LabourNet Germany Dies ist das LabourNet Archiv!!! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home Über uns Suchen Termine

 

Deutscher Bundestag

14. Wahlperiode

Drucksache 14/000

11.09.00

Antrag
der Abgeordneten Dr. Ruth Fuchs, Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch, Dr. Heidi Knake-Werner, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

Mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte

Eckpunkte für die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes

 

Der Bundestag wolle beschließen

 

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

  1. die angekündigte Novelle zum Betriebsverfassungsgesetz so rechtzeitig einzubringen, dass ausreichend Zeit nicht nur für die parlamentarische Beratung, sondern auch für eine breite öffentliche Debatte gegeben ist. Gleichzeitig muß gewährleistet sein, dass die turnusmäßig im Frühjahr 2002 anstehenden Betriebsratswahlen eine ausreichende Vorbereitungszeit auf der Grundlage des neuen Gesetzes haben,

  2. sich bei der Novellierung davon leiten zu lassen, dass das Gesetz in erster Linie die strukturelle Benachteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter abbauen, die Menschenwürde sichern und die Sozialbindung des Eigentums gewährleisten muß,

  3. die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte auszuweiten, um mit der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes einen Beitrag zur Demokratisierung der Arbeitswelt zu leisten,

  4. den Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes nicht zum Beratungsgegenstand des Bündnisses für Arbeit zu machen,

  5. bei der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes insbesondere folgende Eckpunkte zu beachten:

  1. Der Betriebsbegriff muß neu gefaßt werden, um die sachliche und persönliche Zuständigkeit des Betriebsrates der dynamischen Entwicklung von Betriebs- und Unternehmensstrukturen anzupassen. Maßgeblich für die Existenz eines Betriebes sind die räumliche und soziale Verbundenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Verknüpfung der Arbeitsabläufe. Dabei muß berücksichtigt werden, dass diese Momente im Zeichen zunehmender elektronischer Vernetzung nicht vorrangig an räumlichen Merkmalen festgemacht werden können. Ein einheitlicher Betrieb kann auch dann vorliegen, wenn er mehreren Unternehmen zuzurechnen ist. Unerheblich ist, ob die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Beschäftigte mehrerer Unternehmen sind.
  2. Wenn bei Änderungen der Unternehmensorganisation die Organisation des Betriebes nicht wesentlich verändert wird, kann vermutet werden, dass der Betrieb von den an der Änderung der Unternehmensorganisation beteiligten Rechtsträgern gemeinsam geführt wird.

    Um Unklarheiten über das Bestehen eines selbständigen Betriebes oder den Fortbestandes eines Betriebes zu vermeiden, sollte ein öffentliches Betriebsregister geführt werden. Entstehen Zweifel über die Richtigkeit des Betriebsregisters, müssen diese zwischen dem betroffenen Unternehmen und der zuständigen Behörde unter Beteiligung der zuständigen Gewerkschaften ausgeräumt werden.

  3. In Zukunft muß die Wahl eines Betriebsrates in allen Betrieben möglich sein, in denen regelmäßig drei oder mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt sind.

  4. Die zunehmende Aufspaltung von Unternehmen und die Ausgliederung von Betriebsteilen darf nicht dazu führen, dass Beschäftigte ohne betriebliche Interessenvertretung sind. Bleiben nach einer Betriebsänderung die in Ziffer 1 genannten Bedingungen bestehen, muß auch die betriebliche Interessenvertrtetung erhalten bleiben.

  5. Der Arbeitnehmerbegriff muß der veränderten betrieblichen Realität Rechnung tragen und alle Beschäftigten des Betriebes umfassen, die weisungsgebunden und wirtschaftlich abhängig sind. Die Unterscheidung in Arbeiterinnen und Arbeiter einerseits sowie Angestellte andererseits ist aufzuheben.

  6. Die Wahl von Betriebsräten muß gesetzlich so normiert werden, dass kein Unternehmen Vorteile aus der Nichtexistenz eines Betriebsrates ziehen kann. Die Behinderung einer Betriebsratswahl ist stärker zu sanktionieren.

  7. Jedes Unternehmen ist zu verpflichten, der für die Verfolgung von Bußgeldverfahren nach § 121 BetrVG zuständigen Behörde eine vollständige Liste seiner betriebsratspflichtigen Betriebe einzureichen. Unterbleibt die Wahl eines Betriebsrates muß die genannte Behörde zu einer Wahlversammlung einladen, in der ein Wahlvorstand gewählt wird, der die Wahl des Betriebsrates in dieser Versammlung durchführt. Zur Vorbereitung dieser vereinfachten Wahl ist der Arbeitgeber zu verpflichten, der zuständigen Stelle eine vollständige Beschäftigtenliste vorzulegen, damit diese zum Wahltag eine Wählerliste vorlegen kann. Vertreter der zuständigen Gewerkschaften dürfen an der Versammlung teilnehmen. Finden sich keine Interessenten für den Wahlvorstand, ist dieser mit Vertretern oder Vertreterinnen der zuständigen Behörde und den zuständigen Gewerkschaften zu besetzen.

  8. Die Wahl von Betriebsräten muß insbesondere in Klein- und Mittelbetrieben durch ein vereinfachtes Wahlverfahren erleichtert werden.

  9. Gesamt- oder Konzernbetriebsräte müssen das Recht erhalten, in zugehörigen betriebsratslosen Betrieben oder Betriebsteilen Wahlvorstände einzusetzen. Für die Übergangszeit muß die Zuständigkeit der entsprechenden Gesamt- und Konzernbetriebsräte erhalten bleiben.

  10. Es muß möglich sein, durch Tarifvertrag Vertretungsorgane der Beschäftigten zu schaffen, die im Gesetz nicht vorgesehen sind oder die Zuständigkeit von Betriebsräten für ausgegliederte Betriebe zu regeln.

  11. Das Verhältnis von Betriebsrat und Unternehmensleitung und die Stellung der Gewerkschaften im Betrieb ist so zu normieren, dass der Betriebsrat primär auf die Interessenvertretung der Beschäftigten und nicht die Aufrechterhaltung des Betriebsfriedens verpflichtet wird.

  12. Die Zugangsrechte von Gewerkschaftsvertretern sind auszuweiten. In betriebsratslosen Betrieben müssen die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften das Recht erhalten, während der Arbeitszeit Sprechstunden abzuhalten.

