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Harald Rein, Oktober 2000

Die "zweite Chance"

Der §119 SGB III und die Stellenmarktoffensive 2000 in Hessen

Frau L. aus Offenbach, seit 12 Monaten arbeitslos, war von ihrem zuständigen Arbeitsamt schon einiges gewöhnt. Ein existenzsichernder Arbeitsplatz konnte ihr bisher allerdings nicht vermittelt werden. Um so erstaunter war sie, als unverhofft ein Brief bei ihr eintraf. Unter dem "Betreff: Eigenbemühungen (§119 Abs. 1 Nr.1 und Abs. 5 SGB III) hier: Aufforderung zur Vorlage von Nachweisen über Eigenbemühungen", wurde sie aufgefordert, "alle Möglichkeiten zur Beendigung ihrer Beschäftigungslosigkeit zu nutzen und nutzen zu wollen". Ins Auge fällt sofort der dickgedruckte Hinweis auf die rückseitige Rechtsfolgebelehrung. Nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) III von 1998, das das alte Arbeitsförderungsgesetz abgelöst hat, ist nur derjenige arbeitslos, der alle Möglichkeiten nutzt, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Dazu gehört auch der Nachweis eines umfassenden Eigenbemühens. Werden aus der Sichtweise des Arbeitsamtes keine ausreichenden Eigenbemühungen unternommen, können bewilligte Leistungen zurückgefordert werden, bis hin zur Aufhebung der gesamten Leistung.

Zurecht fragt sich Frau L., die ihre bisherigen Bewerbungsabsagen in einem Ordner sammelt, was unter "ausreichenden Eigenbemühungen" zu verstehen ist. Das Schreiben des Arbeitsamtes Offenbach gibt darauf folgende Antwort:

1. Nutzung des Stellen-Informations-Service
2. gezielte Initiativbewerbungen und -vorsprachen bei Arbeitgebern, ggf. auch nach Stellenanzeigen in Zeitungen und
3. Nutzung eines Bewerbungszentrums der Stadt Offenbach,

alles Aktivitäten, die von Frau L. in den letzten zwölf Monaten wahrgenommen wurden.

Als vierten Punkt verweist das Arbeitsamt auf ergänzende Auflagen im Anhang des Briefes. Die sind u.a.:

Alle Bewerbungsvorgänge müssen gesammelt werden, Formblätter zum Nachweis über persönliche und schriftliche Bewerbungen liegen dem Brief bei. Das heißt, Frau L. muss sich bei einem persönlichen Bewerbungsgespräch vom Arbeitgeber X folgenden Text unterschreiben lassen: "Frau L. hat sich heute bei uns um eine Arbeitsstelle u.a. auch als Hilfskraft beworben. Das kostenlose Praktikum von 12 Wochen und den Arbeitgeberzuschuss von mindestens 12 Monaten/50% (d.h. für ein Jahr übernimmt das Arbeitsamt 50% der Lohnkosten, d.A.) bei Einstellung hat sie angeboten."

Da Frau L. das kostenlose Bewerbungszentrum ihres Wohnortes benutzen kann und die Möglichkeit besteht, ihre Bewerbungen in einem offenem Briefumschlag beim Arbeitsamt zur Versendung einzureichen (wobei ihr niemand die anfallenden Fahrtkosten ersetzt), erklärt das Arbeitsamt lapidar: "Aufwendungen für Eigenbemühungen und für die geforderten Nachweise können grundsätzlich nicht erstattet werden."

Am Ende des Briefes erwartet Frau L. nochmals der Hinweis auf Leistungsstreichungen: "Und vergessen Sie nicht, sollten Ihre Eigenbemühungen nicht ausreichend sein, sind die Leistungen sämtlichst an das Arbeitsamt zurückzuzahlen." Damit diesen Worten auch Taten folgen können, wird Frau L. drei Monate nach Empfang des Schreibens zu einem Arbeitsamtstermin gebeten, um "entsprechende Nachweise vorzulegen bzw. überprüfbare Angaben zu machen."

