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Call Train – wieso das denn?

Mehr Eigenverantwortung übernehmen fordern Industrie, Politik und Presse – und meinen damit, ihr sollt mehr zu verantworten und weniger zu entscheiden haben. Der Einzelne soll für möglichst alles zur Verantwortung gezogen werden, was er selbst nicht zu entscheiden hat. Aber in der Trennung von Verantwortungspflicht und Entscheidungskompetenz vollzieht sich ein Prozess, der viele Menschen als Objekt der Sanktionen für Fehlentscheidungen weniger anderer festschreibt.

Jede Kommunikation und Dialog ist Werkstoff und Produkt der Zukunft. Jeder Dialog baut auf konkreten Entscheidungen der Akteure des Dialogs. Kommunikation ist eine soziale Aktivität, deren Kennzeichen die in den Repliken und Anreden zur Geltung kommende Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit der Akteure ist. Und jede Übermächtigkeit von gestanzten Redeformeln lässt uns Hören und Sehen vergehen.

Eben weil trotz geltender Konventionen es so ist, daß der "Sprengstoff" Kommunikation seine Qualität aus der Freiheit der Akteure des Dialoges gewinnt, werden die Anstrengungen um eine Industrialisierung der Kommunikation erhöht. Dialoge sollen Destillate werden, reproduzierbare Hülsen, die um das Moment der Freiheit der Themen, der Wortwahl, der Intonation gereinigt werden soll. Während allenthalben über die Industrialisierung des genetischen Bauplanes empörte und heftige Debatten geführt werden, scheint die Industrialisierung dessen, was den Menschen als soziales Wesen in der ganzen Vielfalt seiner Weisen der Artikulation und der Dialoge ausmacht, beschlossene Sache, die unaufgeregt zur Kenntnis genommen wird – die Industrialisierung des Sprechens und Denkens. Jedes artikulierte Sprechen ist ein durch Interessen verwickeltes Sprechen. Deshalb variieren wir oft und wiederholen wenig. Wir sprechen zu Lebenden. Zeremonielle Rede aber verheimlicht die Situation, in der Gedanken entstehen. Call Center pflegen die auslöschende Kommunikation ("Rede und vergesse!"). Wenn Kundenbeziehungsmanagement ( Customer Relationship Management = CRM) geübt wird, ist bestenfalls von einer hinterlassenden oder vererbenden Kommunikation die Rede: die Vergangenheit bestimmt die Zukunft. Eine vorbildliche, schaffende zukunftgerichtete Kommunikation finden wir nirgends.

Aus dem Dialog und der Kommunikation soll durch Ihre Industrialisierung das Gegenteil von Kommunikation werden. Im Sprechen und Reden soll die Fähigkeit zum Dialog abgebaut werden. Rede wird ein einförmiger Totentanz von Floskeln, Rede wird eindimensionalen Geschäftsregeln ("Business rules") unterworfen, Rede wird abgeschnitten oder unterbunden, allenfalls unterzogen den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Standardisierung von Kommunikation und von Dialogen macht aus ihnen billig reproduzierbare Klischees dessen, was sie sind. An die Stelle der Wahlfreiheit rückt die Norm, an die Stelle der Themenvielfalt die Einfalt, an die Stelle der Entscheidungsfreiheit der angeordnete Verlauf der Dialoge. Wer wenig Geld investiert, der darf nur Standarddialoge führen. Wer viel Geld hat, leistet sich die Diskussion mit einem Professor.

Kommunikation als verständiger Ausdruck meiner Interessen, Affekte und Wünsche wird ersetzt von der Kommunikation im Sinn von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen, dem Pedantismus einer Mittelmäßigkeit der Auslastung des Agenten und seiner Produktivität. Dialog als Transfer von Stimmungen, Meinungen, Emotionen wird zum nüchternen, lustlosen Informationsaustausch auf vorgegebenen Bahnen. Nirgends ist dies so offensichtlich wie in Call Centern.

Erstmals erhalten mit der massenhaften Verbreitung der Telefonie als Instrument der ausgewählten Intensivierung von Kundenbindungen Mehrheiten in Betrieben die Hoheit über den Dialog von Unternehmen und Außenwelt. Die darin bestehenden Potentiale und Möglichkeiten einer Umkehr der klassischen Herrschaftsverhältnisse in der Arbeit, in der Manager entscheiden, Vorgesetzte anordnen und die untersten Schergen der Lohnpyramide ausführen müssen natürlich entschärft werden.

Den Rahmen der Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit der Akteure des Dialoges (Kunden und Agenten) definieren diejenigen, die außerhalb des Dialoges stehen, was kundenorientiert und mitarbeitergerecht sei.

Überlässt man den Akteuren nicht die Hoheit über die Gestaltung des Dialogs und den Agenten nicht die Möglichkeit, die Dialoge auszuwerten und die Ergebnisse umzusetzen, wird Zeit und Qualität verspielt und Wertschöpfung vernichtet – zugunsten der Aufrechterhaltung von Strukturen und Privilegien, die nicht gebraucht werden. Konsequenz: die Kunden ödet der Call Center-Singsang an, in den Call Centern ist die Fluktuation hoch, die Krankenquote bemerkenswert, innere Kündigungen an der Tagesordnung. Das Management klagt über das schlechte Image der Branche und den Mangel an Personal, und geht daran, die Symptome schön zu designen, ohne an dem Syndrom etwas zu ändern, dessen tragendes Element es selbst ist.

Mehr Eigenverantwortung, schönere Möbel, mehr Gruppenarbeit, Stressdeeskalationstrainings, ja auch mehr thematische Vielfalt und ein höheres Niveau der Kundenkommunikation werden von der Branche gefordert und bereitgestellt. Doch von mehr Entscheidungs- und Gestaltungsspielräumen für die Agents, gar der Abgabe von strategischen Entscheidungskompetenzen an die Experten des Dialogs ist wohlweislich nicht die Rede. Arbeit wird so organisiert, dass Nachsinnen, dass Nachdenken immer unnötiger wird. Anruferlebnisse prunken mit Präsenz, die schnell verbleicht. Momente lösen einander ab, die sofort vergessen sind. Wirksame und eindringliche Sprache aber ist nur in Freiheit möglich. Diesen Raum muß man sich selbst erkämpfen. Rede erschafft Wirklichkeit.

Man gibt weiter vor, "Menschen bräuchten Führung", selbst da, wo sie es sind, die die Gespräche führen, die wiederum einzige und wichtigste Aktivität der Call Center sind. Zwar verlangt man den Menschen ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Selbstorganisation ab, will ihnen aber in der Arbeitswelt die Umsetzung genau dieser Fähigkeiten nicht zugestehen, die eine Abgabe von Entscheidungsvollmachten bedeuten würde – zum Wohle der wichtigen Akteure, der Kunden und der Agents. So pfuschen mediokre Führer in das Call Center Management, die besser in Soldateska aufgehoben sind oder ähnliche Berufe schwänzen. Das geht so nicht weiter.

Deshalb gibt es Call Train. Die hier formulierten Grundsätze – sie sind Programm und kein Katalog - sollen im Interesse der Anrufer und Angerufenen Call Center vom Kopf auf die Füße stellen.

 

The Call Train – Manifesto

 

