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aus:  ak 440 vom 6.7.2000
ak  -  analyse & kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis


Mit und ohne Arbeit: sichere Einkommen

Erwerbslose diskutieren über Arbeitszwang und Billig jobs

Erste Schritte zu einer breiten Kampagne "Gegen Arbeitszwang und Billigjobs - für ein existenzsicherndes Einkommen" unternahmen im Juni Erwerbslose und ungesichert Beschäftigte auf einer Arbeitstagung in Bielefeld. "Der Weg ist vorerst das Ziel", meinen die AutorInnen folgenden Artikels und verstehen das als realistische Beschreibung des Standes der derzeitigen Kämpfe Erwerbsloser um die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums.

Die Tagung in Bielefeld war das erste Produkt des im Januar dieses Jahres neu gegründeten "Runden Tisches der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen". Über 100 VertreterInnen kirchlicher, gewerkschaftlicher und unabhängiger Erwerbsloseninitiativen und -verbände trafen sich zu einem seit Jahren überfälligen Austausch. (1) Angesichts der Breite der vertretenen Spektren war die Tagung ein erster Erfolg des Runden Tisches. Die Forderung nach einem Mindesteinkommen, das vor Armut, Schikane und miesen Jobs schützt, erwies sich im Laufe der Tagung als verbindendes Element. Die Tagungsergebnisse sollen zu Handlungshilfen für eine Kampagne gegen Billigjobs zusammengefasst und verbreitet werden. (Bezug ab Herbst über: Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen, Marktstr. 10, 33602 Bielefeld, Tel. 0521/96784-0, Fax: -22).

"Runder Tisch und" Arbeitstagung sind im Grunde Spätfolgen eines politischen Misserfolgs. Als im Juni vergan genen Jahres gegen Armut, Ausgrenzung, Erwerbslosigkeit und Rassismus zum Kölner EU-Gegengipfel mobilisiert wurde, wurde das für die bundesdeutschen Erwerbslosenorganisationen zu ei nem glatten Fehlschlag. Das gilt für die Demo am 29.5.1999 und noch viel mehr für das anschließende "Europäische Erwerbslosenparlament". Dort sollten länderübergreifend Kämp fe gegen die vom EU-Ministerrat vertretene Politik zur Sen kung von Löhnen und Sozialleistungen diskutiert werden. Die bundesdeutschen Erwerbslosenzusammenhänge hingegen blieben jede abgestimmte Beteiligung am "Parlament" schuldig. Dies war nicht Schludrigkeit, sondern Ausdruck von Unorganisiertheit.

Mit der Verabredung regelmäßiger Treffen zwischen wesentlichen regionalen und bundesweiten Erwerbslosen- und Sozialhilfezusammenschlüssen soll dies zukünftig ausgeschlossen sein.

Die Treffen unter dem Titel "Runder Tisch" sollen angesichts rot-grüner Verarmungspolitik und nur vereinzelt agierender Gruppen organisierter Erwerbsloser politische Aktivitäten für eine breitere Mobilisierung entwickeln. Den Rahmen steckt dabei eine Arbeitsplattform, die in die Forderung nach "einer existenziellen Absicherung für alle durch ein Einkommen unabhängig von Nationalität, Geschlecht, Familien stand und ohne den Zwang zur Arbeit" mündet. Als erstes Projekt wurde die Entwicklung der Kampagne gegen Arbeitszwang und Billigjobs ins Auge gefasst. Damit sich Erwerbslose vom sozialdemokratisch "aktivierenden Staat" nicht überrollen lassen, und damit mit dem Wechsel zu rot-grün nicht auch noch die letzten von der ArbeiterInnenklasse er kämpften Standards für Leben und Arbeit fortgespült werden.

