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Harald Werner
14.2.01

Tatsachen, Forderungen und Argumente zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes

Das jetzt geltende Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) wurde 1972 verabschiedet und ersetzte nach einer grundlegenden Überarbeitung das seit 1952 bestehende Betriebsverfassungsrecht. Die jetzige Reform ist seit Jahren überfällig, weil sich die Organisation der Betriebe und die Beschäftigungsverhältnisse so grundlegend verändert haben, dass das BetrVG unwirksam zu werden droht. Ein großes Problem ist, dass die Veränderung der Wirtschaftsstruktur zum Rückgang von Betrieben mit Betriebsrat geführt hat.

 

Eine Richtigstellung zum Thema Mitbestimmung

Die ursprüngliche Mitbestimmungsforderung der Gewerkschaften richtete sich auf Mitbestimmung im Unternehmen und nicht allein im Betrieb. Erstere konnte nur in der Montanindustrie durch Streik durchgesetzt werden. Das Betriebsverfassungsgesetz wurde deshalb 1952 von den Gewerkschaften abgelehnt und trotz zahlreicher Streiks und Demonstrationen gegen ihren willen durchgesetzt. Im BetrVG geht es deshalb nur um betriebliche Mitbestimmung, nicht aber um Mitbestimmung auf Unternehmensebene. Aber selbst die Rechte des Betriebsrates im Betrieb sind in den wenigstens Fällen Mitbestimmungsrechte. Von betrieblicher Mitbestimmung ist die Rede, wenn der Arbeitgeber nichts ohne das Einverständnis des Betriebsrates unternehmen kann. Das ist in nur wenigen Fragen der Fall. Können sich beide Seiten nicht einigen, wird die Einigung durch eine zu bildende Einigungsstelle ersetzt, die paritätisch von Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretern besetzt und von einem Unparteiischen geleitet wird. Alle anderen Rechte des Betriebsrates sind ausschließlich Informations- oder Mitwirkungsrechte. In dem die Arbeitgeberseite, aber auch die Regierungsparteien, keinen Unterschied zwischen Unternehmensmitbestimmung und betrieblicher Mitbestimmung machen und im Betrieb jedes Recht auf Information oder Mitwirkung als Mitbestimmung bezeichnen, erwecken sie den falschen Eindruck einer in vielfacher Hinsicht in ihrem Direktionsrecht eingeschränkten Unternehmerschaft.

 

Die Wünsche der Gewerkschaften und die Antwort der Regierung

DGB und DAG haben 1998 vollständige Gesetzesentwürfe vorgelegt, die auf ihre Vorarbeiten in der 80er Jahren zurückgehen und von SPD und Grünen unter der Kohlregierung weitgehend übernommen wurden und in eigene Anträge eingingen.

