letzte Änderung am 16. Dezember 2003

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Gewerkschaftsforum Hannover:

"Proletarier aller Länder vereinigt Euch !" lautet seit 1848 die berühmteste Parole der Linken weltweit. Dennoch ist das selbst regional betrachtet und nur auf die Gewerkschaftslinke (in Europa) bezogen, heute von der Realität meilenweit entfernt. Trotz der berühmt-berüchtigten "Globalisierung", die in aller Munde ist, trotz EU-Binnenmarkt, Einheitswährung, Stabilitätspakt, EU-Verfassung und fast synchronen Angriffen auf Renten, Sozialstaat und Arbeitsrecht in Europa weiß die Gewerkschaftslinke nur sehr wenig voneinander, unterhält kaum Beziehungen zueinander (von punktuellen betrieblichen Kontakten und gewissen Verbindungen im Automobilsektor einmal abgesehen) und es bedurfte der beiden Europäischen Sozialforen in Florenz und Paris, um hier wenigstens ein bißchen was in Gang zu bringen.

Dieser Zustand ist unseres Erachtens unhaltbar und daher haben wir versucht die Kontakte, die wir im Laufe der Jahre gewonnen haben sowie einige neu geknüpfte dazu zu nutzen einen aktuellen Überblick über die gewerkschaftliche Situation und die Probleme, Positionen und Diskussionen der Gewerkschaftslinken in Europa zu geben.

Herausgekommen ist Anfang November 2003 eine 76seitige Broschüre im Din A4-Format mit dem Titel "Die europäische Gewerkschaftslinke". Darin 9 lange Interviews mit Kolleg(inn)en und Genoss(inn)en aus Dänemark, Holland, Deutschland, Österreich, Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland und Großbritannien. Dank der Förderung durch die in Berlin ansässige und der Gewerkschaftslinken verbundene Stiftung "Menschenwürde und Arbeitswelt" ist sie zum sehr erschwinglichen Preis von 3 Euro + Porto (BRD: 1,44 Euro / Ausland: 2 Euro) zu bestellen bei:
H.Brückner, Kötnerholzweg 48, D ­ 30451 Hannover
oder über Mail ans Gewerkschaftsforum
.

Um einen Eindruck vom Inhalt der Broschüre zu vermitteln und als "Appetitanreger" hier das Dänemark-Interview.


Die Gewerkschaftsbewegung in Dänemark

Ein umfassendes Interview mit Bent Gravesen (Verantwortlicher der Sozialistischen Volkspartei für den Bereich Gewerkschaften)

Du heißt Bent Gravesen, kommst aus Dänemark und warst 1999 bei uns zu Gast, wo Du auf der Veranstaltung "Generalstreik ­ ein Luxus, den sich jeder leisten kann" über die Situation in Dänemark berichtet hast, insbesondere über den Generalstreik 1998. Dazu kommen wir sicher noch. Kannst Du erst einmal ein paar Worte zu Dir sagen?

Ich bin heute Hauptverantwortlicher für Gewerkschaftsfragen der Sozialistischen Volkspartei in Dänemark. Ich engagiere mich seit über 30 Jahren auf dem linken Flügel der Gewerkschaftsbewegung. An der Universität von Aalborg habe ich über Gewerkschaften und die Geschichte der Arbeiterbewegung in Europa geforscht. Ich bin Autor von mehreren Büchern über Gewerkschaften, Arbeiterbewegung und Sozialismus.

Kannst Du uns einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung in Dänemark geben?

