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Redebeitrag vom Wolfgang Rose, ver.di-Vorsitzender Hamburg, bei der Demo am 16.4.02

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Namen der Gewerkschaft ver.di begrüße ich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dieser Demonstration und Kundgebung gegen Sozialkürzungen und für eine solidarische Sozialpolitik unter dem Motto "Der Senat soll einpacken". Ganz besonders herzlich begrüße ich unter uns die Schülerinnen und Schüler und die Jugendlichen aus dem Bezirk Wandsbek. Die Fraktionen der Schill-Partei und der CDU wollten sie nämlich vor der "Indoktrination und einseitigen politischen Beeinflussung" dieser Demo und Kundgebung schützen und haben vom Bezirksamtsleiter verlangt, er solle dafür sorgen,

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Vorgang verdient unsere besondere Aufmerksamkeit, denn er macht deutlich, wie sich Schwarz-Schill die Zukunft der Demokratie in dieser Stadt vorstellen:

Welche Perfidie des Denkens gehört dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ein Bezirksabgeordneter der Schill-Partei namens K. Werner am 25. März in einen politischen Antrag hineinschreibt, dass auf einer Demonstration am 16. April, also drei Wochen später, "eventuelle Gewalttaten nicht ausgeschlossen werden können". Ich behaupte, wer so denkt, der will diese Gewalt bewusst provozieren, weil er sie braucht, um von den Einschnitten im Sozialbereich abzulenken, den Protest dagegen zu kriminalisieren und den weiteren Ausbau des Repressionsapparats zu legitimieren. Das nenne ich eine geistige Gewalttat. Aber diese Rechnung wird nicht aufgehen. Das lassen wir uns nicht gefallen. Gegen dieses perfide Denken und diese ausgrenzende Politik müssen und werden wir uns zur Wehr setzen. Wir werden mit allen demokratischen Mitteln - natürlich gewaltfrei - dagegen mobilisieren. Diese Demonstration und Kundgebung ist dafür ein wichtiger Auftakt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor einigen Tagen konnten wir auf der Titelseite des Hamburger Abendblatts die Schlagzeile lesen: "Hamburg baut Großgefängnis". Der neue Justizsenator kündigte gegenüber der Hamburger Bevölkerung eine radikale Wende in der Hamburger Justizpolitik mit den Worten an: "Die Haft darf kein Luxusurlaub sein." Und darum wird die Vollzugsanstalt Billwerder, die vom rot-grünen Senat als Vorzeigemodell für Resozialisierung geplant war, zum Mammutknast nach amerikanischem Vorbild umfunktioniert:

Das Credo von Justizsenator Kusch bei der öffentlichen Vorstellung der Pläne:
"Damit der Kampf gegen die Kriminalität fortgesetzt werden kann, braucht Hamburg dringend mehr Plätze im Strafvollzug, denn eine Aufnahmestopp in den Gefängnissen muss auf jeden Fall vermieden werden." Deutlicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann man die neue Linie des Senats in der sogenannten Sicherheitspolitik wohl kaum charakterisieren.

In skrupelloser Manier wird Resozialisierung und Hilfe durch Repression und Wegschließen ersetzt. Was mit diesen Menschen passieren soll, wenn sie ihre Haftstrafen abgesessen habe, wie sie erfolgreich wieder in unsere Gesellschaft und unseren Alltag integriert werden sollen, ohne rückfällig zu werden, das interessiert diesen Senator offensichtlich in keiner Weise. Diese Politik ist zutiefst inhuman und einer zivilisierten und demokratischen Gesellschaft unwürdig. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, sie kostet natürlich Geld und dafür ist im Haushalt offenbar auch genügend Geld vorhanden: 43 Mio. € zusätzlich will Finanzsenator Peiner für den Mega-Knast aus anderen Haushaltstiteln umschichten. So haben sich unsere Kollegen von der Baugewerkschaft die Erfüllung ihrer Forderung nach mehr öffentlichen Bauinvestitionen sicher nicht vorgestellt.
Ihnen ging es eher um Straßen, Schulen, Kitas, Universitäten oder andere nützliche öffentliche Bauten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es momentan nicht sehr realistisch erscheint:

Wir fordern von diesem Senat, deren größte Regierungspartei in ihrem Namen immer noch das "C" trägt, eine Abkehr von einer Sicherheitspolitik, die - wie in manchen amerikanischen Bundesstaaten - bis zu 5 % der Bevölkerung in Gefängnishaft festhält. Wir wollen eine gerechte Justiz, einen humanen Strafvollzug und eine wirksame Resozialisierung, die jedem Straffälligen eine Integrationschance und eine Perspektive auf ein straffreies Leben eröffnet.