Das Projekt einer bundesweiten Kampagne Erwerbsloser stößt jedoch auf einige Schwierigkeiten. Erwerbslose führen Kämpfe um Einkommen alltäglich - sei es auf den Ämtern um Lohnersatz- und Sozialleistungen, sei es in den verschiedenen Jobs, sei es (vor allem) kommunal um die Finanzierung ihrer Zentren etc. Doch eine bundesweite Koordination solcher Kämpfe fehlt. Nur selten gibt es Austausch über Erfolge, Misserfolge, politische Strategien - und wenn, dann meist nur zwischen einzelnen Initiativen. Um in dieser Situation eine breite Kampagne entwickeln zu können, müssen die verstreuten Gruppen zuallererst an einen Tisch kommen. Dazu sollte die Arbeitskonferenz Gelegenheit geben. Und der Runde Tisch mit VertreterInnen bestehender Regionalkoordinationen soll die Kontinuität sicher stellen. Allerdings überwog die Einschätzung, dass der heutige Organisationsgrad Erwerbsloser nicht ausreicht für politisch wirksame zentrale Aktionen, daher wur de zunächst eine dezentrale Strategie anvisiert. Aktionen sollen örtlich umsetzbar, mobilisierend sein. Sie sollen so weit praktisch sein, dass auch punktuelle Erfolge möglich sind.

Aus der Pleite gelernt

Für die Tagung waren sechs Foren zu aktuellen politischen Auseinandersetzungen um Arbeit und Einkommen konzipiert, in deren Verlauf auch Eingriffsstrategien entwickelt werden sollten:

Das sechste Forum hatte die Aufgabe, die von verschiedenen Gruppen unterschiedlich begründeten Forderungen nach einem gesicherten Einkommen (z.B. "Existenzgeld", "Mindestlohn", "gesetzlicher Mindestlohn") darauf zu prüfen, ob in ihnen Gemeinsamkeiten zu finden sind, die als zukünftiger politisch-perspektivischer Minimalkonsens des Runden Tisches dienen könnten.

So unterschiedlich wie die Foren, so unterschiedlich waren die Ergebnisse. Zur Niedriglohnstrategie und Kombi-Lohn-Modellversuchen gab zuerst ein umfassendes Informationsbedürfnis, so dass Gegenstrategien nicht diskutiert wurden. Klar war, dass der angeblich erst zu schaffende Niedriglohnsektor nicht mehr als eine Mogelpackung ist. Aus Sicht der Erwerbslosen stellen stattdessen ein vernünftig gestalteter öffentlicher Beschäftigungssektor und ein existenzsichern des Mindesteinkommen die einzig sinnvollen Perspektiven dar.

In der Diskussion über die alltäglichen Praktiken der Arbeitsämter, Erwerbslosen miese Jobs schmackhaft zu machen, konnten TeilnehmerInnen von vielen ähnlich gelagerten Erfahrungen berichten, sei es von Vermittlungsangeboten in ungesicherte und unklare Arbeitsverhältnisse, sei es von schikanösen Trainingsmaßnahmen. Ergebnis war hier der Vorschlag, die Vermittlungspraktiken der Arbeitsämter breiter zu untersuchen und zu dokumentieren. Anschließend sollen die in der Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit sitzenden Gewerkschaf terInnen mit den Ergebnissen konfrontiert werden. Am Ende sollten zumindest bessere Standards für Beratung und Vermittlung durch die Bundesanstalt durchgesetzt werden.

Die vollständige Abschaffung der Arbeitslosenhilfe wurde als Regierungsprojekt für die nächsten Wahlperiode eingeschätzt, wobei aber bereits jetzt Schritte in diese Richtung vollzogen werden. Dazu gehört die Zusammenlegung der Arbeitsvermittlung von Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfebeziehen den, die mit dem Verlust bisheriger Zumutbarkeitsregelungen bei der Arbeitslosenhilfe einhergeht.

Angesichts der hohen Zahl von GewerkschafterInnen im Forum 5 erwies es sich als notwendig, zunächst die innere Logik der Sozialhilfe zu erläutern, bevor die aktuellen Regierungspläne zur Senkung der Sozialhilfe dargestellt und analysiert werden konnten. Erst so wurde durchschaubar, wie etwa die geplante Senkung der Regelsätze für Kinder begründet und durchgesetzt werden soll, wie individuelle Lebensbedarfe z.B. für Kleidung, Mieten oder längerlebige und kostspieligere Gebrauchsgegenstände pauschaliert werden sollen und wie durch Maßnahmen der Druck auf Sozialhilfeberechtigte verschärfen wird, jedwede Jobs anzunehmen.

 

Wieder kampagnenfähig?