Forderungen der Gewerkschaften

Antwort der Bundesregierung

  • Die erforderliche Beschäftigtenzahl für die Wahl eines Betriebsrates soll von fünf auf drei ArbeitnehmerInnen gesenkt werden.
  • Nicht berücksichtigt
  • Die Wahl von Betriebsräten soll entbürokratisiert werden. In Betrieben mit bis zu 100 Beschäftigten soll durch ein vereinfachtes Wahlverfahren der Betriebsrat in einer Wahlversammlung gewählt werden können.
  • Teilweise berücksichtigt – erleichtertes Wahlverfahren nur bei weniger als 50 Beschäftigten.
  • Es soll ein Betriebsbegriff formuliert werden, der von den tatsächlichen Arbeitszusammenhängen ausgeht und die willkürliche Aufspaltung eines Betriebes durch Änderung der Unternehmensform ausschließt.
  • Nicht berücksichtigt
  • Es wird ein Arbeitnehmerbegriff gefordert, der alle abhängigen Beschäftigungsformen einschließt. (z.B. auch Scheinselbständige)
  • Nicht berücksichtigt
  • Die Trennung in Arbeiter und Angestellte soll bei der Betriebsratswahl aufgehoben werden.
  • Berücksichtigt
  • Frauen sollen entsprechend ihres Anteils an der Belegschaft auch im Betriebsrat vertreten sein.
  • Berücksichtigt
  • Die Zahl der Betriebsratsmitglieder soll erhöht werden
  • Teilweise berücksichtigt
  • Die Teilnahme des Betriebsrates an Weiterbildungsmaßnahmen soll über die Einigungsstelle durchsetzbar sein
  • Nicht berücksichtigt
  • Freistellung von einem Betriebsratsmitglied ab 200 Beschäftigte (bisher 300) und Verbesserung der Staffel für Freistellung nach Betriebsgröße
  • Berücksichtigt - im Regierungsentwurf aber Staffel für Betriebe mit weniger als 2000 Beschäftigten verschlechtert
  • Die sachliche Ausstattung des Betriebsrates und seine Weiterbildungsmöglichkeiten sollen verbessert werden.
  • Teilweise berücksichtigt -
  • Maßnahmen des Arbeitgebers, die ein Recht des Betriebsrates verletzen sollen unwirksam sein (§74)
  • Nicht berücksichtigt
  • Die Arbeitnehmer sollen das Recht auf Leistungsverweigerung haben, wenn der Arbeitgeber gegen gesetzliche oder tarifvertragliche Pflichten verstößt, oder wenn eine unmittelbare Gefahr für Gesundheit oder Leben besteht. (§75)
  • Nicht berücksichtigt
  • Die Gewerkschaft soll die Möglichkeit haben das Arbeitsgericht anzurufen, wenn eine Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gegen den Tarifvertrag verstößt. (§77)
  • Nicht berücksichtigt
  • Die im § 87 aufgeführten Tatbestände, bei denen der Betriebsrat in sozialen Angelegenheiten, Angelegenheiten der Arbeitsorganisation und des Einsatzes technischer Mittel jetzt bereits mitbestimmen kann, sollten auf viele neue Tatbestände ausgeweitet werden: Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe, Qualifizierungsmaßnahmen, Umweltschutz, Festlegung der Arbeitsinhalte, Einführung von Telearbeit, Maßnahmen zur Förderung benachteiligter Gruppen etc.
  • Nicht berücksichtigt

Ausnahme: Mitbestimmung bei Aufstellung von Grundsätzen für Gruppenarbeit, nicht aber bei ihrer Einführung.

  • Die "Informations- und Mitwirkungsrechte" im § 89 sollen um den Umweltschutz erweitert werden.
  • Teilweise berücksichtigt – jedoch keine Mitbestimmung beim Umweltschutz, wie in § 87 gefordert
  • Präzisierung der Mitbestimmungsrecht wenn Arbeitsabläufe "den gesicherten arbeitswissenschaftliche Erkenntnissen....widersprechen". (§91)
  • Nicht berücksichtigt
  • Umfassende Informationspflicht des Betriebsrates über die Personalplanung (§92)
  • Nicht berücksichtigt
  • Mitbestimmungsrecht bei personellen Beurteilungsgrundsätzen, der Verwendung personenbezogener Daten, Auswahlkriterien und Gestaltung von Arbeitsverträgen (§94)
  • Nicht berücksichtigt
  • Mitbestimmung bei der Ein- und Durchführung von Maßnahmen der Berufsbildung (§97 / §98)
  • Teilweise berücksichtigt -
  • Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen, auch wenn es sich um Arbeitnehmerüberlassung, Umschüler, Zivis etc. handelt ( §99 )
  • Nicht berücksichtigt
  • Hat der Betriebsrat einer Kündigung widersprochen, weil sie sozial ungerechtfertigt ist oder kein Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliegt, kann das Arbeitsverhältnis nur durch das Arbeitsgericht aufgelöst werden. ( § 102)
  • Nicht berücksichtigt
  • Schutz vor außerordentlichen Kündigungen für Bewerber und andere Arbeitnehmer, die bei der Durchführung der Betriebsratswahl beteiligt waren (§ 103)
  • Nicht berücksichtigt
  • Informationsrechte über wirtschaftliche Angelegenheiten für alle Betriebsräte und Übergabe der Gewinn- und Verlustrechnung, der Bilanz etc. (§106)
  • Nicht berücksichtigt
  • Mehr Informationsrechte bei Betriebsänderungen und Aufspaltungen (§111)
  • Nicht berücksichtigt
  • Rücknahme der unter Kohl durch das Beschäftigungsförderungsgesetz eingeführten Verschlechterungen bei der Aufstellung eines Sozialplans (§112a)
  • Nicht berücksichtigt
  • Anwendung des Gesetzes auf alle Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren. (§114)
  • Nicht berücksichtigt
  • Betriebsräte auch für das fliegende Personal von Fluggesellschaften (§117)
  • Nicht berücksichtigt
  • Abschaffung der Einschränkung von Betriebsratsrechten in sogenannten Tendenzbetrieben. (§118)
  • Nicht berücksichtigt
  • Schutz der Personalvertretungen bei Privatisierung öffentlicher Betriebe
  • Nicht berücksichtigt

Dies sind die 29 wichtigsten Forderungen der Gewerkschaften. Davon wurden nur 3 voll berücksichtigt, 7 wurden nur zum Teil verwirklicht und 19 wurden vollständig übergangen.