  13. Die Freistellung, materielle Ausstattung und Qualifizierung der Betriebsratsmitglieder muß den gewachsenen Anforderungen angepaßt werden. Die entsprechenden Rechte und der Schutz der Betriebsratsmitglieder muß auch auf Mitglieder von Arbeitskreisen ausgeweitet werden, die der Betriebsrat zur Erfüllung seiner Aufgaben einrichtet. Gleiches gilt ohne Einschränkung für Ersatzmitglieder des Betriebsrates. Die Staffel für ganze Freistellungen muß bei mindestens 200 regelmäßig Beschäftigten beginnen und bei kleineren Betrieben proportionale Teilfreistellungen vorsehen.
  14. Frauen müssen sowohl in den Betriebsräten als auch bei Freistellungen und der Teilnahme an Bildungsmaßnahmen mindestens im gleichen Maß wie in der Belegschaft vertreten sein.

    Die Teilnahme der Betriebsratsmitglieder und Ersatzmitglieder an Bildungsveranstaltungen ist rechtlich und finanziell besser abzusichern. Grundsätzlich muß jedem Betriebsratsmitglied ein Anspruch auf bezahlte Freistellung für mindestens vier Wochen im Jahr zustehen. Gestaffelt nach der Größe der Betriebsräte müssen die ersten Ersatzmitglieder, mit deren Nachrücken erfahrungsgemäß gerechnet werden kann, die gleichen Rechte auf Teilnahme an Bildungsveranstaltungen haben wie ordentliche Betriebsratsmitglieder. Teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern muss die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen, die notwendiger Weise ganztags stattfinden, auch entsprechend als Arbeitszeit gutgeschrieben werden. Die effektive Durchsetzung der Teilnahme an Bildungsveranstaltungen muss durch ein beschleunigtes arbeitsgerichtliches Beschlußverfahren sichergestellt werden, um den Arbeitgeber vorab zur Zahlung von Reise-, Übernachtungs- und Schulungskosten zu verpflichten. Die Freistellung muß gleichrangig für die Vermittlung gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Kenntnisse gelten.

    Um die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen auch für Betriebsräte von Kleinbetrieben zu ermöglichen, sind entsprechende Fördermöglichkeiten zu schaffen.

    Betriebsräte müssen Anspruch auf Kommunikationsmittel erhalten, die dem Stand der technischen Entwicklung entsprechen und betriebsinterne Informationssysteme für ihre Arbeit uneingeschränkt nutzen können.

  15. Die Wahrung der Persönlichkeitsrechte und der Würde der Beschäftigten ist stärker zu verankern. Verstößt ein Arbeitgeber gegen bestehende Gesetze, Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen muß den Beschäftigten ebenso ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen, wie bei Gefahren für ihre Gesundheit und Leben. Die Beweislast hat in diesem Fall der Arbeitgeber zu tragen.
  16. Ein Recht auf Leistungsverweigerung muß auch dann bestehen, wenn die angeordnete Tätigkeit zu einer unmittelbaren Gefährdung der Gesundheit von Anwohnern beziehungsweise Verbrauchern sowie der Umwelt führt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen das Recht erhalten, ihre Leistung zu verweigern, wenn die geforderte Tätigkeit unmittelbar gegen Grund- beziehungsweise Menschenrechte verstößt oder der Verbreitung faschistischer oder rassistischer Ideen dient. Das Recht auf freie Meinungsäußerung im Betrieb ist gesetzlich abzusichern. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen berechtigt werden, auch außerhalb des Betriebes zu betrieblichen Vorgängen Stellung zu nehmen.

  17. Der Tarifvorrang des § 77 Abs.3 BetrVG muß beibehalten und dahingehend ausgeweitet werden, dass auch in nicht tarifgebundenen Unternehmen Gegenstände wie Entgeltzahlung, Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit und des Urlaubs nicht durch Betriebsvereinbarung geregelt werden dürfen. Wenn Zweifel über die Vereinbarkeit einer Betriebsvereinbarung mit geltenden Tarifverträgen bestehen, muß eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft das Recht zum Anrufen des Arbeitsgerichts erhalten.

  18. Die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten sind entsprechend ihrer gewachsenen Aufgaben sowie der größeren Bedeutung von Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Beschäftigten auszuweiten und rechtlich präziser zu fassen. Dem Betriebsrat ist in all diesen Fällen ein Initiativrecht einzuräumen und der Arbeitgeber zur unverzüglichen Aufnahme von Verhandlungen zu verpflichten.

  19. Das Mitbestimmungsrecht muß darauf Rücksicht nehmen, dass immer mehr Tatbestände nicht abschließend zu regeln sind. Der zunehmenden Prozeßhaftigkeit betrieblicher Entwicklungen muß durch eine flexiblere Mitbestimmungsregelung Rechnung getragen werden. Das Mitbestimmungsrecht muß sich bei prozeßhaften Vorhaben sowohl auf das Ziel, als auch auf die Zwischenschritte und gegebenenfalls auf den notwendigen Abbruch des Vorhabens beziehen. Der Betriebsrat muß in jeder Phase die Möglichkeit haben, die Einigungsstelle anzurufen.

  20. Der im § 87 BetrVG enthaltene Katalog von Mitbestimmungsrechten muß insbesondere in folgenden Punkten präzisiert, beziehungsweise ausgeweitet werden:

  21. Die im fünften Abschnitt des BetrVG geregelten Mitbestimmungsrechte bei personellen Angelegenheiten müssen künftig der Tatsache Rechnung tragen, dass die Mitbestimmung des Betriebsrates von großer Bedeutung für die Sicherung der Arbeitsplätze, die Arbeitszufriedenheit und die Kreativität der Beschäftigten ist. Gleichzeitig muß stärker berücksichtigt werden, dass die Arbeitgeber zahlreiche Möglichkeiten zur Verringerung der Belegschaft nutzen können, ehe sie zu Kündigungsmaßnahmen greifen. Diese strukturelle Benachteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und des Betriebsrates verlangt eine neue Normierung der Mitbestimmungsrechte bei personellen Einzelmaßnahmen. Vorrangig bei der Neufassung der Mitbestimmungsrechte in personellen Angelegenheiten sind:

  22. Die bisher in § 106 BetrVG durch die Institution des Wirtschaftsausschusses geregelten Beteiligungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten sind zu erweitern und auf den Betriebsrat beziehungsweise Gesamtbetriebsrat zu übertragen. Im Gesetz sind die Informationspflichten des Arbeitgebers genauer zu bestimmen und die Übergabe beziehungsweise Vorlage aller erforderlichen Unterlagen zur Pflicht zu machen.

