LabourNet Germany Dies ist das LabourNet Archiv!!! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home Über uns Suchen Termine

 

Bewertung des aktuellen Standes der Auseinandersetzungen über ein neues Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Stellungnahme der Redaktionsgruppe der Mitbestimmungskommission zu dem Eckpunktepapier des Arbeitsministers vom 7.9.00

Die Auseinandersetzungen um die Novellierung des BetrVG sind geprägt von der Diskussion zu dem Verhältnis von Betriebsrat und Mitbestimmung zur einzelwirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Im Unterschied zu der politischen Aufbruchstimmung Anfang der 70er Jahre vor Novellierung des BetrVG von 1974, die geprägt war von der Formel "Mehr Demokratie wagen" und der abgeleiteten Forderung, Demokratie dürfe auch vor Betriebstoren nicht Halt machen, begünstigten die heutigen politischen Rahmenbedingungen der Arbeitgeberpositionen, jegliche Ausweitung der Betriebsverfassung - quantitativ durch Erleichterung von Betriebsratswahlen, qualitativ durch mehr Mitbestimmungsrechte - als wettbewerbsschädlich und damit arbeitsplatzgefährdend abzulehnen. Von den unmittelbar beteiligten Parteien und in den offiziellen Stellungnahmen der Gewerkschaften wird der ideologisch aufgeladene Begriff der Wettbewerbsfähigkeit nicht nur nicht in Frage gestellt, sondern auch nicht auf seine Plausibilität hinterfragt. Im Gegenteil: Mehr Betriebsräte und mehr Mitbestimmung wird den Arbeitgebern als wettbewerbsförderlich angedient. So erklärte der Leiter der Arbeitsgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion zur Reform des BetrVG, Klaus Brandner: "Deshalb verspreche ich heute schon, sollte sich herausstellen, dass ein neues BetrVG nicht zu mehr Produktivität und zu einer Verbesserung der Arbeitsabläufe führt, werden wir das Gesetz wieder ändern" (Handelsblatt vom 22.9.2000).

Die Propagierung von Betriebsrat und Mitbestimmung als betriebswirtschaftlichen Wettbewerbsfaktor ist der notwendigen Mobilisierung von Betriebsräten und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten wenig förderlich. Haben sie doch in den zurückliegenden Jahren erfahren müssen, dass alles, was für Arbeitnehmer nachteilig gewesen ist, Arbeitsplatzvernichtung, Lohndumping, steigende Arbeitshetze und Ausbeutung, Outsourcing mit der arbeitsplatzerhaltenden und -schaffenden Wettbewerbsfähigkeit begründet und gerechtfertigt wurde.

Die Begründung der Existenz von Betriebsräten und Mitbestimmung mit steigender Produktivität überzeugt auch die Arbeitgeber nicht. Für die Schleckers und Mc Donalds ist es nicht plausibel, dass die Existenz eines funktionierenden Betriebsrats, die der Umsetzung der Personalkosten minimierenden und Profit maximierenden Interessen Grenzen setzt, die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber einem Betrieb ohne Betriebsrat erhöhen soll. Selbst wenn sie aus Unternehmersicht das Glück hätten, einen Betriebsrat zu bekommen, der als Co-Manager auf seine Mitbestimmungsrechte z. B. bei der Anordnung von Oberstunden verzichten würde, könnte dieser irgendwann auf die Idee kommen, dafür Gegenleistungen zu fordern.

Um die Anzahl der betriebsratslosen Betriebe zu verringern und die Mitbestimmung durch ein novelliertes BetrVG zu erweitern, bedarf es einer offensiven Vertretung der DGB-Forderungen. Jeder vorzeitige Verzicht wird das neue Recht nicht verbessern, sondern die Positionen der Arbeitgeber stärken. Das Gleiche gilt für den Verzicht auf Thematisierung der gegensätzlichen Interessen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern. Die erforderlichen politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des BetrVG werden zunehmend durch den enger werdenden Zeitrahmen nach dem Plan des Bundesarbeitsministers in Frage gestellt.

Die mittlerweile vorliegenden Konzepte anderer politischer Parteien und Gruppierungen wie der PDS und der CDA bieten eine Fülle von Ansätzen, die gewerkschaftlichen Forderungen teils in modifizierter Form zu stützen. So sieht der PDS-Antrag (Bundestagsdrucksache 14/4071 vom 12.9.2000) die gesetzliche Normierung von Betriebsräten vor mit dem Ziel, dass kein Unternehmen Vorteile aus der Nichtexistenz eines Betriebsrates ziehen kann. Danach wäre die Behinderung einer Betriebsratswahl stärker zu sanktionieren.

