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Vorwort

Noch vor wenigen Jahren war es ein Allgemeinplatz, dass "der Sozialstaat abgebaut" wird. Kritiker, die dagegen einwandten, zwar würden Sozialleistungen erheblich eingeschränkt, aber das staatliche Netz sozialer Kontrolle und Repression würde eher noch ausgebaut, fanden wenig Verständnis. Ebenso hartnäckig fand und findet die Einforderung des "Rechts auf Arbeit" eine breite Resonanz, ohne die Kehrseite dieser gut gemeinten Forderung zu bedenken, nämlich die "Pflicht zur Arbeit". Noch immer ist es eine kleine oppositionelle Minderheit, die den Irrtum kritisiert, mit der Forderung nach Arbeit sich den massiven Druck auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen vom Halse halten zu können. Mit den Worten von André Gorz: "Jede Massenkundgebung, jedes Plakat, die proklamieren ,Wir wollen Arbeit’, verkünden zugleich den Sieg des Kapitals über eine Menschheit von unterworfenen Arbeitnehmern, die keine mehr sind, jedoch auch nichts anderes zu sein vermögen".

Nicht der "Abbau", sondern der "Umbau" des Sozialstaates ist mächtig vorangeschritten. Im "aktivierenden Staat" der neuen Sozialdemokratie gehen Neoliberalismus und repressiv-autoritärer Staat eine unheilige Allianz ein. Unter dem Vorzeichen einer immer breiter akzeptierten Arbeits-Pflicht verwirklicht sich die soziale Fantasie von PlanerInnen und PolitikerInnen in einer Vielzahl von Modellen, in denen das weitgefächerte sozialstaatliche Netz noch mehr ausgedehnt, die Maschen darin aber enger gezogen werden. Diese Modelle erproben auf diese oder jene Weise unterschiedliche Mechanismen, Arbeitszwang auszuüben, und zwar weder als bloß "stummer Zwang" der ökonomischen Verhältnisse noch als direkte Zwangsarbeit. Es sind zunächst sogenannte Problemgruppen, "Randgruppen", die man in den Schraubstock der fürsorglichen Repression zwängt. In ihrer Gesamtheit aber zielt dieser Arbeitszwang auf die allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz einer Arbeits-Pflicht um fast jeden Preis. Und jeden Tag wird dieser Preis weiter nach unten gesetzt. Wieweit dies Wirkungen auch in die sogenannten geschützten Beschäftigungsverhältnisse haben kann, zeigen die Debatten über einen staatlich kontrollierten und subventionierten Niedriglohnsektor.

Die reaktionäre Verwirklichung eines "Rechts auf Arbeit" durch Arbeitszwang und Gemeinschaft stiftende Pflichten ist ein Kernelement des sozialstaatlichen Umbauprogramms der Sozialdemokratie. An die Stelle einer Ideologie allgemeiner Deregulierung tritt ein gesellschaftspolitisches Konzept einer "Regulierung" all jener sozialen Verhältnisse, die eine jahrzehntelange Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik unter konservativ-liberalen Vorzeichen entweder bereits herbei geführt hat oder noch nicht durchzusetzen in der Lage war. Nicht die USA oder Britannien sind dabei Vorbilder, sondern die sozialdemokratischen Varianten des dänischen und vor allem niederländischen Modells. Gerhard Schröder hat dies als Bundeskanzler unmissverständlich erklärt: In den Niederlanden sei man so erfolgreich, weil man dort die vergangenen 16 Jahre genutzt habe, die es nun in der Bundesrepublik nachzuholen gelte – nachdem die Kohl-Regierung einen effektiven Umbau des Sozialstaates versäumt habe.

In verschiedenen Diskussionsbeiträgen haben wir in den letzten Jahren versucht, diese Entwicklung darzustellen, insbesondere in den Thesenpapieren zur "Globalisierung und moralischen Ökonomie des Sozialstaates" (1997) und "Gegen die Hierarchisierung des Elends" (1998). Diese Beiträge entstanden aus Diskussionen in einer Reihe von Veranstaltungen, die wir entweder selbst organisiert oder mitgestaltet haben. Ende 1999 haben wir in einer weiteren Veranstaltungsreihe in Hamburg die sozialstaatlichen Arbeitszwangmodelle erneut zum Thema gemacht, dieses Mal unter dem Vorzeichen der neuen parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse, der Politik von Rot-Grün auf Bundesebene, aber auch am Beispiel der Senatspolitik von Rot-Grün in Hamburg. Die Beiträge in dieser Dokumentation sind im Zusammenhang dieser Diskussion entstanden. Sie behandeln das Thema teils länderspezifisch (Niederlande, Dänemark, Bundesrepublik – hier auch speziell das Beispiel Hamburg), teils übergreifend in der Perspektive eines möglichen neuen Regulationsprojektes unter der Regie von "New Labour" und "Neuer Mitte".

Mit zwei Ausnahmen sind die Beiträge aus unserem Gruppenzusammenhang heraus entstanden, auch wenn sie nicht im Einzelnen so etwas wie eine "Gruppenposition" wiedergeben. Die erste Ausnahme betrifft den Artikel von Hans Boot über das niederländische Polder-Modell. Die zweite Ausnahme stellt das Referat "Die Entsorgung der sozialen Gerechtigkeit. Sozialabbau und soziale BürgerInnenrechte". Es handelt sich dabei um das Einleitungsreferat der VeranstalterInnen der Konferenz "Lichter der Großstadt. Konferenz für soziale BürgerInnenrechte in Hamburg". Wir haben diesen Text deswegen mit aufgenommen, weil er mit dem Begriff der "Sozialen Grundrechte" Elemente einer linken Sozialstaatskritik transportiert, die uns gerade angesichts einer verkürzten linken Debatte um "Sozialabbau" und "Umverteilung" wichtig erscheinen.

Gruppe Blauer Montag


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