Frau L. ist nur ein Beispiel und Offenbach nur eine von vielen Städten in Hessen, die unter Federführung des Landesarbeitsamtes Hessen seit 1999 eine "Stellenmarktoffensive" gestartet haben. Dem voraus ging ein Jahr zuvor eine bundesweit einheitliche Änderung des Arbeitsförderungsrechtes. Brauchte vorher der Arbeitslose, um Arbeitslosengeld zu beanspruchen, nur der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen, so fordert zusätzlich der neue § 119 Abs. 1 Nr. 1 des SGB III, das der Arbeitslose "alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden".

Kritische Stimmen beanstandeten die Vagheit und Unbestimmtheit des § 119 und erhoben verfassungsrechtliche Bedenken. Als unzulässig bezeichneten sie insbesondere pauschalierende Bewerbungsanforderungen an Arbeitslose (siehe info also Heft 3/1997, S. 145 ff.), da implizit damit allen unterstellt wird, zu wenig Anstrengungen zu unternehmen, um die Arbeitslosigkeit zu beenden.

Genauer eingegangen werden soll im folgenden auf die im Rahmen der "Stellenmarktoffensive" 2000 eingeführte "Assistierte Arbeitsplatzsuche" und die "Zeitarbeitsvermittlung mit Trainingsmaßnahme". Beides sind entscheidende Maßnahmen, um dem selbstgesteckten Ziel des Landesarbeitsamtes, bis 2001 die Anzahl der Langzeitarbeitslosen in Hessen erheblich zu senken, nahe zu kommen.

Als der Frankfurter Arbeitsamtsdirektor auf einer Informationsveranstaltung im Frühjahr 2000 davon sprach, "die Daumenschraube anzuziehen", skizzierte er damit das zukünftige Verhältnis des Arbeitsamtes gegenüber den Erwerbslosen. Zu diesem Zeitpunkt wusste er bereits, daß nach zweijähriger Vorbereitung der § 119 in den einzelnen Arbeitsämtern konkret umgesetzt werden sollte.

Bereits 1998 legte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit seine Empfehlungen zur Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik vor. Ein Abschnitt befasst sich mit dem Thema: "Langzeitarbeitslosigkeit frühzeitig verhindern". Es gelte "potentiell Langzeitarbeitslose in einer frühen Phase bzw. schon beim Zugang zu identifizieren und zu versuchen, sie durch intensiven Einsatz aller verfügbaren Instrumente wieder in den ersten oder auch zweiten Arbeitsmarkt zu integrieren." Als wichtigstes und neues Instrument der Arbeitsmarktpolitik wird die generelle "Verpflichtung zu Arbeitsplatzangeboten für einen 'harten' Kern von Langzeitarbeitslosen" (IAB-Werkstattbericht Nr.10/1998) angesehen. Offensichtlich konnte sich der "harte Kern" der Langzeitarbeitslosen bis 1998 in aller Ruhe und Gelassenheit ausbreiten. Von Millionen fehlenden existenzsichernden Arbeitsplätzen, von Langzeitarbeitslosen, die trotz Weiterqualifizierung keine Arbeit fanden, weil sie für die Unternehmer zu alt, zu gebrechlich, zu wenig biegsam galten, oder diejenigen, die auf der Berücksichtigung ihrer Qualifikationen bestanden, ist nicht die Rede. Der Sprachjargon des Arbeitsamtes erinnert ein wenig an die Verfolgungshysterie gegenüber vermeintlichen Störern der öffentlichen Ordnung.. Bestimmte Gruppen von Arbeitslosen sollen frühzeitig erkannt bzw. genauestens identifiziert werden, um den daraus sich abzeichnenden harten Kern einer zielgenauen Behandlung zukommen zu lassen.

Mit diesem grob ausgefeilten inhaltlichen Gerüst wurden die einzelnen Landesarbeitsämter aufgefordert, konkret handhabbare Ausführungsbestimmungen zu erlassen.

Das hessische Landesarbeitsamt entwickelte hierbei außergewöhnliche Anstrengungen: besondere "Problemgruppen", wie z.B. jugendliche Arbeitslose, schwerbehinderte und ältere Arbeitslose werden herausgefiltert, einem Zwangstrainingsprogramm unterworfen oder den Unternehmen als Billigstarbeitskräfte ("Wer einen Schwerbehinderten einstellt, bekommt ihn in bestimmten Fällen sogar eine Zeit lang zum Nulltarif.", aus : Perspektive Heft 7/2000, S. 2) angepriesen.