  23. Die in § 111 BetrVG geregelten Unterrichtungsrechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen sind zu erweitern. Als Betriebsänderung sollen auch Rationalisierungsmaßnahmen und die Einführung neuer Rationalisierungssysteme gelten.

    Es muss ein Verbot von Betriebsänderungen vor Beendigung des Interessenausgleichsverfahrens aufgenommen werden sowie ein Anspruch des Betriebsrates auf Verhinderung der Betriebsänderung im Rahmen einer einstweiligen Verfügung, so lange dieses Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Festzulegen ist auch, dass im Falle der Abspaltung von Betriebsteilen nach § 613 a BGB die Zuständigkeit des Betriebsrates im Rahmen des Interessenausgleichs als auch des Sozialplanes auf die Beschäftigten erstreckt, die im Wege eines Teilübergangs nach § 613 a BGB auf einen anderen Inhaber übergehen . Soweit die neuen Bedingungen beim Erwerber mit den bisherigen nicht vergleichbar sind, kann ein Sozialplan mit dem bisherigen Betriebsinhaber auch die daraus resultierenden wirtschaftlichen Nachteile erfassen.

    Der Einwand fehlender Mittel für einen Sozialplan soll dann nicht mehr gelten, wenn das Unternehmen trotz Wissen um die geplante Betriebsänderung keine Rücklagen gebildet hat. Soweit ein Konzernverbund vorliegt, muss hinsichtlich der Möglichkeit der Finanzierung eines Sozialplans die wirtschaftliche Lage des Konzerns beziehungsweise der Muttergesellschaft maßgeblich sein.

  24. Der § 112a BetrVG ist ersatzlos zu streichen.

  25. Das BetrVG muß künftig auf allen Schiffen Geltung haben, die unter der Deutschen Bundesflagge fahren, auch wenn sie von einem Vertragsreeder mit Sitz im Ausland bereedert werden.

  26. Der in § 118 BetrVG geregelte Tendenzschutz ist auf den Bereich der religiösen Verkündigung und der unmittelbar politischen Tätigkeit zu beschränken. Personelle Einzelmaßnahmen sollen nur dann nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates unterliegen, wenn die betroffenen Beschäftigten einen unmittelbaren und maßgeblichen Einfluß auf die religiöse oder politische Tendenz haben.

  27. Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte von Betriebsräten gegenüber Personalräten und kirchlichen Mitarbeitervertretungen ist nicht mehr zeitgemäß und muß überwunden werden. Die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes sollte ein erster Schritt zur Durchsetzung gleicher Rechte für Betriebs- und Personalvertretungen sein sowie die Sonderstellung der kirchlichen Mitarbeitervertretungen überwinden.

 

Berlin, den 11. September 2000
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Heidi Knake-Werner
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

 

Begründung

Zu A

Die Anpassung des Betriebsverfassungsgesetzes an veränderte Bedingungen des Wirtschaftslebens und der betrieblichen Organisation ist von großer gesellschaftlicher Bedeutung und verdient einen entsprechenden Zeitraum öffentlicher Diskussion. Ein demokratisches Gesetzgebungsverfahren verlangt, dass die Betroffenen ausreichend Gelegenheit haben, die möglichen Auswirkungen der vorgesehenen Änderungen auf ihre eigene Praxis zu überprüfen und in den öffentliche Meinungsbildung einzugreifen. Da die Bundesregierung beabsichtigt, das neue Gesetz zur Grundlage der nächsten Betriebsratswahlen zu machen, ist durch die mehrfach angekündigte und nicht eingehaltene Vorlage eines Referentenentwurfs schon jetzt ein erheblicher Zeitdruck entstanden, insbesondere weil die Gewerkschaften vor der Anwendung des neuen Gesetzes umfangreiche Weiterbildungsmaßnahmen durchführen müssen, um einen rechtmäßigen Ablauf der Wahlen zu gewährleisten.

Zu B

In verschiedenen Stellungnahmen der Arbeitgeberverbände und in den Empfehlungen der von der Bertelsmann- und der Hans-Böckler-Stiftung gebildeten Mitbestimmungskommission, wird das deutsche Mitbestimmungsrecht zunehmend als Standortvorteil gewertet. Dem ist nicht zu widersprechen, doch die einseitige Würdigung der Mitbestimmung als Standortvorteil blendet den eigentlichen Grund für die Entwicklung dieses Rechtsinstituts aus. Das Betriebsverfassungsgesetz konkretisiert die in der Verfassung festgelegte Sozialbindung des Eigentums und des Sozialstaates. Die strukturelle Benachteiligung der abhängig Beschäftigten gegenüber den privaten Eigentümern an Produktionsmitteln wird durch das Betriebsverfassungsgesetz nicht aufgehoben, aber den Beschäftigten werden Informations-, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte eingeräumt, die der Nutzung und Verwertung des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln Grenzen setzen.

Wird die betriebliche Mitbestimmung in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsfähigkeit novelliert, dann geraten die aus den Grundrechten und der Sozialbindung des Eigentums abgeleiteten Mitbestimmungsrechte notwendigerweise in den Hintergrund. Im Gegensatz zur Sozialbindung des Eigentums und des Sozialstaatsgebotes, kann sich die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit auf keinen Verfassungsauftrag stützen, so dass sie bestenfalls als begrüßenswerte Begleiterscheinung, nicht aber als Ziel der Novellierung angesehen werden kann.