Die Entwicklung der dänischen Gewerkschaftsbewegung kann in verschiedener Hinsicht als eine dialektische Beziehung zwischen der Entwicklung von Organisierung und gewerkschaftlicher Demokratie auf der einer Seite und der Entwicklung des dänischen Staates und der Institutionen des Arbeitsmarktes auf der anderen Seite gesehen werden. Während der ersten Zeit war LO ­ die Landesorganisation als Dachverband der dänischen Gewerkschaften - vor allem eine reine Gewerkschaftsorganisation. LO wurde 1898 gegründet, und die Organisation war Produkt einer Periode, in der die dänischen Arbeiter gewerkschaftlich und politisch organisiert wurden. Begonnen hatte Alles als eine internationale Arbeiterorganisation im Zusammenhang mit dem Aufbau des dänischen Teils der Internationale 1871. "Internationaler Arbeiterverband" war der Name der dänischen Sektion, und sie war gleichermaßen eine Gewerkschaft und eine politische Organisation. Kurz nach der Gründung wurde die dänische Sektion des Internationalen Arbeiterverbandes von der Polizei nach einer öffentlichen Versammlung verboten, und seine Leiter wurden verhaftet. Danach gründeten einige der Gewerkschaftsführer "Das Zentrale Büro der Freien Gewerkschaften", und diese Organisation begann reine Gewerkschaftsarbeit zu machen. Dadurch war die Einheit zwischen gewerkschaftlicher und politischer Arbeit zerbrochen, und 1876 wurde eine politische Partei gegründet, die später "Socialdemokratiet" genannt wurde. Das "Zentrale Büro der Freien Gewerkschaften" wurde später die "Landesorganisation" (Landesorganisationen i Danmark). In den ersten Jahren standen die Gewerkschaften bei wirtschaftlicher Depression und feindlichen Aktionen der Arbeitgeber sehr unter Druck. Jedoch gelang es den Gewerkschaften nach 1890 die Arbeiter zu organisieren, vor allem durch so genannte "Schraub"-Aktionen, wobei die Gewerkschaften durch örtliche Streiks Druck aufbauten und sich unter den Arbeitern verankerten.
Die Streikaktionen brachten Verbesserungen für die Arbeiter, die in den Gewerkschaften waren. Aus diesem Grund entschieden die Arbeitgeber sich 1899, den Versuch zu unternehmen, die Gewerkschafts-Bewegung zu zerbrechen. Die Strategie der Arbeitgeber war, eine gemeinsame Organisation zu schaffen, die "Dänische Arbeitgebervereinigung" ("Dansk Arbejdsgiverforening"/DA). DA wurde 1896 gegründet, und die Arbeitgeber gaben ihr eine große Entscheidungsgewalt, um die örtlichen Streiks durch massive Aussperrungen zu beantworten. Das Ziel war, die Gewerkschaften zum Nachgeben zu zwingen ­ und sich aufzulösen. 1899 begann DA eine Aussperrung von 40.000 Arbeitern während des Zeitraumes vom 24. Mai bis zum 5. September. Aber DA gelang es nicht die Gewerkschaftsbewegung zu zerschlagen. Statt einer gebrochenen Gewerkschaftsbewegung wurden die Arbeitgeber gezwungen, in der so genannten September-Vereinbarung das Recht der Arbeiter sich zu organisieren anzuerkennen. In dieser Vereinbarung erkannten die Gewerkschaften gleichzeitig das Recht des Arbeitgebers auf Betriebsleitung an.
Die September-Vereinbarung wurde eine Art Verfassung des dänischen Arbeitsmarktes und des Klassenkompromisses während des gesamten 20. Jahrhunderts. Diese Zustimmung zu einer Arbeitsmarkt-Verfassung bedeutete, daß die sozialdemokratische Leitung der Gewerkschaftsbewegung akzeptierte, daß nur noch im Zusammenhang mit Kollektiv-Verhandlungen gestreikt wurde. In Opposition dazu entwickelte sich innerhalb der Gewerkschaftsbewegung ein syndikalistischer und später kommunistischer Widerstand. Die "Fagoppositionens Sammenslutning" (FS), eine starke syndikalistische Organisation, begann diese Politik der linken Tendenz in der dänischen Gewerkschaftsbewegung während des ersten Weltkrieges zu organisieren. Die Hochburgen dieser Tendenz waren örtliche Betriebsräte und örtliche Gewerkschaften. Inspiriert durch das Vorbild der russischen und der deutschen Revolution übernahm FS die Idee der Arbeiterräte und viele Mitglieder näherten sich der neuen Dänischen Kommunistischen Partei (Danmark Kommunistisk Parti / DKP) an. FS hörte 1921 auf zu existieren. Während der Periode zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde das kollektive Verhandlungssystem zentralisiert, was die politische Führung der sozialdemokratischen Tendenz in der Gewerkschaftsbewegung stärkte. Der Klassenkompromiss baute auf dieser Kombination von starker Organisation der Arbeitgeber, der DA, einer gut organisierten Arbeiterklasse, einer sozialdemokratischen Hegemonie in den Gewerkschaften und einem zentralisierten System von Kollektivverhandlungen, mit geringer Gesetzgebung in Fragen des Arbeitsmarktes auf.
Dieses System hatte seinen Höhepunkt während der Periode 1945-1973. Ein allgemeiner Streik 1973 und die Einführung von Gesetzen zu den Kollektivverhandelungen in den Jahren1975, 1977 und 1979 markiert das Ende dieses Systems. Zuvörderst waren es die Arbeitgeber und die nicht-sozialistischen Parteien, die den Bruch mit diesem System vollzogen. Wegen der wirtschaftlichen Krise von 1973 wollten sie eine starke Einkommenspolitik, und dies bedeutete stärkere politische Kontrolle und starken Widerstand gegen die Forderungen der Arbeiter, besonders was die Tradition der Gewerkschaftsbewegung anbelangte, solidarisch für bessere Zustände für die schwächeren Teile der Arbeiterschaft zu streiten. DA begann eine neue Strategie. Sie forderten Kollektivverhandlungen für spezielle Industriezweige und begannen für sehr geringe Lohnerhöhungen zu kämpfen. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts befindet sich die dänische Gewerkschaftsbewegung gegenüber dieser Offensive der Arbeitgeber und einer politischen Mehrheit im dänischen Parlament in der Defensive.

