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"Billig auf Kosten der Mitarbeiter?"

Media-Markt verhindert Arbeitnehmervertretung

Von Adele Sandrock

 

Die Computer sind billig, doch Betriebsrat und Gewerkschaft sind nicht erwünscht in Media-Märkten.
In kaum einem der bundesweit ca. 130 Media-Märkte existiert ein Betriebsrat. Alle Versuche, Betriebsräte zu bilden, wurden offenbar nach dem gleichen Muster abgeblockt: Die Mitarbeiter wollen angeblich ihre Probleme mit dem Chef selbst regeln. Plötzlich fließt das Geld, es gibt Parties für die Mitarbeiter, Gehaltserhöhungen u.a. Die Gegenseite streut Gerüchte: Wenn es einen Betriebsrat gibt, gehen unsere Gehälter runter, usw.

Im Heidelberger Media-Markt scheint der Geschäftsführer nun überzogen zu haben. Drei Kündigungen wegen Kontaktaufnahme zur HBV und wegen Einleitung der Betriebsratswahlen – das akzeptiert die Öffentlichkeit und die Kundschaft nicht so ohne weiteres.

Zu den Fakten: Eine Gruppe von Beschäftigten des Media-Markts hatte sich am 25. März nach der Arbeit getroffen und die HBV dazugeholt. Sie wollten Betriebsratswahlen einleiten. Man beriet sich, die Kollegen erzählten von zu vielen Überstunden, unabgegolten, von Willkürversetzungen und anderen Ungerechtigkeiten. Am 29. März erhielten drei aus der Gruppe die Kündigung. Beim Kündigungsgespräch hieß es: Sie waren ja auch bei der HBV-Versammlung..., Sie wollen hier Obstruktion betreiben..., Sie wissen ja, dass Sie Kündigungsschutz haben, wenn Sie im Wahlvorstand sind... – und damit wurde die Kündigung überreicht.

Die HBV informierte die Presse, dass im Media-Markt Heidelberg die Verfassung gebrochen und das Recht mit Füßen getreten wird. Geschäftsführer Lang von der Gegenseite behauptete, die drei seien wegen Schlechtleistung sofort gekündigt worden – eine Behauptung, die widerlegbar war und auch von Lang nicht aufrechterhalten wurde.

Noch am gleichen Tag leitete die HBV die Betriebsratswahl ein und terminierte die Betriebsversammlung zur Einleitung der Wahl auf den 31. März.

Im Vorfeld dieser Betriebsversammlung fand eine nächtliche Sitzung der Geschäftsführung mit den Abteilungsleitern statt, in der diese aufgefordert wurden, ihre Leute im Griff zu behalten, und in der offensichtlich die Strategie für die Betriebsversammlung abgesprochen wurde.

Am folgenden Abend wurde die Versammlung von den Führungskräften des Markts gesprengt. Der stellvertretende Marktleiter Bickel als von der Belegschaft gewählter Versammlungsleiter ließ die Belegschaft darüber abstimmen, ob sie einen Betriebsrat wolle. Die Belegschaft stimmte mit "Nein", und Herr Bickel schloss die Veranstaltung.

Wenige Tage später erschien in der lokalen Presse (Rhein-Neckar-Zeitung) eine ganzseitige Media-Markt-Anzeige mit einem offenen Brief gegen die HBV-Sekretärin Mia Lindemann. Darin wurde ihr mitgeteilt, dass sie ihre Hände vom Media-Markt lassen solle, die Belegschaft wolle keine Einmischung von außen, sie werde ihre Probleme mit dem Chef selbst regeln. Außerdem wurde ihr vorgeworfen, sie habe am Vorabend der Betriebsversammlung eine aggressive Telefonkampagne geführt. Unterschrieben war der Brief vom stellvertretenden Marktleiter Bickel. Darunter standen außerdem maschinenschriftlich die Namen der meisten Mitarbeiter. Zuvor war der offene Brief am schwarzen Brett ausgehängt worden. Man hatte die Namen der Mitarbeiter darunter gesetzt. Wer nicht aufgeführt werden wollte, sollte sich ausstreichen.

Der Vorwurf der aggressiven Telefonkampagne musste komplett zurückgenommen werden. Ansonsten führt die Anzeige zu einer breiten Solidarisierungswelle in den Gewerkschaften und in der Öffentlichkeit. Die Kunden reagierten spontan mit Boykott. Jürgen Ziegler, Vorsitzender der Postgewerkschaft in Karlsruhe, zerriss öffentlich ein Angebot des Media-Marktes in Höhe von 460.000 DM für die Ausstattung der Postgewerkschaftsbüros.

Die HBV bot zunächst der Media-Saturn-Holding in Ingolstadt Verhandlungen an. Die Media-Markt-Manager beteuerten, dass sie nichts gegen Betriebsräte hätten. Nur die drei Kündigungen wollten sie nicht zurücknehmen. Nach zwei weiteren Treffen der HBV mit dem örtlichen Geschäftsführer, der die Kündigungen ebenfalls nicht zurücknehmen wollte, brach die andere Seite die Verhandlungen ab.

Die HBV leitete dann ein Strafverfahren gegen den Geschäftsführer Lang wegen Behinderung der Betriebsratswahlen ein. Das relativ große Medieninteresse schmeckte der Gegenseite am wenigsten, und sie versuchte, durch einstweilige Verfügungen und Strafanzeigen, die HBV einzuschüchtern.

Außerdem hinderte Lang die drei Gekündigten durch Hausverbot daran, ihre Aktivitäten fortzusetzen.

Am 19. April wurde im Markt erneut eine Betriebsratswahl eingeleitet: Die drei Gekündigten wurden allerdings von der Versammlung nicht informiert. Im Wahlvorstand saßen – o Wunder – zwei weitere Verkaufsleiter und ein Abteilungsleiter. Der Wahlvorstandsvorsitzende und Verkaufsleiter Walter hatte gegenüber den drei Gekündigten das Hausverbot ausgesprochen.

Wegen Behinderung der Teilnahme an der Betriebsratswahl musste die Geschäftsführung auf Druck der HBV dann das Hausverbot zurücknehmen.

Die drei Gekündigten verteilen regelmäßig "offene Briefe" an ihre Kollegen und Kolleginnen, der Kontakt war (und ist) dennoch schwierig. Die Führungskräfte des Marktes arbeiten mit allen Tricks: Propaganda gegen Betriebsräte und Gewerkschaften, Angst ums Geld, um den Arbeitsplatz und handfeste Verleumdungen gegenüber den Gekündigten. (Von der Schlechtleistung bis zu angeblichen Vorstrafen, rassistischem und sexistischem Verhalten werden alle möglichen Anschuldigungen kolportiert. Lang behauptet auch, die Gekündigten hätten schon vorher von ihrer Kündigung gewusst; es gäbe imübrigen andere Gründe dafür).

Inzwischen haben sich Paten für die Gekündigten eingesetzt: die Landtagsabgeordnete May Nagel (SPD) und Dietrich Hildebrandt (B’90/Die Grünen) auch Lothar Binding und Gert Weißkirchen (beide Bundestagsabgeordnete der SPD) haben eine Patenschaft zugesagt. Nagel hat den baden-württembergischen Arbeitsminister Döring angeschrieben und zur Stellungsnahme aufgefordert. Unterdessen hat die HBV die Vorwürfe gegen den Media-Markt um den Vorwurf des Tarifbetrugs erweitert. Darüber hinaus sind Finanzamt und Sozialversicherungen in bestimmten Fällen offensichtlich umgangen worden.

Metro-Betriebsräte haben inzwischen eine Initiative gestartet, um den Aufsichtsrat zu alarmieren. Die Media-Saturn-Holding ist eine Metro-Tochter. Die Metro hält 72 Prozent, die restlichen Anteile halten Leopold Stiefel und das Ehepaar Kellerhals, die zu den Gründern der Media-Märkte zählen und als besonders gewerkschaftsfeindlich bekannt sind. Auch viele andere Betriebsräte solidarisieren sich mit den Gekündigten.

Die Frage ist, ob die Media-Saturn-Holding mit dieser Strategie siegt, oder ob wir durch Gewerkschafts"neu"gründungen in den Media-Märkten die Absicht durchkreuzen können, betriebsratsfreie und gewerkschaftsfreie Zonen zu schaffen.

Machen wir es wie der Karlsruher Post-Gewerkschaftsvorsitzende Jürgen Ziegler, und schaffen wir viele Media-Markt-Konflikte in der BRD!

Die nächsten Termine:

Soliadressen über HBV Mannheim/Heidelberg: (Tel. (0621) 1254-270

Der Beitrag ist erschienen in express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftspolitik, Ausgabe 5/2000 siehe auch: http://www.labournet.de/express/


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