Für jedes Arbeitsamt stellt sich die gleiche Frage: wie kann ich den Anteil der Langzeitarbeitslosen an der Gesamtzahl der Arbeitslosen verringern?

Drei Möglichkeiten bieten sich an:

  1. ich vermittle in einen existenzsichernden Arbeitsplatz,
  2. ich vermittle nachdrücklich auch mit Hilfe von Arbeitsamtssubventionen in einen Niedriglohnarbeitsplatz
  3. ich erreiche, dass der Arbeitslose seinen Leistungsanspruch verliert.

In allen Fällen kann von einer positiven Leistungsbilanz gesprochen werden. Statistisch gesehen sinkt die Quote der Langzeitarbeitslosen.

Was hat dies alles mit der angeführten "Stellenmarktoffensive" zu tun?

Meine These lautet, dass mit der "Assistierten Arbeitsplatzsuche" Möglichkeit c und mit der "Zeitarbeitsvermittlung mit Trainingsmaßnahme" Möglichkeit b und c anvisiert werden soll. Mangels nicht-vorhandener existenzsichernder Arbeitsplätze, wird, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, vermehrt die Zwangsvermittlung in niedrigentlohnte Tätigkeiten favorisiert und diejenigen, die sich solcherart von Armutsarbeit widersetzen, vom Leistungsbezug ausgegrenzt. Um deren Widerstand zu brechen, setzt das Arbeitsamt Zwangsmaßnahmen ein, denn wer tritt schon freiwillig eine schlechtbezahlte Hilfsarbeitertätigkeit an, die es weder ermöglicht, halbwegs normal zu leben, noch eine berufliche Perspektive bietet, geschweige denn eine erträgliche Basis für die spätere Rente darstellt. Beschäftigungsförderung und Zwang sind deshalb zwei Seiten derselben Medaille. Ähnlich wie in der "Missbrauchsdiskussion" gegenüber Arbeitslosen wird mit der restriktiven Anwendung des § 119 SGB III pauschal allen Arbeitslosen unterstellt, sie hätten bisher gar nichts oder zu wenig unternommen, um wieder in Arbeit zu gelangen. Von den zuständigen Institutionen wird so getan, als gäbe es genügend Arbeitsplätze, wobei die Rede nur von Jobs ist, ob sie zur Sicherung der Existenz beitragen spielt für keine Rolle.

Langzeitarbeitslose müssen zu ihrem "Glück" geführt werden. Sie "brauchen jemanden, der sie an die Hand nimmt..."(so ein Vertreter einer Zeitarbeitsfirma, laut "Frankfurter Rundschau" vom 02.09.2000)

Doch zurück zu Frau L. Ihr Umzug aus Offenbach in die Nachbarstadt Frankfurt am Main führte vom Regen in die Traufe. Nachdem sie bereits in Offenbach freiwillig, aber erfolglos, ein kostenloses Stellenangebot in der vom Landesarbeitsamt herausgegebenen Bewerberzeitschrift "Perspektive" geschaltet hatte, erhielt sie einige Monate später in Frankfurt am Main eine Einladung mit Rechtsfolgebelehrung zu einer Informationsveranstaltung zur Assistierten Arbeitsplatzsuche (ASAP), außerhalb des Arbeitsamtes, bei der Personalentwicklungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH (PEBG).

Mit solcherart Privatisierung der Arbeitsvermittlung stellt sich zurecht die Frage, welche Funktion das Arbeitsamt überhaupt noch hat? In zunehmenden Masse werden originäre Aufgaben an externe Institutionen abgegeben.

Die Aktivitäten der PEBG stehen im Zusammenhang mit der Auswertung der bisherigen Erfahrungen der Bewerberzeitschrift "Perspektive". U.a. wurde dort festgestellt, dass ein Großteil der Arbeitslosen, diese freiwillige Möglichkeit nicht wahrnahm, dass bei fast 36% der Stellengesuche keine Arbeitgeberresonanz erfolgte und in ca. 37% der Fälle die Bewerbung erfolglos blieb. Für das Landesarbeitsamt ein "Spiegelbild ... , das dezidiert Auskunft (gibt) ... über den Grad der Marktfähigkeit und der Marktbereitschaft des Klientels..." (aus: Assistierte Arbeitsplatzsuche. Eine Begleitinitiative der hessischen Arbeitsämter zur Stellenmarktoffensive, 28.02.2000, S. 2). Über die Gründe, warum Arbeitslose nicht bundesweit inserieren wollten, schweigt sich der Bericht aus.