Waggon 1: Dia-Lok-Kompetenz

  1. Alles ist Dialog
  2. Der Dialog ist ein gemeinsames Produkt von Partnern
  3. Partner des Dialogs sind der Kunden und der Agent
  4. Die Hoheit über die Gestaltung des Dialogs liegt bei den Partnern des Dialogs
  5. Kein Produkt ist identisch mit einem anderen Produkt. Alle Dialoge unterscheiden sich.
  6. Die Gestaltung des Dialogs hängt von den sozialen, psychologischen, thematischen, kulturellen und fachlichen Erfordernissen des Dialogs ab
  7. Die Differenz macht einen Unterschied
  8. Der Agent spricht mit seiner Stimme und seiner Sprache im Namen des auftraggebenden Unternehmens
  9. Der Name soll unantastbar machen, der Name des Agenten soll beim Kunden Respekt heischen, auch wenn er nur Telefonvermittlung ausführt. Namen sind Schall und Rauch.
  10. Das Management soll die Agents nicht dazu zwingen, gegen ihre eigene Stimme und ihre eigene Sprache anzusprechen
  11. G’schwinder is’ oft g’sünder. Ein Arbeitsverdichter ist jedoch ein Qualitätsvernichter.
  12. Es gibt keinen Unterschied zwischen Nutz- und Zierkommunikation.
  13. Telefonieren muß nicht Beeinflussen bedeuten.
  14. Telefonieren heisst nicht "schwafeln".
  15. Listiges Telefonieren ist erlaubt. Hinterlistiges oder arglistiges dagegen niemals.
  16. Wo jeder eine Rolle spielt, sind alle Kommunikationstechniken erlaubt: von der Ironie bis hin zur Demut. Auch hier liegt in der sparsamen Dosierung der Schlüssel zur Wirksamkeit.
  17. Niemand wird zu etwas überredet. Rhetorische Schwächen werden nicht ausgenutzt. Niemand wird überrumpelt.
  18. Ohne "Power" wird's genauer. Tricksen in der Kommunikation führt zur tiefgreifendem Misstrauen auf Kunden- und Agentenseite.
  19. Mitfühlen heisst nicht Mitmachen.
  20. Hilfe und Informationen werden gegeben und nicht "gewährt".
  21. Der Agent muß nicht klüger sein als der Kunde.
  22. Vertrauenswürdigkeit ist keine Sache der Routine oder automatischer Erledigung. Wiedervorlage ist keine "Erinnerung", sondern ein Mechanismus.
  23. Sprache entreisst uns der Verzweiflung. Sprache ist kein Werkzeug und kein Mittel zur Manipulation. Worte, die zu Herzen gehen, helfen Menschen bei Telefonseelsorge oder Kinderschutzbund. Wer Sprache entstellt, missbraucht oder als Surrogat missbraucht, um mehr Geld aus Menschen herauszudrechseln, soll auf den Jahrmarkt gehen.
  24. Nichts spricht für sich selbst.

 

Waggon 2: Soziale Kompetenz

  1. Der multiforme Mensch muß wachsen dürfen.
  2. Individuelle Unterschiede sind die Basis der sozialen Vielfalt des Call Centers. Sie entspricht der sozialen Vielfalt der Kunden. Ohne soziale Vielfalt keine soziale Kompetenz
  3. Verwandlung ist nicht nur möglich, sondern erstrebens- und unterstützenswert.
  4. Die soziale Kompetenz der Agenten besteht in Ihrer Fähigkeit, sich auf die unterschiedlichen sozialen, psychologischen, thematischen, kulturellen und fachlichen Erfordernisse des Gesprächs einzustellen
  5. Die soziale Kompetenz von Agenten kann nur in einem Umfeld zur Geltung kommen, das soziale Vielfalt erlaubt und fördert
  6. Vielfalt ist indes nicht immer das Gegenteil von Einfalt. Hinter vielen Meinungen muß keine Welt stehen.
  7. Verkomme nicht zur Figur, Charaktermaske. Werde nicht Opfer innerhalb einer Schicksalsgemeinschaft.
  8. Lege Deine Chance in deine Autonomie.
  9. Starre Hierarchien lassen die Anwendung sozialer Kompetenz nicht zu, weil sie den Agenten deren Nichtvorhandensein unterstellen
  10. Starre Verhaltensregeln lassen die Anwendung sozialer Kompetenzen nicht zu, weil Sie sich gegen die in den individuellen Unterschieden der Agenten begründete soziale Vielfalt wenden
  11. Der Entzug von Gestaltungsspielräumen und Entscheidungskompetenzen macht die Agents nicht nur krank, sondern schränkt das Spektrum des Dialogs zuungunsten des Kunden ein. Es gibt Call Center mit menschlichem Antlitz.
  12. Das Call Center mit menschlichem Antlitz soll in einer Umgebung angesiedelt sein, die kulturelle und soziale Vielfalt bietet und Anreize zur Erweiterung des kulturellen und sozialen Horizontes bietet
  13. Call Center müssen zur Kultur kommen. Ein Call Center soll nicht isoliert von urbanen Umfeldern verortet werden
  14. Call Center sollen ihr Personal in den Umfeldern rekrutieren, in dem die kommunikative und soziale Vielfalt stattfindet. Erlebnisgastronomie und kulturelle events sind ideale Milieus für Personal-Scouts
  15. Bei Personaleinstellungen sollten nicht Zertifikate im Vordergrund stehen, sondern Schlüsselqualifikationen, die im kulturellen und sozialen Leben eingeübt und ausdifferenziert wurden
  16. Soziale Vorurteile aufgrund gebrochener Erwerbs- und Lebensbiographien sind tabu. Die Fähigkeit zu "emotionaler Arbeit" wird dort erworben, wo der Umgang mit vielfältigen wechselnden Kundenbedürfnissen und unterschiedlichen Situationen und Formen der Kommunikation im Vordergrund steht
  17. Es ist Sorge dafür zu tragen, daß in der internen Weiterbildung und Qualifizierung, sowie Schulungen und Trainings die sozialen Kompetenzen der Agents nicht abgebaut, sondern gefördert werden
  18. Der Dialog ist ein Produkt, das psychologischer Natur ist. Seine Qualität ist maßgeblich von der psychischen Verfassung der Akteure des Dialogs abhängig. Die Arbeitsorganisation im Call Center hat psychischen Belastungen vorzubeugen, die aus der Arbeitsorganisation entstehen
  19. Denke nicht, daß alles mit Geld zu regeln ist. Pflichtgefühl und Arbeitsfreude entstehen nicht automatisch aus profitabler Arbeit.
  20. Die Beteiligung der Agenten an Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen geht über das reine Mitreden hinaus. Alle Gestaltung geht von den Agenten aus
  21. Interne Dialoge sollen gefördert werden. Sie gewährleisten die Aufrechterhaltung einer thematischen, sozialen und kulturellen Vielfalt, die der Komplexität, Vielfalt und Vielschichtigkeit der Anforderungen und Interessen der Kunden entspricht
  22. Fachliche Kompetenz wird durch fehlende soziale Kompetenz entwertet

 

Waggon 3: Entscheidungskompetenz

  1. Die wichtigsten Entscheider im Call Center sind die Agents im Zustand des Dialogs
  2. Alle strategischen Entscheidungen des Call Centers gehen von den Erkenntnissen und Erfahrungen der Agents aus, weil Sie den intensiven Dialog mit den Kunden pflegen
  3. Das Management hat den Agents die Arbeit zu erleichtern, indem es den Dialog mit den Agents sucht und durch die Schaffung interner Foren des Dialogs fördert
  4. Es gibt nicht die Agents und die Manager, sondern nur den Kundendialog und das Management
  5. Die Kundenorientierung wird von den Agenten mit Inhalt gefüllt und kann nur von Ihnen definiert werden
  6. In einem Arbeitsumfeld, dessen Produkt Kommunikation ist und dessen Produkt nur durch eine intensive, interne Kommunikation zu sichern ist, ist das Netzwerk der starren Hierarchie überlegen
  7. Netzwerke sind nicht notwendig regellos und nicht notwendig hierarchiefrei
  8. Selbstorganisierte Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse sind "top-down"-Entscheidungsstrukturen vorzuziehen
  9. "buttom-up" schlägt "top-down"
  10. Kurze Entscheidungswege sind kundenfreundlich
  11. Zufriedene, ausgeglichene Agents sind kundenfreundlich
  12. Alle Aufgabengebiete des Call Centers sind seitens der Agents erlernbar und können durch sie ausgefüllt werden
  13. Vertikales "job-enrichment" ist pure Wertschöpfung. Ein hohes Maß an Kenntnissen, Qualifikationen und Fertigkeiten schafft Sicherheit und Transparenz
  14. Vermeide "Wissenskönige" und verteile das Wissen auf alle Köpfe.
  15. In jedem Falle ist das Vertrauen in die selbstständige Arbeit der Agents Mechanismen der Überwachung, der Kontrolle und des Misstrauens vorzuziehen
  16. Technik unterstützt die Agents. Sie entscheiden, welche Techniken eine zweckmäßige Unterstützung der Arbeit gewährleisten
  17. Integriere keine Technik ohne vorher gemeinsam mit den Agents über den Sinn und Zweck der Technik und über die durch die Technik erforderlichen Änderungen der Arbeitsabläufe abgestimmt zu haben
  18. Wenn mehr Eigenverantwortung von den Agents gefordert wird, muß Ihnen mehr Entscheidungsspielraum eingeräumt werden
  19. Die Entscheidungsspielräume der Agents erleichtern dem Management die juristischen und geschäftlichen Verantwortungen. Kunden- und zeitnahe Entscheidungen verbessern die ökonomische Basis und wenden Gefahren vom Unternehmen ab
  20. Ohne Nutzung von Entscheidungsspielräumen seitens der Agents entwickeln sich starre Hierarchien
  21. Unsicherheit ist eine gute Ausgangslage für Entscheidungen. Die Berücksichtigung anderer Entscheidungen sind eine schlechte Ausgangslage für neue Entscheidungen.
  22. Die Gestaltung der Löhne trägt dem Umstand Rechnung, daß Agents verantwortliche Entscheidungsträger sind, deren Dialogführung über die Wertschätzung, Bindung und Gewinnung von Kunden unmittelbar entscheidet
  23. Führung ist eine Gemeinschaftsaufgabe
  24. Gehorsamkeit ist keine Tugend. Handeln ohne Einsicht in die Notwendigkeit eines Tuns ist das Gegenteil von sozialer Kompetenz
  25. "Wer fragt, führt.", lautet eine CC-Weisheit. Wer andere an der Nase herumführt, soll Tanzbären vorführen und gehört nicht ans Telefon. Wer anführen möchte, soll lieber eine Bande gründen.
  26. Wenn jeder für sich doch alleine arbeitet – ist man vor dem Kunden alleine? -, dann ist die Frage nach der Fähigkeit und Eignung zur "Teamarbeit" berechtigt.
  27. Stelle diese Frage im Zweifel, aber in jedem Falle: Führe dich selbst!

 

4. Waggon: Arbeits- und Gesundheitsschutz

  1. Vermeide Akkordtelefonie. Die Stimmbänder sind die Bandscheiben des Call Center-Gewerbes
  2. Prävention geht vor Therapie
  3. Ergonomie in Call Centern beginnt bei der Psyche, der Stimme, der Atmung und allgemeinen Befindlichkeit der Agents. Diese stehen in Wechselwirkung zueinander. Belastungen verstärken sich gegenseitig. Linderungen verstärken sich gegenseitig.
  4. Vermeide Belastungen durch trockene Raumluft, hohen Lärmpegel, Blendungen, flimmernde Bildschirme, nicht oder schwer höhenverstellbare Stühle und Tische, sorge für das Vorhandensein von Fußstützen, verteile Belastungen durch Schicht- Nacht- und Feiertagsarbeit gleichmäßig, halte Dich an Unfallverhütungsvorschriften, die EU-Bildschirmrichtlinien
  5. Das Ambiente der Arbeitsräume ist gemeinsame Angelegenheit aller in ihnen arbeitenden Beschäftigten. Vermeide eine klinisch-sterile Einrichtung.
  6. Ein Arbeitsraum ist auch Lebensraum. Trostlose Umgebung schafft trostlose Dialoge.
  7. Treibe nicht durch Händeklatschen oder Anfeuerungsrufe zur Arbeit an. Telefonie ist kein Rudersport
  8. Lasse den Agenten Raum. Call Center sind keine Stätten der Massentierhaltung
  9. Lasse Möglichkeiten der individuellen Gestaltung des Arbeitsplatzes
  10. Überlasse den Agenten die Zeit- und Raumhoheit in dem Rahmen, den sie selbst für verantwortlich halten. Befreie Dich von dem Vorurteil, die Agents seien nicht imstande, ökonomisch verantwortlich und weitsichtig zu handeln
  11. Weil die Arbeit zur Konzentration auf die Sache selber zwingt, wird der Horizont jenseits des Tagesgeschäfte kaum sichtbar. Gegen diese Einfältigkeit muß eine Langzeitorientierung gesetzt werden.
  12. Arbeitswut macht krank. Dich und die an denen du sie auslässt.
  13. Versuche Alternativen in den Wirkzusammenhängen und zu den Kausalsystemen zu finden, die du vorfindest, von denen du dich getrieben fühlst.
  14. In dialogbasierten Unternehmen ist angewandte Demokratie angewandter Arbeitsschutz

 

