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Rechtssicherheit für Wirtschaft - aber Rechtlosigkeit für die Opfer

Was ist Rechtssicherheit? Sicherheit vor dem Recht? Oder Sicherheit des Rechtes? Wie aus Washington gemel det wurde, sind deutsche Unternehmen nunmehr sicher vor ge richtlichen Nachstellungen in den USA. Das nennen sie Rechtssicherheit. Die Kläger, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, sollen kein Recht bekommen. Selbst jenen Opfern der NS-Zwangsarbeit, die leer ausgehen, wird das Klagerecht sogar dann verweigert, wenn die beklagte Firma nicht einmal einen Pfennig für die Entschädigung in den Stiftungsfonds der Wirtschaft eingezahlt hat. Rechtssicherheit für die deutsche Wirtschaft bedeutet schreiende Ungerechtigkeit für die Opfer.

Leider hat sich die US-Regierung darauf ein gelassen. Nachdem Präsident Clinton schon zu Weihnachten 1999 dem Bundeskanzler Schröder versichert hatte, er werde die Gerichte in den USA bitten, die Klagen der Zwangsarbeiter nicht zu behandeln, weil ein Prozess und ein Urteil gegen die deutsche Wirtschaft nicht im außenpolitischen Interesse der USA lägen, hatten die deutschen Konzerne und Banken keine Ruhe gegeben. Sie wollten nicht nur den Verzicht auf Klagen in den USA, sie wollten auch den juristischen Freispruch durch die US-Regierung. Der scheint nun gegeben zu sein.

In der Sache gibt es seit Dezember eigentich nichts Neues. Es wird keine Prozesse in den USA geben, und man will allenfalls zehn Milliarden für die Opfer aufwenden, halb und halb von Bund und Wirtschaft bezahlt, wobei der Wirtschaft noch 50% an Steuern erlassen werden. Doch eins ist neu: Von den zehn Milliarden werden jene, die nicht in den USA die Prozesse anstreben, die "Opfer aus dem Rest der Welt", weit weniger bekommen. Die US-Regierung hat ihrer Klientel mehr Geld zugesprochen, um die Zustimmung zur juristischen Abstinenz zu erleichtern - auf Kosten anderer Opfergruppen.

Und noch etwas ist neu: Grundsätzlich wird mit der Washingtoner Entscheidung der Schlussstrich gezogen. War noch vor 55 Jahren beim Nürnberger Kriegsverbrechertribunal das NS-Zwangsarbeitersystem zu den ganz schweren Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen gezählt worden - die schärfsten Verurteilungen der deutschen Banken und Industriellen kamen übrigens aus dem Munde der US-Prozessvertreter - so ist das deutsche Kapital nun wieder rein wie ein unschuldiges Kind, wenn man Lambsdorff und seinen Unterhändlern in Übersee glauben darf.

Um dies zu erreichen, hat sich eine deutsche SPD-Grüne-Regierung mit ihrem Druck auf das angeblich un abhängige Justizwesen ins Zeug gelegt wie schon seit Ade nauers Zeiten nicht mehr, als dieser jenem Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Auflösung drohte, der sich nicht beeilen wollte, die KPD zu verbieten. Nach der Drohung kam das Verbot. Und nach der Drohung gegen deutsche und amerikanische Richter und Politiker kam der Freispruch für die NS-Sklavenhalterwirtschaft und ihre Nachfolger.

Auch deutsche Gerichte sollen dem nun fol gen. Es sei daran erinnert, dass Minister Eichels ein Hamburer Gericht, das einen vernünftigen Vergleich mit einer polnischen Zwangsarbeiterin und dem Hamburger Senat vorschlug, zur Zurücknahme des Ergebnisses nötigte. Gleichzeitig hatte Minister Fischer durch seine Anwälte in den USA dafür gesorgt, dass ein Gericht eine Klage gegen die Degussa abwies, einer Firma, die nicht nur an Sklavenarbeit verdiente, sondern auch am Massenmord an Juden, Russen und Sinti und Roma mit tels Zyklon B, ferner an der Verwertung des Zahngoldes der Opfer. Fischer lies mitteilen, Degussa sei dazu von den Nazis gezwungen worden.

Wie geht es nun weiter? Werden die Unternehmen das Geld für die Stiftung zusammenbekommen? Sie müssen es! Wenn nicht, muss in Betrieben und Gemeinden weiterhin Druck gemacht werden. Für die Antifaschisten geht die Arbeit jetzt erst richtig los. Unsere Organisation, die VVN-BdA, und andere, so die IG Metall, haben ja noch Klagen vor deutschen Gerichten für die Zwangsarbeiter anhängig. Wir werden diese Klagen nicht rückgängig machen. Da soll die deutsche Justiz erst einmal zeigen, wie bei uns die Gewaltenteilung funktioniert. Vor allem ist unsere Organisation bestrebt, öffentliche Aufklärung über die NS-Wirtschaft zu betreiben.

Die Wirtschaft hat ihre Nazivergangenheit nie aufgearbeitet, nun müssen wir nachhelfen.

Und wir müssen eine weitere Frage klären, die der Entschädigung für die Hinterbliebenen. Unsere Kampagne "Gerechtigkeit für die Überlebenden der NS-Zwangsarbeit", die wir schon seit Mitte der achtziger Jahre verstärkt führen, sah immer die individuelle Lohnnachzahlung vor, wie sie auch das Europaparlament forderte. Mit Bildung der Stiftungsinitiative wurde zwar das Recht auf Lohnnachzahlung verweigert, aber die moralische Zuständigkeit der Wirtschaft für Zahlungen an alle, die im Februar 1999 bei Gründung der Stiftungsinitiative Ansprüche geltend machten, wurde anerkannt. Das kann aber nicht das letzte Wort sein. Spätestens ab 3. Oktober 1990, dem Tag der "Wiedervereinigung", der immer als Stichtag für die Regelung aller offenen Wiedergutmachungsfragen genannt wurde, muss rückwirkend gezahlt werden.

Ulrich Sander

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