Von der LO hast Du schon berichtet, wie ist die Gewerkschaftslandschaft bei Euch im einzelnen gegliedert?

Landsorganisationen (LO) ist die zentrale Organisation der 22 nationalen Gewerkschaften für Arbeiter und Angestellte. Die 22 nationalen Gewerkschaften organisieren ungefähr 1,5 Million Arbeiter des privaten und öffentlichen Sektors. Neben der LO besteht die dänische Gewerkschaftsbewegung aus der "Funktionærernes og Tjenestemændenes Fællesråd" (FTF), in der etwa 400.000 hauptsächlich Angestellte des öffentlichen Dienstes organisiert sind sowie "Akademikernes Centralorganisation" (AC) ­ in der etwa 125.000 Akademiker aus dem öffentlichen und privaten Bereich organisiert sind. Die 22 Mitgliedsgewerkschaften von LO reichen von der Handelsgewerkschaft (Handels- og Kontorfunktionaerens Forbundet) mit 374.120 Mitgliedern, von denen die 271.464 Frauen den größten Anteil absolut sowie prozentual an einer Mitgliedsgewerkschaft der LO stellen, bis zur kleinen Künstlergewerkschaft (Dansk Artistforbund) mit 1.520 Mitgliedern, von denen 697 Frauen sind. Weitere große Gewerkschaften sind der Dansk Metalarbejderforbund mit 138.674 Mitgliedern, von denen 2.171 Frauen sind, und der Specialarbejderforbundet i Denmark mit 315.379 Mitgliedern, davon 54.619 Frauen.
Die größten Gewerkschaften sind vertreten in der Leitung von LO. Auf ihren Kongressen wählt die LO die Leitung, und die größten Gewerkschaften haben keine automatische Vertretung, aber sie werden normalerweise gewählt. Normalerweise sind alle Mitglieder der LO-Leitung Sozialdemokraten. Auf dem letzten Kongress wurde der Vorsitzende von Forbundet af Offentlige Ansatte (die Angestellten im öffentlichen Dienst), einer der großen Gewerkschaften, in die LO-Leitung gewählt, obwohl er nicht Sozialdemokrat ist. Er gehört der Linken an.

