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Redebeitrag von Dirk Hauer, Sozialpolitische Opposition

Gehalten am 16.4.2002 auf der SoPo-ver.di-Demonstration "Der Senat soll einpacken. Gegen Sozialkürzungen - für Solidarität statt Ausgrenzung"

Liebe Freundinnen und Freunde,

liebe ver.di-KollegInnen aus den Krankenhäusern und aus dem Öffentlichen Dienst, liebe Aktivistinnen aus den Frauen- und Mädchenprojekten, liebe KollegInnen vom Aktionsbündnis Soziale Arbeit, liebe Leute von den Bauwagenplätzen und den Wohnprojekten, liebe KollegInnen von den interkulturellen Begegnungsstätten, den Beschäftigungsträgern, den Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit. Liebe Leute von der Aidshilfe und aus der Drogenarbeit. Liebe aktuelle und zukünftige Erwerbslose, SozialhilfeempfängerInnen, PatientInnen, Pflegebedürftige, NiedriglohnarbeiterInnen. Liebe Anwesende ohne deutschen Pass. Und liebe Leute, die ich jetzt nicht aufgezählt habe: Ich begrüße euch alle ganz herzlich im Namen der Sozialpolitischen Opposition Hamburg: GUTEN ABEND, WIDERSTAND!

Vor zweieinhalb Jahren, im Herbst 1999, hatte die SoPo schon einmal gegen Kürzungen im Sozialbereich demonstriert. 1.000 Leute waren damals gegen den rot-grünen Sozialabbau und für soziale Bürgerinnenrechte auf die Straße gegangen, auch bei Regen. Das war nicht schlecht. Seit dem ist die Entwicklung weiß Gott nicht besser geworden: Jedes Jahr neue Sozialkürzungen, immer neue Projekte, denen das Wasser bis zum Hals steht. Jedes Jahr weniger Geld in den Taschen von Erwerbslosen und Sozialhilfeempfängerinnen und ständig mehr Stress mit den Ämtern. Heute sind wir schätzungsweise zehntausend. Wir sind viel bunter und lauter als 1999. Heute sind außerparlamentarische Initiativen, Einrichtungen und Gewerkschaften zusammen auf der Straße, für Solidarität statt Ausgrenzung. Und das ist gut so!

Dieses breite Bündnis ist keine Selbstverständlichkeit. Und wir werden in Zukunft viel Arbeit miteinander aufwenden müssen, damit SozialarbeiterInnen, Freaks, GewerkschafterInnen, Betroffene, Einrichtungen und Initiativen weiter gemeinsam gegen den Abbau sozialer Rechte kämpfen, egal unter welcher Regierungskonstellation dieser Abbau betrieben wird. Denn eins ist doch jetzt schon klar: Wir werden einander brauchen, wenn wir den Durchmarsch der Law-and-Order-Logik in der Gesellschaft und im sozialen Hilfesystem zurückdrängen wollen. In den letzten vier Jahren haben wir gelernt, dass wir uns dabei auf die jetzigen Oppositionsparteien in der Bürgerschaft nicht verlassen können. Liebe Freundinnen und Freunde, wir sollten uns anspruchsvollere Vorbilder nehmen, zum Beispiel die Millionen, die vor einigen Wochen in Rom gegen Sozialabbau protestiert haben. Oder die 500.000 die in Barcelona gegen den EU-Gipfel demonstriert haben.

Vieles von dem, womit wir uns hier und heute herumschlagen müssen, verdanken wir der allgemeinen politischen Großwetterlage: Seit langem wird in diesem Land tatkräftig von unten nach oben umverteilt. In dem Maße, wie der private Reichtum in diesem Land wächst, wächst auch die Armut. Die sogenannte Steuerreform der rot-grünen Bundesregierung beschert Unternehmen, Großverdienern und Vermögensbesitzern Steuergeschenke ohne Ende. Die kommunalen öffentlichen Haushalte hingegen werden ausgeblutet. Den Preis zahlen lohnabhängig Beschäftigte, Erwerbslose, RentnerInnen und alle, die auf ein funktionsfähiges soziales Hilfesystem angewiesen sind.

Die Arbeitslosigkeit wollte die Bundesregierung halbieren. Statt dessen werden Erwerbslose vom Bundeskanzler persönlich als Faulenzer beschimpft. Und getreu der Lüge, dass Erwerbslose selbst schuld sind, wenn Firmen Massenentlassungen vornehmen, werden sie von der Bundesregierung gleich bestraft: Die Arbeitslosenhilfe soll auf Sozialhilfeniveau zusammengedampft werden. Das neue Job-Aqtiv-Gesetz baut geförderte Beschäftigung ab und eröffnet Lohndumping Tür und Tor. Arbeit um jeden Preis im Niedriglohnsektor - das ist alles, was in Berlin wie Hamburg als Beschäftigungspolitik verkauft wird. Auf die Einschränkungen ganz normaler bürgerlicher Freiheitsrechte durch die sog. "Sicherheitspakete" will ich dabei genausowenig eingehen wie auf die Verschärfung des Ausländerrechts unter dem Deckmantel des Zuwanderungsgesetzes.

Die Lage ist also beschissen. Und als wären wir nicht schon genug gebeutelt, müssen wir uns nun auch noch in Hamburg mit den offenen Reaktionären von CDU-Schill und FDP herumschlagen. Morgen will der neue Senat seinen ersten Haushalt in der Bürgerschaft absegnen lassen. 34,7 Mio. EUR Kürzungen sind für 2002 geplant, weitere 225 Mio. EUR Kürzungen für 2003 und 2004. Das ist der Hammer, aber beileibe nicht neu. Der Vorgänger-Senat wollte immerhin bis 2003 280 Mio DM allein bei der Sozialhilfe sparen.

Doch es geht heute um mehr als um nur die nächste Umdrehung der Kürzungsschraube. Hinter den Kürzungen steht nicht nur Sozialabbau sondern ein umfassender Angriff auf die bisherigen Inhalte sozialer Hilfen.

Um 50% will Senatorin Schnieber-Jastram, CDU, bei den Frauen- und Mädchenprojekten im Durchschnitt sparen. Das heißt nichts anderes, als dass engagierte Frauen- und Mädchenarbeit in dieser Stadt nicht mehr erwünscht ist.

Mit einem Federstrich will sie die interkulturellen Begegnungsstätten gleich mit zusammenstreichen. Deutlicher kann die Kriegserklärung an MigrantInnen in dieser Stadt nicht sein: Integrationspolitik wird in Hamburg abgeschafft.

Bei der HAB ist letzten Donnerstag die gemeinnützige Arbeit eingeführt worden. Gleichzeitig werden in der öffentlichen Beschäftigung nur noch Löhne an der Armutsgrenze gezahlt werden. Mit anderen Worten: Beschäftigungspolitik wird in dieser Stadt nur noch als Disziplinierungsinstrument geduldet.

Und es ist ja nicht so, als würde der neue Senat seine militanten antisozialen Absichten verheimlichen, im Gegenteil: Frau Schnieber-Jastram hat deutlich erklärt, dass in ihrer konservativen Familienideologie für engagierte Frauenpolitik kein Platz ist. Sie hat auch erklärt, dass Integrationspolitik Geldverschwendung sei, denn wer jetzt immer noch kein guter Deutscher ist, der will wohl auch nicht.

Das generelle Programm der Schwarz-Schillschen Un-Sozialpolitik ist simpel gestrickt: Geld gibt es nur noch für diejenigen, die nach den herrschenden Normen funktionieren. Die sozialen Rechte von denen, die nicht so normgerecht funktionieren, werden radikal in Frage gestellt: die Rechte von Minderheiten oder gar die Rechte der Schmuddelkinder in dieser Stadt. Hilfeansätze und soziale Einrichtungen, die für Jugendliche, für Drogenkonsumentinnen, für misshandelte Frauen, oder für MigrantInnen und Flüchtlinge Partei ergreifen, werden kaputtgespart. Engagierte Sozialarbeit wird noch nicht einmal mehr in einer Nische geduldet.