Zu C

Die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte muß als Hauptmotiv der Reform betrachtet werden. Drohungen der Arbeitgeber, wegen einer möglichen Ausweitung der Mitbestimmungsrechte das Bundesverfassungsgericht anzurufen, dürfen den Deutschen Bundestag nicht davon abhalten, einen wichtigen Schritt zur Demokratisierung der Arbeitswelt zu tun. Die Behauptung der Arbeitgeberverbände, eine Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung würde das Eigentumsrecht einschränken, geht von einer einseitigen Betrachtung des Eigentumsrechtes aus, die durch die Verfassung nicht gedeckt ist. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet in Artikel 14 Abs. 1 zwar das Eigentumsrecht, schreibt aber gleichzeitig in Abs. 2 vor, dass sein Gebrauch dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll. Der Schutz des Eigentums erstreckt sich folglich nicht automatisch auf die ungehinderte Verfügung, sondern hauptsächlich auf den Bestand. Vielmehr hat der Gesetzgeber Sorge zu tragen, dass die Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums rechtlich normiert wird. Die im Betriebsverfassungsgesetz verankerten Mitbestimmungsrechte gefährden nicht das Eigentum, sondern regeln auf betrieblicher Ebene seinen Gebrauch zum Wohle der Allgemeinheit.

Zu D

Die deutsche Form der Mitbestimmung auf Betriebs- und Unternehmensebene ist ein grundlegendes Element unserer Verfassungsordnung. Ihre Reform hat unmittelbare Auswirkungen auf die konkrete Gestaltung der Verfassungswirklichkeit und verdient deshalb breiteste Öffentlichkeit. Das Bündnis für Arbeit aber ist keine demokratisch legitimierte oder gar kontrollierte Institution der Verfassungsordnung, sondern eine nicht öffentliche Gesprächsrunde, in der ausgewählte Vertreter der Tarifparteien unter Moderation des Bundeskanzlers in erster Linie Gegenstände beraten sollen, die im Zusammenhang mit der Tarifautonomie in den Regelbereich von Arbeitgebern und Gewerkschaften gehören. Wenn in den Bündnisgesprächen Gesetzesvorhaben verhandelt werden, um einen Konsens zwischen ausgewählten Verbandsvertretern zu erzielen, wird unmittelbar in die Rechte des Parlaments eingegriffen. Dem Gesetzgebungsverfahren wird unter Umgehung von Öffentlichkeit und Parlament eine Entscheidungsebene vorgelagert, die das Parlament mit nur noch nachträglich abzustimmenden Ergebnissen konfrontiert.

Die medienorientierte Inszenierung des Bündnisses für Arbeit hat in der Öffentlichkeit jetzt schon den Eindruck entstehen lassen, dass es sich hierbei um eine quasi demokratische Institution handelt, die zur Verabschiedung grundlegender gesellschaftlicher Entscheidungen legitimiert ist. Dieser Eindruck wird um so stärker, je mehr die Bündnisgespräche zu einem vorparlamentarischen Entscheidungsraum gemacht werden. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich die Bundesregierung durch die Entscheidungsfindung in den Bündnisgesprächen in eine Erpressungssituation begibt. Die Drohung, das Bündnis zu verlassen, falls sich die Vorstellungen der Arbeitgeber nicht durchsetzen, schränkt die Handlungsfähigkeit von Regierung oder Parlament ein und stuft den Bundestag zu einer Ratifizierungseinrichtung ab.

Zu E

  1. Der § 1 des BetrVG von 1972 enthält keine Definition des Betriebes, sondern setzt diese als gegeben voraus. Das aus diesem Defizit entstandene Richterrecht, beziehungsweise die Gesetzgebung zur Betriebsumwandlung und Aufspaltung reicht in der Praxis nicht aus, um die sich ergebenden Abgrenzungsprobleme eindeutig zu lösen.
  2. Einen abschließenden Betriebsbegriff wird das neue Betriebsverfassungsgesetz nicht definieren können und dürfen, weil der Prozeß wirtschaftlicher und betrieblicher Umstrukturierungen äußerst dynamisch und nicht abgeschlossen ist. Wenn aber die Zer- und Neugliederung von Betrieben die Institution des Betriebsrates an sich gefährdet, müssen solche Beschreibungen für den Betrieb gefunden werden, die dies ausschließen. Notwendig ist deshalb die Benennung von Kriterien, die eine prozeßhafte Definition des Betriebes möglich machen. Im Vordergrund muß dabei die räumliche, soziale und arbeitstechnische Organisation der betrieblichen Abläufe stehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass unter anderem durch den Einsatz der modernen IuK-Technologien betriebliche Zusammenhänge entstehen, die nicht mehr den gewohnten augenfälligen Vorstellungen eines Betriebes entsprechen.

    Entscheidend ist, dass die Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates dort einsetzen, wo unternehmerische Entscheidungen getroffen werden - unabhängig von allen gesellschaftsrechtlichen Formen. In jedem Fall muß aber bei der Durchführung arbeitgeberseitiger Maßnahmen der von den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gewählte Betriebsrat beteiligt werden. Ein solche Festlegung ist notwendig, um einem Auseinanderfallen der Weisungshierarchie der Arbeitgeber und der Zuständigkeit des Betriebsrates entgegen zu wirken.

    Mit der vorgeschlagenen Einführung eines Betriebsregisters könnten die häufig überforderten Wahlvorstände entlastet werden. So lange eine Eintragung ins Betriebsregister nicht wirksam geändert wurde, gilt der Betrieb als existent, womit auch die Rechte des jeweiligen Betriebsrates gesichert wären. Die richtige Handhabung des Betriebsbegriffs würde von den Wahlvorständen in ein Einigungsverfahren verlagert, für dessen Durchführung die zuständige staatliche Stelle die Verantwortung trägt.

