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Anfang November schockierten Meldungen über ein neuerliches Milliardendefizit der Deutschen Bahn die Öffentlichkeit. Eisenbahner(innen), die tagtäglich den Abwärtstrend erleben, konnten von solchen Meldungen nicht überrascht sein.
Bahnchef Mehdorn regte den Teilverkauf des Staatskonzerns an amerikanische, kanadische, japanische oder britische Kapitalgruppen an. "Von der Logik her wäre ein Teilverkauf von zunächst 20 oder 25% absolut sinnvoll. Das brächte notwendiges Geld in die Kasse, um vieles in Ordnung zu bringen" (O-Ton Mehdorn). Auch der bündnis-grüne Bundestagsabgeordnete Berninger, die SPD-Verkehrspolitikerin Mertens und selbst der Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen schienen sich mit solchen Gedanken anfreunden zu können.
Zum 1. 1. 1994 wurden Bundesbahn und Reichsbahn zur (noch bundeseigenen) Deutschen Bahn AG zusammengefaßt. Diese erste Stufe der Privatisierung, sollte die Bahn "unternehmerisch flexibler" machen und verlorene Marktanteile zurückgewinnen. Die Bilanz ist ernüchternd.
Bereits 1997 hat der Bundesrechnungshof darauf aufmerksam gemacht, dass das Betriebsergebnis eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem letzten Jahr vor der Bahnreform aufweise. Danach durfte er die Bilanzen der Bahn nicht mehr kontrollieren.
Wie anderswo bedeutete auch bei der Bahn die Privatisierung zunächst einmal höhere Managersaläre und gleichzeitig schlechtere Sozialleistungen für die neu eingestellten Eisenbahner(innen). Erfahrene und technisch versierte Eisenbahner(innen) werden von Juristen, Betriebswirtschaftlern und Unternehmensberatern zur Seite gedrängt. Die Beschäftigten im Betriebsdienst schieben große Überstundenberge vor sich her. Die Aufgliederung des DBAG-Konzerns in verschiedene Unternehmenssparten - insgesamt 186 "Töchter" - hat nicht weniger, sondern mehr Bürokratie und Koordinierungsmängel gebracht.
Ein Teil der von Mehdorn aufgeführten Defizite ist hausgemacht und geht auf das Konto von Fehlplanungen, überdimensionierten Bauprojekten etwa bei Schnellstrecken und horrenden Honoraren für externe Unternehmensberater.
Maßgeblich für die drohenden neuen Milliardenverluste ist aber auch die seit Jahrzehnten herrschende Benachteiligung der Bahn durch eine Verkehrspolitik, die auch unter der neuen Bundesregierung weiterhin von der Straßenverkehrs- und Luftfahrtlobby bestimmt wird. Kaum ein Mensch redet über die gesamtgesellschaftlichen Defizite (vorsichtig geschätzt 200 Milliarden DM), die der Straßenverkehr alljährlich in der Bundesrepublik verursacht und auf die Allgemeinheit abwälzt. Nach dem 2. Weltkrieg wurden deutschlandweit rund 200 000 km neue Strassen gebaut. Gleichzeitig wurden 15.000 km Schienennetz abgebaut.
Die Bahn wurde nach dem Regierungswechsel 1998 nicht - wie versprochen - von der Mineralölsteuer befreit, sondern noch zusätzlich mit der Ökosteuer belastet. Demgegenüber zahlen Flugverkehr und Binnenschifffahrt keine Mineralöl- oder Kerosinsteuer.
Die Investitionspolitik der Bahn orientiert sich in erster Linie an Fernstrecken zwischen Ballungsgebieten. Mehdorns Vision ist die einer kleinen aber feinen Fernbahn mit ICE-Taktverkehr zwischen Knoten in den wichtigsten Ballungsgebieten. Insider befürchten, dass dabei der Nah- und Regionalverkehr und der Güterverkehr unter die Räder kommen dürften. Dabei widerlegen die Fahrgastzahlen die einseitige Ausrichtung auf den Fernverkehr: rund 90% der Fahrgäste nutzen die Bahn im Nahverkehr (Fahrten unter 50 km Entfernung). Der Nahverkehr bringt dem Bahnkonzern fast 50% des Umsatzes ein. Wenn Nebenstrecken vernachlässigt werden, dann werden diese Fahrgäste regelrecht vergrault. Sie fehlen dann natürlich auch als Zubringer für den Fernverkehr
Doch anstatt der Bahn endlich mehr Wettbewerbschancen zu verschaffen, stattete der Kanzler das Management mit einem "Blankoscheck" aus - für den Generalangriff auf den Lebensstandard der Eisenbahner(innen).