Das vom BMA vorgelegte Eckpunktepapier ignoriert wesentliche gewerkschaftliche Forderungen nach Ausweitung der Mitbestimmungsrechte. Nahezu alle gewerkschaftlichen Forderungen, die die Arbeitgeber-

Arbeitnehmerbeziehungen nachhaltig zugunsten der Arbeitnehmer verändern könnten, werden ausgespart. Die im BMA-Papier eingangs vorgenommene Zielbeschreibung "einer modernen und flexiblen Betriebsverfassung" (was heißt das?), "die in der Lage ist

ist in den ersten beiden Punkten diffus und mehrdeutig: Ist es doch gerade die bestehende Wirklichkeit, die durch eine Reform nicht eingefangen, d. h. bestätigt werden soll, sondern zugunsten von stärkeren Einflussmöglichkeiten der Betriebsräte zu verhindern ist. Wer soll welche Spielräume und Perspektiven für die Zukunft bekommen? Einzig die Zielbeschreibung über das Stoppen der Erosion lässt die Hoffnung zu, dass der Anteil betriebsratsloser Betriebe nicht größer und die Praxis, Mitbestimmungsrechte zu unterlaufen, verändert wer den soll. Auf die gewerkschaftlichen Forderungen, die Betriebsräte gegenüber den Arbeitgebern angesichts zunehmender Regelungszuständigkeit z. B. durch tarifvertragliche Öffnungsklauseln durch Verzicht auf gesetzliche Gebote zur "vertrauensvollen Zusammenarbeit" und "Wahrung des Betriebsfriedens" konfliktfähiger zu machen, wird - obgleich wichtiger Eckpunkt - nicht eingegangen. Unbehandelt bleibt auch die vom Koalitionspartner Bündnis 90/Grüne betriebene Aushöhlung des Tarifvertragsgesetzes durch eine andere Definition des Günstigkeitsprinzips. Entgegen dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (Burda-Urteil), das einen Vergleich zwischen untertariflicher Bezahlung und sicherem Arbeitsplatz und tariflicher Bezahlung und unsicherem Arbeitsplatz ausdrücklich ablehnt, wird mit der früheren FDP-Argumentation vom "mündigen Bürger" der normative Charakter des Tarifvertrags in Frage gestellt. Im Eckpunkt 1 des BMA wird die Aushöhlung des Arbeitskampfrechts zumindest in Kauf genommen, indem nicht mehr der Arbeitskampf die "ultima ratio" geeigneter tarifvertraglicher Lösungen ist, sondern die Betriebsvereinbarung.

Es besteht gewerkschaftlicherseits Übereinstimmung, dass trotz einiger Schwachstellen der einstimmig vom DGB-Bundesvorstand beschlossene Gesetzentwurf Maßstab für die Bewertung der Novellierung des BetrVG ist. Die nachfolgenden Gegenüberstellungen und Bewertungen der BMA-Eckpunkte mit den DGB-Forderungen geben einen ersten Überblick über mögliche Inhalte eines zu erwartenden Referentenentwurfs. Der Bundesarbeitsminister bzw. sein Staatssekretär betonen, dass sich auch die Arbeitgeber in einem solchen Regierungsentwurf mit ihren Forderungen wiederfinden werden. Dies lässt befürchten, dass der zu erwartende Referentenentwurf neben der marginalen Berücksichtigung gewerkschaftlicher Forderungen auch kompensatorische Arbeitgeberforderungen zur Verwässerung der Position der Betriebsräte und ihrer Mitbestimmungsrechte beinhalten wird.

Gegen eine solche Entwicklung wird eine Unterstützung des BMA gegen die taktischen Attacken der Arbeitgeber nicht ausreichen, sondern es bedarf zusätzlich des gewerkschaftlichen Drucks auf die Bundesregierung zur Durchsetzung unserer Forderungen und zur Abwehr von Forderungen der Arbeitgeber und des Koalitionspartners, deren Realisierung die Mitbestimmungsrechte und den normativen Charakter des Tarifvertrags aushöhlen würde.

Seit Konstituierung der Bundesregierung vor zwei Jahren verspricht der BMA mit teils bestimmten und teils unbestimmten terminlichen Angaben die Vorlage eines Gesetzentwurfs. Nach letztem Sand soll Ende November ein Referentenentwurf vorgelegt werden. Alle Terminangaben enthalten die Absichtserklärung, dass bis zur Sommerpause 2001 das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sein soll, damit die Betriebsratswahlen 2002 nach neuem Recht stattfinden können. Es muss gewerkschaftlicherseits überlegt werden, ob dies nach heutigem Erkenntnisstand erstrebenswert ist. Wem nutzt die äußerst kurze Frist für die politischen Auseinandersetzungen? Können die Betriebsratswahlen nicht auch außerhalb allgemeiner Wahltermine ihre ggf. positive Wirkung entfalten? Das vom 7.9.2000 datierte Eckpunktepapier des BMA vermittelt nicht die Erwartung, dass ein Referenten- bzw. nachfolgender Regierungsentwurf in einer nur kurzen politischen/parlamentarischen Beratungszeit zu befriedigenden Ergebnissen führt. Dagegen könnte der näherrückende Bundestagswahltermin nach Bedienung der Reichen und Superreichen durch die Steuerreform, dem zur Zeit noch nicht unter Dach und Fach gebrachten "Rentenklau", die Hemmungen, Betriebsräte und Gewerkschaften durch eine verwässerte Mitbestimmung zu verprellen, steigern.


Home
LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace
Datei:
Datum: