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"Qualitätsmanagement" – der entfesselte Markt wirft seine Schatten voraus:

Der Mensch oder das Geld im Mittelpunkt?

Grundsätzliche Bemerkungen zur Einführung von Qualitätsmanagement in Krankenhäusern

Die folgende Positionsbestimmung ist auch innerhalb der ÖTV nicht unumstritten. Aus Sicht des Autors besteht nicht nur in der Öffentlichkeit und unter den Beschäftigten, sondern auch innergewerkschaftlich erheblicher Diskussionsbedarf.

Qualitätsmanagement im Krankenhaus wird aufgrund neu geschaffener gesetzlicher Regelungen (Sozialgesetzbuch V, §§135ff) flächendeckend zur Realität werden. Krankenhäuser sind verpflichtet, "einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement einzuführen und weiterzuentwickeln." Häusern, die sich dem verweigern, drohen ab 2002 Abschläge bei den Budgetfestsetzungen.

Was verbirgt sich nun dahinter? Daß es so manches zu verbessern gäbe, wissen die Beschäftigten sehr gut. An Vorschlägen mangelt es eigentlich kaum. Die Crux ist nur, daß eine Steigerung von Qualität in vielen Fällen auch eine bessere personelle Ausstattung erfordert. Dies aber würde ja die Kosten steigern. Was aber gerade nicht der Sinn der ganzen Veranstaltung ist. Man sollte sich also keine Illusionen machen...

 

Es geht um knallharte Ellenbogenkonkurrenz

Es ist kein Zufall, daß Qualitätsmanagement gerade heute forciert wird. Die ökonomisch-politischen Rahmenbedingungen in der Krankenhauslandschaft wandeln sich seit geraumer Zeit. Erkennbar ist die Richtung einer fast vollständigen Unterwerfung auch dieses Bereiches der Gesellschaft unter die Gesetzmäßigkeiten des freien Marktes.

"Wettbewerb heißt nicht besser sein wollen als die anderen, Wettbewerb heißt immer, die anderen ausschalten zu wollen". Dieses Zitat stammt nicht etwa von Karl Marx, sondern von George Soros, dem mächtigsten Spekulanten auf den internationalen Märkten. Der Mann weiß, wovon er redet.

Die Konkurrenz auf dem Markt ist eben kein harmloser Wettlauf zwischen Vorschulkindern, bei dem jeder gern der erste sein will. Sie ist ein mörderischer Krieg aller gegen alle. Wer dem modernen Götzen Markt nichts bieten kann, ist überflüssig und wird von jetzt auf nachher für wertlos erklärt.

Einen starken Schub wird diese Entwicklung in den kommenden Jahren mit der völligen Umstellung der Krankenhausfinanzierung durch die Einführung des fallpauschalierten Vergütungssystems nach DRG (Diagnosis Related Groups) erhalten. Wer die Verweildauer der Patienten am meisten drückt, wer die meisten "attraktiven Fälle" in möglichst geringer Zeit mit möglichst wenig Personalkosten durchzieht, der wird als Sieger aus dem gnadenlosen Wettbewerb hervorgehen. Auf wessen Kosten, ist klar. "Die Präsidentin des Deutschen Pfelegerates, Marie-Luise Müller, befürchtet, daß in den nächsten Jahren rund 100 000 Pflegekräfte arbeitslos werden könnten, wenn die Verweildauer in den Krankenhäusern um 50 % sinken sollte...Für die Pflege besteht das Problem darin, daß sie in diesem System nur als Kostenfaktor bei der Berechnung von Kostengewichten auftaucht." (FAZ 261.01) Und was auf die Patienten zukommt, macht der Sarkasmus von der sogenannten "englischen Verlegung" deutlich. Da geht‘s eben hopplahopp und der Patient ist halt, so wie das Steak, noch "ein bißchen blutig"...

 

Mit "Kundenorientierung" Fassadensanierung betreiben

Die Krankenhäuser sollen der knallharten Konkurrenz um Sein oder Nichtsein ausgeliefert werden. Geld soll zum Maß aller Dinge werden. Menschen werden zu Kunden. Patienten werden zu Kunden. Weg vom bedürftigen Menschen hin zum möglichst rentablen Fall.

Ein wesentliches Ziel von Qualitätsmanagement ist es deshalb auch, die Bezeichnung "Kunde" für PatientInnen und Angehörige in unseren Köpfen zu verankern. Dabei wird geschickt an dem verbreiteten Unbehagen an dem Begriff "Patient" angesetzt. Der leidende, unmündige Patient ist nicht das, was wir uns eigentlich wünschen. Zu Recht wird die darin enthaltene reduktionistische Sicht des Menschen kritisiert. Als scheinbare Alternative wird nun der Begriff "Kunde" ins Spiel gebracht. Aber damit wird der Mensch noch mehr reduziert. "Kundenbeziehungen" sind Geldbeziehungen. Der Kunde ist solange König, wie er zahlungskräftig ist. Und was kann der "Kunde" Patient beurteilen? Ist er in der Lage, die Zusammenhänge im Krankenhaus zu verstehen, eine kritische Sicht auf die Umstände und die Art und Weise seiner Behandlung zu entwickeln, genügend qualifiziertes Personal einzufordern, das über genügend Zeit und Spielräume verfügt, um sich ihm in angemessener Weise zuwenden zu können? Natürlich nicht. Das wäre ja ein anderer, ein mündiger Patient. Aber genau darum geht es Qualitätsmanagement nicht. Der "Kunde" Patient kann beurteilen, ob die Brötchen frisch oder hart sind und ob die Räume hell und freundlich sind. Das soll er dann geboten bekommen – in der Hoffnung, damit im Kampf um Marktanteile bestehen zu können.

Nichts gegen frische Brötchen und helle Räume – aber wenn dafür im OP und auf der Intensivstation nach wie vor ein nicht zu verantwortender Personalmangel herrscht, weil das der "Kunde" eh nicht beurteilen kann, dann wird deutlich, was mit "Kundenorientierung" eigentlich beabsichtigt ist: Ablenkung von der Hauptsache, den Blick auf die Fassade richten, um nicht über die eigentlichen Probleme reden zu müssen. Demgegenüber müßte es gerade Ziel der Beschäftigten sein, für den mündigen Patienten einzutreten und sich einer Unterordnung der zwischenmenschlichen Beziehungen unter den oberflächlichen Aspekt des Geldes zu widersetzen.

In USA, Großbritannien und anderen Ländern kann das Ergebnis einer Praxis, die das Geld in den Mittelpunkt der Organisation des Gesundheitswesens stellt, schon seit langem beobachtet werden: Eine menschenverachtende Zweiklassen-Medizin mit heruntergekommenen Billigangeboten für die Armen und Luxusmedizin für diejenigen, die sich’s leisten können.

Aber Tatsachen prallen an Ideologien bekanntlich mit erstaunlicher Hartnäckigkeit ab. Und wir haben es bei den Befürwortern der Marktorientierung im Gesundheitswesen mit knallharten Ideologen zu tun. Als Beispiel mag dafür die langjährige Premierministerin Margret Thatcher dienen, die seit 1980 eine herausragende Rolle bei der Zerschlagung vieler tragender Säulen des Gesundheits- und Sozialwesens in Großbritannien spielte. Diese Frau, die nach Kräften daran mitgearbeitet hat, daß es heute in einem der reichsten Länder der Welt beispielsweise drei Millionen unterernährte Kinder gibt, daß, wer in diesem Land über sechzig ist und einen Herzschrittmacher oder eine Hüftprothese braucht, schlechte Karten hat, wenn er nicht gerade Königinmutter ist oder sonst über einen dicken Geldbeutel verfügt – diese Frau gab erst kürzlich auf einer Podiumsdiskussion allen Ernstes wörtlich zum Besten: "Was wollen Sie denn, in den letzten zwanzig Jahren ist doch alles besser geworden!"

Die Ideologen der Marktwirtschaft denken nicht im Traum daran, daß es möglicherweise ein grundlegender Konstruktionsfehler sein könnte, wenn das Geld und seine Möglichkeiten der Vermehrung und nicht die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt des Wirtschaftens stehen.

 

Wollen wir diese Zukunft?

Die Gefahren eines liberalisierten Krankenhausmarktes liegen auf der Hand: Schließung von Krankenhäusern in großer Zahl, Ausdünnung der Versorgung in der Fläche, Selektion der Fälle je nach finanzieller Attraktivität, Zweiklassenmedizin...

Das wirtschaftlich-politische Zukunftsszenario "Krankenhaus 2015", besser bekannt als "Artur-Andersen-Studie" – eine Arbeit, die den neoliberalen Marktfundamentalisten nach dem Munde redet - beschreibt die von ihnen ersehnten Zustände in vierzehn Jahren unter anderem etwa so: "Es fehlen in den staatlichen Krankenhäusern seit Jahren Finanzmittel, um ausreichend Ersatzinvestitionen vorzunehmen. Neue, zukunftsweisende Investitionen werden seit Jahren nicht mehr durchgeführt. Die Schere zwischen staatlichen Häusern auf der einen Seite, sowie freigemeinnützigen und privaten Häusern auf der andern Seite hat sich weiter geöffnet." Und: "Art und Umfang der Grundversorgung liegen deutlich unter dem Leistungsniveau Ende der 90er Jahre", " Es gibt nicht mehr die einst im Sozialgesetzbuch V definierten Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung, sondern es besteht freie Vertragsgestaltungsmöglichkeit" – je nach Geldbeutel, versteht sich, usw. usf.

 

Rahmenbedingungen sollen kritiklos akzeptiert werden

Was fällt jemandem ein, der zwar die Folgen - oder doch wenigstens einige Folgen - seines Tuns kommen sieht, aber nach wie vor fest davon überzeugt ist, daß er "eigentlich" ja das Richtige tut? Nun, er kennt nur eine einzige Herausforderung: nämlich die, daß das Richtige auch richtig "gemacht" werden muß. Alles erscheint nur noch als eine Frage des "Handlings". Immer wenn die "Macher" des freien Marktes nicht mehr weiter wissen mit den Problemen, die sie sich selber geschaffen haben, ziehen sie deswegen ein vermeintliches Zaubermittel aus der Tasche. Es heißt: Management. Dieses Wort kommt von lateinisch "manus agere" – das heißt zu deutsch nichts anderes als : "Hände führen". Wenn die Menschen nur an der Hand genommen und richtig geführt werden, dann haben wir alles im Griff.

Auf diesem Hintergrund wird der innere Zusammenhang zwischen der Auslieferung der Krankenhäuser an die Gesetzmäßigkeiten des Marktes und der Einführung von Qualitätsmanagement verständlich.

Es hat selbstredend nicht die Aufgabe, zu hinterfragen, ob Fallpauschalierungen und Budgetdeckelungen der richtige Weg sind, ob der Rückzug des Staates, der Kommunen aus der Daseinsfürsorge überhaupt verantwortbar ist oder nicht. Es behandelt im Gegenteil gerade diese Fragen als "unzulässige Fragen".

 

Qualitätsmanagement fordert die kritiklose Akzeptanz der wirtschaftlich und politisch gesetzten Bedingungen.

Es wird so getan, als könnten mit Qualitätsmanagement all die voraussehbaren negativen Auswirkungen eines liberalisierten Krankenhausmarktes in den Kliniken selbst aufgefangen und quasi ungeschehen gemacht werden. Was nicht nur völlig illusionär ist, sondern auch ein verstecktes Eingeständnis der Ideologen des freien Marktes, daß der Markt eben doch nicht alles zum Besten regelt...

 

Managementkonzept: Gold raus aus unseren Köpfen – Angst rein

"Wir haben gar keine andere Chance, als uns alle so zu verhalten, wie der Markt es von uns verlangt." Dieser Satz soll zum Glaubensbekenntnis von uns allen werden. Der Gedanke an eine mögliche Alternative zur Auslieferung der Krankenhäuser an die Gesetze des Marktes soll erst gar nicht aufkommen.

Des weiteren sollen wir selbst mittels Qualitätsmanagement für den Verdrängungswettbewerb "fitgemacht" werden. Aus dem Munde des Managements hört sich das so an: "Wir müssen das Gold in den Köpfen unserer Mitarbeiter heben." Und womit die solchermaßen geleerte Goldgrube aufzufüllen ist, ist auch kein Geheimnis: Mit Angst. Um unsere Arbeitsplätze - also um unsere Existenzgrundlage - wenn nicht jeder von uns immer mehr "Leistung" aus sich herauspreßt. Ein internationaler Spitzenmanager, Intel-Chef Andrew Grove beschreibt das so: "Die wichtigste Aufgabe der Führungskräfte ist, eine Umgebung zu schaffen, in der die Mitarbeiter leidenschaftlich entschlossen sind, auf dem Markt erfolgreich zu sein. Furcht spielt eine große Rolle, diese Leidenschaft zu entwickeln und zu bewahren. Angst vor dem Wettbewerb, Angst vor einem Bankrott, Angst, einen Fehler zu machen und Angst, zu verlieren, können starke Motivationskräfte sein."

Das ist leider alles andere als weit hergeholt. Von einem Vertreter der Sana bekamen über 100 leitende Mitarbeiter eines Stuttgarter Krankenhauses zu hören: "Das wesentliche ist, auf dem Markt bestehen zu bleiben. Der Friedhof ist voll von Leuten, die geglaubt haben, daß sie unersetzlich sind. Glauben Sie mir, der persönliche Arbeitsplatz ist eine große Motivation."

 

Wo Qualität draufsteht, da muß auch Qualität drin sein.

Auf einem ÖTV-Seminar befaßten sich kürzlich über 30 PersonalrätInnen aus Stuttgart, Tübingen, Esslingen, Reutlingen und anderen Häusern mit den Herausforderungen für die Beschäftigten. Klar wurde schnell, daß auf Dauer niemand um Qualitätsmanagement herumkommen wird. Es wird darum gehen, sich auf Schadensbegrenzung zu konzentrieren, sämtliche Informations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten auszuschöpfen und wo immer möglich den Spieß umzudrehen:

"Wo Qualität drauf steht, da muß auch Qualität drin sein." Damit gilt es, die Entscheidungsträger innerhalb der Häuser, aber auch die politisch Verantwortlichen zu konfrontieren. Für Fassadensanierung à la "hier noch ein Frühstücksbuffet und da noch ein Schnickschnack" während gleichzeitig an allen Ecken das Personal fehlt, sind wir nicht zu haben.

Auch wenn sich heute praktisch alle politischen Entscheidungsträger mehr oder weniger als verlängerter Arm der ökonomischen Macht des Marktes verstehen und den Rückzug der Politik auch im Gesundheitswesen bewußt forcieren, ist das für uns als Beschäftigte noch lange kein Grund, auf den selben Leim zu gehen.

 

Es gibt Alternativen

Unsere Frage ist nicht: Wer wird in der Stuttgarter Krankenhauslandschaft am Markt bestehen bleiben? Werden "wir" die "anderen" fressen oder "die" uns? Oder wird am Ende die Sana auch noch den Rest fressen? Da gibt es natürlich starke Interessen.

Aber das sind nicht unsere Interessen. Wir wollen, daß alle Patienten in allen Häusern gut versorgt werden, wir wollen, daß alle Beschäftigten in allen Häusern unter ordentlichen Bedingungen arbeiten können, ohne Überlastungsstreß und Überstundenschieberei, ohne Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz und ohne schlechtes Gewissen gegenüber den PatientInnen.

Als Betriebs- und Personalräte haben wir uns auf eine Auseinandersetzung um folgende Fragen einzustellen:

- Ist der entfesselte Markt wirklich der Glücksbringer für Beschäftigte und PatientInnen, als der er hingestellt wird oder zerstört er die Grundlagen einer solidarischen, qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung für alle Menschen ?

- Sind wir der Diktatur des Marktes hoffnungslos ausgeliefert oder lohnt es sich, um Alternativen zu kämpfen?

- Was ist wirkliche Qualität im Krankenhaus und was ist Augenwischerei oder oberflächliches Marketing?

Um in dieser Diskussion bestehen zu können, müssen wir uns sachkundig machen. Insbesondere müssen wir die gängigen Qualitätsmanagement-Verfahren kennenlernen und einschätzen können, ob und ggf. wo sie Ansatzpunkte für arbeitnehmerorientiertes Handeln bieten.

Für Stuttgart läßt sich sagen: Die Sana hat Millionen aus den Häusern des Stuttgarter Klinikums und aus anderen Kliniken herausgeholt. Und zumindest für die Stadt Stuttgart gilt, daß sie buchstäblich im Geld schwimmt, sich ein Großprojekt nach dem anderen vornimmt und dabei bekanntlich nicht wenig Steuergelder in den Sand setzt. Warum kann diese Stadt ihrem Klinikum nicht wenigstens ein paar Milliönchen zuschießen? Das wären peanuts für die Stadtkasse.

Mit solchen Fragen sollten wir nicht hinter dem Berg halten. Denn es ist nicht einzusehen, daß Beschäftigte wie Patienten ausbaden sollen, was sie nicht verbockt haben. Auch nicht, wenn es unter der verlockenden Bezeichnung "Qualitätsmanagement" daherkommt.

Das beste Qualitätsmanagement wird es sein, die politischen Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit mit den wirklichen Verhältnissen in den Kliniken zu konfrontieren und die Beseitigung von Mißständen zu fordern.

 

Lothar Galow-Bergemann, Stuttgart

Tel.: 0711/2782045
email: L.Galow@katharinenhospital.de


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