letzte Änderung am 4. Sept. 2002

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Profis zweiter Klasse

Zur Arbeit und Position des ver.di-Erwerbslosenausschusses

Schon seit längerer Zeit befasst sich der ver.di-Bundeserwerbslosenausschuss mit der in der nächsten Legislaturperiode – egal unter welcher Regierung – drohenden Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Seit dem Sommeranfang liegen die Vorschläge der Hartz-Kommission zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit und der sozialen Absicherungen bei Erwerbslosigkeit auf dem Tisch. Anne Allex fragte Anne Eberle, Sprecherin des Bundeserwerbslosenausschusses von ver.di, nach ihrer Sicht der Dinge.

 

Was macht der Bundeserwerbslosenausschuss von ver.di, und welche Aufgaben hat er?

Der Bundeserwerbslosenausschuss von ver.di will die Interessen der Erwerbslosen innerhalb der gemeinsamen Gewerkschaft ver.di vertreten. Nach der Richtlinie von ver.di zur Erwerbslosenpolitik nimmt die »Personengruppe Erwerbslose« die spezifischen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialpolitischen, sozialen und kulturellen Interessen der erwerbslosen ver.di-Mitglieder wahr. Die Interessenvertretung erfolgt auf allen Ebenen – im Bezirk, im Land, im Bund – durch Erwerbslosenausschüsse, gewählte VertreterInnen in den ehrenamtlichen Vorständen, auf Konferenzen und Erwerbslosenkonferenzen. Die materiellen Bedingungen für die Erfüllung dieser Aufgaben sollen in angemessenem Umfang zur Verfügung stehen. Auf Bundesebene ist dies auch der Fall. Der ver.di-Bundeserwerbslosenausschuss ist an das Ressort 5, Arbeitsmarktpolitik, angegliedert.

Wie sieht das konkret vor Ort aus?

Die eigentliche Erwerbslosenarbeit sollte vor Ort in den Bezirken stattfinden. Bezirkliche Erwerbslosenarbeit wird in vielen ver.di-Bezirken jedoch behindert. Die Stimmung in der Gesellschaft spiegelt sich natürlich in den Gewerkschaften wider. Oft genügt die bloße Erwähnung unserer VertreterInnen, sie seien »arbeitslos«, damit auf Funktionärsversammlungen Sitz- oder Stehplätze frei werden. Ich habe das in Dortmund direkt er-lebt. Dort treffen wir uns zwar monatlich, doch nur unter sehr widrigen Bedingungen: Wir haben keine Räume, keine Infrastruktur und kein Geld. Für unsere ehrenamtliche Arbeit müssen wir auch als FunktionsträgerInnen das Geld selbst mitbringen, z.B. um uns wenigstens gegenseitig Informationsmaterialien zukommen lassen zu können.

Welche Auffassungen vertritt der Ausschuss zu einer Verzahnung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe?

Als Vorhaben gibt es dies bereits seit Beginn der neunziger Jahre, aber nun wird es akut. Daher ist dieses Thema auch unser diesjähriger Arbeitsschwerpunkt, mit dem wir an die Öffentlichkeit gehen wollen. Der Bundeserwerbslosenausschuss hat sich einstimmig dagegen ausgesprochen, dass Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt werden sollen. Die VertreterInnen der Parteien in Bund und Ländern haben sich immer wieder recht eindeutig dahingehend geäußert, dass zuerst Steuergelder im Bund gespart werden müssen und eine Harmonisierung der Sozialsysteme in Europa für die Durchsetzung der Freizügigkeits-Richtlinie in kurzer Zeit erreicht sein muss. Und das heißt Angleichung der Leistungen für BezieherInnen der steuerfinanzierten Arbeitslosenhilfe in Richtung der schmalen Leistungen der kommunal finanzierten Sozialhilfe.

Enthält ein solches Vorhaben nicht auch Elemente jahrelanger Forderungen der Erwerbslosenbewegung nach »Entbürokratisierung des Leistungsbezugs«, gleichem Zugang von Erwerbslosen zur Arbeitsvermittlung und einer bedarfsorientierten Grundsicherung als einheitlicher Leistung?