CDU, FDP und Schill betreiben eine Umverteilungspolitik von sozialen Hilfen zur Aufrüstung von Polizei und Justizapparat. Eine solche Politik setzt nicht auf gesellschaftliche Integration, sondern auf Polarisierung: Auf der einen Seite die sog. Normalen, Flexiblen, Leistungsfähigen - auf der anderen Seite die Unnormalen, die sog. "innenstadtuntypischen Personen", die Unflexiblen. Da werden auch schon mal ganze Bevölkerungsgruppen unter pauschalen Kriminalitätsverdacht gestellt, wie Jugendliche oder MigrantInnen. Bisher hat die Sozialpolitik bei allen Zwangsmaßnahmen immerhin noch den Anspruch auf Integration vor sich hergetragen. Doch nun ist Schluss mit lustig. Der neue Senat setzt ganz gezielt auf Ausgrenzung und offene Repression: DrogenkonsumentInnen und Obdachlose werden von immer größeren Polizeieinheiten durch die Stadt getrieben. Jugendliche sollen in geschlossenen Heimen weggesperrt werden. SozialhilfeempfängerInnen werden mit direktem Arbeitszwang aus der Hilfe in die Billig-Jobs getrieben.

Immerhin ist der neue Senat konsequent. Er liquidiert die Frauen- und Mädchenprojekte und weitet gleichzeitig die Knastplätze für Frauen aus. Familie oder Knast - das sind die Frauenperspektiven von Schwarz-Schill.

Liebe Freundinnen und Freunde, vielleicht sollten wir uns nicht wundern, dass SenatorInnen, die ihre Bürgernähe auf den Koks-Parties der Schickeria demonstrieren, ein gestörtes Verhältnis zu Armut und Reichtum haben. Vielleicht sollten wir uns auch nicht wundern, wenn SenatorInnen, deren Familienidiologie aus den 50er Jahren zu stammen scheint, mit Feminismus und Frauenhäusern nichts anfangen können. Und erst recht brauchen wir uns nicht zu wundern, dass für einen Senat, der sich Law-and-Order, mehr Polizei, brutaleren Strafvollzug und Friedhofsruhe auf seine Fahnen geschrieben hat, Minderheitenrechte und demokratische Freiheiten Fremdworte sind. Über all dies brauchen wir uns vielleicht nicht zu wundern. Aber deswegen müssen wir ein solches antiaufklärerisches Menschenbild noch lange nicht akzeptieren. Und deswegen müssen wir auch noch lange keine Sozialpolitik akzeptieren, die als Einkommensraub und als verlängerter Polzeiknüppel daher kommt.

Und deswegen, liebe Freundinnen und Freunde, ist diese Demonstration auch eine Demonstration gegen die Partei von Law-and-Order, eine Partei, die leider deutlich größer ist als die jetzigen Senatsparteien. Diese Demonstration ist eine Demonstration gegen die autoritäre Wende in der Sozialpolitik, gegen die Zumutungen, die sich hinter dem Gerede von der "Aktivierung" und dem "Fördern und Fordern" verbergen.

Wir demonstrieren hier und heute nicht nur gegen Kürzungen sondern auch für etwas: Für das Recht eines jeden Menschen, sozial abgesichert leben zu können. Für das Recht auf eine meschenwürdige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für jeden und jede, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Alter und Leitsungsfähigkeit. Dafür, das Gesundheit, Altersversorgung und Pflege für alle in gleichem Maße und in gleicher Qualität möglich gemacht werden. Wir demonstrieren dafür, dass soziale Risiken von der Gesellschaft aufgefangen werden und nicht zum Privatproblem erklärt werden. Wir demonstrieren für vernünftige Arbeitsbedingungen, für sinnvolle Job- und Ausbildungsperspektiven, für Löhne, von denen man auch leben kann.

Wir demonstrieren dafür, auch unnormal, unmodern und unflexibel sein zu dürfen. Es heißt, Neoliberalismus, Ellbogengesellschaft und individuelle Bereicherung gelten heute sexy. Nun, dann demonstrieren wir eben für ein neues Schönheitsideal.

International wie national, global wie lokal gilt: Eine andere Welt ist möglich! Und im übrigen: Der Senat muss einpacken! Ich danke euch.


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