Ist der Organisationsgrad in Großbetrieben und Kleinbetrieben sehr unterschiedlich?

Die dänische Gewerkschaftsbewegung wird noch von ihrer Geschichte bestimmt. Sowohl Arbeiter als auch Angestellte sind hauptsächlich nach ihren Fachgruppen organisiert, obwohl in den letzten 10 Jahren eine Umorganisation nach Industriezweigen begonnen hat.
Die ungelernten Arbeiter hatten ihre eigenen Gewerkschaften, und die ungelernten Frauen hatten ebenfalls eine besondere Gewerkschaft. Einige der Gruppen der Ungelernten diskutieren jetzt eine Zusammenarbeit oder Verschmelzung. Die Gewerkschaft der Ungelernten hat einigen Erfolg bei der Organisierung von Immigranten in Bereichen wie Restaurants, Reinigungsdienste und Kleingewerbe gehabt; allerdings sind die Immigranten nicht so gut organisiert wie Andere. In den meisten Bereichen wurden die Scheinselbstständigen, meistens Frauen, verglichen mit anderen Ländern recht gut organisiert und ihre Arbeitsbedingungen waren auch beinahe so gut wie andere.
Die Arbeiter der vielen kleinen Unternehmen und Arbeitslose wurden fast so gut organisiert wie Arbeiter in großen Unternehmen.

Es gibt also eine gewerkschaftliche Organisierung von Arbeitslosen?

Während der letzten Zeit ist die gewerkschaftliche Organisierung von Arbeitslosen schwächer geworden. Heute ist es aber eine wichtige Aufgabe, die Interessen der Arbeitslosen auf die Tagesordnung der Gewerkschaften zu setzen. Der Spaltung der Arbeiterschaft muß der solidarische Kampf für die Rechte der Arbeitslosen und der gemeinsame Kampf für Beschäftigung und eine solidarische Verteilung der Arbeit entgegengesetzt werden.

Wie hoch ist der Organisationsgrad von Jugendlichen?

Die Jugendlichen waren bis vor kurzem gut organisiert. In letzter Zeit hatten die Gewerkschaften allerdings zunehmend Probleme junge Leute zu organisieren. Viele Jugendliche haben keine Erfahrungen mit einem Arbeitgeber und glauben, dass sie sich schon selbst helfen können, wenn Probleme entstehen. Einige Gewerkschaften haben nun begonnen, der Organisierung von Jugendlichen und Auszubildenden einen höheren Stellenwert einzuräumen. Wenn es gelingt, diese Ansätze mit einer neuen Vision von gewerkschaftlichem Kampf für Qualität und mehr Möglichkeiten im Arbeitsleben zu kombinieren, gibt es Hoffnung für die Zukunft.

Gibt es politische Richtungsgewerkschaften in Dänemark?

In der Geschichte der dänischen Gewerkschaftsbewegung hat es immer eine einheitliche Organisation gegeben, ohne andere Gewerkschaften, die Arbeiter nach politischen Standpunkten organisieren. Dies hat der dänischen Gewerkschaftsbewegung eine enorme Stärke verliehen, es bedeutete allerdings auch, daß es für die Sozialdemokratische Partei sehr wichtig war, die politische Hegemonie in der Bewegung zu behalten. Eine organisierte Politik der linken Strömung hat immer existiert, und sie hat manchmal in einigen Gewerkschaften die Führung gewonnen - auch während Streiks auf örtlichem und nationalem Niveau.

Kannst Du noch etwas zu der linken Strömung sagen? Wie ist sie organisiert?

