meisten Gewerkschaften die wachsenden Unterschiede in Einkommen und Reichtum zum Thema, aber nur eine Handvoll wagt es, die Klassenrealität zu benennen, die diesen Entwicklungen zu Grunde liegt. Für die Menschen, die täglich die Auswirkungen von stagnierenden oder sinkenden Einkommen, von abgebauter oder intensivierter Arbeit sowie einer unsicheren Zukunft zu spüren bekommen, bieten die Gewerkschaften keine klaren alternativen Visionen.

Zu Hause und im Ausland liegt das Kapital im Krieg mit der ArbeiterInnenbewegung. Was in den Vereinigten Staaten gebraucht wird, sind nicht einfach größere Gewerkschaften mit besseren Techniken, sondern ist eine ArbeiterInnenbewegung mit beweglichen Gewerkschaften, die auf vielfältigen Organisationen und Communities der Arbeiterklasse beruhen. Um dorthin zu gelangen, sind offene gewerkschaftsinterne Debatten erforderlich. Dafür brauchen wir eine Klassenidentität, die zwar Unterschiede anerkennt, aber gleichzeitig definiert, was in der Gesellschaft unsere Gemeinsamkeit ausmacht und wer der Feind ist.

Quelle: The Nation, 3. September 2001
Übersetzung: Anne Scheidhauer

* Kim Moody ist Gründer und Mitherausgeber der unabhängigen Gewerkschaftszeitung LaborNotes in Detroit, USA. In zahlreichen Publikationen – zuletzt: »Workers in a Lean World« – vertritt er den Ansatz eines »Rank and File-Unionism«.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 9/02

Anmerkung:

Der neuen Gewerkschaftsführung unter Ron Carey wurde in Verbindung mit der Teamsters-Wahl von 1996 Korruption nachgewiesen, worüber sie stürzte. Zum Glück hatte der frühere Teamsters-Chef James Hoffa – Exponent einer in der US-Gewerkschaftsdiskussion mit dem teils adjektivisch verwendeten Schlagwort Old Guard charakterisierten politischen Orientierung und Führungsauffassung – selbst für tauglicheren Nachwuchs gesorgt: Der Sohn gleichen Namens konnte daraufhin seines Vaters Erbe im nämlichen Geiste antreten (d.Ü..).

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