  3. Die Verringerung der zur Bildung eines Betriebsrates notwendigen Beschäftigtenzahl von fünf auf drei entspricht der neuen Betriebsrealität. Die Beschäftigtenzahlen sind im Verhältnis zur Wertschöpfung der Betriebe insgesamt rückläufig, so dass eine Verringerung der erforderlichen Wahlberechtigten lediglich einer Anpassung an die veränderte Wirklichkeit entspricht.
  4. Durch Ausgliederungen, Umwandlungen und Aufspaltungen entstehen häufig formal selbständige Unternehmen und Betriebe, ohne dass sich die betriebliche Organisation grundlegend ändert. Diese Betriebe bleiben nach dem Auslaufen des Übergangsmandats der ursprünglichen Betriebsräte oft ohne betriebliche Interessenvertretung. Das BetrVG soll für diese Fälle vorsehen, dass entweder die alten Interessenvertretungen erhalten bleiben, wenn die Anforderungen des § 1 erfüllt sind oder, dass das Übergangsmandat so lange erhalten bleibt, bis für den neuen Betrieb ein Betriebsrat gewählt ist.
  5. Der Geltungsbereich des BetrVG soll auf arbeitnehmerähnliche Beschäftigte und auf von dem jeweiligen Arbeitgeber ökonomisch abhängige Beschäftigte ausgedehnt werden. Es handelt sich dabei in der Regel um Tätigkeiten, die vor ihrer formal-rechtlichen Umwandlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Sinne des Gesetzes ausgeübt wurden. Dieser Personenkreis soll in den Schutz des BetrVG zurückgeholt werden. Gleiches gilt für Heim- sowie Telearbeiterinnen und -arbeiter, die zwar schon weitgehend durch § 12 a Tarifvertragsgesetz geschützt sind, im § 5 BetrVG aber noch einmal zur Klarstellung ihrer rechtlichen Stellung zur betrieblichen Interessenvertretung erwähnt werden sollen.
  6. In vielen betriebsratsfähigen Betrieben unterbleibt die Wahl eines Betriebsrates, weil der Arbeitgeber zu verstehen gibt, dass er sie nicht wünscht. Die Strafbestimmungen für die Behinderung einer Wahl reichen in diesen Fällen nicht aus. Die Höchststrafe bei Behinderung beziehungsweise Beeinflussung der Betriebsratswahl ist daher auf eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren festzusetzen. Darüber hinaus müssen gesetzliche Sanktionen geschaffen werden, die auch den verdeckten Widerstand der Arbeitgeber gegen eine Betriebsratswahl zu brechen helfen.
  7. Das vorgeschlagene vereinfachte Wahlverfahren mindert die derzeitige Schwellenangst bei vielen Beschäftigten, im Rahmen eines langen und komplizierten Wahlverfahrens und eines möglicherweise aufgeladenen Betriebsklimas persönliche Risiken einzugehen. Außerdem unterstreicht die staatliche Verantwortung für eine flächendeckende Wahl von Betriebsräten die Bedeutung des Betriebsverfassungsgesetzes und verringert die Möglichkeit von Arbeitgebern, durch verdeckten oder offenen Widerstand die Wahl eines Betriebsrates zu verhindern.

  8. Insbesondere in Kleinbetrieben wird die Wahl eines Betriebsrates häufig bereits durch das aufwendige Wahlverfahren verhindert. Die Wahlvorschriften sind deshalb so zu ändern, dass erstens die Wahl erleichtert und zweitens durch ein unbürokratisches Verfahren verhindert wird, dass der Arbeitgeber die bisher relativ lange Zeitspanne bis zur Durchführung der Wahl für Repressionen nutzen kann.
  9. Das Recht von Gesamt- und Konzernbetriebsräten, einen Wahlvorstand für Betriebe in ihrem Zuständigkeitsbereich zu bilden, wäre eine wirksame Maßnahme gegen die in der Folge von Ausgliederungen zunehmende Zahl betriebsratsloser Betriebe.
  10. Die bisher im § 3 BetrVG bestehende Möglichkeit, durch Tarifvertrag zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungsorgane zu schaffen, ist zu präzisieren und zu erweitern. Wichtig ist, diese Organe durch Tarifvertrag zu schaffen, um den Gewerkschaften eine Durchsetzungsmöglichkeit zu geben. Außerdem sollte das Gesetz zur Klarstellung einen Katalog der zusätzlichen Vertretungen aufnehmen.
  11. Durch die Neufassung des § 2 BetrVG sollen erstens die Rechte der Gewerkschaften im Betrieb präziser gefaßt und ihr jederzeitiger Zugang zum Betrieb gesichert werden. Ausserdem sollen die Aufgaben des Betriebsrates so beschrieben werden, dass die Wahrnehmung der Beschäftigteninteressen im Vordergrund steht.
  12. Die umfangreicher und komplizierter werdenden Aufgaben der Betriebsräte sind mit den bisherigen Freistellungen nicht mehr zu bewältigen. Deshalb ist die Senkung der Freistellungsgrenze auf 200 oder weniger ebenso unumgänglich wie eine verbesserte Möglichkeit zur teilweisen Freistellung von der Arbeit. Die Freistellungsregelung nach § 38 BetrVG sollte sich jedoch nicht nur an der Betriebsgröße orientieren, sondern gleichzeitig die Betriebsstruktur (Betriebsteile, Nebenbetriebe und Fläche) berücksichtigen.
  13. Die Anrechnung voller Bildungstage auch für Teilzeitbeschäftigte ist notwendig, um sie nicht schlechter als Ganztagsbeschäftigte zu stellen, die keine Freizeitopfer für die Beteiligung an Bildungsmaßnahmen aufbringen müssen.

    Das Gesetz hat künftig auch die Gleichbehandlung von Frauen bei der Vertretung im Betriebsrat sowie bei den Freistellungen sicherstellen, um der Frauendiskriminierung entgegenzuwirken.

    Die Erfahrungen der Praxis belegen, dass die im § 37.6 bzw. 37.7 BetrVG geregelte Freistellung für Qualifizierungsmaßnahmen auf erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich der zeitlichen Festsetzung und der Kostenbeteiligung des Arbeitgebers stößt. Ein beschleunigtes arbeitsgerichtliches Beschlußverfahren soll sicherstellen, dass Betriebsratsmitglieder ihre Qualifizierung nicht deshalb vernachlässigen, weil sie die notwendigen finanziellen Mittel nicht vorstrecken können oder aus Unsicherheit darüber nicht vorstrecken wollen, ob sie die verauslagten Beträge tatsächlich zurück erhalten. Das Gesetz soll diese Lücken schließen und die Qualifizierungsmöglichkeiten insgesamt verbessern, damit die Betriebsräte dem Wandel der Arbeitswelt gerecht werden können. Das Gleiche gilt insgesamt für die Ausstattung der Betriebsräte, insbesondere mit modernen Kommunikationsmitteln. Darüber hinaus haben sich in der Vergangenheit zahlreiche Streitfälle ergeben, weil Betriebsräte daran gehindert wurden, betriebsinterne Kommunikationsnetze für die Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben zu nutzen. Deshalb bedarf es auch diesbezüglich einer gesetzlichen Präzisierung.