Erwerbsloseninitiativen haben die Forderung nach einer (gleich hohen) Grundsicherung für alle in Armut und Abhängigkeit immer damit verbunden, dass die Betroffenen sich keiner Bedürftigkeitsprüfung unterziehen müssen und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen brauchen. Bei der drohenden Umstrukturierung der Arbeitslosenversicherung geht es aber gerade nicht darum, betrachtet man die Kontinuität der Maßnah-men, bei denen es darum ging, Menschen – egal wie – in Arbeit zu bringen. Beispielsweise sind Trainingsmaßnahmen derzeit schon für alle, die erwerbslos werden, obligatorisch. In Folge der Maßnahmen der »Arbeit statt Sozialhilfe« gab es auch bereits seit längerer Zeit Modelle für die Kommunen, die vom Bundesarbeitsministerium und den Kommunen unterschrieben wurden. Hier ist an die beiden Varianten des Kombilohns – das Mainzer Modell und das Saar-Modell – oder an das so genannte Job-Center-Sprungbrett zu er-innern. Solche Modelle, teils unter Federführung der Bertelsmann-Stiftung, mündeten in Riesters MOZART-Modelle. Erwerbslosen wird hier mit Hilfe eines Fallmanagers Hilfeplanung, Profiling und Assessment im Jobcenter angeboten; die Erwerbslosen werden einer Begutachtung ihrer Arbeitsfähigkeit nach dem Nützlichkeitsprinzip unterzogen. Geprüft wird, wie lange und intensiv die Betroffenen überhaupt arbeiten können, um »Diagnosen« für einen kürzeren oder längeren Arbeitseinsatz zu erstellen. Wenn hierbei von »Chancen« die Rede ist, so heißt dies heute Zwang. Diese Tendenz beschreibt das an Stammtischen immer wieder geforderte und seit dem Zerfall der ständisch feudalen Ordnung mitunter martialisch durchgesetzte Prinzip »Keine Leistung ohne Gegenleistung«.

Heutzutage stellen sich die Kommissionsmitglieder um Herrn Hartz die Bildung einer Task force vor – um nachdrücklich zu demonstrieren, dass der Arbeitsmarkt aufgeräumt und die Sicherheit aller erhöht werden soll.

Mit Entbürokratisierung des Leistungsbezugs war früher gemeint, dass Erwerbslose mit ergänzender Sozialhilfe nicht extra zum Sozialamt laufen sollten. Allerdings wurde ja nun jahrelang durch staatliche Deregulierung der Arbeitslosenversicherung, d.h. durch Absenkung der prozentualen Beiträge der Erwerbslosen, jährliche dreiprozentige Absenkung der Arbeitslosenhilfe etc. die Einkommensarmut der Erwerbslosen vergrößert wurde, die den Gang zum Sozialamt für ganz viele erst erforderlich machte. Bereits die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe durch die jetzige Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass es keineswegs um einen transparenten, einfachen Leistungsbezug geht, sondern der Leistungsumfang für die ArbeitslosenhilfebezieherInnen abgeschmolzen werden soll. Auch die von Rot-Grün wieder zurück genommene Meldepflicht für Erwerbslose hat letztlich bei vielen nicht dazu geführt, dass sie seltener beim Arbeitsamt vorstellig werden mussten. All diese Maßnahmen haben jedoch bisher nicht dazu beigetragen, die Arbeitslosenzahlen zu reduzieren. Es fehlen Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze.

Welchen Standpunkt vertritt der Bundeserwerbslosenausschuss zu den Ergebnissen der Hartz-Kommis-sion? Wie erklärt sich die Teilnahme des ver.di-Vorstandsmitglieds Isolde Kunkel-Weber an dieser Kommission?

Nach den Behauptungen, dass in den Arbeitsämtern die Statistik verfälscht worden sei, wurde der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit verkleinert, der Vorstand wurde als dreiköpfiger Vorstand eingesetzt und Bernhard Jagoda durch Florian Gerster ersetzt. Daraufhin wurde eine Kommission zur Neustrukturierung der Arbeitsverwaltung benannt, in die auch Kollegin Kunkel-Weber delegiert wurde, da sie als Bundesvorstandsmitglied das Ressort 10 leitet, dem der Fachbereich 4 (Sozialversicherungen) und u.a. auch die Beschäftigten der Arbeitsverwaltung unterstellt sind. Die Kommission war von vornherein geheimnisumwittert. Allen Mitgliedern wurde strenge Vertraulichkeit angetragen, das Ergebnis sollte ursprünglich erst am 16. August 2002 der Öffentlichkeit präsentiert werden. Der ver.di-Bundeserwerbslosenausschuss hatte bereits im Mai 2002 mit Kollegin Kunkel-Weber Kontakt aufgenommen, um sie von den Positionen des Bundeserwerbslosenausschusses zu unterrichten. Unsere Positionen waren unter anderem:

1. Keine Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf Kosten der Höhe der Arbeitslosenhilfe und der Zumutbarkeit,

2. Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebedürftigkeit hat nichts mit mangelnden Arbeitsanreizen zu tun,

3. Ablehnung von Arbeitsangeboten soll nicht mit Sanktionen belegt werden,

4. Bildungsurlaub für Erwerbslose,

5. Betroffene sind an der Selbstverwaltung zu beteiligen.

Im Gespräch mit Kollegin Kunkel-Weber waren wir in einem bestimmten Punkt einig, nämlich dass die Leistungen auch zukünftig gewährt werden. Aber bspw. hinsichtlich der Job-Center waren wir völlig anderer Meinung. Das Gespräch ist insofern dennoch ein Fortschritt, als wir gehört werden.