Die linke Strömung in der Gewerkschaftsbewegung Dänemarks ist seit einigen Jahren in Form von lockeren Netzwerken und Kontakten innerhalb der Gewerkschaften organisiert. Nach der letzten Wahl, die mit einem massiven Verlust für die Parteien der Arbeiterklasse und mit einer liberalen Regierung endete, hat die linke Strömung die Initiative zu einer gewerkschaftlichen Mobilisierung gegen die neue Regierung ergriffen, genannt ‘Gewerkschaftliche Verantwortung für die Zukunft'. Sie wird organisiert als ein Netzwerk örtlicher Gewerkschaftsführer mit einer gemeinsamen Leitung zusammen mit regionalen Netzwerken von Betriebsräten. Das ist der Schwerpunkt der momentanen Politik der linken Strömung. Sie versucht die Opposition gegen die liberale Regierung zu organisieren und zu entwickeln. Die Mittel sind politische Diskussionen an den Arbeitsplätzen in Kombination mit Mobilisierungen für politische Demonstrationen und Aktionen bis hin zum politischen Massenstreik. Es wurden breite Netzwerke von Betriebsräten organisiert sowie einige große politische Demonstrationen, die auch politische Massenprotest-Streiks einschließen. Der große politische Massenprotest-Streik in Dänemark im Mai 2002 wurde von diesem Netzwerk organisiert. Dabei arbeiten wir mit regionalen LO-Organisationen, örtlichen Gewerkschaften und einigen der nationalen Gewerkschaften (zum Beispiel den Gewerkschaften der Ungelernten und pädagogischen Ungelernten, die von der bürgerlichen Regierung sehr hart attackiert werden) zusammen. Sogar die sozialdemokratischen Führer der Gewerkschaftsbewegung haben die Notwendigkeit für diese Art von Mobilisierung gegen die liberale Regierung akzeptiert. Der Schwachpunkt der linken Tendenz in der Gewerkschaftsbewegung betrifft ihre mangelnde Fähigkeit, gesellschaftliche und politische Werte und Visionen zu formulieren, die breite Massen von Arbeitern mobilisieren können. Zum Beispiel fehlen uns starke und konkrete Visionen für eine neue Entwicklung einer Arbeiterdemokratie in den Betrieben.

Wie sieht das in den Betrieben aus, und was sollte man über die wirtschaftliche Struktur in Dänemark wissen?

Die wirtschaftliche und politische Struktur in Dänemark wird am besten als ein System basierend auf einem Klassen-Kompromiss zwischen der Bourgeoisie und der Arbeiterbewegung charakterisiert ­ mit großen Zugeständnissen an das Kleinbürgertum und der wachsenden Mittelschicht. Es entwickelte sich in der Zeit von 1885 -1939 als ein System von Kompromiss und Zusammenarbeit zwischen Kapital und Gewerkschaftsbewegung und später als ein System, das die Dänische Sozialdemokratische Partei in die politische Kultur integrierte. Nach 1945 hat es sich weiterhin als ein System von Wohlstand entwickelt. Dänemark ist wie Deutschland ein Sozialstaat, aber mit größerem Gewicht der universellen Rechte. Der Klassenkompromiss zwischen der Bourgeoisie und der Arbeiterbewegung auf dem Arbeitsmarkt hat aber nicht die typische Form des Fordismus. Der Unterschied zum Beispiel zu Deutschland ist, dass es viele Kleinbetriebe gibt, in der eine große Anzahl von Leuten arbeitet. Die Handwerkstraditionen spielen da eine große Rolle.

Wie sehen die Durchschnittslöhne und Arbeitszeiten aus?

Im privaten Sektor beträgt der durchschnittliche Lohn 280.000 Dänische Kronen pro Jahr für Arbeiter, 360.000 DKr. pro Jahr für Angestellte; im öffentlichen Sektor 310.000 DKr. pro Jahr. Die normale Wochenarbeitszeit beträgt 37 Stunden. Die meisten Arbeiter haben 5 Wochen Urlaub und 5 Tage extra, was in besonderen Übereinkünften festgelegt wird.

Gibt es besondere Löhne für Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre?

Es gibt keine Privilegien für Mitglieder von Betriebsräten. Gewerkschaftsfunktionäre hingegen bekommen ganz andere Löhne. Die meisten Vorsitzenden in Gewerkschaften von Arbeitern bekommen 500.000 ­ 1.000.000 DKr. pro Jahr. Die linke Opposition in den Gewerkschaften hat das seit langem kritisiert und vor kurzem ist dieses Problem der großen Privilegien der Gewerkschaftsvorsitzenden auch von einem Vorsitzenden einer großen Gewerkschaft problematisiert worden. Er verzichtete auf einen Teil seines Lohnes.