Nun erhalten diejenigen, die nicht an einer Informationsveranstaltung von "Perspektive" teilgenommen haben, die eine Anzeige aufgegeben haben, aber keine Reaktionen erhielten usw. eine "zweite Chance" ihre "Marktgängigkeit" (Originalton) zu testen. Sie werden unter Androhung einer Sperrzeit durch einen externen Partner (PEBG) der ASAP "zugeführt" (Originalton). Ohne zusätzliche Belastung der Arbeitsverwaltung soll mit Hilfe der PEBG bei den beteiligten Arbeitslosen der "Zwang zur Entscheidungsfindung" (Originalton) voran getrieben werden.

Mit der vorgeschalteten Informationsveranstaltung werden die beteiligten Arbeitslose in einem Teilnehmerpool zusammengefaßt und ein berufliches bzw. persönliches "Kompetenzprofil" erstellt. Wer dies nicht will kommt zur Meldung beim Arbeitsamt und hat mit Sanktionen zu rechnen. Durch die wöchentliche Neubesetzung freier Plätze ist ein hoher Auslastungsgrad gewährleistet.

ASAP beginnt mit einer zweiwöchigen "Präparationsphase" in den Räumen der PEBG. Zu Beginn der Vollzeitmaßnahme unterschreiben Teilnehmer und Coach eine schriftliche Vereinbarung über ihre Rechte und Pflichten. Das in diesem Zusammenhang nicht von einem gleichberechtigten Vertrag auszugehen ist, dürfte durch den Zwangscharakter der Maßnahme deutlich sein. Ablehnung oder Nichteilnahme kann sanktioniert werden.

Jeden Tag werden unter Aufsicht Bewerbungsmappen erstellt, die Nutzung des PC als Informationsquelle und Arbeitsmittel im Bewerbungsprozess geübt, Bewerbungsgespräche geprobt, Zeitungen und Zeitschriften nach Stellenanzeigen ausgewertet und Bewerbungen verschickt.

Danach setzt eine vierwöchige "ambulante Phase" ein, währenddessen der Arbeitslose mindestens einen fixen Einzelberatungstermin pro Woche wahrnehmen muß. Darüber hinaus muß der Arbeitslose seine Bewerbungsaktivitäten selbständig fortführen und diese auch dokumentieren. Mit dem zuständigen Coach wird eine "schriftliche Vereinbarung (Aktionsplan) geschlossen, welche Aktivitäten wann und wie durch den Teilnehmer wahrzunehmen sind" (Assistierte Arbeitsplatzsuche...., S. 13). Zudem finden noch verpflichtende und freiwillige Seminare oder Vortragsreihen statt (zum Thema Selbständigkeit, Stil- und Outfitberatung usw.)

Am Ende von ASAP erhält das Arbeitsamt einen Rückmeldebogen, u.a. mit einer persönlichen Einschätzung des Coaches. Teilnehmer, die trotz Einladung nicht in der "Präparationsphase" erscheinen oder während der sechswöchigen Maßnahme öfters unentschuldigt fehlen, werden dem zuständigen Arbeitsamt gemeldet.

Für sechs Wochen ASAP gibt es eine Bewerbungskostenpauschale von 100 DM. Auch nach Beendigung der Maßnahme können regelmäßige telefonische Nachfragen erfolgen.

Aus gut unterrichteten Kreisen war in Erfahrung zu bringen, dass die Gruppe der Akademiker aus dem Aktiv-Programm herausgenommen wurde, da diese in größerer Zahl die ersten ASAP-Gruppen mit Empörung ablehnten.