Nachdem die ersten Ergebnisse der Hartz-Kommission in der Presse erschienen, äußerte sich unser Vorsitzender Frank Bsirske zunächst sehr kritisch. Auch das Ressort 2 beim ver.di Bundesvorstand (Tarifpolitische Grundsatzabteilung, Wirtschaftspolitik, Frauen- und Gleichstellungspolitik) nahm Stellung, nämlich zur ähnlich konzipierten ifo-Studie »Aktivierende Sozialhilfe. Ein Weg zu mehr Beschäftigung und Wachstum« . In dieser Stellungnahme wird sehr eindeutig »Aktivieren als Zauberformel« abgelehnt. Das Papier ging nicht in die Stellungnahme zur Hartz-Kommission ein.

Einige Mitglieder des Bundeserwerbslosenausschusses lehnen die Vorschläge der Hartz-Kommission zur Strukturreform der Bundesanstalt für Arbeit ohne jede Einschränkung ab. Hier wird kritisiert, dass wieder nur die Erwerbslosen und nicht die Arbeitslosigkeit bekämpft würden.

Die Vorlage schlägt zynische Maßregelungsgrundsätze für Erwerbslose vor und diffamiert ca. vier Millionen Menschen als arbeitsunwillig und unqualifiziert. Maßnahmen zur Aushebelung tariflicher Arbeitsverhältnisse, ihre Umwandlung in befristete Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich, zur Verschlechterung der Zumutbarkeit und zur Aufkündigung des derzeitigen Arbeitszeitgesetzes wegen einer Verringerung der Zeiten zwischen Arbeitsende und -beginn sind angedacht. Die Kommissionsvorstellungen unterstützen eine allgemeine Absenkung des Entlohnungsniveaus und führen große Teile der Bevölkerung zu Existenzen unterhalb der Armutsgrenze. Die im Papier implizierte Entrechtung der Arbeitslosen, eine völlige Ökonomisierung der sozialen Sicherungssysteme und aller Lebensbereiche, die Führung der Bundesanstalt für Arbeit als privatrechtliches Staatsunternehmen, all dies trägt dazu bei, dass viele Menschen in die Zwangslage geraten, sich ihr Überleben auf illegale Weise sichern zu müssen.

Mit welchen Forderungen will der Bundeserwerbslosenausschuss in Bezug auf die bevorstehende Umstrukturierung der Arbeitslosenversicherung an die Öffentlichkeit gehen? Welche Unterstützung erwartet er vom ver.di-Gewerkschaftsapparat?

Wir erwarten, dass der Bundesvorstand ver.di zu seinem Wort steht: ver.di lehnt jegliche Leistungsverkürzung bei Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern ab – sowohl hinsichtlich der Höhe als auch der Bezugsdauer. Frank Bsirske sagte Anfang Juli, die Richtung des Konzepts der Hartz-Kommission stimme insgesamt, aber es könne keine Perspektive sein, Leistungen für Arbeitslose zu verschlechtern.

Ich sehe allerdings nicht, dass die Richtung stimmt. In den 13 Reform-Modulen steht kein einziges Wort über die Schaffung von Arbeitsplätzen. Dies wundert nicht, denn die Kommission besteht überwiegend aus Unternehmensberatern und Arbeitgebern, die selbst keine Arbeitsplätze anbieten können. Dem Arbeits- und Sozialminister aus NRW, Harald Schartau, der in dieser Runde vertreten ist, geht es um Kosten und darum, die bestehende Landespolitik, d.h. Sozialagenturen, Job-Center etc., weiter zu entwickeln. NRW und Hessen sind die Bundesländer, die in den zurückliegenden Jahren als Vorreiter fungierten, die sich die Maxime zu eigen gemacht haben, Leistungen zu kürzen, wenn Arbeitslose ihre »Chance« nicht wahrnehmen. Ihr Grundsatz lautet: »Keine Leistung ohne Gegenleistung«. Soziale Leistungen sollen nur noch »zweifelsfrei Arbeitsunfähigen« zugestanden werden.

Bereits jetzt befinden sich ehemals Arbeitslose in Leih- und Zeitfirmen, auf Arbeitsplätzen, die nicht den ta-riflichen Standards entsprechen. Es ist keine Seltenheit, das KollegInnen für die gleiche Arbeit unterschiedlich entlohnt werden. So z.B. wenn Betriebsteile verkauft wurden, ein Einsatz durch Verleihfirmen erfolgt oder auch, um ein prominentes Beispiel zu nennen, in einem weiteren Hartz-Projekt, dem 5000x5000-Modell bei VW.

Wir ver.di-Erwerbslose rufen zur Unterstützung der bundesweiten Demonstration von attac und Gewerkschaftsjugend am 14. September 2002 in Köln auf. Wir werden zusammen mit dem Runden Tisch der Erwerbslosengruppen am Friesenplatz unseren Protest zum Ausdruck bringen. Diese Kundgebung steht unter dem Motto: »Gemeinsam arbeiten und sich gemeinsam wehren. Hände weg von der Arbeitslosenhilfe«.

Eine Beschlussfassung des Bundeserwerbslosenausschusses zur gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung, zur gesetzlichen Einschränkung von Überstunden und zum sofortigen Ausstieg aus dem »Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit« liegen dem ver.di-Bundesvorstand seit einigen Monaten als Anträge vor.

Wir danken für dieses Gespräch.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/02

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