Gibt es starke regionale Unterschiede was die Lebens- und Arbeitsbedingungen angeht und entsprechende Auseinandersetzungen?

Nein, Dänemark ist sehr klein. Und regionale Unterschiede sind kein Thema von Kämpfen. Aber wenn transnationales Kapital sich von seiner traditionellen regionalen Umgebung verlagert, werden die Arbeiter, die Gewerkschaften und örtliche gesellschaftliche Kräfte mobilisiert. Durch die Internationalisierung des Kapitals entwickelt sich eine in der Gewerkschaft begründete Perspektive: lokal denken, global handeln, um gegen die lokalen, regionalen und nationalen Auswirkungen der kapitalistischen Produktion (Arbeitsplätze, Umwelt, u.s.w.) zu kämpfen.

Welche wichtigen Kämpfe haben bei Euch in den letzten Jahren stattgefunden?

1998 gab es einen Generalstreik um 6 Wochen Urlaub zu erreichen. Der Streik wurde per Gesetz gestoppt. Aber 2000, im Jahr als die nächsten kollektiven Verhandlungen im privaten Sektor anstanden, haben die Gewerkschaftsführer die Lektion gelernt. Die Gewerkschaftsmitglieder wurden stark in die Kämpfe eingebunden. Sie waren nicht mehr nur Zuschauer der Aktionen ihrer Vorsitzenden. Die Demokratie innerhalb der Gewerkschaften hat sich damit auch verändert. Das Ergebnis war, dass der Arbeitgeberverband bereit war, die Forderung nach 6 Wochen Urlaub anzunehmen. Das war ein Kampf über zwei Jahre mit guten Ergebnissen.

Gibt es auch Kämpfe der sozialen Bewegungen bei euch? Wie stark sind die sozialen Bewegungen in Dänemark?

Alle Bewegungen sind ganz schwach. Die feministische Bewegung und die Umweltbewegungen waren vor Jahren stark, aber während der letzten Zeit sind sie verfallen. Eine neue junge Generation von Feministinnen versucht, eine neue Stärke zu entwickeln. Die Antiglobalisierungsbewegung wächst und sie ist heute in Dänemark in vieler Hinsicht die stärkste gesellschaftliche Bewegung außerhalb der Gewerkschaftsbewegung.

Gibt es Verbindungen zwischen der Antiglobalisierungsbewegung und den Gewerkschaften?

Teile der Gewerkschaften arbeiten gegen die Globalisierung und beteiligen sich an Organisierungen wie dem World Social Forum, ATTAC, und anderen transnationalen Netzwerken. Ich selbst arbeite zum Beispiel viel in einem transnationalen Netzwerk, in dem Gewerkschafter aus Russland, Polen, Estland, Lettland und Litauen zusammenarbeiten. Die meisten Leute in der dänischen Gewerkschaftsbewegung, ich eingeschlossen, haben ja stark für die EU-Erweiterung gestritten. Einige von uns haben sich eingesetzt in Projekten, die für eine Zusammenarbeit mit Linken in der Gewerkschaftsbewegung von Polen, Litauen, Estland und Lettland aufgebaut wurden. Ich bin persönlich an einem Projekt beteiligt, wo wir versuchen, die Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften um die Ostsee herum zu verbessern, um den künftigen Arbeitsmigranten zu besseren Arbeitsbedingungen zu verhelfen, wenn sie in den skandinavischen Ländern arbeiten. Wir versuchen, eine Struktur zu entwickeln, die die örtlichen Gewerkschaften in Polen oder Estland in die Lage versetzt, Leute zu informieren, die in Dänemark oder Schweden arbeiten werden und ihnen erzählen zu können, wie sie sich in der dänischen oder schwedischen Gewerkschaft organisieren können. Die Arbeitsmigranten werden bessere Arbeitsbedingungen und Rechte bekommen und die dänischen und schwedischen Gewerkschaften können vermeiden unter Druck zu geraten.

