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Lars Stubbe:

New Deal – mieser Tausch

Zur erneuten Durchsetzung von Arbeit unter New Labour

Wo Thatcher gescheitert ist, macht Tony Blair weiter: Neoliberalismus plus "aktivierender" Staat. Vor allem Jugendliche sollen vor Versorgungsmentalität und "Unmündigkeitsfalle" bewahrt werden. "Wohlfahrt durch Arbeit" heißt das Programm, Arbeitspflicht ist sein Inhalt.

Wenn wir hier auf dem Kontinent über die proletarischen Kämpfe (1) auf der Insel reden, dann erinnern wir uns gerne der etwas weiter zurückliegenden Vergangenheit. 

1) Begriffe wie "proletarisch", "Arbeiterklasse" etc. sind in diesem Text immer in ihrem analytischen Sinne zu verstehen, also als Begriffe, die alle Menschen die von Lohnarbeit leben müssen beinhalten, seien es nun Frauen, Kinder, MigrantInnen, oder andere nur in ihrer fetischisierten Existenzform wahrgenommene Personen.

Wir erinnern an die Kämpfe der 60er und 70er Jahre, die öfter das Land lahmzulegen schienen, und die auf ihrem Höhepunkt dazu führten, daß die inhaftierten Docker 1972 auf den Schultern ihrer GenossInnen aus dem Pentonville-Gefängnis befreit wurden. Schon die Erinnerung allerdings an den "Winter of Discontent", den "Winter der Unzufriedenheit", von 1979 hinterläßt bei vielen einen schalen Nachgeschmack. Die Kämpfe hatten zwar zur Absetzung der Labour-Regierung geführt, die bereits die offizielle Staatsideologie des Keynesianismus weitgehend aufgegeben hatte, jedoch setzte sich bei den nachfolgenden Wahlen" Margaret Thatcher durch, die "Eiserne Lady, die nicht nur die 18-jährige konservative Herrschaft begründete, sondern auch eine neue kulturelle Hegemonie, die recht bald auf den Namen "Thatcherismus" getauft wurde.

Mit Thatcherismus werden hier zu Lande meist die spektakulären Ereignisse um den einjährigen Bergarbeiterstreik 1984/85 und die anschließende Bedeutungslosigkeit der Gewerkschaften assoziiert. Wenngleich dies, neben dem imperialistischen Krieg um die Falkland-Inseln, auch die herausragenden Momente sind, wäre es doch ungenau, die Herrschaftsjahre Margaret Thatchers als einziges geschlossenes Durchmarschieren des Neoliberalismus, sowohl auf ökonomischer als auch auf ideologischer Ebene, zu werten.

An der konservativen Strategie werden in erster Linie der Monetarismus und der gesellschaftliche Populismus hervorgehoben. Dabei wird jedoch übersehen, dass der Ausgangspunkt einer monetaristischen Strategie in der Auflösung der Bretton-Woods-Vereinbarungen Anfang der 70er Jahre lag (2). 

2) Auflösung des Systems fester Wechselkurse und der Golddeckung des Dollars; Übergang zu international frei beweglichen Wechselkursen.

Erst nachdem der kreditfinanzierte Boom der Nachkriegszeit nicht mehr genug Rendite versprach, mußte das jetzt frei flotierende Kapital neue Bedingungen für seine Verwertung setzen.

Ebenfalls werden bestimmte Kontinuitäten proletarischer Mobilisierung übersehen, an denen auch die englischen Konservativen nicht vorbei konnten. Zwar kam es unter Thatcher zu einer enormen Erwerbslosigkeit, in erster Linie hervorgerufen durch massive Deindustrialisierung. Dies führte jedoch zunächst durchaus zu einem erheblichen Anstieg der Staatsausgaben, da der Anspruch auf Transferleistungen noch längst nicht getilgt war, weder faktisch noch im Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse.

 

Grenzen des Thatcherismus

Die durchgesetzten Produktivitätssteigerungen wurde auf der anderen Seite auch durch hohe Einkommensdeals erkauft (15,7% Reallohnzuwachs in den Jahren 1986–89). Auch sind zentrale Institutionen des "Sozialismus britischer Prägung", wie das kostenlose Gesundheitssystem (NHS), trotz zahlreicher Angriffe und schwer wiegender innerer Umstrukturierungen nicht abgeschafft worden.