Der verschärfte assistierte Bewerbungszwang wird nur wenige in existenzsichernde, langfristige Arbeitsverhältnisse integrieren. Auch wenn ein systematisches Bewerbungstraining durchaus sinnvoll sein kann, besitzt der dahinter stehende Zwang eine gewisse Logik. Nach außen vermittelt er: endlich wird etwas getan, die bisherigen Bewerbungsbemühungen der Arbeitslosen waren ineffektiv (womit die Arbeitsplatzsuche nicht zu einer objektiven Frage wird, sondern subjektiv am mangelnden Bewerbungsinteresse scheitert) und nach innen verdeutlicht er die Generallinie der Rot/Grünen-Koalition gegenüber Arbeitslosen: Jede Arbeit ist besser als keine, Qualifikationen und Verdienst spielen zumindest für die Langzeitarbeitslosen keine Rolle mehr. Wer diese Generallinie nicht teilt, hat auch nichts im Leistungsbezug zu suchen.

Was am Ende zählt, ist nicht die Anzahl der Personen, die in existenzsichernde, langfristige Arbeit gebracht wurden, sondern die Senkung der Anzahl der LeistungsbezieherInnen bzw. die Höhe der eingesparten Budgetmittel.

Einen anderen Schwerpunkt des Landesarbeitsamtes bei der Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit stellt die Zeitarbeitsvermittlung mit vorgeschalteter Trainingsmaßnahme dar. Waren früher die Angebote von Zeitarbeitsfirmen mit niedrigen Tarifen und kurzfristigen Verträgen in der Arbeitsvermittlung verpönt und setzte selbst das alte Arbeitsförderungsrecht der "unterwertigen Beschäftigung" (AFG § 2) einen theoretischen Riegel vor, so spielt dies heute keine Rolle mehr. Nun wird der "Beschäftigungsmotor Zeitarbeit" (Perspektive Heft 9/2000) gepriesen und ein Grundsatzpapier zwischen der Bundesanstalt für Arbeit mit dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen wird zum Runderlass für alle Arbeitsämter erklärt. Demnach sind Verleiher wie jeder andere Arbeitgeber zu behandeln, d.h. deren Stellenangebote, mit Rechtsfolgebelehrung müssen bei der Vermittlungstätigkeit berücksichtigt werden, auch wenn sie keinen Tariflohn anbieten, sondern nur eine Mindestvergütung.

Tatsächlich ist es mittlerweile so, dass in vielen Arbeitsämtern Vermittlungen fast nur noch über Zeitarbeitsfirmen erfolgen. Diese Praxis versucht das Landesarbeitsamt Hessen auch bei der Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit zu nutzen.

Anders als bei der ASAP werden die Arbeitslosen zu einer zweiwöchigen Trainingsmaßnahme (auch hier ist ständiger Einstieg möglich) im Frankfurter Integrationszentrum (FRIZ), das dem Bildungswerk der hessischen Wirtschaft angegliedert ist, unter Androhung einer Sperrzeit bei Nichterscheinen, eingeladen. Während dieser zwei Wochen sollen die fittesten Teilnehmer ausgesucht werden, die willens und in der Lage sind, eine Tätigkeit in einem Zeitarbeitsunternehmen zu beginnen.

Die beteiligten Zeitarbeitsfirmen DEKRA, Manpower und Randstad erhalten bei Übernahme eines der ausgesuchten Arbeitslosen einen Eingliederungszuschuss in Höhe von 30% der Lohnkosten für sechs Monate, weitere Lohnsubventionen sind möglich. Ein unbefristeter Arbeitsvertrag wird vom Arbeitsamt verlangt (Ausnahmen sind natürlich möglich, z.B. muss eine Befristung mindestens doppelt so lang sein, wie die Dauer der Förderfinanzierung), ob die Tätigkeit wirklich existenzsichernd ist, den vorhandenen Qualifikationen entspricht und für den weitere beruflichen Lebensweg förderlich ist, ist unerheblich.

Eine bisher unklare Rolle spielen die gewerkschaftlichen VertreterInnen in den Verwaltungsausschüssen der Arbeitsämter. Sind sie unwissend? Tragen sie wissentlich diese Zwangsmaßnahmen gegen Arbeitslose mit?

Die "zweite Chance" zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit in Hessen entpuppt sich als glänzende Fassade, hinter der die Zwangsvermittlung in Niedriglohntätigkeiten und möglicher Leistungsausschluss stehen.

 

Artikel von Harald Rein, erscheint in der Doppelnummer 11/12-2000 von Sozialextra


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