Eine Ausgliederung von ganzen Unternehmsteilen, Strecken oder Regionen aus dem Bahnkonzern bzw. eine Vergabe an Dritte kann keine fortschrittliche Lösung sein. Das System Bahn muß als einheitliches Ganzes gesehen werden. Jede Zerschlagung macht dieses System letztlich auch für die Kunden schwerer handhabbar. Wenn derzeit viele externe Unternehmer (darunter auch ausländische Bahngesellschaften) vollmundig behaupten, sie könnten bestimmte Unternehmensbereiche viel billiger betreiben, so ist dies mit höchster Vorsicht zu genießen. Wer behauptet, er könne alles "rentabler" betreiben, der wird dies in aller Regel nur durch Lohndumping, durch Vernachlässigung der technischen Sicherheit und Standards schaffen - und hinterher für neue öffentliche Subventionen an anderer Stelle die Hand aufhalten. Was auf den Straßen schon längst Realität ist, könnte bald auch auf den Schienenstrecken kommen - etwa der Einsatz von nur kurz angelernten Triebfahrzeugführern aus ost- oder südeuropäischen Ländern für einen Hungerlohn.
Da waren die "Propheten", die den Eisenbahner(innen) noch vor kurzem die DBKom (ehemaliges Bahn-Fernsprechnetz) als die zukünftige Geldquelle angepriesen haben. Aus der DBKom wurde ARCOR. Die Bahn hat ihre Anteile bis auf eine Kleinigkeit an Mannesmann verkauft. Jetzt fliessen die Gelder - nur wohin? ARCOR hat erträgliche langfristige Verträge mit der Deutschen Bahn abgeschlossen und sahnt für die betriebsinternen Telekommunikationsdienste nun zu weitaus überhöhten Preisen ab.
Manche behaupten immer noch, dass es in England oder Amerika mit der Privatisierung der Bahn "funktioniert" hätte. Dabei wurde in den USA unter dem Druck der Automobillobby schon vor Jahrzehnten die Bahn als flächendeckendes Verkehrssystem zerstört. In Britannien herrscht nach der Privatisierung der British Rail Chaos auf den Schienen und wird nach schweren Zugunglücken der letzten Jahre jetzt öffentlich und breit darüber diskutiert, dass die Privatisierung ein schwerer Fehler war.
Mit der Zerschlagung der Deutschen Bahn betreibt das Management die Zerstörung des Flächentarifs. Mehdorn scheint es gelungen zu sein, die Bahn-Gewerkschaften mit ins Boot zu holen. So unterzeichneten am 07. Juni 2000 Bahn-Management und die Gewerkschaftsspitzen nach den Verhandlungen über Zukunftssicherung und Beschäftigung ein Papier, das die Anpassung der Tarifverträgean Branchen und "regionale Gegebenheiten" anerkennt. In einem Gespräch mit Betriebsräten wies Mehdorn darauf hin, dass die Gewerkschaften bereits mit vielen nicht-bundeseigenen Nebenbahnen wie der "Hohenzollerischen Landesbahn" schlechtere Tarifverträge abgeschlossen hätten. Die Basis-Initiative "Bahn von unten" befürchtet eine zunehmende Atomisierung der Bahn-Belegschaft, die natürlich die in den letzten Monaten deutlich gewordene Kampfbereitschaft und Widerstandsfähigkeit zunehmend untergraben dürfte. So gibt es im DB-Konzern u.a.:
Als eine "Spätzle-Connection" aus Bahnchef Dürr, Minister Wissmann und dem damaligen GdED-Vorsitzenden Rudi Schäfer Anfang der 90er Jahre die Privatisierung der Deutschen Staatsbahnen einleitete und mit einer "Besitzstandswahrung" für die bisherigen Beschäftigten die Belegschaft beruhigte, hatten vereinzelte Privatisierungskritiker und Verfechter einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik auch in der GdED/Transnet einen schweren Stand. Dies beginnt sich jetzt zu ändern.
Vor dem Hintergrund der starken Mobilisierung von Eisenbahner(inne)n und der angedrohten Streiks bildete sich im Frühjahr 2000 aus einem Kreis von Betriebsräten - insbesondere aus der Ortsverwaltung-Zentrale Frankfurt der GdED/Transnet die Initative "Höchste Eisenbahn - Bahn von unten".
Zu ihren Zielen gehören die folgenden Punkte:
Eine von Unterstützern dieser Initiative eingebrachte Resolution wurde von der Transnet-Bundesbetriebsrätekonferenz im Mai 2000 in Köln zur Weiterleitung an den Gewerkschaftstag einstimmig verabschiedet. Darin heißt es u.a.:
... Gleichzeitig sucht die GdED aber auch die Zusammenarbeit und den Schulterschluss mit allen Opfern von Privatisierung und Deregulierung. Das Widerstandspotential der Beschäftigten von Bahn, ÖPNV, Stadtwerken und anderen Bereichen und ihrer Gewerkschaften muss gebündelt werden...
Wir fordern einen Stopp der Zerstückelung der DB AG und der Jagd nach Kapitalmarkt- und Börsenfähigkeit und Rendite auf Kosten der Beschäftigten und sozial Schwachen! Wenn öffentliche Kampagnen, Anträge und Petitionen dazu nicht ausreichen, so muss das Mittel des Streiks unseren Forderungen mehr Gewicht verleihen.
Initiative "Höchste Eisenbahn / Bahn von unten"
Postfach 2112
65011 Wiesbaden
Tel./Fax 0611-406807
www.bahnvonunten.de
bahnvonunten@web.de
LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace |
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