Und wir wollen vor allem eine Gesellschaft, in der nicht Repression, sondern Prävention im Vordergrund steht.   Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Logik des Justizsenators, aber vor allem des Innensenators Ronald Barnabas Schill ist jeder Junkie in dieser Stadt ein Krimineller und sein Kleindealer ein Verbrecher. Das angebliche Prinzip der Drogenpolitik des neuen Senats "Jede Hilfe für die Süchtigen - jede Härte für die Dealer" ist eine reine Schutzbehauptung für eine konsequente Vertreibungspolitik. Wer im Gewerkschaftshaus arbeitet und Tag für Tag beobachten kann, wie das Elend durch die Stadt und die U-Bahnen getrieben wird, der kann ein Lied davon singen. Es geht ihnen eben in Wirklichkeit nicht darum, dieses soziale Problem zu lösen, obwohl Ole von Beust durchaus früher zu den vergleichsweise aufgeklärteren Drogenpolitikern der CDU gehörte,
es geht darum, das Elend unsichtbar zu machen und vom Hauptbahnhof und aus der Innenstadt zu vertreiben, damit die marmornen Einkaufspaläste, das Edelshopping und die Umsatzzahlen im Gesicht der Weltstadtmetropole Hamburg keine Schramme hinterlassen.

Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal ganz deutlich machen, dass sich an der Position von ver.di zur Frage des Brechmitteleinsatz nichts geändert hat: Wir lehnen - gemeinsam mit dem Marburger Bund - Brechmitteleinsätze als Instrument zur Beweissicherung gegenüber Kleindealern konsequent ab, weil sie erwiesenermaßen nicht der Beweissicherung dienen, und vor allem, weil sie die gesundheitliche Unversehrtheit der Betroffenen in unverhältnismäßiger Weise in Frage stellen. Kolleginnen und Kollegen, in diesen Tagen und Stunden berät die Bürgerschaft im Rathaus über den Sparhaushalt 2002.


Für die Gewerkschaft ver.di und ihre Mitglieder in Hamburg geht es bei diesen Beratungen ums Ganze: Die Bürgerschaftsmehrheit von Schwarz-Schill bereitet mit diesem Haushalt den Frontalangriff auf den Sozialstaat und die öffentliche Daseinsvorsorge in dieser Stadt vor:

Dabei geht es im Haushalt nur zum Teil um Einsparungen:
Allein 80 Mio. € sollen umverteilt werden, um die Versprechen des neuen Senats, vor allem im Bereich der inneren Sicherheit, zu finanzieren. Kolleginnen und Kollegen, wir organisieren den Protest gegen diesen Sparhaushalt und gehen auf die Straße,

Dieser Haushalt, Kolleginnen und Kollegen, ist Ausdruck einer Politik des Sozialdarwinismus, bei dem alle Lebensbereiche dem "Naturgesetz" des Marktes und des freien Wettbewerbs untergeordnet werden und die Stadt und die Gesellschaft nach dem Recht des Stärkeren funktionieren. Wir kämpfen statt dessen für eine Stadt und eine Gesellschaft, bei der die Ellenbogen nicht dazu da sind, sich gegen andere durchzusetzen und sie wegzustoßen, sondern sich gegenseitig unterzuhaken und Solidarität zum bestimmenden Prinzip des Zusammenlebens zu erklären. Kolleginnen und Kollegen, ich will das an drei kurzen Beispielen verdeutlichen. Ihren vorerst größten Coup landete der neue Senat in der letzten Woche im Aufsichtsrat der städtischen Beschäftigungsgesellschaft HAB. In einem Handstreich hebelte Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram mit ihrer Zweitstimme das bundesweite Modell "Tariflohn statt Sozialhilfe" für 2.000 befristet beschäftigte Sozialhilfeempfänger aus:

Ich will an dieser Stelle öffentlich meinen Respekt und meine Anerkennung gegenüber der Landespastorin Annegrethe Stoltenberg, der Leiterin des Diakonischen Werkes, zum Ausdruck bringen, die als Arbeitgebervertreterin gemeinsam mit der Arbeitnehmerbank vor, während und nach der Aufsichtsratssitzung klar zu ihrer ablehnenden Haltung gestanden und anschließend konsequent ihren Rücktritt aus diesem Gremium erklärt hat. Die Liquidation des Modells "Tariflohn statt Sozialhilfe" bringt dem Senat 5 Mio. € Einsparung und die betroffenen Menschen um die gleiche Summe dichter an die Sozialhilfe: Ein deutliches Signal an alle Beschäftigungs- und Weiterbildungsträger in dieser Stadt, dass sie sich nach den Kürzungen durch das Job-Aqtiv-Gesetz der rot-grünen Bundesregierung auf weitere gezielte Angriffe des Senats und seiner Behörden gefasst machen müssen. Der nächste Anschlag auf die Rechte der Arbeitslosen, Kolleginnen und Kollegen, droht allerdings nicht in Hamburg, sondern in Berlin von der rot-grünen Bundesregierung und ihrem neuen Politkommissar bei der Bundesanstalt für Arbeit namens Gerster: Es ist beschämend für einen sozialdemokratischen Sozialpolitiker, gerade den älteren Langzeitarbeitslosen das Arbeitslosengeld kürzen zu wollen, und es ist ein offener Verstoß gegen die Verfassung, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammen legen zu wollen. Die Gewerkschaft ver.di wird diesen Skandal während des Bundestagswahlkampfes neben der Gesundheitsreform zu einem zweiten Schwerpunkt ihrer Kampagne machen, damit auch Rot-Grün in Berlin endlich dazu gezwungen wird, die Armut und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, und nicht die Armen und die Arbeitslosen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiteres Beispiel für den neoliberalen Kurswechsel des Senats sind die Privatisierungsplanungen beim LBK. Die städtischen Krankenhäuser sind ein hohes Gut und sie gehören den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt.


Darum werden wir mit all unserer Kraft dafür kämpfen, dass sie im Mehrheitseigentum der Stadt bleiben. Wir wollen nicht zulassen, dass

nicht mehr durch die Politik in dieser Stadt, sondern in irgendwelchen Konzernzentralen nach dem Maßstab der höchsten Dividende entschieden wird. Wir wollen keine Amerikanisierung des Gesundheitswesens, wir wollen keine Zwei-Klassen-Medizin, wir wollen nicht, dass Gesundheit zur Ware wird. Und darum werden wir gegen die Privatisierung kämpfen, beim LBK und auch bei allen anderen öffentlichen Unternehmen, die der Senat angreift.   Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser neue Senat hat schon in seinem Koalitionsvertrag und der neue Bürgermeister in seiner Regierungserklärung die 70.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst fast völlig vergessen.


Das gilt allerdings nicht für den Finanzsenator. Statt mehr Dezentralisierung bei den öffentlichen Dienstleistungen und der Beratung für die Bürgerinnen und Bürger plant dieser Senat genau das Gegenteil. Nicht das Prinzip "Bürgernähe" bestimmt die neue Politik, sondern der Rotstift. Rentenberatung, Schuldnerberatung Mütterberatung und Elternschulen, Gesundheitsämter - den Bezirken sollen immer mehr Kompetenzen weggenommen werden, und die Bürger müssen immer weitere Wege für die kommunalen Dienstleistungen in Kauf nehmen. Bei diversen Diensten ist sogar geplant, sie auf freie oder kirchliche Träger zu übertragen und gleichzeitig das Personal wegzusparen oder bestimmte Bereiche, wie den Hochbau, gleich ganz zu privatisieren.

Für die Beschäftigten bedeutet das: Nachdem die alten Regierungen bereits 21 % des Personals abgebaut hatten, findet der versprochene Stopp beim Stellenabbau nicht statt, sondern die Vernichtung von Arbeitsplätzen und die Verdichtung der Arbeit im öffentlichen Dienst gehen mit Riesenschritten weiter. Kolleginnen und Kollegen, dieser Senat plant keine Politik der bürgernahen Dienstleistungen und der Qualitätsverbesserung des öffentlichen Sektors. Dieser Senat will auch im öffentlichen Sektor seine neoliberale Ideologie gnadenlos umsetzen und den Staat auf seine Kernbereiche reduzieren. Originalton Regierungserklärung Ole von Beust: "Eigenverantwortung, Mäzenatentum, Bürgersinn und Privatisierung entlasten den Staat von Unnötigem, ermöglichen es aber gleichzeitig auch, die Kernbereiche entschiedener und konsequenter wahrzunehmen."