    Die Einbeziehung von Betrieben mit drei oder mehr Beschäftigten in den Kreis der betriebsratsfähigen Betriebe wird in vielen Fällen dazu führen, dass die gesetzlich vorgesehene Freistellung für Bildungsmaßnahmen nach § 37.6 und 37.7 BetrVG auf arbeitsorganisatorische oder finanzielle Probleme stößt. Hier sollte eine Form öffentlicher Unterstützung gefunden werden, die diese Probleme mindern hilft.

  14. Von den abhängig Beschäftigten wird immer mehr Eigenverantwortung und Selbständigkeit verlangt, was häufig jedoch im scharfen Gegensatz zum oft autoritär ausgeübten Direktionsrecht des Arbeitgebers steht. Verantwortungsbewußtsein setzt Verantwortung und damit auch Entscheidungsfreiheit voraus. Deshalb sollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Leistungsverweigerung berechtigt sein, wenn das Befolgen einer betrieblichen Anweisung gegen bestehende Gesetze, Tarifverträge oder Regelungsabsprachen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber verstößt. Gleiches gilt, wenn durch die angeordneten Tätigkeiten Gesundheit oder Leben der Beschäftigten oder Nichtbeteiligter unmittelbar gefährdet werden oder Umweltgefahren entstehen, die häufig nur von den unmittelbar Handelnden erkannt werden können.
  15. Es ist angemessen, den Arbeitgebern die Beweislast aufzuerlegen, um die Stellung der abhängig Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber zu stärken. Was für Lebens-, Gesundheits- und Umweltgefahren gilt, soll aber auch für eine Gefährdung der Demokratie und der Menschenwürde gelten. Beschäftigte dürfen nicht gezwungen werden, menschenverachtende, rassistische oder faschistische Propaganda herzustellen oder zu vertreiben.

  16. Unter dem Druck der Arbeitgeber sahen sich in den vergangenen Jahren immer mehr Betriebsräte gezwungen, den Tarifvorrang nach § 77.3 BetrVG zu mißachten und geltende Tarifverträge durch Betriebsvereinbarungen zu unterbieten. Gleichzeitig mehren sich die Fälle, wo nicht tarifgebundene Unternehmen Entgeltregelungen und andere Gegenstände von Tarifverträgen durch Betriebsvereinbarungen zu regeln versuchen.
  17. Da den Betriebsräten nach § 74 BetrVG das Führen von Arbeitskämpfen untersagt ist, fehlt es ihnen im Gegensatz zu den Gewerkschaften an Durchsetzungsmitteln für kollektivrechtliche Vereinbarungen. Deshalb ist es notwendig, den Tarifvorrang zu präzisieren und ein Klagerecht der Gewerkschaften ausdrücklich zu verankern.

  18. Die im § 87 BetrVG geregelten Mitbestimmungsrechte beziehen sich deutlicher als viele andere Teile des Gesetzes auf eine tayloristische Arbeitsorganisation, in der Fragen der Betriebsordnung und der Kontrolle durch die Arbeitgeber eine entscheidende Rolle spielen. Der moderne Betrieb verlangt dagegen ein höheres Maß an Eigenverantwortung, Selbständigkeit und Prozeßqualifikationen der Beschäftigten. In vielen Betrieben geht die Mitwirkung - nicht Mitbestimmung - des Betriebsrates deshalb bereits weit über den Rahmen des BetrVG von 1972 hinaus. Problematisch ist, dass es sich hier in der Regel um eingespielte betriebliche Traditionen handelt, für die es keine klare Rechtsgrundlage gibt. Während nämlich der Mitbestimmungskatalog des jetzt geltenden Gesetzes die Möglichkeit eines Einigungsstellenverfahrens einschließt, fehlen dem Betriebsrat bei den neuen Formen des Co-Managements geeignete Mittel zur Wahrung der Belegschaftsinteressen. Aus diesem Grund ist der Katalog des § 87 BetrVG auszudehnen.

Darüber hinaus soll der Betriebsrat die Möglichkeit haben, nicht nur eigene Vorschläge einzubringen, sondern auch ihre Behandlung durchzusetzen. Dies ist nur durch die gesetzliche Verankerung eines Initiativrechtes und die Möglichkeit zur Anrufung einer Einigungsstelle möglich.

Die im bisherigen § 87 Abs.1 BetrVG aufgeführten Mitbestimmungstatbestände sind abschließend regelbar. Bei den neuen Formen des Co-Managements handelt es sich dagegen in der Regel um prozeßbegleitende, auf allgemeine Optimierung ausgerichtete Formen der Mitwirkung. Der Konflikt um Lohn und Leistung nimmt ständig neue Formen an, entzündet sich an unterschiedlichen Stellen des Prozesses und verlangt immer wieder neue Regelungen. Betriebsvereinbarungen müssen sich deshalb auf die Festlegung von Rahmenbedingungen konzentrieren, die eine flexible Anpassung ermöglichen. Die Bereitschaft und die Motivation von Betriebsräten und Beschäftigten, sich auf diesen Prozeß einzulassen, wird um so größer sein, je stärker ihre Verhandlungsposition ist. Eine wirkliche Verhandlungsposition hat der der Friedenspflicht unterliegende Betriebsrat aber erst durch die Möglichkeit des Einigungsstellenverfahrens.

Entsprechend der betrieblichen Entwicklung, Arbeitsgruppen oder Abteilungen mehr Eigenverantwortlichkeit zu geben, muß der Betriebsrat die Möglichkeit haben, die konkrete Umsetzung einer Rahmenvereinbarung den jeweiligen Arbeitseinheiten zu übertragen, ohne sein grundlegendes Mitbestimmungsrecht einzuschränken. Wenn der Betriebsrat Gestaltungsmöglichkeiten an Arbeitsgruppen delegiert, werden dadurch keine neuen demokratischen Rechte geschaffen, sondern lediglich Kompetenzen verlagert. Eine Demokratisierung der Betriebsverfassung muß jedoch mehr Rechte für alle Beschäftigten bringen.

Die Delegation von Betriebsratsrechten an Arbeitsgruppen oder andere von den Arbeitgebern eingerichtete Organisationseinheiten stößt in der Praxis auch auf erhebliche Gefahren. Nichtmitglieder des Betriebsrates sind zum Beispiel nicht durch das Gesetz vor Kündigung geschützt und Arbeitsgruppen stehen häufig im Wettbewerb zu anderen Organisationseinheiten des Betriebes, so dass die Mitbestimmungsrechte dem innerbetrieblichen Konkurrenzdruck zum Opfer fallen können. Dies erfordert, dass der Betriebsrat eine Entscheidung wieder an sich ziehen kann, wenn dies das Gesamtinteresse der Beschäftigten erfordert oder delegierte Gestaltungsmöglichkeiten von den Betroffenen aus Angst vor Nachteilen nicht ausgeschöpft werden.