Das Interesse anwesender GewerkschafterInnen am Thema war ein positives Element in dieser Runde. Allerdings wurde auch deutlich, dass die Arbeit an diesbezüglichen Kampagnen allein von den wenigen InitiativenvertreterInnen geleistet werden muss. Die Inhalte solcher Kampagnen sind dabei klar: Zum einen muss das Thema Kinderarmut in der Öffentlichkeit so hoch gehalten werden, dass die Regelsatzsenkung für Familien mit Kindern nicht durchsetzbar wird. Zum anderen müssen die Modellversuche zur Pauschalierung von Hilfen zum Lebensunter halt so erfolgreich bekämpft werden, dass den Regierenden das Interesse an derartigen Menschenversuchen gründlich vergeht.

In den Debatten zum gesicherten Einkommen war klar, dass dieses auf einem Niveau liegen muss, das den Druck in Zwangsarbeit und Niedriglohnjobs abmildert. Schwieriger wurde es allerdings, als es an den Knackpunkt der Debatte ging, nämlich die vollständige Entkopplung von Mindesteinkommen und Arbeit. Dies sei in Gewerkschaften nicht zu diskutieren, stell te der NGG-Vertreter fest. Aber anders gäbe es keinen Schutz vor miesen Jobs, so die Einschätzung der Erwerbslosen und prekär Beschäftigten.

Gleichermaßen schwierig war die Debatte um die mit einem Mindesteinkommen gestellte Frage nach der Umverteilung des Reichtums: Wer gibt wie viel ab von dem unter den gegenwärtigen Produktionsverhältnissen produzierten Reichtümern? Die Sozialhilfeinitiativen etwa schlagen vor, dass alle die Hälfte ihrer Nettoeinkommen abgeben und zum verbleibenden Rest das Mindesteinkommen hinzubekommen. Dadurch würden ca. 75% der Bevölkerung deutlich profitieren. Ein Vorschlag allerdings, der selbst nach Einschätzung von manchen InitiativenvertreterInnen nicht vermittelbar sei. Immerhin bestand zumindest unter Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen Einigkeit darüber, dass eine tragbare Mindesteinkommensforderung prinzipiell binnen Jahresfrist erreichbar wäre.

Bei vielen Initiativen und auch etlichen GewerkschaftsvertreterInnen stieß die Initiative des Runden Tisches auf Interesse. Völlig vage allerdings bleibt die geplante Kampagne. Der von den AutorInnen favorisierte Ansatz, ausgehend von den Alltagskämpfen Erwerbsloser auch überregional politisch kampagnenfähig zu werden, scheint auch bei denen, die diese Alltagskämpfe führen, im ersten Moment schwer vollstellbar, aber zumindest diskutierbar. Eine solche Strategie würde auch auf Konflikte mit gängigen Dogmen zur Überwindung von Arbeitslosigkeit und zur Hilfe für angeblich defizitäre Arbeitslose hinauslaufen. Ob dies von gewerkschaftlichen oder gewerkschaftsnahen Gruppen mitgetragen wird, hängt auch von der Entschlossenheit der Initiativen(vertreterInnen) ab, ein eigenes politisches Projekt zu entwickeln, statt auf Beschlüsse der Gewerkschaftsoberen zu warten.

VertreterInnen der derzeit üblicherweise als radikale Linke gehandelten Gruppen (z.B. Autonome, Antifa), die verschiedentlich verlautbarten, die "soziale Frage" berücksichtigten zu wollen, sind am Runden Tisch bisher nicht beteiligt. Aber auch die Verankerung in den klassischen Struk turen der Erwerbslosen(projekte) steckt noch in den Anfängen. So liegen erst von den wenigsten Regionalkoordinationen ein deutige Zusagen zur Mitarbeit vor.

Der Runde Tisch trifft sich Anfang August zur Auswertung der Tagung und weiteren Planung der Kampagne (2).

a.d., g.g., u.d. (ALSO Oldenburg)

 

Anmerkungen:

1) Am "Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozial hilfeorganisationen" sitzen derzeit: Arbeitslosenverband, Bundesarbeitsgemeinschaft unabhängiger Erwerbslosengrup pen, BAG Sozialhilfeinitiativen, Europäische Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungesicherte Beschäftigung und Ausgrenzung, Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen, Arbeitsloseninitiative Thüringen, Kooperationsverbund der Arbeitslosenarbeit Westfalen/Lippe, Landesarbeitsgemeinschaft der Arbeitslosenprojekte Niedersachsen, Info-Stelle Rheinland, Initiative zur Vernetzung linker Gewerkschafter.

2) Aktuelle Infos zum Runden Tisch und der Kampagne: http://www.euromarches.org

 


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