 

Regierungsentwurf: Ein Kompromiss zum Kompromiss

Der sogenannte Kompromiss, den die Minister Müller und Riester zum Betriebsverfassungsgesetz erzielt haben, ist in Wahrheit eine Niederlage des Arbeitsministers – der Gewerkschaften sowieso. Von einem Kompromiss kann angesichts der gemachten Zugeständnisse keine Rede sein, weil der Entwurf selbst schon ein Kompromiss war. Riester war in seinem Entwurf nicht nur weit hinter den Gesetzesvorschlägen von DGB und DAG zurückgeblieben, sondern auch hinter den Aussagen des Wahlprogramms, der Koalitionsvereinbarung und seinen eigenen, vor einem Jahr veröffentlichten Eckpunkten. In der Öffentlichkeit wurde nach dem Kompromissgespräch zunächst der Eindruck erweckt, als sei Riester hart geblieben, insbesondere bei der Absenkung der Grenze für freizustellende Betriebsräte, die der Presse jetzt vorgestellten Ergebnisse zeigen jedoch ein anderes Bild.

 

Die weitergehenden Vorschläge der PDS

Die PDS hat einen eigenen Antrag zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes in den Bundestag eingebracht, der die meisten Vorschläge der Gewerkschaften aufgreift aber auch weitergehende Regelungen vorschlägt. Darunter sind insbesondere folgende Vorschläge wichtig.

 

Die Mitbestimmung ist kein deutscher Sonderfall - sie geht in vielen europäischen Ländern weiter

Behauptung der Unternehmer:

Die europäische Wirklichkeit:

Nirgendwo werden bereits Kleinbetriebe mitbestimmt.

In Schweden gibt es überhaupt keine Untergrenze

Nur in Deutschland haben die Gewerkschaften eine starke betriebliche Macht

In fast allen europäischen Ländern wählen nicht nur die Beschäftigten die betriebliche Interessenvertretung, sondern auch gewerkschaftliche Gremien außerhalb des Betriebs

Nirgendwo kann sich die betriebliche Interessenvertretung so stark in die Personalplanung und in die Qualifizierung einmischen wie in Deutschland

Im Gegensatz zu Deutschland müssen die Unternehmer einmal im Jahr über den Personalbedarf sowie über die geplante Qualifizierung Auskunft geben: in Finnland müssen Qualifizierungspläne aufgestellt werden.

Kein europäisches Unternehmen wird so stark durch Freistellungen finanziell belastet, wie ein deutsches.

In Österreich wird bereits ab 150 Beschäftigten ein Betriebsratsmitglied freigestellt.

Nirgendwo haben die gewerkschaftlichen Vertrauensleute so viele Rechte wie in Deutschland

Während es in Deutschland keinerlei Freistellungen für gewerkschaftliche Vertrauensleute gibt, erhalten die französischen Vertrauensleute ab 501 Beschäftigte im Monat 20 bezahlte Freistunden.

Deutsche Betriebsräte können sich in die wirtschaftlichen Angelegenheiten der Unternehmer einmischen.

Es gibt in Deutschland keine betriebliche Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Bisher müssen die Unternehmer nicht einmal Unterlagen aushändigen. In Frankreich kann der Betriebsrat dagegen sogar auf Kosten der Unternehmer Wirtschaftsprüfer seiner Wahl hinzuziehen, wenn es um die Planung neuer Technologien, um Massenentlassungen oder einen drohenden Konkurs geht.

In Frankreich und den Niederlanden können Betriebsräte ein rechtliches Verfahren einleiten, wenn Maßnahmen beschlossen werden, die sie für unternehmensschädigend halten.

In Schweden kann die Gewerkschaft die Durchführung von Entlassungen stoppen

Die deutsche Mitbestimmung greift zu stark in personelle Entscheidungen der Unternehmer ein.

In Schweden muss sogar die zuständige Gewerkschaft bei Abschluss oder Auflösung von Arbeitsverträgen beratend hinzugezogen werden.

 


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