  1. Die Komplexität moderner Betriebsabläufe birgt zahlreiche Probleme hinsichtlich der unterschiedlichen Belastungsparameter, der sozialen Verträglichkeit und der Qualifikation in sich. Dabei geht es nicht nur um den einzelnen Arbeitsplatz, sondern um den gesamten Arbeitsprozeß des Betriebes, so dass der betriebliche Prozeß umfassend mitbestimmungspflichtig sein muß. Dies gilt insbesondere auch für neue Arbeitsformen, die im Zusammenhang mit organisatorischen Umgestaltungen entstehen.
  2. Die umfassenden Möglichkeiten der modernen IuK-Technologien gestatten Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen, die weit in die Persönlichkeitsrechte, insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Beschäftigten eingreifen und erhebliche Risiken bergen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates ist hier ebenso unerläßlich, wie für den Gesundheitsschutz. Der Gesundheitsschutz erfordert heute eine ganzheitliche Betrachtung der technischen, organisatorischen und sozialen Belastungen. Je weniger die Beschäftigten durch sinnliche Wahrnehmung in der Lage sind Gesundheitsgefahren rechtzeitig zu erkennen, desto wichtiger ist die frühzeitige Einbeziehung des Betriebsrates, um bei der Einführung neuer Verfahren und Abläufe Risikoabschätzungen vornehmen zu können. Obwohl das Arbeitsschutzgesetz von 1996 dem Gesundheitsschutz ein größeres Gewicht gegeben hat, fehlen in der Betriebsverfassung die erforderlichen Mitbestimmungs- und Informationsrechte, die es dem Betriebsrat sowie den betroffenen Beschäftigten erst ermöglichen, sich aktiv an der Vermeidung von Gesundheitsgefahren zu beteiligen. Das Gleiche gilt für den Umweltschutz, der seit 1972 erheblich an Gewicht gewonnen hat, für den es auch eine Reihe betriebsrelevanter Gesetze und Verordnungen gibt, deren Umsetzung aber problematisch bleibt, so lange den Betriebsräten keine entsprechenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden.

  3. Bei der Neufassung der Bestimmungen zu personellen Angelegenheiten ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass der Betriebsrat im zunehmenden Maße mit Aufgaben der Beschäftigungssicherung befaßt ist. Deshalb soll sein Mitbestimmungsrecht bei personellen Angelegenheiten stärker als im geltenden BetrVG auf Fragen der vorausschauenden Personalplanung und Qualifikationsentwicklung ausgeweitet werden, um einen hohen und dauerhaften Beschäftigungsstand zu sichern.
  4. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Entlassungen bei Rationalisierungen oder Betriebsänderungen häufig auf vom Management versäumte Qualifizierungsmaßnahmen zurückzuführen sind. Die Arbeitgeber setzen auf die Möglichkeit, wegen anhaltender Massenarbeitslosigkeit, bei Umstellungen eine ausreichende Anzahl nicht nur qualifizierterer, sondern jüngerer und häufig auch billigerer Arbeitskräfte einstellen zu können. Sie sparen auf diesem Wege Qualifizierungskosten und nutzen die durch das Beschäftigungsförderungsgesetz gegebene Möglichkeit, im zunehmenden Maße befristete Arbeitsverhältnisse abzuschließen, mit denen die eingestellten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer direkt und somit indirekt auch alle anderen Beschäftigten, zu erhöhter Leistung angehalten werden können. Es liegt jedoch im Interesse der Beschäftigten und der Allgemeinheit, die Beschäftigung zu verstetigen, um ein höheres Maß an sozialer Sicherheit zu gewährleisten und Kosten wie gesellschaftliche Folgen der Arbeitslosigkeit zu minimieren. Eine Ausweitung der Mitbestimmung des Betriebsrates in personellen Angelegenheiten ist deshalb ein geeignetes Mittel der betrieblichen Beschäftigungspolitik.

    Die bisherige Ausnahme für Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten sollte in Folge ihres wachsenden Gewichts in der Wirtschaftsstruktur entfallen. Gleichzeitig ist es sinnvoll das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, wie für andere Teile des Gesetzes vorgeschlagen, auch auf arbeitnehmerähnliche Beschäftigungsverhältnisse auszudehnen, weil solche Rechtsformen von den Unternehmen häufig mit der Absicht gewählt werden, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zu umgehen. Dem Betriebsrat soll deshalb ein Mitbestimmungsrecht bei Vertragsinhalt und Abschluß arbeitnehmerähnlicher Arbeitsverhältnisse eingeräumt werden.

    Zur betrieblichen Beschäftigungspolitik gehört auch, dass Kündigungen zum letzten Mittel der Personalpolitik werden. Der Neigung der Unternehmen, durch Kündigungen die Belegschaft zu verjüngen, das Leistungsniveau zu steigern und Personalkosten zu minimieren muß entgegengewirkt werden, da diese Strategie mit erheblichen gesamtgesellschaftlichen Kosten verbunden ist. Je höher die Zahl der Kündigungen in einer Volkswirtschaft, desto größer die Zahl derjenigen, die keinen Weg zurück in die Arbeitswelt finden. Die Verbesserung des Kündigungsschutzes ist deshalb ein wichtiges Instrument der Beschäftigungspolitik.

    Der bisherige Schutz der Beschäftigten vor nicht gerechtfertigten Kündigungen beschränkt sich auf die Klage vor dem Arbeitsgericht, die nur dann eine Erfolgsaussicht besitzt, wenn der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hat und nachweisbar ist, dass die Kündigung ungerechtfertigt ist. Kündigungen, die nachweislich wegen Auftragsmangel oder Teilstillegung erfolgen, werden von den Arbeitsgerichten regelmäßig als gerechtfertigt eingestuft.