Du hast gesagt, daß Du Dich für die EU-Erweiterung eingesetzt hast. Aus welchen Gründen?

Die Führung der dänischen Gewerkschaftsbewegung befürwortet den Euro und auch die Entwicklung der EU in den letzten Jahren. Aber die dänische arbeitende Klasse, die Mitglieder der Gewerkschaften sind da geteilter Meinung. Einige sind gegen die ganze EU-Konstruktion, einige ­ und ich bin einer von ihnen ­ sind für die dänische Mitgliedschaft, stimmen aber überhaupt nicht mit der augenblicklichen Politik in der EU überein, unter anderem nicht mit Projekten wie dem Euro. Ich denke, das Euro-Projekt ist ein neoliberales politisches Projekt, das für die europäische Gewerkschaftsbewegung schlechte Rahmenbedingungen für ihren Kampf um Löhne, Arbeitsbedingungen und soziale Reformen im nationalen Rahmen schafft. Ich denke, daß die momentanen Initiativen der liberalen Regierungen in der EU, die darauf abzielen, die augenblickliche EU-Politik für ‘mehr und bessere Arbeit' zu unterminieren, gewerkschaftliche Mobilisationen in vielen europäischen Ländern verursachen werden. Auf die gegenwärtigen Kämpfe in Deutschland und Frankreich werden politische Klassenkämpfe in anderen europäischen Ländern folgen.

Wie siehst Du das Verhältnis von gewerkschaftlicher Arbeit und Politik? Denkst Du, die Gewerkschaften sollten politischer werden? Was wären die Aufgaben einer politischen Linken?

Die Gewerkschaftsbewegung kann ihre Mitglieder nur vertreten und für sie kämpfen, wenn die Gewerkschaften die allgemeinen Interessen der Arbeiter in einer Weise formulieren, die in Richtung einer besseren und gerechteren Gesellschaft weist. Auf diese Weise muß die Gewerkschaft politisch sein. Auch die unpolitischste Gewerkschaft muß politisch in diesem Sinn des Wortes handeln. Dies bedeutet nicht, daß jede Gewerkschaft mit einer politischen Partei kollaborieren muß. Die Geschichte ­ insbesondere in Europa ­ hat gezeigt, daß dieses Modell von Gewerkschaftsbewegung, eine Massengewerkschaft in enger Zusammenarbeit mit einer politischen Partei, ihre Zeit gehabt hat, und diese wird wohl nie zurückkehren. Während der letzten 10-20 Jahre haben die Gewerkschaften in vielen Ländern (Dänemark ist eines von ihnen) ihre Bindungen an die Sozialdemokratische Partei gelockert. Dieses Jahr hat LO seine neue Unabhängigkeit offiziell erklärt, und begonnen, seine eigenen Werte zu formulieren. Diese Werte sind noch sehr allgemein gehalten (Solidarität, Gleichheit, Demokratie, Anti-Diskriminierung etc.). Aber diese Unabhängigkeit bedeutet, dass LO in den kommenden Jahren eine Diskussion in dieser Richtung entwickeln muss. Da gibt es für die linke Opposition neue Möglichkeiten sich an der Diskussion zu beteiligen und die Werte zu konkretisieren und zu radikalisieren. Meiner Meinung nach ist diese Entwicklung richtig und notwendig. Aber das bedeutet, daß die Gewerkschaften in Dänemark eine neue Entwicklung begonnen haben deren Ergebnis nicht absehbar ist. Eine Möglichkeit ist, daß sich die Gewerkschaften zu einer unabhängigen gesellschaftlichen Reformbewegung entwickeln, mit eigenen Werten und Visionen für ihre Mitglieder und die Gesellschaft. Das ist eine Möglichkeit, auf die ich hoffe und für die ich streite. Aber es könnte auch in einer apolitischen Bewegung enden, wo der Mangel von Visionen und Werten Demobilisierung und Desorganisation verursacht. Ich bin seit 40 Jahren Mitglied verschiedener linker Organisationen und meiner Meinung nach ist es für linke Organisationen ein Muss innerhalb der Gewerkschaftsbewegung zu arbeiten ­ der größten Graswurzelorganisation der Welt. Obwohl sich viel verändert hat, muß sich eine linke Partei, die für Sozialismus kämpft, immer noch auf die Werte, Visionen und den Kampfgeist der Arbeiter und ihrer Gewerkschaften verlassen.

Wie siehst Du den 11.09. 2001 und den in diesem Zusammenhang von den imperialistischen Staaten erklärten "Krieg gegen den Terror"? Gibt es Diskussionen darüber in den Gewerkschaften, oder auch über den Krieg in Palästina? Der "11.09.2001” hat den ultrarechten Kräften in aller Welt und besonders in den USA alles gegeben, was sie für eine ideologische Offensive brauchten. So viel, dass ein CIA-finanziertes Netzwerk es nicht hätte besser machen können. Der "Krieg gegen den Terror” wird als eine Folie für Erstschlags-Kriege in aller Welt benutzt, um die globale Hegemonie der USA zu sichern. Aber diese Politik ist nicht notwendigerweise die optimale Politik, von U.S.-Kapitalinteressen aus gesehen. Erstens verursachen diese Kriege enorme Kosten, und das bedeutet ein Risiko, daß die bedeutenden Wirtschaften der Welt sich in einem wirtschaftlichen Morast von fallenden Preisen und wirtschaftlicher Stagnation (außerhalb des militärisch-industriellen Komplexes) wiederfinden werden. Zweitens haben diese Kriege schon in gewaltiger Geschwindigkeit eine globale Friedensbewegung mobilisiert. Ich war sehr froh zu sehen, dass Gewerkschaften in aller Welt an dieser Bewegung aktiv teilnahmen. Drittens verursachen diese Kriege einen Anstieg von Anti-USA-Gefühl und -Position in aller Welt. Deshalb könnte der "Krieg gegen den Terror” in irgendeiner Art von ‘neuem Imperialismus' enden, der dem globalen Kapital nicht effizient dient! Und dies wird meiner Meinung nach linker Mobilisierung ­einschließlich der des "anderen Amerika" ­ zukünftig einige ungeahnte Möglichkeiten geben, weil die einzige Supermacht (die USA) Schwierigkeiten haben wird, diese Strategie aufrechtzuerhalten.
Dies könnte sogar neue Möglichkeiten für eine Lösung des palästinensischen Problems ergeben ­ aber im Moment ist es sehr schwierig, in dieser Frage irgendwelchen Optimismus zu entwickeln. Leider wird die palästinensische Frage nicht mehr so oft wie vor Jahren auf die Tagesordnung der Gewerkschaftsbewegung hier in Dänemark gesetzt.

Gibt es bei Euch Repression von Polizei, Justiz oder Faschisten gegen Gewerkschafter?

Es hat in den letzten Jahren nur sehr wenige Angriffe von Faschisten auf Gewerkschaftsgebäude gegeben und keine gegen Gewerkschaftsführer und Aktivisten. Nach einigen sehr brutalen Konfrontationen von Gerwerkschaftsaktivisten und Polizei haben viele Gewerkschaften und Aktivisten eine neue Strategie entwickelt. Streikende haben mit lokalen Polizeibehörden Kontakt aufgenommen, um Vereinbarungen zu treffen für Aktionen wie z.B. Blockaden. Einige Gewerkschafter haben mit linkssozialistischen Parteien zusammengearbeitet, um die Gesetze und die Praxis zu verändern. Das Resultat dieser Strategie ist sehr gut, auch wenn Polizeigewalt noch vorkommt und die Gesetze gegen physische Blockaden noch nicht geändert worden sind.

Vielen Dank für das Interview, gibt es noch etwas, was Du ergänzen möchtest?
Nein, ich denke es ist gut so. Ich bedanke mich für Euer Interesse.

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