5. Waggon: Kundenorientierung

  1. Jeder Dialog findet auf der Sach- und der Beziehungsebene statt. Da jeder Dialog eine Beziehung herstellt und beeinflusst, ist die Beziehungsebene nie außer acht zu lassen
  2. Die Agents sollen die Möglichkeit haben, individuell und gemeinsam die Dialoge, die sie führen auszuwerten, Schlussfolgerungen aus Ihnen zu ziehen und die sich daraus ergebenden Maßnahmen selbständig entscheiden und durchführen können
  3. Sei für die Kunden nicht nur auf der Sach-, sondern auch auf der Beziehungsebene erreichbar
  4. Kunden stellen keine Beziehung zu einem Neutrum her, das nur die Projektion einer "Firmenidentität" vor sich herträgt und sich hinter dieser Blendung verbirgt
  5. Costumer Relationship Management betreiben die Agenten und die Kunden im Dialog
  6. CRM ist keine Maßnahme des Unternehmens, sondern Gestaltungsfeld aller Partner der Kommunikation
  7. Keine mathematische Formeln sind ein Maßstab für die Qualität eines Call Centers.
  8. Der Kunde bestimmt grundsätzlich die Dauer, das Thema und die Intensität des Gespräches. Der Agent entscheidet über die Anlässe, die einen Gesprächsabbruch oder eine Zurechtweisung des Kunden rechtfertigen
  9. Nicht jeder gute Kunde ist ein anständiger Kunde. Die einzige Pflicht des Kunden besteht in der Wahrung des Anstandes. Sie gilt auch für den Agent.
  10. Die Partner des Dialogs haben den Wunsch nach höflicher Distanz zu berücksichtigen. Das gilt auch im internen Dialog. Die Aufhebung der Distanz entsteht nur in gegenseitigem Einverständnis
  11. Belüge nie Deine Kunden. Akzeptiere keine Aufträge, die zur Unredlichkeit und Unehrlichkeit gegenüber Kunden verpflichten, selbst dann nicht, wenn sie als ökonomisch notwendig angesehen werden. Wer auf diese Aufträge angewiesen ist, sollte die Branche wechseln
  12. Kommuniziert mit anderen Betreibern. Sucht nach Möglichkeiten, Euch gegenseitig zu unterstützen
  13. Sag Kunden, wenn etwas nicht geht. Begründe warum es nicht geht, wenn er sich erkundigt.
  14. Fordere nie von anderen, Kunden zu belügen
  15. Falsche Freundlichkeit ist aller Laster Anfang.
  16. Vermeide Wartezeiten für die Kunden primär durch hinreichende Besetzung, nicht durch Integration von Techniken, die die Arbeitsdichte erhöhen

  17.  

6. Waggon: Call Center-Verfassung

  1. Plädiere für eine Verfassung des Call Centers, nicht für eine aufoktroyierte und angewiesene "Ordnung des Betriebes".
  2. Orientiere Dich am Grundsatz: alle Macht geht von den Agenten aus. Das heißt nicht: alle Macht übt der Agent aus.
  3. Erfolgt eine Delegation von Entscheidungs- und Handlungskompetenzen durch Mehrheitsbeschlüsse, so ist dies von allen zu akzeptieren
  4. Die Agents tragen Verantwortung für die Arbeitsbedingungen der Repräsentanten, die sie mit Vollmachten ausgestattet haben.
  5. Werden Entscheidungs- und Handlungsvollmachten delegiert, so besteht für die Delegierten die Pflicht zur Vorabinformation und Erklärung, sowie bei Durchführung trotz mangelndem Einverständnis der in der Belegschaft eine nachträgliche Pflicht zur Begründung
  6. Das Management ist der Vertreter des Kunden. Deshalb darf das Management delegieren.
  7. Führung ist oft eine unerbetene Dienstleistung. Man soll sich aber nicht aufdrängen. Vorlaute, aber fachinkompetente Menschen sind unverträglich und unerträglich.
  8. Jeder hat das Recht zu wissen, woran er ist. Aber es gibt kein Recht auf Eindeutigkeit, Befehle oder Anweisungen.
  9. Wer Mitarbeitern die Prinzipien vorenthält, wonach gehandelt werden darf und soll, verhehlt werden oder unbekannt bleiben dürfen, der soll sich über Gerüchte, Intrigen, Klatsch nicht wundern. Übersicht und Wissen gehören zu erwachsenen Menschen. Wer sie ihnen verweigert erhöht die Chance auf Fluktuation.
  10. Eine lebendige Ordnung lässt das Privatleben unantastbar. Wer die Grenzen zwischen Arbeit- und Privatleben auflöst und dies auch von anderen verlangt, hat kein Anrecht auf ehrliche Mitarbeiter und ehrliches Management.
  11. Manche sagen, man werde durch Schaden klug, meinen damit aber nie sich selbst. Wer andere in ihrem Schaden für klug und verantwortlich erklärt, ist Führungskraft. Für ihn sind Untergebene immer faul, feige und falsch. Konflikte und Widerstand werden als individuelle Schwächen desjenigen erklärt, der nicht die Meinung der Führungskraft "trägt". Wer dieses Menschenbild hat, ist ein Call Center-Schädling.
  12. Verworrene, schwärmerische und undeutliche Vorstellungen werden gerne mit genialen Business Cases oder anderen verlogenen Zahlenszenarien kompensiert. Rechne immer selber nach. Übernehme nichts ungeprüft. Sonst heisst es, dass Du der Urheber dieser Täuschung und Betrug seist.
  13. Einander achten heisst auch auf einander achten, und nicht Vorgesetzte beurteilen Untergebene. Ich-Sucht und Machttrieb werden durch Eulenspiegeleien unterlaufen.
  14. Konflikte und Dissonanzen verwandeln sich durch Verschweigen in Misstrauen, Mobbing, Geheimnistuerei und persönliche Differenzen, die unterschwellig ausgetragen werden. Ein solches Klima zerstört nicht nur das interne Beziehungsgeflecht, sondern belastet auch die Kundenkommunikation
  15. Wer Konflikte verschweigt, handelt gegen die Interessen aller
  16. Rede, dass ich Dich sehe!
  17. Die Einigung auf gemeinsame Regelwerke beinhaltet Regelungen zur Feststellung von und zum Umgang mit Verstößen
  18. Werden Regelverstöße ignoriert und bagatellisiert führen sich Regelwerke ad absurdum
  19. Wenn Du befehlen willst, gehe lieber zum Militär
  20. Wenn Du Missstände anprangerst, formuliere Alternativen und schaffe Dir Akzeptanz für ihre Durchführung
  21. Ein Mangel an Akzeptanz rechtfertigt nicht den Verzicht auf Maßnahmen, die gesundheitliche Schädigungen und Belastungen abwenden
  22. Stelle das Call Center öffentlich nicht anders vor, als es ist. Aber hebe die Vorteile deutlich vor. Stehen in der Wirklichkeit des Call Centers die Nachteile im Vordergrund, ist es besser, auf Öffentlichkeitsarbeit zu verzichten
  23. Selbstdarstellung ist nicht Selbsttäuschung.
  24. Tue Gutes und sprich darüber - aber nur, wenn es ernst gemeint ist, nicht als Selbstbeweihräucherung auf Kongressen ohne die Partner des Call Center-Dialogs, die Agents und die Kunden
  25. Sei nicht eitel und überheblich, weil man Dir eine "gehobene" Stellung zusprach. Sie ist nur vorübergehend.
  26. Halte diejenigen, die nicht mehr im Call Center arbeiten wollen nicht fest, indem du an ihr soziales Gewissen appellierst. Höre die Gründe, und akzeptiere sie.
  27. Schaffe Bedingungen, die das Verbleiben zu einer erfreulichen Perspektive machen. Das ist der beste Schutz vor Fluktuation und "innerer Kündigung".
  28. Stelle an Deine Arbeit nicht den Anspruch, alle Deine privaten Probleme zu lösen und mache Ihr nicht den Vorwurf, deren Ursache zu sein, es sei denn Du bist Dir darin absolut sicher. Wenn dies so ist, so gilt es, diese Ursachen zu beseitigen
  29. Besser ist es, sie gar nicht erst entstehen zu lassen
  30. Frage Dich immer. was kann ich für diejenigen tun, die das Call Center sind - die Agents
  31. Der Anspruch, daß es mir gut geht, ist nicht Grundlage sozialen Handelns. Der Anspruch, daß es auch mir gut geht ist legitim. Dafür haben alle Sorge zu tragen.
  32. Es gibt ein Leben nach dem Call Center. Setzen sie sich eine Grenze dessen, was Sie bereit sind zu ertragen. Wenn die Grenze überschritten wird: kündigen Sie!
  33. Betreibe kein Call Center wenn Du es nur zum Spaß betreiben willst.
  34. Die Call Center-Dialoge finden nicht im hermetischen Raum statt. Die soziale, kulturelle und thematische Komplexität der Call Center-Dialoge sind ein Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Debatte.
  35. Boykottaufrufe gegen diejenigen, die Call Center entgegen der Grundsätze von CallTrain betreiben, werden von CallTrain nicht boykottiert und gegebenenfalls befolgt
  36. Call Center sind Politik.
  37. Politik ist Konversation.

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