Dennoch muss natürlich hervorgehoben werden, dass z.B. der Grad gewerkschaftlich vereinbarter Betriebsvereinbarungen heute bei unter 50% liegt und zentrale, gewerkschaftlich erkämpfte Rechte, wie etwa "closed shop" (3) und "secondary picketing" (4), beschnitten wurden. Nicht zuletzt durch die Auflösung der "wages councils" (1993) ist es zu einer enormen Lohnspreizung gekommen, so dass heute 20% der Vollzeitbeschäftigten weniger als zwei Drittel des Durchschnittslohns verdienen (5).

3) Bezeichnet die Politik der Durchsetzung 100%iger Organisierung in einem Betrieb.
4) Nach dieser Taktik wurden Streiks, die in besonders militanten Bereichen ausbrachen dadurch ausgeweitet, daß sich Streikposten vor noch nicht bestreikten Betreiben postierten und diese Streikpostenkette respektiert wurde; mithin eine relativ unvermittelte Form proletarischer Kommunikation.
5) Die "wages councils" waren sog. Lohnkommissionen, an denen auch die Gewerkschaften beteiligt waren; sie legten vor allem Mindestlöhne in tarifrechtlich nicht geregelten Niedriglohnbereichen fest.

Besonders hart betroffen von der zunehmenden Armut sind in erster Linie allein erziehende Mütter sowie Kinder. Die Zahl der in Armut lebender Kinder hat sich mehr als verdreifacht, von 10% (1979) auf 32% (1993/94) (Im selben Zeitraum stieg die Armut bei Erwachsenen von 9% auf 22%). Auch die Zahl der arbeitenden Kinder hat zugenommen (1997: 35% der 13–17-Jährigen).

Die seit Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre auf der Tagesordnung stehende Herstellung besserer Rentabilitätskriterien für das Kapital, ist den Konservativen alles in allem nur teilweise gelungen. Noch unter John Major war versucht worden, durch den Eintritt in den Europäischen Wechselkursmechanismus der Lohnentwicklung ein "außer-britisches" Korsett anzulegen. Gleichzeitig waren die sozialen Sicherungssysteme und Transferzahlungen spätestens seit Ende der 80er Jahre überwiegend durch "workfare"-Programme gekennzeichnet, Programme also, die den Arbeitszwang intensiv betonten. Die Akzeptanz dieser Programme war jedoch äußerst gering, eben wegen des Zwangs, der unzureichenden Fortbildungsanteile und der geringen Aussicht auf anschließende Beschäftigung.

Der Name New Labour ist eine Erfindung des damaligen Chefideologen der Partei, Peter Mandelson, eine Art britischer Bodo Hombach. Mit dem neuen Namen waren aber auch substantielle Veränderungen der Labour Party verbunden. So wurde der Blockstimmenanteil der Gewerkschaften auf 50% reduziert und durch individuelles Abstimmen von Gewerkschaftsmitgliedern erweitert. Der berühmte §4 des Parteienstatutes, der Nationalisierungen ermöglichte, wurde aufgegeben und der Anteil der gewerkschaftlichen Parteienfinanzierung sank (von 77% im Jahre 1986 auf 54% im Jahr1996).

Anders als bei den Erfolgen der Nachkriegszeit hatte New Labour kein kohärentes Reformprogramm, als sie 1996 an die Regierung kamen. Bei dem in Großbritannien herrschenden Mehrheitswahlrecht hatte Blair es vor allem darauf angelegt, die Stimmen der bürgerlichen Mitte zu erlangen. Deshalb machte er auch keine inhaltlichen Aussagen zu gewerkschaftlichen und ArbeitnehmerInnenrechten sowie zur Änderung der Regelungen für Erwerbslose. Gleichzeitig war das Versprechen, ohne zusätzliche Steuereinnahmen wenigstens rudimentäre sozialstaatliche Regelungen zu erhalten, für die Bindung dieser Wähler entscheidend.

In bezug auf die gewerkschaftlichen und Arbeitsrechte benennt das 1998 veröffentlichte Weißbuch der Labour-Regierung ("Fairness at work", Fairness am Arbeitsplatz) nur wenig Neues, darunter die notwendige Anerkennung der Gewerkschaften durch das Management bei einer positiven Abstimmung von mindestens 40% der Belegschaft, das Recht auf gewerkschaftliche Vertretung bei Anhörungen, gleiche Rechte von Teilzeitbeschäftigten und juristischen Schutz gegen ungerechtfertigte Entlassungen nach einem Jahr (vorher zwei Jahre). Absolut wie relativ sank die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder von 12 Millionen 1980 (d.h. 60% der abhängig Beschäftigten) auf 6,8 Millionen 1998 (30% der abhängig Beschäftigten).

Gravierender jedoch sind die von den Konservativen übernommenen Änderungen bei den Regelungen, die die Erwerbslosigkeit betreffen. In den 80er Jahren waren bereits die Abkoppelung der Transferleistungen vom vorigen Einkommen sowie die Zunahme von Leistungen, die an eine Bedürftigkeitsprüfung geknüpft sind, durchgesetzt worden. Spätestens seit Ende der 80er wurde die direkte Verknüpfung von Transferleistungen und Zwangsmaßnahmen etabliert. Kurz vor dem Regierungswechsel war dann die "Jobseeker's Allowance" (JSA, Beihilfe für Arbeitsuchende) mit zahlreichen Änderungen eingeführt worden:

Trotz Protesten von unabhängigen und gewerkschaftlichen Erwerbslosenzentren wurden diese Maßnahmen umgesetzt und auch von Labour nicht korrigiert.

Unter dem Titel "Welfare to work" werden die zentralen Programme der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik verkauft. Dabei werden rechtmäßig zustehende Transferleistungen an eine zu erbringende Eigenleistung geknüpft. Eine zentrale Rolle spielt hier in der Sprachordnung von New Labour die Formulierung von der "Abhängigkeitskultur" (dependency culture), die der lang anhaltende Bezug von Transferleistungen angeblich schaffen würde, und die es zu brechen gelte.

 

Wohlfahrt durch Arbeitspflicht

Aus den zusätzlichen Steuereinnahmen der privatisierten Versorgungsbetriebe wurden inzwischen 3,5 Mrd. Pfund (ca. 11 Mrd. DM) in das "New-Deal"-Programm umgeleitet. Es richtet sich hauptsächlich an die 18–24-Jährigen, die über sechs Monate erwerbslos sind. Ihnen wird eine intensive Betreuungsphase (gateway) mit einer maximalen Dauer von vier Monaten angeboten, in der sie sich für eine der folgenden vier Optionen entscheiden müssen:

Bei Ablehnung der Angebote kommt es erst zu Kürzungen der Arbeitslosenunterstützung (zwei Wochen, dann bei weiteren Weigerungen je vier Wochen), später zum vollständigen Ende des Leistungsbezuges. Zusätzlich gibt es noch den "New Deal" für Schwangere, allein Erziehende, Behinderte aber auch für die über 25-Jährigen. Bei all diesen Gruppen ist das Programm weniger streng an Sanktionen gekoppelt. Problematisch ist jedoch, insbesondere bei den allein Erziehenden, die Frage der Kinderbetreuung. Für den Ausbildungsanteil aller Programmteilnehmer sind pro Person 750 Pfund vorgesehen (die Vollzeitausbildung wird gezahlt).

 

Aktivierung non stop

Insgesamt sollen 250.000 Erwerbslose das Programm durchlaufen und im Anschluss "in Arbeit" sein. Alle Teile des Programms werden öffentlich ausgeschrieben, so dass sich Firmen, die in den betreffenden Feldern arbeiten, um die Teilnahme an diesem Programm bewerben können. Die Ausbildung soll an englandweit verbindliche Standards, den "National Vocational Qualifications" (NVQs), orientiert sein, die zukünftige Beschäftigung soll sozialversicherungspflichtig, an steuerfähige Vollzeitjobs angelehnt sein, und gewerkschaftliche Organisierungsrechte müssen eingehalten werden.

Nachdem bei den Arbeitsprogrammen der Konservativen der Ausbildungsaspekt nur Makulatur war, und diese eine Ökonomie mit geringer formaler Qualifikation der Lohnabhängigen stabilisierten, soll sich dieses nun dahingehend ändern, dass die kontinuierliche Weiterqualifikation integral zum gesellschaftlichen Alltag gehört. Der Erfolg dieser Maßnahmen ist jedoch zweifelhaft.

Vor allem seit 1981 das Industrial Training Board (6) aufgelöst wurde, gibt es bis heute keine zentrale Struktur mehr, über die die Ausbildung koordiniert wird. 

6) Nationale Ausbildungskommission mit gewerkschaftlicher Beteiligung

Um überhaupt wieder einen verbindlichen Standard in der Ausbildung zu haben, wurden die NVQs eingeführt, die allerdings auch nur ein geringes Qualifizierungsniveau bieten. Die heutigen "Training and Enterprise Councils" (TECs) als quasi-privatisierte Staatsbetriebe (vergleichbar den Anstalten Öffentlichen Rechts in der BRD) sind nicht mehr öffentlich kontrollierbar. Die kontinuierliche Verschlechterung der Ausbildungsstandards hat zusätzlich zu einem geringeren Angebot an qualifizierten Arbeitskräften geführt und somit die Schere auf dem Arbeitsmarkt weiter geöffnet.

Natürlich müssten zuallererst diejenigen, die den "New Deal" erleben, ihn auch bewerten. Von einer organisierten Bewegung gegen diese Arbeitsprogramme lässt sich jedoch nicht sprechen. Die gewerkschaftlichen Erwerbslosengruppen sind froh, überhaupt wieder politisch mitreden zu können, und die unabhängigen Gruppen sind gesamtgesellschaftlich zu schwach.

Auch die rohen Daten des Programmes verheissen nur mäßiges: Einerseits gibt es ein Ungleichgewicht in der finanziellen Verteilung des Programms mit dem Hauptgewicht auf der Gruppe der 18–24-Jährigen. Sie profitieren aber im allgemeinen ohnehin mehr als andere Arbeitslosengruppen von einem Konjunkturaufschwung, wie er zu New Labours Amtsantritt zu verzeichnen war. Ein weiterer Punkt ist die gleichzeitige Festsetzung eines gesetzlichen Mindestlohnes auf 3,60 Pfund/Stunde (ca. 11-12DM DM ab 21 Jahren, jüngere erhalten weniger). Damit liegt der Mindestlohn noch unter den Empfehlungen der ehemaligen "wages councils" (3,85 Pfund), wären diese denn fortgeschrieben worden; ganz zu schweigen von den Löhnen, die von Kampagnengruppen (7) gefordert werden (4,60 Pfund).

7) Als bekannteste Gruppen sind hier das Low Pay Unit (Forschungs- und Kampagnengruppe gegen Niedriglohn) und das Unemployment Unit (Forschungs- und Kampagnengruppe gegen Erwerbslosigkeit) zu nennen. Beide finanzieren sich mehrheitlich über Stiftungszuwendungen.

Es ist extrem schwer, verlässliche Zahlen über Zugänge in das Programm und die weitere Zukunft der "Absolventen" zu bekommen. Das regierungsunabhängige Unemployment Unit verfügt wohl noch über die sichersten Daten. Danach sind bis November 1999 insgesamt 391.450 Menschen durch das Programm geschleust worden, von denen 180.000 eine Arbeit gefunden haben. Allerdings waren davon 45.000 nach 13 Wochen wieder erwerbslos. 40% aller Arbeitsaufnahmen haben nicht zu kontinuierlichen Beschäftigungsverhältnissen geführt, und von vielen AbbrecherInnen und "AbsolventInnen" ist unklar, wo sie überhaupt geblieben sind.

Ungeachtet möglicher Vorteile für die einzelnen Erwerbslosen, bekämpft das Programm die Erwerbslosigkeit nicht effektiv (was natürlich nicht überrascht). Die Reduzierung der Erwerbslosenzahlen muss eher auf den Konjunkturaufschwung zurückgeführt werden. Faktisch soll mit diesem Programm auch eher der Druck auf die Akzeptanz schlechter Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen aufrecht erhalten, sowie gleichzeitig der "caring touch" – besser: die fürsorgliche Belagerung – des sozialdemokratischen Neoliberalismus deutlich gemacht werden.

Lars Stubbe

Eine gekürzte Version dieses Beitrags ist erschienen in ak. analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 438, 11.5.2000


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