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aus:  ak 439 vom 08.06.2000
ak  -  analyse & kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis


Ohne Geld arbeitet es sich leichter

Rot-grün demontiert die Arbeitslosenhilfe

Während CDU/CSU und Unternehmerverbände seit einigen Jahren die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe fordern, spricht auch die rot-grüne Bundesregierung inzwischen von einer "verbesserten Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern" mit der Perspektive einer "Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe". Im Bund wie in den Ländern und quer durch alle politischen Lager sollen die "Ineffizienzen", die sich aus der Doppelzuständigkeit von Arbeitslosen- und Sozialhilfe für Langzeiterwerbslose ergeben, beseitigt werden. Die menschenwürdige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, auch für Langzeiterwerbslose, ist dabei allerdings nicht der Leitgedanke.

Ineffiziente Doppelstruktur, Verschiebebahnhof zwischen Arbeits- und Sozialamt, zwischen kommunalem und Bundeshaushalt, BürgerInnenferne, Ausschluss von SozialhilfeempfängerInnen aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik - das sind einige Stichworte, die gerne zitiert werden, um die Zusammenfassung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu begründen. (1) In der Sprache der Verwaltungsmodernisierung werden flexible und "passgenauere" Strukturen der Armutsverwaltung beschworen, die für den "Kunden" maßgeschneiderte "Hilfeangebote aus einer Hand" kreieren können.

Unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen, einschließlich der permanenten und von niemandem hinterfragten Sparvorgaben läuft eine solche Zusammenfassung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe faktisch auf die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe hinaus. Die Zusammenfassung beider Hilfearten auf dem Niveau der Arbeitslosenhilfe ist kaum mehr als eine theoretische Gedankenspielerei. Keine politische Kraft diskutiert das heute so. Alle bisherigen Diskussionsbeiträge von politischer Seite, egal ob CDU/CSU, SPD, Grüne oder Unternehmerverbände zielen auf eine Zusammenfassung auf dem Niveau der Sozialhilfe.

Die Arbeitslosenhilfe (AlHi) ist - trotz Bedürftigkeitsprüfung - in erster Linie eine Lohnersatzleistung, die sich - wie aufgeweicht auch immer - am letzten Erwerbseinkommen orientiert. 1996 lag die AlHi für 80% der Langzeiterwerbslosen in der Bundesrepublik über der Sozialhilfe, ca. 20% haben zusätzlich zur AlHi aufstockende Sozialhilfe beantragt. Auch wenn in der Zwischenzeit der Anteil derjenigen, die aufstockende Sozialhilfe beantragen müssen, gestiegen sein mag: Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe würde ganz unmittelbar zu massiven Einkommensverlusten bei den meisten Langzeiterwerbslosen führen.

Der Einkommensverlust geht sogar noch weiter: Im Unterschied zur Sozialhilfe werden nämlich z.Z. bei der Arbeitslosenhilfe bestimmte Einkommen von Haushaltsangehörigen wie Kindergeld, Wohngeld, BAföG oder die Arbeitslosenhilfe eines Partners bei der Bedürftigkeitsprüfung nicht angerechnet. Bei der Sozialhilfe wird hingegen jedes Einkommen bedarfsmindernd berücksichtigt. Eine Verschmelzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu Sozialhilfebedingungen wird das Einkommen von Langzeiterwerbslosen und ihren Familien also noch mal über die verschärfte Anrechnungspraxis schmälern.

Rigidere Anrechnungsvorschriften gibt es auch beim Vermögen. Bei AlHi-BezieherInnen ist ein Schonvermögen von 8.000 DM von der Bedürftigkeitsprüfung ausgenommen, bei der Sozialhilfe muss alles Vermögen bis zu einer Grenze von 2.500 DM zur Bestreitung des Lebensunterhalts eingesetzt werden. Ein Auto muss verkauft, eine Lebensversicherung aufgelöst werden.

Doch die gravierenden Leistungseinschränkungen, die eine Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau bedeuten würde, gehen weit über die direkten Einkommensverluste hinaus. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bedeutet nämlich auch, dass noch mehr Erwerbslosen ganz normale ArbeitnehmerInnenrechte vorenthalten werden. Noch mehr Menschen als bisher werden bei Strafe von Leistungskürzungen und -streichungen zu buchstäblich jeder Arbeit gezwungen. Sicherlich sind die Zumutbarkeitsregelungen bei der Arbeitslosenhilfe in den letzten Jahren ins Unerträgliche verschärft worden. Dennoch müssen ArbeitslosenhilfeempfängerInnen immer noch nicht jede Arbeit annehmen. Beschäftigungsverhältnisse mit Löhnen unter dem Betrag der Arbeitslosenhilfe können abgelehnt werden.

Im Unterschied dazu ist SozialhilfeempfängerInnen prinzipiell jede Arbeit zumutbar. In Hamburg gehen die Sozialämter dazu über, prinzipiell die Sozialhilfe nur noch in Teilen oder von vorneherein befristet auszuzahlen. Der pauschale Verweis auf die Arbeitsmarktsituation, nach der "innerhalb kürzester Zeit" jeder und jede zumindest einen schlecht bezahlten Aushilfsjob finden könne, reicht dabei als Begründung aus. Sozialhilfe wird so z.B. nur noch für einen Monat, als Unterstützung bei der "Arbeitssuche" gewährt. Danach ist "die eigene Arbeit einzusetzen", und wenn es sich um Zweit- und Drittjobs handelt.

Der deutsche Städtetag hat im letzten Jahr davor gewarnt, die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe führe dazu, dass Langzeiterwerbslose aus der Sozialversicherung entlassen werden. Der Städtetag - wahrlich nicht unbedingt ein Freund von Erwerbslosen - sprach hier von einem "sozialpolitischen Skandal". Im Gegensatz zu den Sozialhilfeträgern zahlt die Bundesanstalt für Arbeit nämlich bei der Arbeitslosenhilfe auf der Basis von 80% des Bemessungsentgeltes die Beiträge für Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Die Rentenversicherungsbeiträge sind in den jüngsten Riester-Eichel-Sparplänen der rot-grünen Bundesregierung zwar reduziert, aber nicht völlig abgeschafft worden. SozialhilfeempfängerInnen hingegen sind nicht rentenversichert. Und ein erheblicher Teil fällt auch immer noch aus der Krankenversicherung heraus. Die stigmatisierende Praxis der vom Sozialamt ausgestellten Behandlungsscheine ist immer noch bittere Realität.

Nicht zuletzt ist die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe auch ein Anschlag auf die Arbeitslosenversicherung als ganzes, wenn in Zukunft trotz jahrelanger Beitragszahlung das Risiko der Erwerbslosigkeit nur noch für ein Jahr (notdürftig) abgesichert sein soll. Die tendenziell eh schon vorhandene Spaltung in ArbeitslosengeldbezieherInnen als "Eliteerwerbslose" und Langzeiterwerbslose, die aus den Leistungen der Arbeitslosenversicherung herausfallen, wird noch zugespitzt. Zumal dann, wenn die Abschaffung der AlHi auch noch mit einer Reduzierung der Lohnnebenkosten, sprich der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung verbunden sein sollte.

Doch wenn man sich die Debattenbeiträge anschaut, so wird man den Eindruck nicht los, dass all diese Leistungseinschränkungen genau der eigentliche Sinn der Übung sind. "Zuckerbrot und Peitsche" lautet ein Spiegel-Artikel vom Januar diesen Jahres. Zitiert wird dort u.a. die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, Thea Dückert. Frau Dückert spricht von "Integrieren statt Ausmustern" und von "Brücken in den ersten Arbeitsmarkt". Mittel zum Zweck ist die Zusammenlegung von AlHi und Sozialhilfe mit dem Effekt, dass SozialhilfeempfängerInnen zwar an den Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik partizipieren sollen, andererseits aber AlHi-EmpfängerInnen mit verschärften Zumutbarkeitsregelungen und Bestrafungen bei "Leistungsverweigerung" zu rechnen haben: Integration, indem auch AlHi-BezieherInnen jede Arbeit annehmen müssen.

Daumenschrauben für Erwerbslose

Auch der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ernst Schwanhold sieht "Justierungsbedarf" und will staatliche Transferleistungen "stärker an der Mitwirkung der Betroffenen orientieren". Die Arbeitslosenhilfe soll "deutlich zurückgeführt werden" und dem Sozialhilfeniveau angenähert werden, damit "das Interesse an der Aufnahme einer Tätigkeit aufrecht erhalten" wird.

Letztlich geht es in der ganzen Diskussion darum, "die Anreize zur Arbeitsaufnahme" zu stärken, d.h. die Einkommen von Langzeiterwerbslosen so weit abzusenken und die Bezugsbedingungen so zu verschärfen, dass Langzeiterwerbslose gezwungen sind, jede Arbeit zu jedem Preis anzunehmen. Es ist auffällig, dass bei allem Gerede von "Aktivierung" und "Integration" niemals gesagt wird, um welche Arbeitsverhältnisse es dabei gehen soll, und es wird auch nicht gesagt, mit welchen Demütigungen und Entrechtungen diese "Integration" bereits in der jetzigen Praxis von Arbeits- und Sozialämtern verbunden ist. (2) Die unsägliche Formulierung, jede Arbeit sei besser als keine, schwingt in dieser Debatte ebenso mit wie die Bestrebungen nach einem Niedriglohnsektor. Um eines geht es allerdings mit Sicherheit nicht: um existenzsichernde Jobs mit vollen ArbeitnehmerInnenrechten.

Wie werden denn diese "Brücken in den ersten Arbeitsmarkt" aussehen? So wie die Hilfen zur Arbeit (HzA), die z.Z. von den Sozialhilfeträgern für SozialhilfeempfängerInnen angeboten werden und die mal jemand als "Mafia-Angebote" bezeichnet hat, weil sie nämlich nicht abgelehnt werden können? Bis heute gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass mit solchen Maßnahmen wirklich eine dauerhafte Integration in stabile, sozialversicherungspflichtige, tarifierte und existenzsichernde Arbeitsverhältnisse erreicht werden konnte. Detaillierte Verbleibestatistiken werden nicht veröffentlicht.

Vielmehr wird in der Praxis der Armutsverwaltungen die HzA als Arbeit zum Sozialhilfesatz organisiert. Das Recht auf Sozialhilfe wird an eine zu erbringende Gegenleistung geknüpft, ähnlich wie der CDU-Sozialpolitiker und ehemalige Berliner Sozialsenator Ulf Fink einmal sagte: "Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe müssen öffentlicher Lohn für öffentlich angebotene Arbeit werden". Eine solche Philosophie schlägt nicht nur jedem sozialen Grundrechtsgedanken ins Gesicht, selbst mit den verschärften Bedingungen des Sozialgesetzbuches III (SGB III) und des Bundessozialhilfegesetzes ist sie nicht vereinbar.

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe wäre gleich bedeutend mit einer Verdrängung von Langzeiterwerbslosen aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die von der Bundesanstalt für Arbeit auf der Grundlage von SGB III finanziert und organisiert wird. Sie ist gleichzeitig verbunden mit einer Kommunalisierung des Erwerbslosigkeitsproblems, wobei die Kommunen, die am stärksten mit struktureller Erwerbslosigkeit zu kämpfen haben, besonders hart getroffen wären. Wenn die Kommunen Langzeiterwerbslosen mehr als die bisherige HzA anbieten wollen, müssten sie in die aktive Arbeitsmarktpolitik einsteigen. Es ist schwer vorstellbar, wo die gebeutelten Kommunen die Mittel hernehmen sollten, um solche steuerfinanzierten Programme aufzulegen.

Wenn also über verbesserte Hilfsangebote für (Langzeit-)Erwerbslose diskutiert werden soll, dann aus der Perspektive, wie ihre menschenwürdige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gesichert werden kann und nicht aus der Perspektive einer effizienteren Armutsverwaltung, einer lückenloseren Kontrolle und einer perfektionierteren Arbeitsverpflichtung.

Keine Leistung ohne Gegenleistung

Die Frage ist zu allererst eine nach bedarfsgerechten und existenzsichernden Einkommen für Erwerbslose, nach Sicherung minimalster ArbeitnehmerInnenrechte für alle und nach sinnvollen und existenzsichernden Jobs. Nur vor diesem Hintergrund macht eine Diskussion darüber Sinn, wie SozialhilfeempfängerInnen z.B. in die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik integriert werden können (was prinzipiell sinnvoll ist), wie die Integration aller Langzeiterwerbslosen in die Sozialversicherungssysteme gestaltet werden kann (was prinzipiell sinnvoll ist), wie effizient und ohne Reibungsverluste Langzeiterwerbslose bei der Aufnahme sinnvoller und vernünftig entlohnter Arbeits- oder Ausbildungsplätze unterstützt werden können (was ebenfalls prinzipiell sinnvoll ist).

dk

Anmerkungen:

1) vgl. Helmuth Hartmann: "Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe", Hamburg 1999 und Susanne Hoffmann: "Hilfe durch Systemreform?", Bundesarbeitsblatt 5/2000. Beide AutorInnen stehen der SPD nahe. Hartmann war lange Leiter des Landessozialamtes Hamburg, ist nun im Beraterkreis der Bertelsmann-Stiftung und gilt als Chefideologie einer marktorientierten Verwaltungsmodernisierung

2) Die kommunale Praxis der "Hilfe zur Arbeit" wird am Beispiel Köln beschrieben bei Helga Spindler: "Hilfe zur Arbeit, Existenzsicherung und Arbeitnehmerrechte", info also 4/1999; für Hamburg vgl. Dirk Hauer: "Das Sozialamt als Profitcenter", Hamburg 1999 (über Sozialpolitische Opposition Hamburg, Nernstweg 32-34, 22765 Hamburg)

 


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