    Der Regelung, dass das Arbeitsverhältnis bei einem vom Betriebsrat ausgesprochenen Widerspruch nur durch das Arbeitsgericht aufgelöst werden kann, macht Kündigungen durch den Arbeitgeber keinesfalls unmöglich, vermindert aber den Umfang ungerechtfertigter Kündigungen und erhöht den Schutz der Beschäftigten vor willkürlichen Entscheidungen des Arbeitgebers. Der rechtlich bindende Einspruch des Betriebsrates hat im Falle einer gerechtfertigten Kündigung lediglich eine aufschiebende Wirkung. Die mit dem Arbeitsgerichtsverfahren verbundene zeitweilige Einschränkung des Arbeitgebers in seinem Direktionsrecht und die mögliche zunehmende Anrufung der Arbeitsgerichte sind geringer zu gewichten, als die sozialen Menschenrechte der betroffenen Beschäftigten und das gesellschaftliche Interesse an dauerhafter Beschäftigung.

  5. Die im § 106 BetrVG geregelte Verpflichtung des Arbeitgebers, wirtschaftliche Angelegenheiten mit einem zu bildenden Wirtschaftsausschuß zu beraten, hat sich im Grundsatz als richtig erwiesen. Betriebsräte sind besser in der Lage, auf unternehmerische Entscheidungen zu reagieren und Vorschläge zur sozial verträglichen Gestaltung zu entwerfen, wenn sie über wirtschaftliche Entwicklungen rechtzeitig und umfassend informiert werden. Es hat sich jedoch als wenig hilfreich erwiesen, dafür einen gesonderten Wirtschaftsausschuß zu bilden. Der Informationsfluß kann zügiger und die Beratungen können ergebnisorientierter verlaufen, wenn der Betriebsrat direkt beteiligt wird. Das Recht des Betriebsrates, einen eigenen Unterausschuß für wirtschaftliche Angelegenheiten zu bilden, wird davon nicht berührt. Die Begrenzung der gemeinsamen Beratung wirtschaftlicher Angelegenheiten auf Betriebe mit in der Regel mehr als 100 Beschäftigten soll gestrichen werden, weil nicht nachvollziehbar ist, weshalb dieses bedeutsame Mitwirkungsrecht Betriebsräten kleinerer Betriebe vorzuenthalten ist.
  6. Die geltende Formulierung des § 106, Abs. 2 und 3 BetrVG läßt den Arbeitgebern einen zu breiten Ermessensspielraum über die Art der Unterrichtung und die vorzulegenden Unterlagen. Bei der Novellierung soll deshalb eine der Praxis gerecht werdende Präzisierung vorgenommen werden. Dabei ist festzulegen, dass die Unterlagen dem Betriebsrat zu übergeben und nicht nur zur Einsichtnahme vorzulegen sind.

  7. Die sprunghaft angestiegene Zahl von Betriebsänderungen, Aufspaltungen und Fusionen hat neue Beteiligungsnotwendigkeiten geschaffen, die im bisherigen Gesetz nicht erwähnt sind und 1972 auch nicht absehbar waren. Insbesondere besteht ein dringender Bedarf an Informationen über personelle Auswirkungen geplanter Betriebsänderungen, damit der Betriebsrat seine zunehmend beschäftigungspolitischen Aufgaben wahrnehmen kann.
  8. Die bisherige Rechtslage erlaubt es den Unternehmen, durch Veräußerung von Teilbetrieben für die davon betroffenen Beschäftigten die Sozialplanpflicht zu umgehen. Diese Lücke ist zu schließen, um das Umgehen von Sozialplänen durch Teilbetriebsübergänge zu verhindern.

    Was die Dotierung von Sozialplänen angeht, stellen die beiden genannten Punkte die häufigsten Probleme für Betriebsräte dar, Sozialpläne durchzusetzen.

  9. Die Ausnahmeregelung des § 112a BetrVG führt zu einer unangemessenen Einschränkung der Informations- und Mitwirkungsrechte.
  10. Die gerichtliche Auslegung des geltenden § 114 BetrVG schließt unter Deutscher Flagge fahrende Schiffe aus dem Geltungsbereich des Gesetzes aus, wenn sie von einem Vertragsreeder im Ausland bereedert werden. Damit wird es deutschen Reedern durch eine geringfügige Änderung ihrer Unternehmensstruktur ermöglicht, sich den aus dem BetrVG entstehenden Pflichten zu entziehen.
  11. Der in § 118 BetrVG geregelte Tendenzschutz geht weit über den Schutz von Religionsgemeinschaften sowie politischen und koalitionspolitischen Organisationen hinaus. Dies gilt insbesondere für Medienunternehmen und Verlage, die fast ausschließlich zum Zwecke der Gewinnerzielung und nicht zur öffentlichen Vertretung einer bestimmten Tendenz betrieben werden. Darüber hinaus ist es auch bei unmittelbar religiösen, politischen oder koalitionspolitischen Zwecken gewidmeten Institutionen nicht berechtigt, Beschäftigte, die keinen eigenständigen und unmittelbaren Einfluß auf die Tendenz ausüben, aus dem Schutzbereich des BetrVG teilweise herauszunehmen. Aber auch für personelle Einzelmaßnahmen bezüglich Beschäftigter mit Einfluß auf die Tendenz ist die Regelung des § 118 BetrVG nicht notwendig. Wer zum Beispiel dauerhaft die vorgegebene Tendenz eines Medienbetriebes mißachtet, liefert einen Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung.
  12. Gleichzeitig soll gewährleistet werden, dass privatwirtschaftlich organisierte und am Markt operierende Unternehmen aus dem Tendenzschutz herausgenommen werden. Hier handelt es sich nicht nur um einen außerordentlich großen Personenkreis, sondern auch um Unternehmen, die durch die Ausnahmeregelung in den Genuß marktverzerrender Wettbewerbsvorteile kommen.

  13. Das novellierte Betriebsverfassungsgesetz ist auch auf die Bedürfnisse all jener Bereiche abzustellen, in denen jetzt noch Personalvertretungen bestehen. Gleiches gilt für die Sonderregelungen (Mitarbeitervertretungsrecht) in den Kirchen und den ihnen angeschlossenen Gruppierungen wie Diakonisches Werk und Caritasverband. Damit lassen sich auch die Probleme lösen, die im zunehmenden Maße durch die Errichtung privat-öffentlich-rechtlicher Konzerne entstehen.

Home
LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace
Datei:
Datum: