letzte Änderung am 13. Oktober 2003

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Geht doch arbeiten!

Die Gesetzentwürfe für Einschnitte beim Arbeitslosengeld (Hartz III), zum Ersetzen der Arbeitslosenhilfe durch ein Arbeitslosengeld II/Sozialgeld für Arbeitsfähige (Hartz IV) und die neue Sozialhilfe gehen ihren parlamentarischen Gang. Wissend, was sie anrichten und ob der geringen Zustimmung im Land, schaart sich die Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion schutzsuchend um die Leitwölfe Schröder/Clement und tritt zusammen auf die wenigen Abweichler in der SPD-Fraktion ein. Verheerende Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse vieler Erwerbsloser und ihrer Familien sowie das dammbruchartige Zusammenstürzen bisher noch geltender Standards in der Arbeitswelt sind infolge des geringen Leistungsniveaus von Alg II/Sozialgeld und der hohen Zugangsbarrieren absehbar (und politisch gewollt).[1]

 

Die grosse Linie

Rot/Grün hat bei der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik kapituliert. Während die Arbeitsproduktivität immer weiter zunahm (z.B. 1991 - 2000 die der IndustriearbeiterInnen um 71 %), sinkt die Zahl der Erwerbstätigen immer mehr (allein in der Industrie der West-BRD von 1991 bis 2000 um 1,7 Millionen; auch von 2002 auf 2003 nahm die Zahl bundesdeutscher Erwerbstätiger um mehr als 500.000 ab). Kontinuierlich steigende Massenarbeitslosigkeit und sinkende Beiträge zu den Sozialsystemen sind aktueller Ausdruck davon, dass die Gesellschaft weder in der Lage noch willens ist, allen Menschen einen Platz mit existenzsicherndem Einkommen zu lassen. Gegen dieses Grundübel konnten mediengerechte ’Arbeitsmarktreformen’ (Mainzer Modell, private Vermittler/Vermittlungsgutscheine, mehr Leiharbeit, jährliche "Vermittlungsoffensiven", Reformen der Arbeitsämter …) niemals etwas ausrichten. Rot/Grüne Politik hat vielmehr den Boden bereitet, am Ende Erwerbslosen (& Beschäftigten!) die ganze Rechnung präsentieren zu können.

"Wir wollen nicht mehr für Arbeitslosigkeit bezahlen …"

… stellte Wolfgang Clement (SPD-Wirtschafts- und Arbeitsminister) fest. Anlass war die September-Debatte zu den Hartz-Gesetzen im Bundestag - und nie mochten wir ihm so glauben wie hier. Denn dieser Satz bringt auf den Punkt, was die neuen Arbeitsmarkt- und Sozialhilfegesetze bewirken sollen:

Quasi als ’Kollateralschaden’ wird die ’front-office’-Besatzung der zu "JobCentern" reformierten Arbeitsämter spüren, was es heißt, die neue bundesdeutsche Sozialpolitik praktizieren zu dürfen (Vielleicht werden sie auf diese Weise den FDP-Vorschlag, die Arbeitsämter ganz abzuschaffen, schätzen lernen; d. säzz.).

Massenarbeitslosigkeit vertuschen

Wer Arbeitslosen die Leistungen immer weiter zusammenstreichen will, muß etwas gegen deren öffentliche Wahrnehmung unternehmen. Daher stellt Rot/ Grün deren statistische Erfassung um auf eine stichprobenartige Befragung der Bevölkerung, die die Zahl der Arbeitslosen um ca. 750.000 verringern soll. Wenn diese Zahlen dann nicht mehr aus ’Nürnberg’, sondern nur vom statistischen Bundesamt kommen, ist auch das ein Beitrag, Massenarbeitslosigkeit gesellschaftlich zu ’bewältigen’.

Frühzeitig die häßlichen Instrumente zeigen

Am besten sind die Arbeitslosen, die erst gar keine werden, so wußte schon das Hartz-Papier. Daher setzen die gleichnamigen Reformen bereits bei denen an, die noch keinen Cent vom Arbeitsamt bekommen. Mit der seit 1.7.03 geltenden Auflage an Beschäftigte, sich unmittelbar nach Erhalt der Kündigung beim Amt zu melden, ist die Pflicht zur Teilnahme an Trainingsmaßnahmen, Profilings etc. verknüpft. Diese ’Frühbehandlung’ läuft derzeit zwar erst an, soll jedoch mit den in solchen Maßnahmen regelmäßig ablaufenden Teilnehmer-Demütigungen erst gar keinen ’Geschmack’ auf weiteren Kontakt mit dem Amt aufkommen lassen (so die Logik aktueller Reformer; bei Hartz hieß das: "den Nachschub für Nürnberg stoppen").

Rauskatapultieren

Wenn der gekündigte Beschäftigte dann wirklich ohne Arbeit dasteht, mithin vom Amt den Gegenwert jahrelanger Beitragszahlungen fordert, geht’s darum, diesen schnellst möglich loszuwerden.

Wie das immer erfolgreicher - auch ohne eine Zunahme zu besetzender Stellen! - geht, hat Rot/Grün dies Jahr demonstriert: Durch Hochschrauben der Anforderungen, die Arbeitslose erfüllen müssen, um im Leistungsbezug des Arbeitsamtes zu verbleiben. So müssen diese jetzt selbst nachweisen, dass sie bei Bewerbungen keinen Anlass zur Leistungssperre gegeben haben. Zu den neuen Anforderungen an Arbeitslose gehören auch verschiedene Tricks und Fallen (vgl. z.B. quer, April 2003, "Fallen der Arbeitsämter"), mittels derer es den Arbeitsämtern gelang, die Zahl der Sperrzeiten wegen "Ablehnung einer Beschäftigung" dramatisch in die Höhe zu treiben: von monatlich bundesweit ca. 4.000 bis zum Januar 2003 auf mittlerweile 16.249 im Juli 2003 (Angabe der Bundesanstalt für Arbeit [BA] vom 4.9.03).

Dieser Erfolg macht Rot/Grün offenbar Appetit auf mehr, denn zwei neue Sperrzeitgründe sollen geschaffen werden: wegen "unzureichender Eigenbemühungen" und unentschuldigtem Nichtreagieren auf die Aufforderung, sich bei Amt, Amtsarzt oder -psychologen zu melden. Letzteres "Meldeversäumnis" wurde bisher mit zwei- bis vierwöchiger "Säumnisstrafe" belegt, deren Zeit nicht zu den Sperrzeiten zählten. Das soll geändert werden.

Dann gäbe es zwei weitere Gründe, zuerst zeitlich begrenzt die Leistung zu verweigern und letztlich - nach zusammen 21 Wochen Sperrzeiten - die Leistung ganz zu streichen.

Zielzahlen sollen’s richten

Immer wieder für die "Beschäftigungsmisere" verantwortlich gemacht werden die Lohnnebenkosten, wozu auch die Beiträge zur Arbeitslosenvesicherung zählen. In dieser Logik ist die Senkung der Ausgaben der BA als Voraussetzung für geringere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erstes ’Kampfziel’ von BA-Chef Florian Gerster. Jetzt will sich die Bundsregierung noch ins Arbeitsförderungsrecht schreiben, dass sie das Handeln der BA über vorgegebene Zielzahlen steuern kann. Im Ergebnis soll diese Vorgabe - und nicht mehr die realexistierende Massenarbeitslosigkeit - über Art und Umfang der Ausgaben von Nürnberg entscheiden.

Wozu das führt, dürfen wir dies Jahr erleben: Die BA sollte - trotz absehbarem Anstieg der Arbeitslosigkeit! - mit einem zuschussfreien Haushalt auskommen. Sie setzte die sog. "aktive Arbeitsförderung" daher besonders ein, zuallererst die "teuersten Arbeitslosen" loszuwerden. Im Ergebnis standen im Jahr 2003 Bezieher von Arbeitslosenhilfe ohne Chance auf Förderung da, von den nicht leistungsbeziehenden Erwerbslosen ganz zu schweigen.

"Aussteuerungsbetrag" verbaut Alg II-Beziehenden den Zugang zu beruflcher Förderung

Bei Beibehaltung des Zieles "Senkung der Lohnnebenkosten" dürfen Arbeitslosengeld(Alg)beziehende auch zukünftig darauf setzen, weiter den Löwenanteil der (absehbar jedoch drastisch sinkenden) Mittel aus dem Topf für berufliche Bildung und Beschäftigungsförderung abgreifen zu können. Die BA bekommt mit "Hartz IV" sogar einen zusätzlichen Anreiz, die "aktive Arbeitsförderung" auf diese Gruppe zu konzentrieren. Sie soll dem Bund vierteljährlich einen "Aussteuerungsbetrag" für jeden Arbeitslosen zahlen, der im letzten Vierteljahr vom Alg ins Alg II gewechselt ist. Dieser soll das Zwölffache der durchschnittlichen Aufwendungen für eine Alg II-Bedarfsgemeinschaft betragen!

Damit will sich der Bund nicht nur einen erheblichen Teil der Kosten für Alg II und Sozialgeld aus der Versichertenkasse holen (bislang zahlte er die Arbeitslosenhilfe selbst, d.h. aus Steuermitteln), sondern wird immensen Druck auf die BA entfachen, zuallererst Alg-Beziehende auf dem Arbeitsmarkt unzubringen. Für Erwerbslose wird der Aussteuerungsbetrag bedeuten, die Erwartung beruflicher Förderung im Alg II-Bezug abhaken zu müssen. Ihnen bleibt einzig die knappe Zeit des Bezugs der Versicherungsleistung Alg, eine berufliche Förderung vom Arbeitsamt finanziert zu bekommen. Und der Bezug von Alg wird auf 12 Monate begrenzt; nur über 55jährige sollen bis zu 18 Monate bekommen, entsprechende Arbeitsjahre vorausgesetzt.

Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II

Bis zum Jahr 2002 stellte der Übergang vom Alg zur Arbeitslosenhilfe für viele Erwerbslose zwar eine Klippe dar (Bedürftigkeitsprüfung zu eigenem Einkommen und Vermögen sowie des Partners), die jedoch meist umschiffbar war. Vor das Arbeitslosengeld II baut die Bundesregierung jedoch dramatische Hürden. Denn das Alg II, Teil der neuen "Grundsicherung für Arbeitssuchende" (SGB II), soll als Fürsorgeleistung für den "Personenkreis der Langzeitarbeitslosen" gestrickt werden. Diese Personengruppe soll sich zuallererst selbst helfen, ehe staatliche Fürsorge eintritt.

Die Leistung soll nur gezahlt werden, wenn

(Wir bemühen uns, in der kommenden quer-Ausgabe näheres zu den ausländerrechtlichen Konsequenzen des Wegfalls der Alhi zu schreiben und verweisen auf die bei den Terminen angekündigten Fortbildungsangebote, d. Red.).

Weitere Bedingung für den Bezug von Alg II ist, dass im Front-office des zukünftigen Job-Centers keine Arbeit vermittelt werden kann, wobei an diese Arbeit keine Ansprüche zu stellen sein soll. Clement: "Jede Arbeit ist zumutbar" (zu ergänzen bliebe auch beim Alg II: "… solange sie nicht gegen Gesetze oder andere Bestimmungen verstößt", quer). Also auch 400-Euro-Jobs, selbständige Arbeit oder "im öffentlichen Interesse liegende zusätzliche Arbeiten" gegen Mehraufwandsentschädigung.

Diese Zugangsvoraussetzungen, vor allem die Abhängigkeit der Leistung von der harten Einkommens- und Vermögensüberprüfung bei Kindern und Eltern, wie auch der Zwang, vor Leistungsbezug Alterssicherungsvermögen bis auf geringe Freibeträge aufzubrauchen (200 Euro je Lebensjahr zzgl. des "Riester-Vermögens"), wird viele Erwerbslose dazu bringen, recht anspruchslos an Erwerbsarbeit zu werden (was heute keine Erfolgsgarantie ist, d. Säzz.).

Des weiteren eröffnet das Abgrenzungskriterium "Arbeitsfähigkeit" einen erprobtes Feld, Erwerbslose zwischen den Leistungssystemen zu "verschieben". Von Renten- und Krankenversicherungsträgern ist allzu bekannt, dass sie sich mittels ihrer medizinischen Abteilungen vieler Leistungsfälle mit der Diagnose "arbeitsfähig für drei Stunden täglich für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten, z.B. Tätigkeit als Pförtner", entledigen, ohne dass es für die Betroffenen auch nur irgendeine halbwegs realistische Perspektive auf dem Arbeitsmarkt gibt.

Zum Leistungsniveau der Grundsicherung

Leistungen für Lebensunterhalt und Unterkunft sieht die Grundsicherung vor. Eine nach Ost und West unterschiedene Regelleistung (mit Beträgen von 331 bzw. 345 Euro, die aus heutigen Regelsätzen der Sozialhilfe zzgl. einem 16%-Zuschlag für "Einmalige Leistungen" der Hilfe zum Lebensunterhalt [Sozialhilfe] entstanden ist). Für Angehörige bis Vollendung des 14. Lebensjahres sind 60%, ab dem 15. Lebensjahr 80% der Regelleistung vorgesehen. Schwangere, Alleinerziehende, Behinderte, krankheitsbedingt auf besonders kostenaufwändige Ernährung Angewiesene sollen ein Zuschlag erhalten. Doch alles, was der Sozialhilfe sehr ähnlich klingt, bedeutet doch Rückschritte auch gegenüber dieser. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen bringt in ihrem Foliensatz zum SGB II Beispiele zum monatlichen Einkommensverlust in Familien beim Wechsel von der Sozialhilfe zum Alg II:

Für abweichend von der Regelleistung auftretenden "unabweisbaren" Bedarf, der nicht aus dem Angesparten gedeckt werden kann, werden zusätzliche Leistungen nur darlehensweise bei sofortiger Rückzahlung durch 10%-Kürzung der Regelleistung erbracht. Wer also mit etwas erhöhtem Bedarf in den Alg II-Bezug geht, z.B. mit alter Wohnungsausstattung und entsprechend störanfälligen Haushaltsgeräten, wird schnell eine drastische Senkung des zum Leben verfügbaren Geldes erleiden.

Gleiches gilt für Haushalte mit Kindern. Der 16%-Aufschlag gegenüber der Regelleistung der Sozialhilfe liegt für Erwachsene schon am unteren Rand derjenigen durchschnittlichen Bedarfsgegenstände, die über die "Einmaligen Leistungen" der Sozialhilfe zu finanzieren sind. Das SGB II sieht für die Kinder jedoch bspsw. keine Leistungen für üblicherweise auftretende Kosten in der Schule vor - Pisa läßt grüssen. Da hilft es dann auch nichts, dass für "mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen" das neu gefaßte Sozialhilferecht (SGB XII, § 32) Leistungen vorsieht. Diese gibt’s dann nur nach Gang zum Sozialamt (eine Rot/Grüne Parole zur "Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe" lautet: "Alle Leistungen aus einer Hand"). Gleicher Gang ist übrigens auch erforderlich, um "Leistungen für

1. Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräte,

2. Erstausstattungen für Bekleidung einschließlich bei Schwangerschaft und Geburt,

3. besondere Aufwendungen anlässlich des Weihnachtsfestes"

zu erhalten. Wobei Kinderwagen und weitere ’säuglingsbedingte’ Anschaffung offenbar bereits mit dem 16%-Zuschlag abzudecken sein sollen.

Schon die Grundleistungen sprechen dem von Rot/Grün an die "Grundsicherung für Arbeitssuchende" gerichteten Anspruch, bedarfsdeckend zu sein, Hohn.

Die Sicherung der Unterkunft durch Übernahme der Mietkosten ist ein weiterer heikler Aspekt beim Alg II. Hier sollen die tatsächlichen Aufwendungen, soweit sie angemessen sind, erbracht werden. Nähere Bestimmungen zur Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten wie auch zu deren Pauschalierung werden den Ministerien für Wirtschaft und Arbeit im Einvernehmen mit denen für Finanzen und Gesundheit/Soziale Sicherung anheimgestellt. Hier halten sich Rot/Grün Spielraum für Regelungen offen, die jedem wirklichen Bedarfsdeckungsanspruch widersprechen. An anderer Stelle des Gesetzes (Vermögen, Einkommen) heißt es: "Für die Angemessenheit sind die Lebensumstände während des Bezugs der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende maßgeblich."

Diese Erläuterung sinngemäß auch bei der Wohnunterkunft des Fürsorgebeziehenden angewandt, zieht das Rot/Grüne Gesetz gleich mit Hessens Ministerpräsident Roland Koch, der seit Jahren die Unterbringung Sozialhilfebeziehender in Einfachunterkünften fordert.

Vermutlich wird Rot/Grün nicht sofort mit Inkrafttreten des neuen Rechts zur nurmehr anteiligen Übernahme üblicher Mietkosten übergehen, um die ’Selbsthilfekräfte’ Erwerbsloser zur Sicherung ihres Lebensunterhalts durch Arbeit zu wecken. Doch würde nicht die Möglichkeit zur Pauschalierung der Mietkosten im Wege der Rechtsverordnung existieren (und das ausdrücklich ohne weitere parlamentarische Kontrolle, denn auch dem Bundesrat wird an dieser Stelle seine Zustimmungspflicht genommen; § 27 SGB II), wenn davon auf keinen Fall Gebrauch gemacht werden sollte. Die Verdrängung Erwerbsloser in heruntergekommene Billigghettos könnte das nächste Instrument sein, dessen sich Rot/Grüne Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bedienen will, sollte der Ersatz der Arbeitslosenhilfe durch eine unter Sozialhilfestandards liegende ’Grundsicherung’ die Arbeitslosen immer noch nicht dazu bringen, sich ihren Lebensunterhalt endlich auf den fehlenden Arbeitsplätzen zu verdienen.

Vom Zwang zur gleichberechtigten Vereinbarung

Bliebe als weitere Klippe vor dem oder während des Bezugs von Alg II die von der Agentur für Arbeit "angebotene Eingliederungsvereinbarung" mit den darin festgelegten Pflichten über den Nachweis zu den Eigenbemühungen des Erwerbslosen. Da jede Art von Arbeit Alg II-Beziehenden zumutbar sein soll, werden hier erhebliche Anstrengungen Erwerbsloser erforderlich sein, sich nicht von völlig sachfremden, sinnlosen und überzogen Auflagen an den Nachweis von Eigenbemühungen um’s Alg II bringen zu lassen.

Die gesetzlichen Bestimmungen zu dieser ’Vereinbarung’ sind allein sprachlich ein Graus. Denn wie kann ernstlich zu Papier/Gesetz gebracht werden (hier SGB II), dass die Verweigerung einer "angebotenen Eingliederungsvereinbarung" (§ 31), in der "die Agentur für Arbeit mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung erforderlichen Leistungen … festlegen soll" (§ 15), zur 30prozentigen Leistungskürzung führt, bei Personen unter 25 Jahren die Einstellung der Hilfe bzw. Umstellung auf reine Sachleistungen oder Lebensmittelgutscheine bewirkt. Während die Bezeichnung "Vereinbarung" die Freiwilligkeit eines Abschlusses zwischen zwei Parteien suggeriert, bedeutet die Möglichkeit der Leistungskürzung bis hin zum Entzug, dass der Rot/Grün dominierte Gesetzgeber einen mit Sanktionen ausgestatteten Zwang gegen Erwerbslose ausüben will, auf dass sich diese selbst einem Rechtsgeschäft allein zu ihren Lasten unterwerfen. Und genau dieses vom Erwerbslosen vor dem Hintergrund drohenden Leistungsentzugs unterzeichnete Rechtsgeschäft wird ihm zu nächster Gelegenheit vorgehalten, um ihm dann wirklich die Leistung zu entziehen: "Sehen Sie hier, in dieser von Ihnen selbst unterzeichneten Eingliederungsvereinbarung wurden Verabredungen zu erforderlichen Eigenbemühung getroffen, die Sie nicht eingehalten haben. Daher werden jetzt für drei Monate die Leistung gekürzt."

Uwe Berlit, Richter am Bundesverwaltungsgericht, sieht damit Normen des Grundgesetzes verletzt und fordert, diese Selbstunterwerfungsregelung zu streichen (info also, 5/2003, auch zu finden unter www.arbeitnehmerkammer.de).

Schluss

Auch an den Bestimmungen zur ’Eingliederungsvereinbarung’ ist abzulesen, dass mit dem SGB II Erwerbslose nurmehr Objekt politischen und verwaltungsmäßigen Handelns werden sollen. Das Postulat zur Förderung von Selbsthilfe seitens Rot/Grün ist gänzlich unglaubwürdig und geht angesichts der ökonomischen Wirklichkeit ins Leere. Die "Grundsicherung für Arbeitssuchende" ist vielmehr dahingehend gestaltet, durch Zugangsbarrieren, Verfahrenszumutungen und Armseeligkeit der Leistungsgewährung auf anderweitige Einkommensquellen zu verweisen. Diesbezüglich trifft diese Grundsicherung den Grundkonsens von Grün/Rot/CDU/CSU. Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Neuausrichtung der Sozialleistungssysteme ist es für Erwrbslose und Beschäftigte überfällig, demgegenüber wirksame Strategien und Forderungen zu entwickeln. Das fängt dabei an, solidarische Selbsthilfe gegenüber

Anderenfalls wird bald zu Recht gesagt werden dürfen: USA ist überall.

 

Guido Grüner in quer, Zeitschrift für Erwerbslose, Oktober 2003

 

Anmerkung 1: Der Artikel bezieht sich auf den Gesetzgebungsstand Ende September 2003, kann und will aber nicht auf die alle Probleme der neuen Sozialgesetze eingehen. Schwerpunkt liegt bei den Gesetzen Hartz III und IV. Einiges habe ich bereits in der August-Ausgabe der quer auf den Seiten 3 bis 7 angesprochen, was ich hier nicht wiederhole (z.B. Front- und Back-office, Nebeneinkommen, Sanktionen). Auch verarbeitete der August-Artikel einige aus der Zeit vor der Gesetzgebung bei Rot/Grün zirkulierende Unterlagen, in denen weitergehende Kürzungsabsichten formuliert wurden (z.B. bei den Regelleistung für Kinder unter sieben Jahren). In diesem Artikel versuche ich mich an die Angaben der aktuellen Gesetzentwürfe zu halten.

Anmerkung 2: Die derzeit in Medien verbreiteten Meldungen, wonach SPD-fraktionsinterne Kritiker des Alg II mit einzelnen Abmilderungen zur Zustimmung gewonnen werden sollen, z.B. höhere Freibeträge für die Alterssicherung oder abgeschwächter Zugriff auf das Vermögen von Eltern oder Kindern der Erwerbslosen vor Alg II-Bezug, sind hier nicht berücksichtigt, da völlig offen ist, was von solchen zwischen den "Genossen" vielleicht ausgehandelten Zugeständnissen nach Passieren des Bundesrates übrig bleiben würde. Im übrigen würde ich solchen Zugeständnissen, sollten sie wirklich Gesetz werden, keinen langen Bestand zutrauen. Zu drastisch hat Rot/Grün erst in diesem Jahr die Vermögensfreibeträge bei der Alhi von heute auf morgen zusammengestrichen und damit zehntausende Erwerbslose aus der Leistung gedrängt. An moralischen Skrupeln seitens Rot/Grün sollten Härten im Gesetz nicht scheitern.

Verfahrensüberblick

Den Umbau der Leistungsgesetze für Einkommensarme und Erwerbslose will Rot/Grün mit vier Gesetzen vornehmen:

I.Verminderung von Arbeitslosengeldbezugsdauer und Kündigungsschutz ("Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt", Bundestagsdrucksache 15/1204)

II.Umbau der Arbeitsämter und Einschnitte in die Arbeitslosenversicherungsleistungen (’Hartz III’, Bt.Drs. 15/1515)

III.Ersetzen der Arbeitslosenhilfe durch ein Alg II, das treffender Sozialhilfe II heißen sollte (’Hartz IV’, Bt.Drs. 15/1516)

IV.Verschlechterung der Sozialhilfe zum "12. Sozialgesetzbuch, Sozialhilfe" (Bt.Drs. 15/1514)

Der Gang des Gesetzgebungsprozesses ist noch an einigen Punkten offen. Fest steht: Das "Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt" wurde am 26.9.03 im Bundestag (BuTag) verabschiedet und kann ohne Bunderatszustimmung Gesetz werden. Das ’Hartz-III-Gesetz’ wurde am 26.9. im BuTag erstmals beraten, soll dort am 17.10. verabschiedet werden und bedarf nicht der Bestätigung durch den Bundesrat.

Auch das ’Hartz-IV-Gesetz’ soll am 17.10. grünes Licht vom BuTa erhalten und am 7.11. in den Bundesrat gehen. Dort ist es, genau wie das SGB XII, zustimmungspflichtig. Beide Gesetze sollen ab dem 1.7.04 ihre volle Kraft entfalten. Ob dieser Zeitpunkt eingehalten wird, ist wohl noch offen. Die Frage ist, wie lange der Vermittlungsprozess zwischen Bundestag und -rat dauert. Im Bundesrat stellt die Bundestagsoppostiion die Mehrheit. Rot/Grün will im Zuge der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und dem Umbau der Sozialhilfe die Arbeitsämter zu den Fürsorgeämtern machen, die unionsregierten Länder hingegen die "Langzeitarbeitslosen" mit Alg II den kommunalen Sozialämter unterstellen. Ob das nur ein Scheingefecht ist (wer straft die Arbeitslosen am brutalsten?) oder wirklich zu einem (zeitaufwändigen) politischen Konflikt wird, der den Terminplan kippt, wird uns gezeigt werden. Immerhin spielt hier die (nicht nur Gemeinde-)Finanzreform gewichtig mit. Und wo’s um’s Geld geht…

Hinweis für ’Leseratten’:

Unterlagen aus dem Gesetzgebungsverfahren, dazu Darstellungen und Bewertungen sind zu finden bei der Arbeitnehmerkammer Bremen und dort meist im pdf-Format herunterzuladen. Adresse: http://www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/seiten/1_politik_arbeitsmarktreform.htm

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