Auf deutsch:
Das Geld aus dem unnötigen Sozialklimbim in den Behörden und Bezirken wird abkassiert, denn man braucht es für den Ausbau des Repressionsapparates, zum Beispiel für den Mega-Knast in Billwerder. Kolleginnen und Kollegen, wir werden in den nächsten Jahren noch viel zu kämpfen und zu demonstrieren haben, denn wir werden diese Politik nicht tatenlos hinnehmen, sondern den Widerstand in der Öffentlichkeit, in der Politik und auf der Straße dagegen mobilisieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Metropolregion Hamburg gehört zu den reichsten Regionen Europas und gleichzeitig führen die riesigen Steuerausfälle zu einem drastischen Sozialabbau zu Lasten der sozial Schwächsten in unserer Stadt. Die Steuergeschenke dieser Bundesregierung an die Unternehmer und die ungerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums reißen die Schere zwischen Arm und Reich - und damit unsere Gesellschaft - immer weiter auseinander. Im Hamburger Abendblatt war vor wenigen Wochen zu lesen, dass 9 von den 100 reichsten Menschen Deutschlands hier in Hamburg wohnen.

Es sind

Diese 9 Menschen halten zusammen ein Vermögen von 26,6 Mrd € in Hamburg. Zum Vergleich:
Der Jahreshaushalt der FHH beträgt zur Zeit 9,4 Mrd €. Die Steuerausfälle auf Grund der rot-grünen Steuergesetzgebung lagen 2001 bei 460 Mio. €. Wenn die Vermögenssteuer allein für diese 9 Personen wieder eingeführt und sie mit nur 2 % zur Kasse gebeten würden, wäre dieser Steuerausfall beseitigt und es würde jetzt nicht bei den Ärmsten gnadenlos abkassiert werden. Wenn wir also über Verteilungsgerechtigkeit in diesem Land sprechen und der Bundeskanzler nicht müde wird, in Richtung Gewerkschaften und Arbeitnehmer öffentliche Maßhalteappelle loszulassen,
dann sollten wir ihn auch daran erinnern, dass die SPD in ihrem Wahlprogramm 1998 zum Beispiel die Wiedereinführung der Vermögenssteuer versprochen hatte. Darauf warten wir bis heute vergebens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht bei der Auseinandersetzung, die wir heute mit dieser Demonstration und Kundgebung beginnen, um viel, um sehr viel. Es geht um die Prinzipien von Freiheit und Solidarität in unserer Gesellschaft, in unserer Stadt. Wir meinen mit Freiheit nicht die Freiheit des Unternehmens von Steuern, von Regulierungen und von Mitbestimmung, die Freiheit des Neoliberalismus. Wir meinen die Freiheit der Menschen, Rechte zu haben, Teilhaberechte und soziale Schutzrechte. Wir sagen, die Freiheit des Einzelnen braucht die Sicherheit der Gemeinschaft und lässt sich nur durch die Solidarität vieler sichern.

Dafür haben wir uns in Gewerkschaften zusammengeschlossen. Als Gewerkschaften stehen wir für Demokratie und für die Beteiligung der Menschen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Und wir stehen für einen starken, aktiven Staat, einen Staat des sozialen Ausgleichs und des sozialen Schutzes, einen Staat, der die öffentlich Daseinsvorsorge nicht dem Markt überlässt, sondern das Wohl der Menschen in den Mittelpunkt seines Handelns stellt. Wir wollen, dass die Menschen in dieser Stadt für sich und füreinander Verantwortung übernehmen. Dafür muss auch die gewählte Volksvertretung, müssen Bürgerschaft und Senat ihren Beitrag leisten. Der vorgelegte Haushalt wird dieser Verantwortung nicht gerecht.
Dieser Haushalt ist Ausdruck einer Politik des Sozialabbaus, der Ausgrenzung und der sozialen Spaltung. Wenn diese Politik in diesem und den nächsten Jahren die soziale Wirklichkeit bestimmt, dann wird es bitter kalt in dieser Stadt. Angesichts dieser Bedrohung werden wir uns weiter zusammenschließen und den Kampf um menschenwürdige Lebensbedingungen auf breitere Füße stellen.

Denn dazu gibt es keine Alternative und der alte Spruch von Bertolt Brecht ist nach wie vor höchst aktuell. Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.


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